Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Steuerberaters und mitwirkendes Verschulden des Mandanten
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung eines steuerlichen Beraters für fehlerhafte und verspätete Jahresabschlüsse und Jahressteuererklärungen.
2. Zur Frage, inwieweit ein steuerlicher Berater, der seine Beratungspflicht versäumt hat, sich auf ein mitwirkendes Verschulden seines Mandanten berufen kann.
Normenkette
BGB §§ 254, 276; StBerG § 33
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 11.07.1984; Aktenzeichen 7 U 284/82) |
LG Koblenz (Urteil vom 20.01.1982; Aktenzeichen 15 O 369/81) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. Juli 1984 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beklagte war von 1974 bis Dezember 1979 als Steuerberater der klagenden Eheleute tätig. Nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen oblag ihr die Erledigung sämtlicher Steuerangelegenheiten der Kläger einschließlich der Buchführungsarbeiten.
Zu den Unternehmen der Kläger gehörte das sogenannte S Gästehaus (jetzt:…). Die Kläger ließen dieses Gästehaus während der genannten Zeit umbauen. Hierdurch entstanden steuerliche Verluste, die jedoch zunächst nicht bei der Festsetzung der Einkommensteuer berücksichtigt wurden. Nachdem die Kläger eine andere Steuerberatungsgesellschaft mit der Erledigung ihrer steuerberaterlichen Angelegenheit beauftragt hatten, erreichte diese vom Finanzamt eine Steuerrückzahlung in Höhe von 415.000 DM.
Die Kläger machen die Beklagte dafür verantwortlich, daß die steuerlichen Verluste nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt geltend gemacht worden sind. Sie verlangen von ihr Ersatz des Zinsverlustes, den sie mit 82.531 DM beziffern, sowie des Mehraufwandes von 20.000 DM für die Überarbeitung und Neuerstellung der Steuererklärungen durch ihre neue Steuerberatungsgesellschaft.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgen sie ihren Schadensersatzanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat geglaubt, die steuerlichen Vorfragen, von denen die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, nicht aufgrund eigener Sachkunde entscheiden zu können. Es hat deshalb den Steuerberater H zum Sachverständigen ernannt und ihm die Frage vorgelegt, zu welchen Zeitpunkten die „Kosten der Kläger, die diesen infolge des Umbaus des S Gästehauses in den Jahren 1975 bis 1979 entstanden sind, neben der bereits gewährten Investitionszulage frühestens steuerlich abgeschrieben, d.h. zugunsten der Kläger berücksichtigt” hätten werden können. Ferner wurde dem Sachverständigen aufgegeben, sich darüber zu äußern, welche „Unterlagen oder sonstige Voraussetzungen hierfür erforderlich” gewesen seien; insbesondere wurde gefragt, ob dem Finanzamt ein „Bausachverständigengutachten, in dem Abbruch- und Wiederaufbaukosten zu trennen waren, und die Endabrechnung des Klägers in seiner Eigenschaft als Generalunternehmer” vorgelegt werden mußten.
Nach Erstattung des Gutachtens hat das Berufungsgericht die Klage mit folgender Begründung abgewiesen:
Für „Verlustabschreibungen” sei zwar ein Bausachverständigengutachten im allgemeinen nicht erforderlich. Es müsse dem Finanzamt jedoch ein in geeigneter Form aufbereitetes Zahlenmaterial vorgelegt werden, das selbstverständlich von einem mit dem Objekt vertrauten oder betrauten Baufachmann, wie z.B. dem Architekten, besser als von einem außenstehenden Gutachter erstellt werden könne. Eine Endabrechnung des Generalunternehmers sei für den Nachweis der auf den Umbau entfallenen Herstellungskosten als Bemessungsgrundlage der daraus resultierenden Abschreibungen nicht unbedingt erforderlich. Die Besorgung der für die Geltendmachung der Abschreibung notwendigen Unterlagen sei Sache des Mandanten gewesen, da der Steuerberater nicht über die dafür notwendige Sachkenntnis eines Baufachmannes verfügen könne. Der Steuerberater habe lediglich die Pflicht, den Mandanten darüber aufzuklären, welche Unterlagen er „zur Vorlage bei dem Finanzamt zur Erreichung einer Steuerminderung oder Steuerrückzahlung” benötige, und diese Unterlagen vom Mandanten anzufordern. Dieser Pflicht habe die Beklagte genügt. Der Zeuge B, der bei der Beklagten die Steuerangelegenheiten der Kläger bearbeitet habe, habe die Problematik mit den Klägern erörtert und von diesen in den Jahren 1977 bis 1978 mehrmals mündlich und schriftlich die Vorlage „des erforderlichen Gutachtens” (und der Rechnungen) verlangt. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß mit dem Ausdruck „Gutachten” die Aufstellung eines Baufachmannes gemeint gewesen sei. Wenn die Kläger unter diesen Umständen die Unterlagen nicht beigebracht und damit die ihnen obliegende Mitwirkungspflicht verletzt hätten, hätten sie es sich selbst zuzuschreiben, daß die Beklagte die „Verlustabschreibungen” nicht rechtzeitig habe geltend machen können.
II.
Der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts kann sich der Senat nicht im vollen Umfang anschließen.
1. Die Steuern, die die Kläger zunächst gezahlt und später zurückerhalten haben, sind unstreitig aufgrund von Steuererklärungen festgesetzt worden, die die Beklagte entworfen hatte. Unstreitig ist ferner, daß in dieser Erklärung das Einkommen der Kläger zu hoch angegeben war, und zwar deshalb, weil die mit dem Umbau zusammenhängenden gewinnmindernden Rechnungsposten (Betriebsausgaben und Abschreibungen) nicht berücksichtigt worden waren; dies war auch die Auffassung des Finanzamtes, das nach dem Ausscheiden der Beklagten als steuerlichen Beraters der Kläger die bereits festgesetzte Steuer herabsetzte und die Überzahlungen zurückerstattete. Es steht demnach fest, daß die Beklagte objektiv fehlerhaft gearbeitet hat. Dadurch ist den Klägern auch ein Schaden entstanden. Zwar ist ihnen die überzahlte Steuer zurückgewährt worden; eine Entschädigung für den entstandenen Zinsverlust haben sie jedoch aus der Staatskasse nicht erhalten.
Das objektiv fehlerhafte Verhalten der Beklagten spricht zunächst für ein Verschulden. Wenn unter solchen Umständen ein steuerlicher Berater geltend machen will, daß er den Fehler nicht zu vertreten habe, muß er – unabhängig von der Frage der Beweislast – sich darüber erklären, aus welchen Gründen es zu dem Fehler kam; es kann vom Mandanten nicht verlangt werden, daß er jeden nur denkbaren Entschuldigungsgrund ausräumt (vgl. dazu BGH Urteile vom 20. Januar 1961 – I ZR 79/59 – NJW 1961, 826; vom 13. Juli 1962 – I ZR 43/61 – NJW 1962, 2149, 2150; vom 5. November 1980 – VIII ZR 280/79 – NJW 1981, 577 und vom 31. Mai 1965 – VIII ZR 285/63 – WM 1965, 917).
Die Frage der Beweislast stellt sich erst, wenn ein Entschuldigungsgrund schlüssig behauptet und vom Gegner bestritten worden ist.
2. Die Gründe, mit denen das Berufungsgericht ein Verschulden verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Es hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, daß die Kläger ihre Mitwirkungspflicht verletzt hätten, sie, die Beklagte, sei aus diesem Grunde außerstande gewesen, ihre Vertragspflichten ihnen gegenüber zu erfüllen. Dazu ist zu bemerken:
a) Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, zur „Geltendmachung” der Abschreibungen und Umbaukosten sei die Vorlage des Gutachtens eines Bausachverständigen erforderlich gewesen; ein solches Gutachten hätten aber die Kläger trotz mehrmaliger Anforderung nicht vorgelegt. Das Berufungsgericht hat erkannt, daß ein solches Gutachten nicht erforderlich war (vgl. dazu die Ausführungen weiter unten – Abschnitt IV 3); es macht jedoch den Klägern zum Vorwurf, daß sie nicht wenigstens der Beklagten eine von einem Baufachmann aufgestellte Baukostenaufstellung zugeleitet hätten. Diese Begründung ist nicht rechtsfehlerfrei. Auf den Seiten 9 (letzter Absatz) und 10 führt das Berufungsgericht zutreffend aus, daß es Sache des steuerlichen Beraters sei, seinen Mandanten darüber aufzuklären, welche Unterlagen er zur sachgerechten Erledigung seines Auftrags benötige; Sache des Mandanten sei es dann, diese Unterlagen zu beschaffen. Fehlerhaft ist jedoch, wenn das Berufungsgericht meint, die Beklagte habe das ihr in dieser Hinsicht Obliegende getan. Es stellt dazu in tatsächlicher Hinsicht fest, daß die Beklagte von den Klägern die Vorlage eines Bausachverständigengutachtens gefordert hat. Nach der zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts wurde jedoch im vorliegenden Fall ein solches Gutachten nicht benötigt. Das, was das Berufungsgericht für erforderlich hielt, nämlich eine Baukostenaufstellung oder ein entsprechend ausgearbeitetes Zahlenmaterial, hat die Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts von den Klägern nicht verlangt. Das Berufungsgericht will Baukostenaufstellung und Bausachverständigengutachten dadurch gleichsetzen, daß es nach dem Wort „Gutachten” in Parenthese die Worte
„damit ist die Aufstellung eines Baufachmannes gemeint”
einfügt. Was damit gesagt werden sollte, ist nicht völlig klar. Wenn das Berufungsgericht gemeint hat, man bezeichne üblicherweise eine Baukostenaufstellung als Gutachten, so wäre dies eine Feststellung, die mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht in Einklang zu bringen und daher revisionsrechtlich zu beanstanden ist. Sollte das Berufungsurteil aber dahin zu verstehen sein, daß der Zeuge B, der bei der Beklagten die Steuerangelegenheiten der Kläger bearbeitete, mit dem Ausdruck „Gutachten” nur eine Baukostenaufstellung gemeint habe, so würde das im Widerspruch dazu stehen, daß die Beklagte noch im vorliegenden Rechtsstreit die Ansicht vertreten hat, es sei ein echtes Bausachverständigengutachten erforderlich gewesen; sie hat vorgetragen, daß sie ein solches mehrfach vergeblich von den Klägern angefordert habe. Im übrigen ist es auch unerheblich, was der Zeuge B unter einem Gutachten verstanden hat. Ein steuerlicher Berater ist verpflichtet, sich bei Belehrungen und Hinweisen an seine Mandanten klar auszudrücken und mißverständliche Ausdrücke zu vermeiden. Der Erfüllungsgehilfe der Beklagten durfte daher nicht von einem Gutachten sprechen, wenn in Wirklichkeit nur eine Baukostenaufstellung gemeint war. In diesem Zusammenhang ist auch die von den Klägern unter Beweis gestellte, vom Berufungsgericht jedoch tatrichterlich nicht geprüfte und daher in der Revisionsinstanz als richtig unterstellte Behauptung zu berücksichtigen, die Baukostenaufstellung hätte innerhalb kürzester Frist angefertigt werden können; dies sei auch geschehen, nachdem die Kläger den Steuerberater gewechselt haben (Schriftsatz vom 7. Dezember 1982 S. 9/10 Bl. 141 und 142 d.A.).
Soweit bisher ersichtlich, ging es im wesentlichen nur darum, die Kosten der substanzvernichtenden Arbeiten von denen der werterhöhenden Arbeiten zu trennen. Das wird in der Regel auch ein Laie aus dem Text der Rechnungen, Angebote und Auftragsschreiben entnehmen können.
3. Im übrigen stellt der Sachverständige auf Seite 7 seines Gutachtens (Bl. 226 d.A.) fest, daß die Buchführung für 1976 erst im Mai 1979 abgeschlossen worden ist. Er bemerkt dazu, es sei nicht Gegenstand des Gutachtens zu prüfen, warum die Buchhaltung so spät abgeschlossen worden sei und wer dies zu vertreten habe. Diese Formulierung kann darauf hindeuten, daß die Verzögerung auf Gründen beruhte, die mit dem im Rechtsstreit angesprochenen und vom Sachverständigen zu erörternden Problemkreis nichts zu tun haben.
Das Berufungsgericht prüft (auf Seite 14 unten und 15 oben), ob der Schadensersatzanspruch der Kläger unter diesem Gesichtspunkt begründet ist. Es verneint dies deshalb, weil die Kläger nicht substantiiert vorgetragen haben, daß der verspätete Abschluß der Buchführungsarbeiten von der Beklagten zu vertreten sei. Damit verkennt das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast (BGHZ 84, 244, 248).
4. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß nach dem Schreiben des Finanzamts vom 12. Dezember 1979 der Gewinn aus dem „S Gästehaus” mit Null DM geschätzt wurde. Das Schreiben läßt nicht erkennen, wie es zu dieser Schätzung kam; das Finanzamt konnte beim Empfänger Kenntnis der Zusammenhänge voraussetzen, so daß es keine Erläuterung zu geben brauchte. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen setzt in der Regel eine Verletzung von steuerlichen Pflichten voraus (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977; § 162 Abs. 1 AO kann bei ordnungsmäßiger Buchhaltung wohl kaum zur Anwendung kommen, da dann § 158 AO eingreift). Auch insoweit wäre es Sache der Beklagten, sich darüber zu erklären, aus welchen Gründen sie nicht dafür gesorgt hat, daß die den Klägern obliegenden steuerlichen Pflichten erfüllt wurden.
5. Der Senat kann dem Berufungsgericht auch nicht darin folgen, daß die Kläger als erfahrene Geschäftsleute auch ohne ausdrücklichen Hinweis wußten, welche Unterlagen für die „Geltendmachung der Verluste” erforderlich waren. Daß es sich hierbei nicht um eine einfache Rechtsfrage handelte, ergibt sich bereits daraus, daß sie auch noch im Laufe des Rechtsstreits von der Beklagten – einer Steuerberatungsgesellschaft – unrichtig beantwortet wurde und daß das Berufungsgericht sie nicht ohne sachverständige Hilfe entscheiden zu können glaubte. Selbst wenn es den Klägern zum Verschulden gereichen würde, daß sie nicht von sich aus erkannten, welche Unterlagen ihr steuerlicher Berater benötigte, könnte dies das in der mangelhaften Belehrung liegende Verschulden der Beklagten nicht ausschließen, sondern allenfalls Anlaß zur Prüfung geben, ob die Schadensersatzpflicht wegen eines mitwirkenden Verschuldens zu mindern ist. Auch dies ist jedoch zu verneinen. § 254 BGB soll den Schädiger nur in dem Umfang von der Haftung entlasten, in dem der Schaden billigerweise dem eigenen Verhalten des Geschädigten zugerechnet werden muß (BGH Urteil vom 11. Juli 1978 – VI ZR 138/76 – VersR 1978, 1070, 1071). Der Einwand des mitwirkenden Verschuldens greift demnach dann nicht ein, wenn die Verhütung des entstandenen Schadens nach dem Inhalt des Vertrages dem in Anspruch genommenen Schädiger allein oblag (BGHZ 96, 98). Grundlage eines Beratungsvertrages ist die Überzeugung der Vertragsparteien daß der Berater dem zu Beratenden auf einem bestimmten Gebiet an Wissen überlegen ist; seine Aufgabe ist es, zu verhindern, daß sein Vertragspartner durch die falsche Beantwortung von Fragen, die zum Beratungsgegenstand gehören, Nachteile erleidet. Den zu Beratenden hilft keine vertragliche Obliegenheit, durch eigene Bemühungen Beratungsfehler des Beraters auszugleichen. Ihm kann es demnach nicht als mitwirkendes Verschulden vorgehalten werden, er hätte das, worüber ihn sein Berater hätte aufklären sollen, bei entsprechenden Bemühungen auch ohne fremde Hilfe erkennen können.
III.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann auch nicht mit einer anderen Begründung (§ 563 ZPO) aufrechterhalten werden.
1. Die Frage, ob die Kläger der Beklagten bewußt Unterlagen vorenthalten haben, um zu verhindern, daß eine Bilanz erstellt werde, die die wirtschaftliche Lage des S Gästehauses zu ungünstig darstelle, war gem. Ziff. I 4 des Beweisbeschlusses vom 22. September 1982 Gegenstand der Beweisaufnahme. Abschließende tatsächliche Feststellung hat das Berufungsgericht zu diesem Punkt nicht getroffen. Es fehlt demnach insoweit an einer ausreichenden Grundlage für die rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht.
2. Die Beklagte macht geltend, daß die Einkünfte aus dem „S Gästehaus” gesondert festzustellen gewesen wären; dies ergebe sich bereits aus dem Gesetz. Nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 (= § 215 Abs. 2 RVO) werden zwar die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte gesondert festgestellt, wenn an ihnen mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind.
Das mag im vorliegenden Fall zutreffend gewesen sein, obwohl bei gemeinschaftlichen Einkünften von Eheleuten eine gesonderte Feststellung nicht stets erforderlich ist (vgl. RFH RStBl. 1931, 109; BFH BStBl. 1958 III 364; 1970 II 730; 1971 II 730; Kühn/Kutter AO 1977, 13. Aufl § 180 Anm. 3; Tipke/Kruse AO 2/7 Aufl. § 215 Rdn. 7; dieselben in 11. Aufl. § 180 Rdn. 29; ferner BFH BStBl. 1972 II 215; 1976 II 305; 1976 II 596). Auf jeden Fall wäre die Beklagte aber verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, daß eine etwa erforderliche Erklärung zur einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus dem „S Gästehaus” rechtzeitig und zutreffend abgegeben wurde. Wäre dies geschehen, so wäre es nicht zu Steuerüberzahlungen in einem solchen Umfang gekommen. Daß die Unterlassung auf ihrem Verschulden beruht, läßt sich nach den obigen Ausführungen bisher nicht ausschließen.
Wenn die Beklagte die Einkünfte aus dem S Gästehaus überhaupt verschwiegen hätte, wäre dies eine falsche Steuererklärung gewesen. Fehlerhaft wäre es aber auch gewesen, wenn sie als Einkünfte aus dem „S Gästehaus” einen zu hohen Betrag angesetzt hatte, also insbesondere den Betrag, der sich ergibt, wenn man beim Abschluß die Umbauarbeiten unberücksichtigt läßt.
IV.
Das Berufungsurteil kann nach alledem nicht bestehen bleiben; die Sache muß vielmehr zur erneuten Prüfung an den Tatrichter zurückverwiesen werden. Bei der weiteren Sachbehandlung wird zu beachten sein:
1. Die Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit werden in der Regel durch Vermögensvergleich ermittelt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 EStG).
Es ist also das aus dem Jahresabschluß ersichtliche Betriebsvermögen dem im vorangegangenen Jahresabschluß ausgewiesenen Betriebsvermögen gegenüberzustellen; von dem Differenzbetrag sind die während des Wirtschaftsjahres geltend gemachten Einlagen abzuziehen und die während des Wirtschaftsjahres vorgenommenen Entnahmen hinzuzurechnen. Daraus folgt, daß die während des Wirtschaftsjahres eingetretenen Veränderungen im Betriebsvermögen berücksichtigt werden müssen: Wirtschaftsgüter, die zum Betriebsvermögen hinzukommen, müssen „zugeschrieben”, Wirtschaftsgüter, die aus dem Betriebsvermögen ausscheiden oder an Wert verloren haben, müssen (ganz oder teilweise) „abgeschrieben” werden. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere die Tatsache, daß Wirtschaftsgüter, die nur eine begrenzte Lebensdauer haben, laufend an Wert verlieren. Dem muß durch „Absetzungen für Abnutzung” Rechnung getragen werden. Der Gesetzgeber hat die AFA in § 7 EStG geregelt. Diese Vorschriften schließen es nicht aus, daß in den Fällen, in denen ein Wirtschaftsgut bereits vor seiner normalen Lebensdauer in Verlust gerät, sein Wert vorzeitig abgeschrieben wird. Es ist selbstverständlich, daß ein Kraftfahrzeug, das bereits im ersten Jahr der Zulassung gestohlen und nicht wieder aufgefunden wird, oder das einen Totalschaden erleidet und verschrottet wird, auszubuchen ist. Für Gebäude gilt grundsätzlich nichts anderes. Auch hier muß die Wertveränderung, die dadurch entsteht, daß die Gebäudesubstanz durch Naturereignisse, von außen kommende menschliche Einwirkung oder durch den freien Entschluß des Eigentümers vernichtet oder vermindert wird, in der Buchhaltung und damit auch im Jahresabschluß seinen Ausdruck finden. Dies geschieht durch die Absetzungen für außergewöhnliche technische und wirtschaftliche Abnutzung (§ 7 Abs. 1 Satz 4 EStG).
Abschreibungen sind daher ihrem ursprünglichen Begriff nach keine Steuervergünstigungen, sondern nur der buchhalterische Ausdruck dafür, daß ein bestimmtes, bisher zum Betriebsvermögen gehörendes Wirtschaftsgut aus dem Vermögen ausgeschieden ist oder an Wert verloren hat. Nach den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Buchführung ist ein Kaufmann zur Vornahme von Abschreibungen nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Nur dadurch kann ein handelsrechtlich unzulässiger überhöhter Wertansatz für die einzelnen Vermögensbestandteile verhindert werden. Das Verständnis des Wesens der Abschreibung wird allerdings dadurch erschwert, daß der Gesetzgeber aus wirtschafts- und ordnungspolitischen Gründen erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen zugelassen hat. Bei diesen beiden handelt es sich in der Tat um Steuervergünstigungen; sie werden dadurch erreicht, daß zugunsten des Steuerpflichtigen fingiert wird, bestimmte Wirtschaftsgüter würden schneller abgenutzt, als dies tatsächlich der Fall ist (vgl. dazu Knobbe-Keuk, a.a.O. § 5 IV 4; Bühler/Scherpf a.a.O. S. 572). Um solche Steuervergünstigungen geht es jedoch im vorliegenden Fall nicht.
2. Die Kosten, die den Klägern durch die Bauarbeiten entstanden sind, sind entgegen der Auffassung, die das Berufungsgericht in dem Gutachtenauftrag vertreten hat, nicht Gegenstand der Abschreibung. Wenn, wie im vorliegenden Fall, aus betrieblichem Anlaß bauliche Veränderungen an Betriebsgebäuden vorgenommen werden, so gehört das Entgelt, das dafür an die Bauunternehmer gezahlt wird, zu den Betriebsausgaben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Abbruch-, Umbau- oder Erweiterungsarbeiten handelt. Von Bedeutung ist der letztgenannte Unterschied nur unter einem anderen Gesichtspunkt: Soweit die Bauarbeiten zu einer Substanzvermehrung führen, ist der durch sie geschaffene Vermögenswert dem Betriebsvermögen hinzuzurechnen (zu „aktivieren”). Dadurch werden zunächst die Kosten, die durch die Erweiterung entstanden sind, neutralisiert; das Gebäude steht infolgedessen mit einem höheren Wert zu Buch als vorher. Dadurch erhöht sich aber wiederum die Bemessungsgrundlage für die planmäßigen Absetzungen für Abnutzungen (§ 7 EStG, vgl. dazu Blümich/Falk § 7 Rdn. 531 ff, insbesondere Rdn. 538; Bühler/Scherpf Bilanz und Steuer, 7. Aufl. S. 352 ff; Knobbe/Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht 5. Aufl. § 4 IV 4a).
Es ist demnach nicht zutreffend, wenn das Berufungsgericht auf Seite 7 seines Urteils von „Verlustabschreibungen” spricht und dazu sowohl die „Abbrucharbeiten” als auch die „Wiederherstellungsarbeiten” rechnet.
3. Steuerpflichtige, die Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit haben, werden in der Regel zunächst nur unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) veranlagt; eine Ausnahme gilt lediglich für Kleinstbetriebe im Sinne der Betriebsprüfungsordnung (Grundsätze zur Neuorganisation der Finanzämter und Neuordnung des Besteuerungsverfahrens – BStBl. 1976 I, 88 Ziff. 1.1.1. und 1.1.2.). Eine eingehende Prüfung der Besteuerungsgrundlagen findet in der Regel erst bei der turnusmäßigen Außenprüfung statt.
Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, in der Einkommensteuererklärung seine Einkünfte wahrheitsgemäß anzugeben (§ 150 Abs. 2 AO 1977). Eine Pflicht, Unterlagen beizufügen, besteht nur insoweit, als dies in den Einzelsteuergesetzen vorgeschrieben ist (§ 150 Abs. 4 AO 1977; dem sachlichen Inhalt nach mit § 166 RAO übereinstimmend); für die Einkommensteuer ist dies in § 60 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung geregelt. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift ist der Einkommensteuererklärung eine Abschrift der Bilanz und der Verlust- und Gewinnrechnung beizufügen. Die Einreichung einer Hauptabschlußübersicht ist nur erforderlich, wenn dies das Finanzamt ausdrücklich verlangt. Eine Pflicht, die Bilanzansätze und die der Bilanz zugrundeliegenden Buchungsvorgänge zu belegen, besteht dagegen nicht. Soweit vor der Veranlagung eine Überprüfung der Richtigkeit der Angaben in der Steuererklärung erforderlich ist, hat das Finanzamt den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 88 AO 1977 = § 204 Abs. 1 RAO). Der Steuerpflichtige ist dabei zur Mitwirkung verpflichtet (§ 90 AO 1977); von ihm kann auch die Vorlage von Urkunden verlangt werden (§ 97 AO 1977). Eine Pflicht, auf eigene Kosten Sachverständigengutachten einzuholen und dem Finanzamt vorzulegen, begründet die Abgabenordnung nicht. Die Rechtslage war insoweit vor dem 1. Januar 1977 keine andere. Nach § 205 Abs. 1 Satz 1 RAO hatte das Finanzamt die Steuererklärungen zu prüfen. Soweit es Bedenken gegen die Richtigkeit der Steuererklärung hatte, hatte es die erforderlichen Ermittlungen vorzunehmen (§ 205 Abs. 2 Satz 1 RAO). Unter bestimmten Voraussetzungen konnte es von dem Steuerpflichtigen „weitere Nachweisungen” verlangen (§§ 205 Abs. 2 Satz 2, 171 RAO). Daraus folgt aber nicht, daß die Finanzämter berechtigt gewesen wären, vom Steuerpflichtigen zu verlangen, daß er Sachverständigengutachten einhole und dem Finanzamt vorlege. Dies wäre mit dem in § 204 Abs. 1 RAO ausgesprochenen Grundsatz der Amtsermittlung unvereinbar gewesen. § 206 RAO sah demgemäß vor, daß in den Fällen, in denen eine Beurteilung durch Sachverständige erforderlich war, der Sachverständige vom Finanzamt zuzuziehen war. Nach alledem hatten die Kläger ihrer Steuererklärung als Grundlage für die Feststellung der Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit nichts anderes als den Jahresabschluß beizufügen; sie konnten abwarten, ob das Finanzamt von ihnen noch weitere Unterlagen verlangte.
Das bedeutet allerdings nicht, daß eine Berechnung der Grundlage der Abschreibung, insbesondere eine Trennung der – nicht aktivierungspflichten – Abbrucharbeiten von den – aktivierungspflichtigen – Erweiterungsbauten nicht erforderlich gewesen wäre; diese Berechnung ist vielmehr die notwendige Grundlage für eine richtige Verbuchung der Umbauarbeiten. Eine Pflicht, die Berechnung dem Finanzamt vorzulegen, bestand jedoch nur, wenn dies ausdrücklich verlangt wurde.
4. Auf die Frage, welche Nachweise erforderlich sind, wenn der Steuerpflichtige eine Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen beantragt, weil das Einkommen des laufenden Jahres voraussichtlich geringer sein wird als das des Jahres, das der Berechnung der Vorauszahlung zugrunde liegt, kommt es nur hilfsweise an. Nach dem Sachvortrag der Kläger wären dann, wenn die Einkommensteuererklärungen von Anfang an richtig abgegeben worden wären, überhaupt keine Vorauszahlungen zu berechnen gewesen.
5. Es wird zweckmäßig sein, wenn das Berufungsgericht die Steuerakten beizieht und zum Gegenstand der Verhandlung macht. Auf diese Weise läßt sich am einfachsten und schnellsten ein Überblick über den Gang des Besteuerungsverfahrens gewinnen; das bisherige Parteivorbringen gibt hierüber nur unvollkommen Aufschluß. Dem Senat gegenüber haben sich die Kläger bereits mit der Beiziehung und Verwertung der Steuerakten einverstanden erklärt; es ist anzunehmen, daß sie die gleiche Einverständniserklärung auch gegenüber dem Berufungsgericht abgeben werden.
Fundstellen