Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsumfang und Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts in vergütungsrechtlichen Insolvenzverfahren
Leitsatz (amtlich)
a) In vergütungsrechtlichen Insolvenzbeschwerdeverfahren darf das Beschwerdegericht nicht über den Antrag des Beschwerdeführers hinausgehen.
b) Wendet sich der Beschwerde führende Schuldner ausschließlich gegen die Zuerkennung einer Erhöhung der Regelvergütung an den Insolvenzverwalter, darf das Beschwerdegericht die Berechnungsgrundlage herabsetzen und es bei dem Zuschlag belassen.
Normenkette
InsO § 6; InsVV §§ 1, 3
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Beschluss vom 18.03.2005; Aktenzeichen 23 T 395/04) |
AG Bielefeld (Entscheidung vom 28.04.2004; Aktenzeichen 43 IK 199/01) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Treuhänders wird der Beschluss der 23. Zivilkammer des LG Bielefeld vom 18.3.2005 - unter Zurückweisung im Übrigen - dahin geändert, dass die Vergütung und Auslagen einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer auf insgesamt 66.806,09 EUR festgesetzt werden.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Treuhänder zur Last. Von den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben der Treuhänder 96 v.H. und die Masse 4 v.H. zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 32.632,56 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Mit Beschluss vom 4.10.2001 eröffnete das AG - Insolvenzgericht - über das Vermögen des Schuldners ein vereinfachtes Insolvenzverfahren (§§ 304 f. InsO) und bestellte den weiteren Beteiligten als Treuhänder. Unter dem 26.11.2003 erstattete der Treuhänder seinen Schlussbericht; zugleich beantragte er die Festsetzung seiner Vergütung nebst zu erstattender Auslagen und Umsatzsteuer (im Folgenden: Vergütung) i.H.v. insgesamt 121.708,34 EUR. Als Berechnungsgrundlage für die Vergütung legte er eine Insolvenzmasse im Wert von 450.759,90 EUR zugrunde. Darin enthalten war der Wert eines Grundstücks i.H.v. 256.286,18 EUR. Er machte eine Erhöhung des Vergütungssatzes um 50 v.H. geltend.
[2] Das AG hat die Vergütung auf insgesamt 82.492,23 EUR festgesetzt. Es ist ebenfalls von 450.759,90 EUR als Berechnungsgrundlage ausgegangen, hat indessen nur Zuschläge i.H.v. 20 v.H. anerkannt, die durch einen Abschlag in gleicher Höhe aufgezehrt worden sind. Dagegen haben sowohl der Schuldner als auch der Treuhänder sofortige Beschwerden eingelegt. Während der Treuhänder sein ursprüngliches Begehren weiter verfolgt hat, ist der Schuldner ausschließlich der Gewährung der Zuschläge entgegengetreten. Keiner der beiden Rechtsmittelführer hat die Berechnungsgrundlage der Vergütung in Frage gestellt. Durch Beschluss vom 18.3.2005 hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Treuhänders zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat es die Vergütung auf insgesamt 65.546,11 EUR herabgesetzt. Es hat den Wert des Grundstücks nur auf 100.000 EUR veranschlagt und demgemäß die Berechnungsgrundlage auf 294.473,72 EUR reduziert. Die Zuschläge hat es der Höhe nach nicht beanstandet, allerdings der Art nach teilweise modifiziert. Einen Abschlag hat es nicht vorgenommen. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Treuhänder gegen die Herabsetzung der Berechnungsgrundlage. Die Ablehnung einer über 20 v.H. hinausgehenden Erhöhung des Vergütungssatzes wird hingenommen.
II.
[3] Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 InsO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie hat jedoch nur in geringem Umfang Erfolg.
[4] 1. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gilt zwar das Verschlechterungsverbot (BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 124 ff. = BGHReport 2004, 1318 = MDR 2004, 1202) mit der Folge, dass die Position des (alleinigen) Rechtsmittelführers nicht zu seinem Nachteil verändert werden darf. Das Beschwerdegericht darf deshalb die dem Rechtsmittelführer in erster Instanz zugesprochene Vergütung nicht herabsetzen. Das Beschwerdegericht wird darüber hinaus durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, bei Feststellung der angemessenen Vergütung im Einzelfall Zu- und Abschläge anders zu bemessen als das Insolvenzgericht, soweit es den Vergütungssatz insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ändert (BGH, Beschl. v. 16.6.2005 - IX ZB 285/03, BGHReport 2005, 1420 = MDR 2005, 1434 = NZI 2005, 559, 560). Das Verschlechterungsverbot wird auch dann nicht berührt, wenn das Beschwerdegericht die Berechnungsgrundlage zu Lasten dessen, der seine Vergütung begehrt, ändert, diesen Nachteil jedoch durch die Gewährung eines Zuschlags kompensiert. Umgekehrt gilt dasselbe, so dass das Beschwerdegericht einen bisher gewährten Zuschlag versagen kann, wenn es durch eine Erhöhung der Berechnungsgrundlage im Ergebnis einen Nachteil vermeidet.
[5] 2. Auch durch die Dispositionsmaxime wird das Beschwerdegericht nicht gehindert, die Berechnungsgrundlage, welche von den Verfahrensbeteiligten "außer Streit" gestellt worden ist, zu überprüfen und ggf. unter Einbeziehung von allein zur Überprüfung gestellten Zu- oder Abschlägen zu ändern.
[6] a) Die den Zivilprozess beherrschende Dispositionsmaxime gilt im Insolvenzverfahren nur eingeschränkt (Ganter in MünchKomm/InsO, § 5 Rz. 5 f.; Braun/Kießner, InsO 2. Aufl., § 5 Rz. 5; vgl. ferner Jaeger/Gerhardt InsO § 4 Rz. 55). Ist dieses erst einmal eröffnet, können die Beteiligten nur noch in engen Grenzen darüber disponieren, etwa durch Zustimmung der Gläubiger zur Einstellung (§ 213 InsO) oder durch Bestätigung eines Insolvenzplans (vgl. § 258 InsO). Die Beteiligten können weder den Verfahrensgegenstand bestimmen noch bestimmte Tatsachen "unstreitig stellen". Dies wäre mit der Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) nicht zu vereinbaren. "Insolvenzgericht" in diesem Sinne ist auch das Gericht der sofortigen Beschwerde (Ganter in MünchKomm/InsO, § 6 Rz. 53).
[7] Allerdings wird das Beschwerdegericht seine Überprüfung zunächst auf die Punkte beziehen, die der Beschwerdeführer durch die Angabe der Zielrichtung seines Angriffs (vgl. § 4 InsO i.V.m. § 571 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zur Überprüfung stellt. Dabei können neue, verspätet vorgebrachte Angriffsmittel zurückgewiesen werden, wenn durch die Zulassung des verspäteten Vorbringens das Verfahren verzögert würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt wird (§ 4 InsO i.V.m. § 571 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Darüber hinaus ist jedoch die Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts nicht eingeengt.
[8] b) Eine "Bindung des Insolvenzgerichts an die ordnungsgemäße Rechnungslegung des Verwalters" (vgl. dazu LG Frankfurt/O. ZInsO 1998, 236; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Insolvenzrechtliche Vergütung 3. Aufl., § 1 InsVV Rz. 42) besteht nicht. Das Insolvenzgericht hat eine materielle Prüfungspflicht, welche die Richtigkeit des Ansatzes der einzelnen Positionen des Vergütungsfestsetzungsantrags umfasst (BGH, Beschl. v. 11.11.2004 - IX ZR 48/04, ZIP 2005, 36; LG Stendal, Beschl. v. 26.2.1999 - 25 T 250/98, ZIP 2000, 982, 983; FK-InsO/Kind, 4. Aufl., § 66 Rz. 17). Das Beschwerdegericht als zweite Tatsacheninstanz hat grundsätzlich dieselbe Prüfungsbefugnis und - bei Bestehen konkreter Anhaltspunkte - Prüfungspflicht.
[9] Soweit der Senat ausgesprochen hat, bei Feststellung der angemessenen Vergütung könne das Beschwerdegericht im Einzelfall Zu- und Abschläge anders bemessen als das Insolvenzgericht, falls es den Vergütungssatz insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ändere (BGH, Beschl. v. 16.6.2005a.a.O.), ist zwar darauf abgestellt worden, dass die in Betracht kommenden Zuschlags- (oder Abschlags-) Tatbestände - weil sie lediglich beispielhaften Charakter hätten - nicht isoliert zu prüfen seien, vielmehr eine Gesamtwürdigung stattzufinden habe. Diese Begründung kann auf das Verhältnis der Berechnungsgrundlage einerseits zu den Zu- und Abschlagstatbeständen andererseits nur mit Einschränkungen übertragen werden. Die Berechnungsgrundlage bemisst sich nach dem objektiven Wert der Masse, mit welcher sich der Verwalter/Treuhänder hat beschäftigen müssen. Demgegenüber werden Zu- oder Abschläge durch individuelle, konkret tätigkeitsbezogene Merkmale ausgelöst, welche die Tätigkeit des Verwalters/Treuhänders - in erheblicher Abweichung vom Normalfall - erschwert oder erleichtert haben. Gleichwohl sind die Berechnungsgrundlage und die Zuschlags- oder Abschlagstatbestände allesamt nur Berechnungsfaktoren eines einheitlichen Vergütungsanspruchs. Zudem sind sie oft aufeinander bezogen. So ist nach § 3 Abs. 1 Buchst. a, b und c InsVV eine den Regelsatz übersteigende Vergütung festzusetzen, wenn bestimmte Tätigkeiten einen erheblichen Teil der Arbeitskraft des Insolvenzverwalters gebunden haben, ohne dass die Masse - und damit die Berechnungsgrundlage gem. § 1 Abs. 1 InsVV - entsprechend größer geworden ist. Umgekehrt ist nach § 3 Abs. 2 Buchst. d regelmäßig ein Abschlag gerechtfertigt, wenn die Geschäftsführung geringe Anforderungen an den Verwalter gestellt hat und die Masse groß war.
[10] 3. Vergeblich rügt die Rechtsbeschwerde die Festsetzung des Grundstückswerts auf lediglich 100.000 EUR.
[11] a) Die Rechtsbeschwerde meint, das Grundstück, das nicht verwertet, sondern an den Schuldner zurückgegeben wurde, sei nicht mit dem voraussichtlichen Einzelveräußerungs- oder Liquidationswert, sondern mit dem Fortführungswert in die Berechnungsgrundlage einzustellen. Dies ist unzutreffend. Der Unterschied zwischen Liquidationswert und Fortführungswert ist nur in der Unternehmensinsolvenz hinsichtlich des Betriebsvermögens erheblich. Bei dem Schuldner handelt es sich jedoch um einen Verbraucher; das Grundstück ist noch nicht einmal erschlossenes Ackerland.
[12] b) Ferner vertritt die Rechtsbeschwerde den Standpunkt, das Beschwerdegericht habe nicht einen Wert von lediglich 100.000 EUR zugrunde legen dürfen, ohne sich sachverständiger Hilfe zu bedienen. Auch dem ist nicht zu folgen. Der Treuhänder hat den Grundstückswert in seinem Sachverständigengutachten vom 1.10.2001 mit 127.822,97 EUR angegeben. Am 19.12.2002 hat er mit einem Interessenten einen notariellen Kaufvertrag zu einem Preis von 100.000 EUR geschlossen. Zu einem höheren Preis war das Grundstück seinen Angaben zufolge nicht zu veräußern. Den entsprechenden Feststellungen des Beschwerdegerichts ist die Rechtsbeschwerde nicht entgegengetreten. Dass das Beschwerdegericht den eigenen Angaben des Treuhänders mehr Glauben geschenkt hat als der Schätzung des später von ihm eingeschalteten privaten Sachverständigen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
[13] 4. Nicht aufrechterhalten werden kann die Beschwerdeentscheidung i.H.v. 1.259,98 EUR. Insofern hat das Beschwerdegericht gegen den Grundsatz verstoßen, dass nicht über das Begehren des Antragstellers hinausgegangen werden darf (ne ultra petita). Im Vergütungsfestsetzungsverfahren darf das Gericht nicht über das Begehren des Antragstellers hinausgehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.1.2006 - IX ZB 127/04, BGHReport 2006, 683 = MDR 2006, 1074 = ZInsO 2006, 257, 259).
[14] Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht zu Lasten des Treuhänders gegen diesen allgemeinen Grundsatz verstoßen. Der Schuldner hatte - bei gleich bleibender Berechnungsgrundlage - den Wegfall der Zuschläge von insgesamt 20 v.H. begehrt. Wäre dem voll stattgegeben worden, hätte sich die festzusetzende Vergütung mit Auslagenersatz und Umsatzsteuer auf 66.806,09 EUR belaufen. Das Beschwerdegericht hat statt dessen - bei gleich bleibenden Zuschlägen - die Berechnungsgrundlage herabgesetzt und ist so zu einer Vergütung von 65.546,11 EUR gelangt, einen Betrag, der noch niedriger war als derjenige, den der Schuldner mit seiner Beschwerde erreichen wollte.
Fundstellen
BGHR 2007, 38 |
ZIP 2006, 2186 |
DZWir 2007, 112 |
MDR 2007, 428 |
NZI 2007, 17 |
NZI 2007, 45 |
NZI 2007, 6 |
Rpfleger 2007, 103 |
ZInsO 2006, 1162 |
ZVI 2006, 602 |