Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis bei zweifelhafter Steuerrechtslage
Leitsatz (amtlich)
Die Ausstellung einer Rechnung mit gesonderter Angabe der Umsatzsteuer kann auch bei der Vereinbarung eines Nettopreises „zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer” entweder nur bei objektiver Steuerpflicht der erbrachten Leistung (§ 14 Abs. 1 UStG) oder im Falle einer bestandskräftigen Besteuerung (§ 242 BGB) verlangt werden (Fortführung von BGHZ 104, 284 ff und BGH, NJW 1989, 302 ff).
Ob an den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zur Unzumutbarkeit der Erteilung einer Rechnung nach § 14 Abs. 1 UStG bei zweifelhafter Steuerrechtslage (vgl. BGH, NJW 1980, 2710; BGHZ 103, 284 ff; BGH, NJW 1989, 302 ff) trotz der bei § 14 Abs. 2 UStG gesetzlich vorgesehenen und für die Fälle des § 14 Abs. 3 UStG inzwischen durch die Rechtsprechung erweiterten Möglichkeit zur Korrektur eines unrichtigen Steuerausweises uneingeschränkt festzuhalten ist, ist nicht bedenkenfrei, kann aber offen bleiben. Jedenfalls entbinden diese Grundsätze die Zivilgerichte nicht davon, die steuerrechtlichen Vorfragen abschließend zu beantworten, wenn deren Beurteilung keinen besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur begegnet.
a) Verzichtet ein Verkäufer auf die Umsatzsteuerfreiheit der Grundstücksübertragung (§§ 9, 4 Nr. 9 a UStG), kann ein damit korrespondierender Vorsteuerabzug des Erwerbers rechtsmißbräuchlich (§ 42 AO) sein, wenn dieser den Umsatzsteuerbetrag nicht an den insolventen Verkäufer auskehrt, sondern ihn mit eigenen notleidenden Forderungen gegen den Verkäufer verrechnet und dem Veräußerer auch den vereinbarten Nettopreis nicht wenigstens in Höhe der anfallenden Umsatzsteuer zur Tilgung dieser Steuerschuld zur Verfügung stellt (Fortführung von BFHE 165, 1 ff).
b) § 42 AO schließt nur aus, daß sich der Steuerpflichtige für steuerliche Zwecke auf die von ihm gewählte Gestaltung beruft, berührt jedoch nicht deren zivilrechtliche Wirksamkeit (im Anschluß an BFH BStBl II 1996, 377, 379; BGH/NV 1994, 903 f). Eine Rückerstattung des an den Verkäufer geleisteten Umsatzsteuerbetrags kommt daher nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Betracht, sondern kann allenfalls nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB), des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) oder gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB erfolgen.
Normenkette
UStG § 14 Abs. 1; BGB § 242; UStG § 14 Abs. 2-3; AO § 42; BGB §§ 157, 812
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 09.02.2000; Aktenzeichen 20 U 5271/99) |
LG Landshut (Urteil vom 02.09.1999; Aktenzeichen 44 O 867/99) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. Februar 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der hilfsweise gestellte Antrag auf Zahlung abgewiesen wurde. Im übrigen wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage auf Rechnungserteilung als endgültig unbegründet abgewiesen wird.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit notariellem Vertrag vom 23. Dezember/31. Dezember 1996 verkaufte der Beklagte ein gewerblich genutztes Grundstück zum Preis von 3,2 Mio. DM zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer an den Kläger. Der Kaufpreis sollte dadurch entrichtet werden, daß der Kläger einen Teilbetrag von höchstens 1,2 Mio. DM an die R.bank F. zur Ablösung von – durch Bürgschaften des Klägers und seines Bruders über jeweils 600.000 DM abgesicherten – Verbindlichkeiten des Beklagten bezahlte und in Höhe des Restbetrages von ca. 2 Mio. DM nebst der gesamten Mehrwertsteuer eine gegen den Beklagten gerichtete Gesamtforderung von knapp 4,6 Mio. DM teilweise erließ. Diese Forderung hatte die B. L.bank (BLB) dem Kläger am 27. Juni/1. Juli 1996 zum Preis von 2 Mio. DM verkauft. Zugleich hatte sie ihm eine an dem Kaufgrundstück bestellte Grundschuld über 5,0 Mio. DM übertragen und eine Teilforderung in Höhe von 2,0 Mio. DM aus einem von dem Beklagten abgegebenen abstrakten Schuldversprechen abgetreten. In der Folgezeit leistete der Kläger den Gesamtkaufpreis von 3,68 Mio. DM in der vereinbarten Weise. Am 18. April 1997 gab der Beklagte die eidesstattliche Versicherung ab.
Der damalige anwaltliche Bevollmächtigte des Beklagten und Bruder des Klägers stellte dem Kläger am 1. September 1997 eine Rechnung über 3,2 Mio. DM zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer (480.000 DM) aus. Ob er dabei im Einverständnis des Beklagten handelte, steht im Streit. Nachdem das für die Veranlagung des Beklagten zuständige Finanzamt diesen mit Schreiben vom 4. August 1998 darauf hingewiesen hatte, daß er durch seine Option zur Umsatzsteuer Steuerrückstände in Höhe von 480.000 DM begründet habe, korrigierte er am 14. August 1998 die Rechnung auf 3,2 Mio. DM ohne Mehrwertsteuer. Der Verkauf des Grundstücks wurde bislang nicht bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen.
Der Kläger will den geleisteten Umsatzsteuerbetrag als Vorsteuer absetzen und verlangt daher von dem Beklagten eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer. Das Landgericht hat dieses Begehren und den auf Rückzahlung von 480.000 DM gerichteten Hilfsantrag als unbegründet abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Klage in Haupt- und Hilfsantrag als derzeit unbegründet erachtet und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Klage für derzeit unbegründet. Angesichts der im notariellen Vertrag vom 23. Dezember/31. Dezember 1996 vorgesehenen Zahlungsbedingungen liege ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 Satz 1 AO auf Seiten des Klägers nicht fern. Folglich könne nicht ausgeschlossen werden, daß eine Umsatzsteuerpflicht nicht wirksam begründet worden sei (§ 42 Satz 2 AO). Damit liege eine zweifelhafte Steuerlage vor, die es vor bestandskräftiger Feststellung der Umsatzsteuerpflicht als unzumutbar erscheinen lasse, den Beklagten zur Erteilung einer Rechnung nach § 14 Abs. 1 UStG zu verpflichten. Denn andernfalls liefe der Beklagte Gefahr, wegen der Sanktion des § 14 Abs. 3 UStG auch dann der Umsatzsteuer unterworfen zu sein, wenn die Steuerbehörden in Abweichung zu den Zivilgerichten der Ansicht sein sollten, die Rechnung sei zu Unrecht erteilt worden. Da die aufgeworfenen Steuerfragen bislang nicht endgültig geklärt seien, könne auch noch nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger der hilfsweise geltend gemachte Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zustehe.
Dies hält den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.
II.
Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings gegen die Abweisung der Klage auf Rechnungserteilung. Zwar hat das Berufungsgericht diese Klage rechtsfehlerhaft als derzeit unbegründet abgewiesen. Das angefochtene Urteil hat insoweit aber dennoch Bestand, da die Klage ohne Einschränkung als unbegründet abzuweisen ist und sich das Urteil damit im Ergebnis als richtig erweist (§ 563 ZPO).
1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis im Streitfall nur aus § 14 Abs. 1 UStG ergeben kann und daher voraussetzt, daß tatsächlich eine steuerpflichtige Leistung eines Unternehmers erbracht wurde (vgl. BGHZ 103, 284, 288; BGH, Urt. v. 10. November 1988, VII ZR 137/87, NJW 1989, 302). Die Revision wendet hiergegen vergeblich ein, dem Kläger stehe bereits unmittelbar aus dem Kaufvertrag ein nicht an die Anforderungen des § 14 Abs. 1 UStG geknüpfter Anspruch auf Ausstellung einer solchen Rechnung zu. Die Vereinbarung eines Kaufpreises von „3,2 Mio. DM zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer” legt zwar den Umfang der geschuldeten Vergütung fest (vgl für den Fall eines Bruttopreises: BGH, Urt. v. 10. November 1988, VII ZR 137/87, aaO), begründet aber trotz der hierin zum Ausdruck kommenden Umsatzsteueroption keine Verpflichtung des Beklagten, unabhängig von der objektiven Steuerlage eine die Umsatzsteuer ausweisende Rechnung zu erteilen. Vielmehr folgt hieraus lediglich eine vertragliche Nebenpflicht, dem Kläger die Durchsetzung eines – berechtigten – Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG zu ermöglichen. Diese an sich auf Treu und Glauben beruhende Nebenpflicht hat in § 14 Abs. 1 UStG eine ausdrückliche Normierung erfahren (vgl. BGHZ 103, 284, 287; BGH, Urt. v. 11. Dezember 1974, VIII ZR 186/73, NJW 1975, 310; BFHE 135, 118, 123; BFH BStBl II 1982, 315, 316). Daher kann die Ausstellung einer Rechnung mit gesonderter Angabe der Umsatzsteuer entweder nur bei objektiver Steuerpflicht der erbrachten Leistung (§ 14 Abs. 1 UStG) oder im Falle einer – vorliegend nicht erfolgten – bestandskräftigen Besteuerung (§ 242 BGB) verlangt werden (BGHZ 103, 284, 288, 297; BGH, Urt. v. 10. November 1988, VII ZR 137/87, aaO, 302, 303). Der Leistungsempfänger hat auch nur in diesen Fällen ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausweis der Umsatzsteuer; denn ein Vorsteuerabzug setzt ebenfalls voraus, daß eine Steuer für den berechneten Umsatz tatsächlich geschuldet wird (vgl. BFHE 185, 536, 540 = BStBl II 1998, 695).
2. Nach diesen Grundsätzen besteht kein Anspruch des Klägers auf Rechnungserteilung. Denn die im Streitfall erfolgte Grundstücksveräußerung ist steuerrechtlich so zu behandeln, als ob sie nicht der Umsatzsteuerpflicht unterläge (§ 42 Satz 2 AO), und berechtigt den Kläger folglich nicht zum Vorsteuerabzug. Das Berufungsgericht hat diese Frage von seinem Standpunkt aus folgerichtig, aber in Verkennung der Reichweite der Prüfungspflicht der Zivilgerichte nicht abschließend geklärt.
a) Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen nimmt das Berufungsgericht allerdings an, der Beklagte habe durch die Vereinbarung eines Kaufpreises von 3,2 Mio. DM zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer gemäß § 9 UStG auf die in § 4 Nr. 9 a UStG vorgesehene Umsatzsteuerbefreiung verzichtet. Eine Vorsteuerabzugsberechtigung wurde gleichwohl nicht wirksam begründet; denn aufgrund der im Kaufvertrag vereinbarten Zahlungsbedingungen liegt zumindest auf Seiten des Klägers ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor. Daher ist die steuerliche Lage so zu beurteilen, als ob der Beklagte die Umsatzsteueroption nach § 9 Abs. 1 UStG nie ausgeübt hätte (§ 42 Satz 2 AO, vgl. BFHE 165, 1, 5). Mit dieser steuerrechtlichen Vorfrage hat sich das Berufungsgericht nicht hinreichend befaßt.
b) Es verkennt vielmehr die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung den Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer einschränkt.
aa) Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, daß die Erteilung einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener Steuer in den Fällen, in denen ernstliche Zweifel daran bestehen, ob eine Leistung der Umsatzsteuerpflicht unterliegt, nur verlangt werden kann, wenn die zuständige Finanzbehörde den Vorgang bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen hat (vgl. BGH Urt. v. 14. Januar 1980, II ZR 76/79, NJW 1980, 2710; BGHZ 103, 284, 291 ff; Urt. v. 10. November 1988, VII ZR 137/87, aaO). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß es dem Leistenden regelmäßig nicht zuzumuten ist, eine Rechnung nach § 14 Abs. 1 UStG auszustellen, die unter Umständen nach der Beurteilung des zuständigen Finanzamts unberechtigt ist und ihn der Steuer nur aufgrund der Sanktionen nach § 14 Abs. 2 oder § 14 Abs. 3 UStG (zur Abgrenzung der Sanktionswirkungen vgl. BFHE 133, 127, 128 ff) unterwirft. Die Revision zieht in Zweifel, ob diese für den Fall der Vereinbarung eines Bruttopreises entwickelten Grundsätze (vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 14. Januar 1980, II ZR 76/79, aaO) auch auf die vorliegende Kaufpreisabrede (Nettobetrag nebst Mehrwertsteuer) Anwendung finden. Dies kann jedoch genauso dahin stehen wie die Frage, ob bei zweifelhafter Steuerrechtslage eine Verpflichtung zur Rechnungserteilung trotz der bei § 14 Abs. 2 UStG gesetzlich uneingeschränkt vorgesehenen und für die Fälle des § 14 Abs. 3 UStG inzwischen durch die Rechtsprechung erweiterten Möglichkeit zur Korrektur eines unrichtigen Steuerausweises bzw. der hiermit verbundenen Folgen (vgl. EuGHE 89, 4227, 4247; EuGH UR 2000, 470 ff; BGH, Urt. v. 23. November 1995, IX ZR 225/94, NJW 1996, 842, 843 f; BFHE 129, 569, 575 ff; vgl. auch Radeisen in Vogel/Reinisch/Hoffmann, UStG, 2001, § 14 Rdn. 337; Bohnert/Kostrzewa, DB 2001, 667 ff) nach wie vor in aller Regel als unzumutbar anzusehen ist (kritisch insoweit Weiss, UR 1889, 105 ff; Klein, BB 1996, 135, 138 f). Denn die Klage erweist sich unabhängig von eventuellen Zumutbarkeitserwägungen als unbegründet.
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind die steuerrechtlichen Vorfragen grundsätzlich von den Zivilgerichten selbständig zu beantworten (vgl. BGH, Urt. v. 14. Januar 1980, II ZR 76/79, aaO; ferner Klein, aaO, 138). Die angerufenen Gerichte haben über den Streitgegenstand regelmäßig eine einheitliche und endgültige Entscheidung zu treffen und die sich hierbei stellenden Vorfragen unabhängig davon zu klären, welchem Rechtsgebiet diese zuzuordnen sind (Kissel, GVG, 3. Aufl., § 13 Rdn. 17; Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 13 GVG Rdn. 42; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 14 IV 1). Dies ist zur Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes geboten (vgl. BVerfGE 54, 277, 291). Nur wenn eine endgültige Beurteilung der objektiven Steuerpflicht auf erhebliche Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art stößt und damit ernsthaft die Gefahr besteht, daß die Finanzbehörden die Frage der Steuerpflicht abweichend von der Einschätzung der Zivilgerichte beurteilen, dürfen sich diese, um die Sanktionswirkungen des § 14 Abs. 2 und Abs. 3 UStG zu vermeiden, ausnahmsweise mit der Feststellung begnügen, die Steuerrechtslage sei zumindest ernstlich zweifelhaft (so in den vom BGH entschiedenen Fällen). Lassen sich die steuerlichen Vorfragen aber ohne Schwierigkeiten klären, dann ist einer Klage auf Rechnungserteilung entweder stattzugeben oder ihr vollständig der Erfolg zu versagen. Eine auf Zumutbarkeitserwägungen gestützte Abweisung als derzeit unbegründet kommt in diesen Fällen nicht in Betracht.
c) Im Streitfall begegnet die Prüfung steuerrechtlicher Vorfragen keinen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, liegt aufgrund der im notariellen Kaufvertrag vereinbarten Zahlungsweise jedenfalls auf Seiten des – Vorsteuerabzüge geltend machenden – Klägers ein rechtlicher Gestaltungsmißbrauch im Sinne von § 42 AO vor. Auch das Berufungsgericht stellt diese Einschätzung letztlich nicht in Frage; denn es hat nur Feststellungen getroffen, die für einen solchen Gestaltungsmißbrauch sprechen, und hat keine gegenteiligen Gesichtspunkte aufgezeigt. Die gegen die Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs im Sinne von § 42 AO gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
aa) Eine Gestaltung ist nach § 42 AO dann rechtsmißbräuchlich, wenn sie, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen und ungewöhnlich ist, der Steuerminderung (Vorsteuererstattung) dienen soll und nicht durch wirtschaftliche oder sonstige beachtliche nichtsteuerliche Gründe zu rechtfertigen ist (vgl. BFHE 152, 170, 174; 152, 496, 498; 165, 1, 3). Dabei sind, wenn – wie hier – letztlich um die Durchsetzung eines Vorsteuerabzugs gestritten wird, für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauchs die Verhältnisse in der Person des Leistungsempfängers, hier also des Grundstückserwerbers, maßgebend (vgl. BFHE 165, 1, 4; 173, 468, 470; BFH/NV 1994, 745; 1995, 1029, 1030). Verzichtet ein Grundstücksveräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstücksübertragung (§§ 9, 4 Nr. 9 a UStG), ist ein hiermit korrespondierender Vorsteuerabzug des Erwerbers zwar grundsätzlich nicht als rechtsmißbräuchlich im Sinne von § 42 AO zu werten (vgl. BFHE 171, 7, 9; 172, 172, 174; 173, 468, 470; BFH/NV 1994, 510, 511; 1994, 745; 1995, 746, 747 f; 1995, 1029, 1030). Etwas anderes gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs jedoch dann, wenn der Erwerber den vereinbarten Kaufpreis einschließlich der Umsatzsteuer dem Veräußerer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen – infolge der wirtschaftlichen Situation des Verkäufers – notleidenden Forderungen verrechnet (BFHE 161, 1, 4 f; 171, 7; 172, 174; 173, 468; BFH BStBl II 1996, 491, 492 f; BFH/NV 1994, 745 f; 1995, 1029, 1030). Ein Gestaltungsmißbrauch kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn der Erwerber den geschuldeten Kaufpreis zwar durch Übernahme von Verbindlichkeiten des Verkäufers getilgt und die ausgewiesene Umsatzsteuer gesondert an den Konkursverwalter des Veräußerers entrichtet hat, jedoch den zur Begleichung der Umsatzsteuer gezahlten Betrag ohnehin aufgrund einer Bürgschaft an die Konkursgläubiger hätte leisten müssen (vgl. BFH BStBl II 1996, 491, 493). Entgegen der Ansicht der Revision ist damit ein Gestaltungsmißbrauch bei ausgeübter Umsatzsteueroption nicht auf die Fälle begrenzt, in denen der Erwerber die gesamte Kaufpreisforderung mit eigenen notleidenden Forderungen verrechnet. Entscheidend ist vielmehr, daß der Erwerber den Umsatzsteuerbetrag nicht an den Verkäufer auskehrt, sondern ihn zur Befriedigung eigener notleidender Forderungen (z. B. durch Verrechnung) oder zur Begleichung eigener fälliger Verbindlichkeiten (z. B. aus Bürgschaft) verwendet und dem Veräußerer auch den vereinbarten Nettopreis nicht wenigstens in Höhe der anfallenden Umsatzsteuer zur Tilgung dieser Steuerschuld zur Verfügung stellt. Denn in diesen Fällen kann der Fiskus die anfallende Umsatzsteuer beim überschuldeten Verkäufer aller Voraussicht nach nicht erheben, während der Erwerber, wirtschaftlich betrachtet, in Höhe des Umsatzsteuerbetrags entweder eine eigene notleidende Forderung durch einen sicher realisierbaren Vorsteuerabzugsanspruch austauscht (BFHE 165, 4 f; 173, 468, 470 f; BStBl II 1996, 491, 492 f BFH/NV 1994, 745 f; 1995, 1029, 1030) oder infolge des Vorsteuerabzugs ohne zusätzliche Aufwendungen eigene Verbindlichkeiten tilgen kann (vgl. BFH BStBl II 1996, 491, 493). Wie das Berufungsgericht zutreffend feststellt, löst die im Streitfall gewählte Vertragsgestaltung gerade diese steuerrechtlich zu mißbilligenden Folgen aus.
bb) Der Kläger hat an den Beklagten keine Zahlungen geleistet. Vielmehr hat er in Höhe von 1,2 Mio. DM Bankschulden des Beklagten getilgt, für die er und sein Bruder Bürgschaften über jeweils 600.000 DM gestellt hatten. Den restlichen Kaufpreisanteil von 2 Mio. DM nebst der gesamten Umsatzsteuer hat der Kläger dadurch beglichen, daß er dem Beklagten eine gegen diesen gerichtete Gesamtforderung über knapp 4,6 Mio. DM in Höhe von 2,48 Mio. DM erließ. Diese – dinglich abgesicherte – Gegenforderung hatte der Kläger kurz zuvor für einen Preis von 2 Mio. DM von der BLB erworben. Das Berufungsgericht entnimmt diesen Umständen rechtsfehlerfrei, daß die von der BLB veräußerte Forderung notleidend war. Dies bekämpft die Revision ohne Erfolg. Sie verkennt, daß eine Forderung auch dann notleidend ist, wenn sie zwar nicht wertlos, aufgrund der finanziellen Verhältnisse des Schuldners aber jedenfalls gegenwärtig nicht vollwertig ist (vgl. BFHE 173, 468, 470 f; BFH/NV 1995, 1029, 1030). Das Berufungsgericht hat daher zu Recht dem Umstand, daß die von dem Kläger erworbene Forderung durch eine – nach dem Vorbringen des Klägers werthaltige – Grundschuld über 5 Mio. DM abgesichert war, keine Bedeutung beigemessen. Diese Sicherung verleiht der von dem Beklagten nicht bedienten und daher von der BLB in ihrem Wert wesentlich herabgestuften Forderung keine volle Werthaltigkeit. Hinzu kommt, daß sich der Kläger durch den Erwerb des mit der Grundschuld belasteten Grundstücks die Möglichkeit nahm, die gekaufte Forderung durch Geltendmachung dieses Grundpfandrechts zu realisieren.
cc) Mit Recht geht das Berufungsgericht daher davon aus, der Kläger habe aufgrund der im Grundstückskaufvertrag vereinbarten Zahlungsbedingungen nicht nur eine notleidende Forderung in Höhe von 2 Mio. DM verwirklicht und damit den für den Erwerb einer Gesamtforderung von ca. 4,6 Mio. DM aufgewendeten Kaufpreis von 2 Mio. DM wirtschaftlich ausgeglichen, sondern von der noch offenen und aller Voraussicht nach uneinbringlichen Restforderung über ca. 2,6 Mio. DM einen Teilbetrag von 480.000 DM (Umsatzsteuer) auf Kosten des Fiskus realisiert. Da weder der Umsatzsteuerbetrag noch der ausgehandelte Nettokaufpreis an den Beklagten ausgekehrt wurden, flossen dem Beklagten aus dem Grundstücksverkauf keine Geldmittel zur Tilgung der anfallenden Umsatzsteuer zu. Damit ist die Erhebung der Umsatzsteuer bei dem in Vermögensfall geratenen Beklagten praktisch ausgeschlossen. Dem Kläger wurde dagegen durch die ausgeübte Umsatzsteueroption die Möglichkeit eröffnet, den verrechneten Umsatzsteuerbetrag (480.000 DM) im Wege des Vorsteuerabzugs von den Finanzbehörden zu erlangen und dadurch eine notleidende Forderung in Höhe von 480.000 DM gegen einen werthaltigen Vorsteuerabzugsanspruch auszutauschen. Angesichts dieser Vertragsgestaltung liegt nach den vom Bundesfinanzhof aufgestellten Maßstäben objektiv ein Gestaltungsmißbrauch im Sinne § 42 AO vor.
dd) Dieser Gestaltungsmißbrauch ist dem Kläger auch subjektiv zuzurechnen. Der Einwand der Revision, nicht der Kläger, sondern der Beklagte habe – zur Vermeidung einer Vorsteuerabzugsberichtigung nach § 15 a UStG – auf der Geltendmachung der Umsatzsteueroption bestanden, steht dem nicht entgegen. Denn in diesem Falle hätte der Kläger die mißbräuchliche Gestaltungslage zwar nicht selbst geschaffen, sich diese aber zur Verwirklichung der oben aufgezeigten Vorteile zu eigen gemacht. Dies genügt, um ihm die Folgen der Umgehung des Steuerrechts anzulasten (vgl. BGHE 155, 503, 509; BFH BStBl II 1992, 143, 147; Brockmeyer in Klein, AO, 7. Aufl., § 42 Rdn. 24; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, 10. Aufl., § 42 Rdn. 102). Ob die Anwendung des § 42 AO daneben auch das Vorliegen einer Mißbrauchsabsicht des Erwerbers voraussetzt (verneinend BFHE 155, 503, 510; 169, 259, 262 BHF/NV 1990, 131, 132 f; bejahend BFHE 146, 158, 161; 166, 356, 363), kann vorliegend dahin stehen. Denn jedenfalls bestünde aufgrund der ungewöhnlichen Gestaltung des von dem Kläger am 23. Dezember 1996 unterbreiteten Kaufangebots eine tatsächliche Vermutung (Indizwirkung) für das Vorliegen einer solchen Absicht beim Kläger (vgl. BFHE 143, 393, 396; 167, 55, 57; 167, 273, 276 f; 169, 258, 262;186, 288, 295 f; Brockmeyer in Klein, AO, aaO, § 42 Rdn 22). Die Revision zeigt keine Gesichtspunkte auf, die diese Vermutung entkräften oder widerlegen könnten. Es ist – von steuerrechtlichen Erwägungen abgesehen – kein wirtschaftlich vernünftiger Grund dafür ersichtlich, weshalb der Kläger davon absah, den Kaufpreisanteil von 2 Mio. DM an die BLB als erstrangige Grundpfandgläubigerin zu entrichten und den Umsatzsteuerbetrag direkt an den Beklagten auszukehren, sondern statt dessen im Vorfeld des Grundstückskaufs von der BLB eine notleidende Forderung gegen den Beklagten erwarb und diese anschließend mit einem Teil des Grundstückskaufpreises nebst Umsatzsteuer verrechnete. Die Revision wendet in diesem Zusammenhang vergeblich ein, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Überzeugung gewonnen, dem Kläger könne bei Abschluß des Grundstückskaufvertrages der drohende finanzielle Verfall des Beklagten nicht verborgen geblieben sein. Selbst wenn der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis über das gesamte Ausmaß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Beklagten gehabt haben sollte, so konnte ihm bereits aufgrund des Erwerbs einer Forderung über 4,6 Mio. DM zu einem weit unter dem nominellen Wert liegenden Preis nicht entgangen sein, daß die gekaufte Forderung von vornherein nur eingeschränkt werthaltig war und mit dem durch den Erwerb des belasteten Grundstücks bewirkten Wegfall der dinglichen Sicherung noch mehr an Wert verlöre. Die Revision hat dem letztlich nichts entgegen zu setzen, sondern kann nur auf eine positive Mitteilung einer Wirtschaftsauskunftei vom 17. November 1997 verweisen, die keine tragfähigen Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Klägers im Jahre 1996 erlaubt. Mit Recht hat das Berufungsgericht daher aus den objektiven Umständen auf den Willen des Klägers geschlossen, den Fiskus durch Gewährung eines Vorsteuerabzugs zur Erfüllung seiner notleidender Forderung heranzuziehen.
ee) Liegt somit ein Gestaltungsmißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung entstünde (§ 42 Satz 2 AO). Vorliegend ist die steuerliche Lage daher – jedenfalls was den Vorsteueranspruch des Klägers betrifft – so zu behandeln, als ob der Beklagte auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes nicht verzichtet hätte (§ 9 Abs. 1, § 4 Nr. 9 a UStG) und daher nach § 14 Abs. 1 UStG weder befugt noch verpflichtet wäre, eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis auszustellen (vgl. BFHE 165, 1, 5). Die Klage auf Rechnungserteilung erweist sich damit ohne Einschränkung als unbegründet. Das Revisionsgericht ist nicht gehindert, das die Klage als derzeit unbegründet abweisende Berufungsurteil durch eine die Klage endgültig abweisende Entscheidung zu ersetzen (§ 563 ZPO), denn der Kläger hat durch das angefochtene Urteil keine schutzwürdige Rechtsstellung erlangt (vgl. BGHZ 104, 212, 214 f).
III.
Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Abweisung des Hilfsantrags als derzeit unbegründet.
Da die steuerliche Lage so zu beurteilen ist, als ob der Beklagte nicht auf die Befreiung von der Umsatzsteuer verzichtet hätte, ist zu klären, ob der Kläger den durch Verrechung geleisteten Umsatzsteuerbetrag zurück verlangen kann. Das Berufungsgericht erwägt insoweit einen Anspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierbei verkennt es aber, daß § 42 AO nur ausschließt, daß sich der Steuerpflichtige für steuerliche Zwecke auf die von ihm gewählte Gestaltung beruft, jedoch nicht die zivilrechtliche Wirksamkeit der Gestaltung berührt (vgl. BFH BStBl II 1996, 377, 379; BFH/NV 1994, 903 f). Bleiben die getroffenen Zahlungsabreden somit wirksam, hat der Kläger den auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrag von 480.000 DM nicht ohne Rechtsgrund geleistet. Damit steht aber noch nicht fest, daß der Kläger die Rückzahlung dieses Betrags nicht verlangen kann. Vielmehr ist zu prüfen, ob vertragliche Rückzahlungsansprüche aus ergänzender Vertragsauslegung oder wegen Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. BGH, Urt. v. 19. Juni 1990, XI ZR 280/89; WM 1990, 1322, 1323; Urt. v. 26. Februar 1997, VIII 128/96, NJW-RR 1997, 1054, 1055; Senat, Urt. v. 14. Januar 2000, V ZR 416/97; NJW-RR 2000, 1652, 1653; Urt. v. 11. Mai 2001, V ZR 492/99, NJW 2001, 2464, 2465; ferner BGH, Urt. v. 18. November 1976, VI ZR 153/73, DB 1976, 234, 235) oder subsidiäre bereicherungsrechtliche Ansprüche nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB (vgl. BGHZ 84, 1, 10 f; Senat, Urt. v. 17. Januar 1975, V ZR 105/73, NJW 1975, 776; BGH, Urt. v. 26. Februar 1992, IV ZR 339/90, NJW-RR 1992, 669, 670; vgl. ferner BGH, Urt. v. 14. Mai 1991, X ZR 2/90, NJW-RR 1991, 1269 f) in Betracht kommen. Das Berufungsgericht wird daher im Rahmen seines tatrichterlichen Ermessens zu klären haben, ob im Streitfall die Voraussetzungen für die aufgezeigten Anspruchsgrundlagen vorliegen. Sollte dies der Fall sein, so könnte der Kläger, wenn die erlassene Forderung bereits fällig gewesen sein sollte, grundsätzlich nicht nur die Wiederbegründung dieser Forderung verlangen, sondern zugleich auch Zahlung beanspruchen (vgl. für den Fall eines ohne Rechtsgrund erlangten Forderungserlasses: Senat, Urt. v. 9. März 1990, V ZR 260/88, JR 1990, 509 m.w.N.; Staudinger/Rieble, 1999, § 397 BGB Rdn. 238, Staudinger/Lorenz, 1999, § 818 BGB Rdn. 3).
Die Sache ist daher hinsichtlich der Abweisung des Hilfsantrags aufzuheben und in diesem Umfang an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Tropf, Schneider, Krüger, Klein, Gaier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.11.2001 durch Riegel, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 666361 |
BFH/NV Beilage 2002, 115 |
DB 2002, 140 |
DStZ 2002, 83 |
HFR 2002, 448 |
UR 2002, 91 |
NJW 2002, 1276 |
BGHR 2002, 141 |
NJW-RR 2002, 376 |
IBR 2002, 108 |
JurBüro 2002, 330 |
WM 2002, 605 |
ZfIR 2002, 66 |
MDR 2002, 448 |
PStR 2002, 239 |
ZBB 2002, 51 |
ZNotP 2002, 436 |
BFH/NV-Beilage 2002, 115 |
UStB 2002, 39 |