Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde: Verbandsklage von Verbraucherschutzverbänden gegen Bestellbutton und AGB-Klausel eines Online-Streaming-Dienstes
Normenkette
ZPO § 544 Abs. 2 Nr. 1; BGB § 307 Abs. 1 Sätze 1-2, § 312j Abs. 2 S. 2, Abs. 3 Sätze 1-2; UWG §§ 3, 3a, 8; EURL 83/2011 Art. 8 Abs. 2 UAbs 2; EWGRL 13/93 Art. 6 Abs. 1 Hs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 20. Dezember 2019 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Streitwert: 17.500 €
Gründe
Rz. 1
I. Der Kläger ist der Dachverband der 16 Verbraucherzentralen und 25 weiterer Verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Die Beklagte betreibt einen Online-Streaming-Dienst, dessen Nutzung im Internet erfolgt und nach Abschluss eines Abonnementvertrags möglich ist. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung eines Bestellbuttons auf ihrer Internetseite sowie wegen einer Klausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Unterlassung in Anspruch. Diese Klausel lautet:
Unser Abo-Angebot und die Preise für den Netflix-Dienst können sich gelegentlich ändern. Sie werden jedoch mindestens 30 Tage vor deren Inkrafttreten über jegliche Änderungen an Preisen und unserem Abo-Angebot informiert.
Rz. 2
Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Den Streitwert hat es in Übereinstimmung mit dem Landgericht entsprechend den Angaben des Klägers in der Klageschrift auf insgesamt 17.500 € festgesetzt. Zur beabsichtigten Streitwertfestsetzung hat es beide Parteien in der mündlichen Verhandlung angehört; Einwände wurden nicht erhoben. Nach Erlass des Berufungsurteils hat die Beklagte Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben mit dem Ziel, die Zulassung der Revision zu erreichen und den Streitwert auf mehr als 20.000 € zu erhöhen. Außerdem hat sie sowohl beim Landgericht als auch beim Berufungsgericht Streitwertbeschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der Streitwertbeschwerde abgeholfen und den Streitwert auf 30.000 € festgesetzt. Das Berufungsgericht hat die Streitwertbeschwerde als Gegenvorstellung ausgelegt und ebenfalls eine Heraufsetzung des Streitwerts auf 30.000 € vorgenommen. Mit der beabsichtigten Revision, deren Zulassung sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt, möchte die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgen. Sie meint, sie sei durch das Berufungsurteil entsprechend der zuletzt erfolgten Streitwertfestsetzung mindestens in Höhe von 30.000 € beschwert.
Rz. 3
Der Senat hat die Beklagte mit Beschluss vom 11. Februar 2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Hiergegen hat die Beklagte Einwendungen erhoben.
Rz. 4
II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Wert der von der Beklagten mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Sie entspricht dem ursprünglich vom Berufungsgericht festgesetzten Streitwert und beträgt daher lediglich 17.500 €.
Rz. 5
1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer, über den das Revisionsgericht ohne Bindung an eine - möglicherweise fehlerhafte - Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht selbst zu befinden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2013 - XII ZR 8/13, NJW-RR 2013, 1401 Rn. 8; Beschluss vom 4. Mai 2017 - III ZR 615/16, juris Rn. 3; Beschluss vom 9. November 2018 - VI ZR 5/18, juris Rn. 3; Beschluss vom 19. Juni 2019 - IV ZR 224/18, juris Rn. 6; Beschluss vom 13. Oktober 2020 - VIII ZR 161/19, juris Rn. 22), bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Berufungsentscheidung. Für die Bewertung sind der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz und die bis dahin vom Kläger vorgebrachten Anknüpfungstatsachen maßgeblich (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2020 - III ZA 13/20, juris Rn. 4). Im Regelfall entspricht nicht nur der Streitwert des Verfahrens, sondern auch die Beschwer des zur Unterlassung verurteilten Beklagten dem Interesse des Klägers an dem Unterlassungstitel (BGH, Beschluss vom 19. April 2018 - I ZR 139/17, juris Rn. 2; Beschluss vom 28. November 2019 - I ZR 45/19, juris Rn. 2; Beschluss vom 25. Juni 2020 - I ZR 205/19, juris Rn. 7). Auf einen höheren Streitwert und eine damit einhergehende höhere Beschwer im Fall der Verurteilung hat die beklagte Partei daher bereits in den Vorinstanzen hinzuweisen. Einer beklagten Partei, die weder die Streitwertfestsetzung in den Vorinstanzen beanstandet noch sonst glaubhaft gemacht hat, dass für die Festlegung des Streitwerts maßgebliche Umstände, die bereits dort vorgebracht worden sind, nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, ist es nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig versagt, sich erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Wert zu berufen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. September 2013 - II ZR 117/11, juris Rn. 3 f.; Beschluss vom 27. Oktober 2016 - III ZR 300/15, juris Rn. 5; Beschluss vom 21. Juni 2017 - VII ZR 41/17, NJW 2017, 3164 Rn. 11; Beschluss vom 19. Oktober 2017 - VI ZR 19/17, VersR 2018, 181 Rn. 5; Beschluss vom 10. Januar 2019 - V ZR 130/18, WuM 2019, 286 Rn. 6; Beschluss vom 25. Juni 2020 - I ZR 205/19, juris Rn. 7).
Rz. 6
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Beschwer der Beklagten mit 17.500 € zu bemessen.
Rz. 7
a) Die Beklagte hat sich erstmals nach Erlass des Berufungsurteils gegen die nach Anhörung beider Parteien durch das Berufungsgericht vorgenommene Streitwertfestsetzung auf 17.500 € gewandt, ohne geltend zu machen, dass sie auf einen höheren Streitwert rechtfertigende Umstände schon in der Berufungsinstanz hingewiesen hätte. Parteivortrag, der noch nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und erstmals nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gegenüber den Tatgerichten zur Höhe von Streitwert und Beschwer mit dem Ziel gehalten wird, die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu überschreiten, ist ebenso zu behandeln wie (erstmaliger) Vortrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020 - I ZR 205/19, juris Rn. 12). Er kann bei der Bemessung der Beschwer durch die Revisionsinstanz grundsätzlich auch dann keine Berücksichtigung finden, wenn er vom Berufungsgericht zum Anlass genommen wurde, eine nachträgliche Heraufsetzung des Streitwerts vorzunehmen.
Rz. 8
b) Ohne Erfolg wendet die Beklagte gegen den ihr dementsprechend erteilten Hinweis ein, sie habe schon vor der Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht auf 17.500 € die maßgeblichen wirtschaftlichen Umstände vorgebracht, die für eine höhere Streitwertfestsetzung sprächen.
Rz. 9
aa) Schon in der Klageerwiderung habe sie angegeben, einer der weltweit größten Produzenten audiovisueller Inhalte in Form von Spielfilmen und Serien zu sein. Auch habe sie vorgetragen, dass der Preisbildungsprozess eines Abonnement-Dienstes wie der der Beklagten hochkomplex sei, weil er durch eine Vielzahl von Faktoren sowohl angebots- wie nachfrageseitig mitdeterminiert werde. Außerdem seien Lizenzeinkaufkosten gegenüber Programmanbietern von Preisschwankungen geprägt. Auch in der Berufungsinstanz habe sie auf die erheblichen Kostenschwankungen und die daraus resultierende wirtschaftliche Bedeutung der Preisanpassungsklausel hingewiesen. Mit der Streitwertbeschwerde habe die Beklagte lediglich ihren bisherigen Vortrag zu stetigen, aber unvorhersehbaren Preiserhöhungen konkretisiert.
Rz. 10
bb) Diesem Einwand ist bereits entgegenzuhalten, dass die Beklagte in dem von der Beschwerde benannten Schriftsatz in der Berufungsinstanz zwar vorgetragen hat, es gebe "eine Myriade theoretischer Änderungen technischer und struktureller Art". Nicht dargelegt hat sie in diesem Zusammenhang allerdings, dass daraus auch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung der Preisanpassungsklausel folge.
Rz. 11
cc) Darüber hinaus ließe der von der Beschwerde betonte Umstand der auf Preisschwankungen oder -steigerungen beruhenden herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung der Preisanpassungsklausel nach den hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben auch nicht den Schluss zu, dass die ursprüngliche Streitwertfestsetzung ermessensfehlerhaft zu niedrig erfolgt sein könnte.
Rz. 12
Ist Gegenstand des Rechtsstreits - wie hier - die Verbandsklage eines Verbraucherschutzverbands, wird der wirtschaftlichen Bedeutung des Verbots, bestimmte Klauseln zu verwenden oder eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis zu untersagen, bei der Bemessung der Beschwer und des Streitwerts in der Regel keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 405/12, ZIP 2014, 96 Rn. 5; Beschluss vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, ZNER 2015, 441 Rn. 5; Beschluss vom 5. Februar 2015 - I ZR 106/14, juris Rn. 5; Beschluss vom 7. Mai 2015 - I ZR 108/14, juris Rn. 6; Beschluss vom 22. November 2016 - I ZR 184/15, VersR 2017, 507 Rn. 16; Beschluss vom 15. September 2016 - I ZR 24/16, GRUR 2017, 212 Rn. 10 - Finanzsanierung).
Rz. 13
Zwar schließt es dieser Grundsatz nicht von vornherein aus, der herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer Klausel oder einer Praxis für die betroffenen Verkehrskreise im Einzelfall ausnahmsweise Rechnung zu tragen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Entscheidung über die Wirksamkeit einer bestimmten Klausel oder die Zulässigkeit einer bestimmten Praxis für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es dabei um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird (vgl. BGH, ZIP 2014, 96 Rn. 6; ZNER 2015, 441 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2015 - I ZR 106/14, juris Rn. 6; Beschluss vom 7. Mai 2015 - I ZR 108/14, juris Rn. 7; BGH, VersR 2017, 507 Rn. 16). Derartige Umstände hat die Beklagte allerdings zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, sondern sich allein darauf berufen, dass die Preisanpassungsklausel aufgrund von Preisschwankungen für ihr eigenes und diesem vergleichbare Unternehmen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung sei.
Rz. 14
dd) Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht Preisanpassungsklauseln wie die der Beklagten nicht generell für unzulässig erachtet hat, sondern nur insoweit, als sie es der Verwenderin ermöglichten, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Preisanpassungsklauseln seien (nur) zulässig, wenn die Befugnis der Verwenderin zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht werde und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offengelegt würden. Demnach ist es der Beklagten nach Einschätzung des Berufungsgerichts unbenommen, auf die vorgetragenen erheblichen Preisschwankungen zu reagieren, indem sie eine Preisanpassungsklausel verwendet, die den genannten Vorgaben genügt.
Rz. 15
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Koch |
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Pohl |
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Schmaltz |
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Odörfer |
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Wille |
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Fundstellen
Haufe-Index 15008154 |
VuR 2021, 5 |
K&R 2021, 588 |
MMR 2021, 11 |
MMR 2021, 812 |