Leitsatz (amtlich)
a) Die Überleitung der Haftung für Schäden aus Pflichtverletzungen des vorläufigen Geschäftsführers einer GmbH im Aufbau auf die Treuhandanstalt nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG erstreckt sich zeitlich bis zum Abschluß des Aufbaustadiums, d.h. in der Regel bis zur Löschung des Zusatzes „im Aufbau” (im Anschluß an das Senatsurteil vom 20. Februar 1995 – II ZR 143/93, ZIP 1995, 591).
b) Von dieser gesetzlichen Haftungsüberleitung kann sich die Treuhandanstalt nicht vorzeitig durch Bestellung eines „endgültigen” Geschäftsführers für die GmbH i.A. befreien.
Normenkette
DDR: TreuhG § 16 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. Mai 1996 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte war alleinige Gesellschafterin der am 19. September 1990 in das Handelsregister eingetragenen Firma B. GmbH i.A. (nachfolgend: GmbH i.A.). Am 1. Juli 1990 wurde der Zeuge S. K. zu ihrem vorläufigen Geschäftsführer und unter dem 3./21. Juni 1991 zum Geschäftsführer bestellt. Die Beklagte veranlaßte am 25. Juni 1991 die für die Gründung der GmbH nach dem Treuhandgesetz (TreuhG) erforderliche Registeranmeldung, verfolgte diese jedoch nach Beanstandung wesentlicher Antragsmängel durch das Registergericht wegen der zwischenzeitlich festgestellten fehlenden Sanierungsfähigkeit der GmbH i.A. nicht weiter. Noch vor Einleitung der beabsichtigten Liquidation wurde auf Antrag der Klägerin am 21. Juli 1992 über die GmbH i.A. das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet.
Der Geschäftsführer K. hatte zuvor in der Zeit von Mai 1991 bis März 1992 Löhne an die Arbeitnehmer der GmbH i.A. ausgezahlt, ohne die fälligen Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 104.992,31 DM an die Klägerin als berechtigte Einzugsstelle abzuführen. Ein deshalb gegen K. eingeleitetes Strafverfahren wurde nach durchgeführter Beweisaufnahme gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.
Die Vorinstanzen haben eine Haftung der Beklagten für den der Klägerin aus der Vorenthaltung der Beiträge entstandenen Schaden bejaht und deren Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
Ohne durchgreifende Rechtsfehler hat das Berufungsgericht eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Zeugen K. durch Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung oder zur Bundesanstalt für Arbeit im Sinne von § 266a StGB in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB in Höhe von 104.992,31 DM gegenüber der Klägerin als zuständiger Einzugsstelle und eine diesbezügliche Haftung der Beklagten, ihr gegenüber gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG bejaht.
1. Verfahrensfehlerfrei hat das Oberlandesgericht aufgrund des Ergebnisses der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß der Zeuge K. als Organ der GmbH i.A. den Tatbestand des § 266a StGB in dem von der Klägerin im einzelnen dargelegten Umfang verwirklicht hat. Der Zeuge hat bereits in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren – dessen Akten das Berufungsgericht in zulässiger Weise verwertet hat eingeräumt, zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen nach § 23 Abs. 1 SGB IV die Nettolöhne an die Arbeitnehmer der GmbH i.A. ausgezahlt zu haben, ohne der Verpflichtung zur Abführung der Arbeitnehmeranteile an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in dem ihm vorgeworfenen Umfang – der mindestens der Klageforderung entspricht – nachgekommen zu sein; dies hat er nochmals vor dem Berufungsgericht bestätigt. Entgegen der Ansicht der Revision ist hier die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB nicht wegen Unmöglichkeit der Erbringung der geschuldeten Beitragsleistung aufgrund fehlender Mittel ausgeschlossen, weil die Nettolöhne bzw. Kurzarbeitergelder unstreitig bis zur Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens in voller Höhe an die Arbeitnehmer ausgezahlt wurden, wobei teilweise bestimmungswidrig die für die Sozialversicherung vorgesehenen Arbeitnehmeranteile des durch das Arbeitsamt zur Verfügung gestellten Kurzarbeitergeldes in Anspruch genommen wurden; soweit der Zeuge K. nicht mehr zur gleichzeitigen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge in der Lage war, hätte er – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – notfalls durch Lohnkürzung sicherstellen müssen, daß ihm die auf die gezahlten Löhne entfallenden Arbeitnehmerbeiträge bei Fälligkeit zur Abführung zur Verfügung standen (vgl. BGHSt 30, 265, 267; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 25. Aufl., § 266a Rdn. 10 m.w.N.). Gerade eine solche erforderliche Kürzung des Nettolohns hat der Zeuge K. aber – nach eigener Bekundung auf Weisung der Beklagten – bewußt nicht vorgenommen.
Die Tatbestandsmäßigkeit des Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung entfällt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht etwa deshalb, weil sich der Zeuge nach seiner Darstellung Ende 1991 mit der Klägerin geeinigt hatte, rückständige Beiträge aus jenem Jahr „abstottern” zu dürfen, falls Außenstände von 140.000,– DM bei einem Schuldner der Gesellschaft realisiert werden könnten. Denn allenfalls eine wirksame Stundung vor Fälligkeit, nicht aber – wie hier – danach, würde objektiv ein Vorenthalten im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB ausschließen (Arg. aus § 266a Abs. 5 StGB; vgl. Schönke/Schröder/Lenckner a.a.O., Rdn. 7 m.w.N.); daß sich die Abrede etwa auf künftig fällig werdende Beiträge bezogen hätte, hat der Zeuge K. selbst nicht behauptet.
Da sich das Berufungsgericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme auch davon überzeugt hat, daß der Zeuge K. in dem von der Klägerin spezifizierten Umfang den objektiven Tatbestand der Strafnorm erfüllt hat, bedurfte es zusätzlicher Feststellungen zu dem deckungsgleichen Ausmaß des Schadens im Sinne des § 823 Abs. 2 StGB nicht. Ein revisionsrechtlich relevanter Fehler kann daher entgegen den Ausführungen der Revision nicht darin liegen, daß das Berufungsgericht die Schadenshöhe – weitergehend – sogar als unstreitig angesehen hat.
Rechtlich unangreifbar hat das Berufungsgericht ferner den Deliktsvorsatz des Zeugen K. im Anschluß an dessen Bekundung bejaht, er habe Umfang und Fälligkeiten der jeweils von ihm abzuführenden Arbeitnehmeranteile gekannt und diese durchaus für vorrangig gehalten, sich aber statt dessen für die volle Lohnzahlung an die Arbeitnehmer entschieden. Vorsätzlich handelt nämlich auch der Arbeitgeber, der seine sämtlichen verfügbaren Mittel für die Lohnzahlung verwendet, ohne Rücklagen für die abzuführenden Beiträge zu machen (vgl. RGSt 40, 237). Daß der Zeuge K. etwa damit hätte rechnen oder gar darauf vertrauen können, ihm würden bis zur jeweiligen Fälligkeit die erforderlichen Mittel zufließen, hat das Oberlandesgericht in fehlerfreier tatrichterlicher Würdigung ausgeschlossen; die – ständig enttäuschte – bloße Hoffnung des Zeugen auf finanzielle Zuwendungen seitens der Beklagten ließ nicht den vom Berufungsgericht angenommenen Eventualvorsatz entfallen (vgl. hierzu auch Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 266a Rdn. 21 m.N.).
2. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Zeuge K. sei trotz seiner als endgültig gemeinten Geschäftsführerbestellung vom 3./21. Juni 1991 weiterhin haftungsrechtlich als vorläufiger Geschäftsführer der GmbH i.A. im Sinne des § 16 Abs. 1 TreuhG anzusehen, für dessen unerlaubte Handlung die Haftungsüberleitung auf die Beklagte gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG stattfinde, hält den Angriffen der Revision stand.
a) Wie der Senat bereits entschieden hat, enthält § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG eine allgemeine Haftungsüberleitung auf die Treuhandanstalt, die – unabhängig von der Schuldform – auch für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gilt (Sen.Urt. v. 20. Februar 1995 – II ZR 143/93, ZIP 1995, 591). An diesem – aus Wortlaut und Zweck der Norm abgeleiteten – weiten Verständnis des Umfanges der Haftungsüberleitung hält der Senat fest. Soweit die Revision meint, aus dem Gesetzgebungsverfahren der Volkskammer der DDR zum Treuhandgesetz eine zeitliche und sachliche Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG auf „Altfälle” nach DDR-Recht bis zur Wiedervereinigung herleiten zu können (vgl. Schubel, ZIP 1995, 1057), ist dem nicht zu folgen. Es mag zwar sein, daß das Gesetzgebungsorgan der DDR seinerzeit von der Vorstellung ausging, die Phase der Kapitalgesellschaften im Aufbau und damit zugleich ihrer vorläufigen Geschäftsleitungen könne kurzfristig noch vor der erst für Ende 1990 erwarteten Wiedervereinigung abgeschlossen werden. Über solche unverbindlichen, im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen ist jedoch die Realität hinweggegangen, indem einerseits die Wiedervereinigung früher als erwartet stattfand und andererseits die Aufbauphase der Gesellschaften weder bis dahin noch innerhalb des sonst erhofften Zeitrahmens abgeschlossen werden konnte: Der Einigungsgesetzgeber ordnete die Fortgeltung des TreuhG auch nach der Wiedervereinigung an, ohne die Haftungsüberleitung des § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG zum Nachteil der vorläufigen Geschäftsleiter zu beschränken und ohne den Zeitraum der möglichen Umstrukturierung der Wirtschaftseinheiten der DDR zu verändern (vgl. § 22 TreuhG)
b) Die Beklagte konnte sich unter den gegebenen Umständen während des Bestehens der Aufbauphase der GmbH i.A. nicht der Haftung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG dadurch entziehen, daß sie ihren vorläufigen Geschäftsführer K. im Zuge der Aufstellung des Gesellschaftsvertrages zum „endgültigen” Geschäftsführer der GmbH i.A. bestellte. Zwar bestimmt das TreuhG weder in § 16 noch sonst ausdrücklich, wann der Geschäftsführer einer GmbH i.A. den Status eines vorläufigen Leitungsorgans, an den § 16 TreuhG seine Haftungsfreistellung knüpft, verliert. Daraus läßt sich indes nicht ableiten, daß die Beendigung dieses Zustandes und damit eine Haftungsbefreiung der Treuhandanstalt nach deren Belieben jederzeit durch bloßen formalen Bestellungsakt unabhängig vom Abschluß des Umstrukturierungsverfahrens hinsichtlich der Gesellschaft möglich wäre. Dem steht schon der Gesamtzusammenhang der Regelungen der §§ 11 ff. TreuhG entgegen, die als Zielpunkt allein die Neugründung nach §§ 19 ff. TreuhG vorsahen. Auch die Vorläufigkeit der Geschäftsführerbestellung nach § 16 TreuhG steht in untrennbarem Zusammenhang mit dieser Neugründung und erstreckt sich demzufolge zeitlich bis zu deren Abschluß. Dafür spricht nicht zuletzt auch, daß die Einleitung der Gründung und die Anmeldung ihrer Durchführung in erster Linie ausdrücklich dem „vorläufigen Leitungsorgan” übertragen war (vgl. §§ 19 und 21 Abs. 1 TreuhG). Korrespondiert mithin die Zeitdimension der Vorläufigkeit der Geschäftsführerbestellung mit der Dauer des Aufbaustadiums der GmbH, so ist als Endzeitpunkt dieses Zustandes in der Regel der Abschluß der Gründung der GmbH anzusehen, der nach der Gesetzessystematik in der Löschung des Zusatzes „im Aufbau” durch das Registergericht liegt. Dieser weite Zeitrahmen für die Dauer der Haftung der Treuhandanstalt für Schäden aus Pflichtverletzungen der vorläufigen Leitungsorgane der GmbH im Aufbau ist aufgrund der in der Aufbauphase regelmäßig bestehenden Weisungsmacht der Treuhandanstalt als Alleingesellschafterin berechtigt; er trägt zudem den verschiedenen Schutzzwecken der Haftungsüberleitung während der schadensträchtigen Umstrukturierungsphase – wie sie der Senat bereits in seinem Urteil vom 20. Februar 1995 hervorgehoben hat – angemessen Rechnung.
Ob etwa eine Vorverlagerung dieser bei der GmbH mit der Löschung des Zusatzes „im Aufbau” anzunehmenden Beendigung der Vorläufigkeit der Geschäftsführerstellung im haftungsrechtlichen Sinne gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG bei einer vorher erfolgten Privatisierung in Erwägung zu ziehen wäre (so offensichtlich Weimar, TreuhG, 1993, § 16 Rdn. 3), bedarf keiner Entscheidung, weil ein derartiger Fall nicht vorliegt. Gleiches gilt für eine denkbare Vorverlagerung der Beendigung der Haftungsüberleitung auf den Zeitpunkt der Anmeldung gemäß § 21 TreuhG, falls sich die Löschung des Zusatzes im Aufbau lediglich aus – vom Antragsteller nicht zu beeinflussenden – in der Verantwortungssphäre des Registergerichts liegenden Gründen (z.B. Überlastung nach der Wiedervereinigung) unangemessen verzögert. Für eine solche Erwägung ist hier schon deshalb kein Raum, weil aufgrund der fehlerhaften Anmeldung nach § 21 TreuhG bereits die formellen Voraussetzungen für eine „demnächstige” Löschung des Zusatzes im Aufbau nicht erfüllt waren und die Mängel trotz Beanstandung durch das Registergericht wegen Aussichtslosigkeit einer erfolgreichen Sanierung der GmbH i.A. auch nicht mehr behoben werden konnten.
Bei einer Liquidation der Gesellschaft oder – wie hier – Gesamtvollstreckung aus dem Aufbaustadium heraus besteht kein berechtigter Anlaß für eine vorzeitige Befreiung der Treuhandanstalt von der Haftungsüberleitung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG durch eine – wie auch immer geartete – Vorverlagerung des grundsätzlich maßgeblichen Endzeitpunktes des § 21 Abs. 3 TreuhG. So haben sich auch vorliegend gerade die typischen Risiken verwirklicht, deren Folgen nach dem Normzweck des § 16 Abs. 2 Satz 2 TreuhG haftungsrechtlich von der Treuhandanstalt zu tragen sind: Unerfahrenheit und mangelnde Qualifikation des vorläufigen Geschäftsführers, dessen unzureichende Kontrolle durch die Treuhandanstalt bis hin zu deren – vom Zeugen K. bekundeten – Einflußnahme auf diesen, die schädigende Beitragsvorenthaltung gegenüber der Klägerin zu Lasten der Solidargemeinschaft der Arbeitnehmer vorzunehmen.
Unterschriften
Röhricht, Dr. Hesselberger, Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.09.1997 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHZ, 332 |
NJW 1998, 227 |
KTS 1998, 216 |
VIZ 1998, 45 |
VersR 1998, 600 |