Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirksamkeit der vom Franchisenehmer ausgesprochenen fristlosen Kündigung eines noch etwa zehn Wochen laufenden Franchise-Vertrages, in dem die Franchisegeberin sich hauptsächlich zur Organisation und Unterhaltung eines Transport- und Distributionssystems für im Kühlverkehr zu befördernde Lebensmittel verpflichtet hatte, während der Franchisenehmer im wesentlichen die Verpflichtung oblag, für ein bestimmtes Gebiet die Tätigkeiten einer Verteiler- und Umladestation wahrzunehmen.
Normenkette
BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 17. April 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin unterhält und organisiert als Franchisegeberin ein flächendeckendes System von Kühltransporten unter Einschaltung von Fachspediteuren. Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen, eine frühere Gesellschafterin der Klägerin, aus einem Franchise-Vertrag hauptsächlich auf Schadensersatz in Anspruch, weil die Beklagte ihre Tätigkeit für sie ab Mitte August 1990 eingestellt hat.
Nach § 1 Abs. 1 des zwischen den Parteien am 31. Dezember 1985 geschlossenen Franchise-Vertrages war die Klägerin als Franchisegeberin verpflichtet, ein Transport- und Distributionssystem für im Kühlverkehr zu befördernde Güter zu organisieren und zu unterhalten. Der Beklagten oblag gemäß § 3 Abs. 2 des Vertrages ab 1. Februar 1986 die Verpflichtung, die Tätigkeiten einer Verteiler- und Umladestation für das Gebiet 18 (München) wahrzunehmen.
Ab Anfang 1990 kam es in verstärktem Maße zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Die Klägerin beanstandete eine nicht systemgerechte Vertragserfüllung der Beklagten, während letztere insbesondere eine wirtschaftliche Unterdeckung geltend machte.
Am 20. Juni 1990 fand eine Gesellschafterversammlung der Klägerin statt, an der auch die Beklagte als Gesellschafterin teilnahm. Das Protokoll der Gesellschafterversammlung enthält u.a. folgende Feststellungen:
„TO 2 – Entscheidung über den Leitweg 18 – R. K. Spedition GmbH & Co. (im folgenden: K. GmbH & Co.).
Herr K. erklärt zu diesem Tagungsordnungspunkt wie folgt:
Der Franchise-Vertrag München weist in der Ergebnisrechnung eine Unterdeckung von monatlich ca. 60.000,– DM auf.
Die K. GmbH & Co. kann unter diesen Voraussetzungen den Franchise-Vertrag aus wirtschaftlichen Gründen und aus Rücksicht auf ihre eigenen Kunden nicht weiter erfüllen, es sei denn, die Systemzentrale oder die Gesellschafterfirmen bewirken für die K. GmbH & Co. einen befriedigenden Ausgleich für die entstehenden Zusatzkosten.
…
Herr H. als Geschäftsführer der P.
GmbH (im folgenden: P. GmbH) gibt im Einverständnis mit den P.-Gesellschaftern … an die K. GmbH & Co. folgenden Gegenvorschlag:
…
Mit Wirkung vom 1.7.1990 bis zu einem beschlossenen Wechsel rechnet die K. GmbH & Co. die zur Zeit gültigen P. -Konditionen mit allen P. -Partnern ab. Die Differenz zwischen den P. -Konditionen und den vorgenannten s.g. System-Konditionen rechnet die K. GmbH & Co. monatlich mit der P. GmbH ab, …
…
Die K. GmbH & Co., vertreten durch Herrn K., und die Gesellschafter der P. GmbH … und die Geschäftsleitung der P. GmbH sind mit diesem zweiten Lösungsvorschlag der P. GmbH einstimmig einverstanden.”
Unter Bezugnahme auf den Franchise-Vertrag und den genannten Gesellschafterbeschluß teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 8. August 1990 u.a. folgendes mit:
„Sehr geehrter Herr K.,
im Leistungskatalog zum Franchise-Vertrag
…
haben Sie sich zur systemgerechten temperaturgeführten Auslieferung vertraglich verpflichtet. Ebenfalls wurde per Gesellschafterbeschluß zum TO 2 vom 20.6.90 die systemgerechte Auslieferung zu festgelegten Konditionen vereinbart.
In den letzten Tagen erreichen uns Auslieferreklamationen, die sich auf grob fahrlässige Systemverletzungen beziehen. Dies können wir so nicht hinnehmen und müssen bei dieser Leistung die Vergütung der Sonderkosten ablehnen. …”
Die Beklagte antwortete hierauf mit Telefax vom 13. August 1990:
„In Ihrem Schreiben vom 8.8 lehnen Sie die Übernahme der Sonderkonditionen ab.
…
Bestätigen Sie die uneingeschränkte Übernahme der vereinbarten Konditionen bis heute 15.00 Uhr. Andernfalls müßten wir die Leistung mit sofortiger Wirkung einstellen.”
Unter Bezugnahme auf die beiden Schreiben wandte sich die Klägerin mit Telefax vom 15. August 1990 erneut an die Beklagte und teilte ihr u.a. mit:
„…
Zur Sache ist zu sagen, daß die P. GmbH selbstverständlich nach wie vor zu der Vereinbarung laut dem Gesellschafterbeschluß vom 20.6.1990 steht, Ihnen die vereinbarten Sonderkosten zu erstatten.
… Eine Ablehnung der Sonderkosten bezog sich nur auf die nicht systemgerechten Auslieferungen bei verstärktem Reklamationsanfall.
…
Ihr Telefax vom 13.8.1990 betrachten wir aufgrund der vorgenannten Sonderkostenzusage als gegenstandslos und möchten Sie bitten, eine systemgerechte Auslieferung im Leitweg-Gebiet 18 – München entsprechend den Erfordernissen der P. sicherzustellen.”
Die Beklagte stellte ihre Tätigkeit für die Klägerin in der Folgezeit ein, was sie dieser am 16. August 1990 auch schriftlich mitteilte. Anschließende Verhandlungen zwischen den Parteien über eine weitere Zusammenarbeit bis zu der zu einem früheren Zeitpunkt einvernehmlich vereinbarten Beendigung des Vertragsverhältnisses am 1. November 1990 blieben erfolglos.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte auch ab dem 17. August 1990 noch für sie tätig werden müssen. Durch den Ausfall der Beklagten sei ihr ein Schaden in Höhe von 569.848,16 DM entstanden. Aus ihrer Verpflichtung den anderen Franchisenehmern gegenüber habe sie die der Beklagten obliegenden Tätigkeiten anderweitig ausführen lassen müssen. Hierfür habe sie 767.473,76 DM aufgewandt. Diesem Betrag hätten Einnahmen aus Transport und Verteilung in Höhe von lediglich 197.625,60 DM (so Blatt 34 der Klageschrift) [Blatt 34 aber 197.615,60 DM] gegenübergestanden.
Daneben macht die Klägerin noch Erfüllungsansprüche aus dem Franchise-Vertrag vom 31. Dezember 1985 geltend.
Sie hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 569.848,16 DM sowie weiteren 6.123,07 DM, jeweils zuzüglich näher bezeichneter Zinsen, zu verurteilen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, sie habe ihre Leistungen für die Klägerin Mitte August 1990 zu Recht eingestellt, da ihr eine weitere Erfüllung des Franchise-Vertrags aufgrund des Verhaltens der Klägerin nicht mehr zumutbar gewesen sei. Darüber hinaus hat sie die Verjährungseinrede erhoben.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung der geltend gemachten Ansprüche abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist im Ergebnis erfolglos geblieben.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in Höhe von 575.827,59 DM nebst Zinsen weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nach dem 16. August 1990 zu weiteren Tätigkeiten für die Klägerin nicht mehr verpflichtet gewesen, weil sie den Franchise-Vertrag an diesem Tag wirksam aus wichtigem Grund fristlos gekündigt habe. Dazu hat es ausgeführt:
Die Kündigungserklärung der Beklagten liege in deren Telefax vom 16. August 1990. Darin habe sie der Klägerin mitgeteilt, daß sie, die Beklagte, angesichts des Verstreichens der zuvor von ihr gesetzten Frist nicht mehr in der Lage sei, den Wünschen der Klägerin auf Fortsetzung ihrer Tätigkeit nachzukommen. Die Klägerin habe diese Mitteilung zu Recht dahin verstanden, daß die Beklagte zu einem Weiterbetrieb der Verteilerstation „nicht mehr willens sei”. Die in § 18 Abs. 2 des Franchise-Vertrages vereinbarte Schriftform für eine Vertragskündigung sei mit dem Telefax gewahrt worden, da der Übermittlungsform (eingeschriebener Brief) lediglich Beweisfunktion zukomme.
Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung (§ 18 Abs. 3 des Franchise-Vertrages) habe für die Beklagte in der Weigerung der Klägerin bestanden, die am 20. Juni 1990 vereinbarten Sonderkonditionen vorbehaltlos zu gewähren. Das Schreiben der Klägerin vom 8. August 1990 stelle eine massive Vertragsverletzung dar, da sie sich darin im Falle mangelhafter Leistung der Beklagten von der „Vergütung der Sonderkosten” völlig habe lossagen wollen. Ein derartiges Recht habe der Klägerin nicht zugestanden. Sie hätte allenfalls Schadensersatzansprüche gehabt, mit denen sie gegebenenfalls hätte aufrechnen können. Dies habe die Klägerin in dem genannten Schreiben jedoch nicht angekündigt.
Die Klägerin sei von ihrem im Schreiben vom 8. August 1990 vertretenen Standpunkt, bei mangelndem Wohlverhalten der Beklagten von in der Vergangenheit getroffenen Vereinbarungen einseitig abrücken zu können, trotz einer Abmahnung der Beklagten im Telefax vom 13. August 1990 nicht abgewichen. Denn in ihrem Schreiben vom 15. August 1990 betone sie zunächst nur, daß sie nach wie vor zu der Vereinbarung vom 20. Juni 1990 stehe. Im nachfolgenden Absatz greife die Klägerin jedoch sogleich wieder die von ihr behaupteten nicht systemgerechten Leistungen der Beklagten auf, wobei sie erneut eine „Ablehnung der Sonderkosten” in Bezug setze zu den „nicht systemgerechten Auslieferungen bei verstärktem Reklamationsanfall”. Da die Klägerin die von der Beklagten erstrittene Verbesserung der Konditionen bereits nach kurzer Zeit wieder in Frage gestellt habe, sei es der Beklagten unzumutbar gewesen, das Vertragsverhältnis bis zum vereinbarten Ende am 1. November 1990 fortzusetzen.
Ob und in welcher Höhe der Klägerin Schäden entstanden seien, könne bei dieser Sachlage ebenso offenbleiben wie die Frage, ob die geltend gemachten Schadensersatzansprüche verjährt seien.
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die Beklagte mit Telefax vom 16. August 1990 der Klägerin gegenüber schriftlich die Kündigung des am 31. Dezember 1985 geschlossenen Franchise-Vertrages erklärt hat. Die Parteien erheben hiergegen auch keine Beanstandungen.
2. Dagegen begegnet die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den streitgegenständlichen Franchise-Vertrag wirksam aus wichtigem Grund fristlos kündigen können, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Ein Franchise-Vertrag stellt ein Dauerschuldverhältnis dar, das grundsätzlich auch dann aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, wenn die Parteien dies vertraglich nicht vereinbart haben (vgl. BGHZ 133, 316, 320 - Altunterwerfung I, m.w.N.). Im vorliegenden Fall sieht § 18 Abs. 3 des Franchise-Vertrages für beide Parteien ausdrücklich ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund vor. Voraussetzung für eine solche außerordentliche Kündigung ist, daß Tatsachen vorliegen, die es dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unzumutbar machen, das Vertragsverhältnis bis zu dessen vereinbarter Beendigung fortzusetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 25.3.1993 - X ZR 17/92, NJW 1993, 1972, 1973; BGHZ 133, 316, 320, jeweils m.w.N.). Ob ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund vorliegt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, die in der Revisionsinstanz nur beschränkt darauf überprüft werden kann, ob der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen überschritten, insbesondere wesentliche Tatsachen außer acht gelassen oder nicht vollständig gewürdigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 2.5.1991 - I ZR 184/89, NJW-RR 1991, 1266; Urt. v. 14.12.1995 - III ZR 5/95, BGHR BGB § 242 - pulp-wash, Kündigung, wichtiger Grund 11; BGH NJW 1993, 1972, 1973). Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision mit Recht rügt, bei seiner Beurteilung wesentlichen Prozeßstoff unberücksichtigt gelassen und überdies zu geringe Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung gestellt.
aa) Bestandteil der in der Gesellschafterversammlung vom 20. Juni 1990 getroffenen Zusatzabrede, der Beklagten Sonderkonditionen zu gewähren, war deren Verpflichtung, die Verteilung der Güter in dem ihr zugewiesenen Gebiet systemgerecht aufrechtzuerhalten. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte in der Zeit bis zur Kündigungserklärung unstreitig nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Sie hat allerdings in Abrede gestellt, daß sie an den aufgetretenen Leistungsstörungen, insbesondere an den Verspätungen bei der Verteilung des Transportgutes, ein Verschulden treffe. Die Unregelmäßigkeiten seien vielmehr – so die Behauptung der Beklagten – auf ein nicht systemgerechtes Verhalten einer anderen Franchisenehmerin zurückzuführen, die die Umladestation in S. unterhalte. Die Klägerin ist diesem Vorbringen substantiiert entgegengetreten.
Das Berufungsgericht hätte nicht ungeklärt lassen dürfen, wer für die aufgetretenen Unregelmäßigkeiten überwiegend verantwortlich war. Haben nämlich beide Vertragsteile eines Dauerschuldverhältnisses schuldhaft die Vertragsgrundlage zerrüttet, so kann die Würdigung aller Umstände ergeben, daß derjenige Vertragsteil, der die Zerrüttung überwiegend verschuldet hat, nicht wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages fristlos kündigen kann (vgl. BGH, Urt. v. 11.2.1981 - VIII ZR 312/79, WM 1981, 331). Das muß insbesondere dann gelten, wenn das Vertragsverhältnis – wie im Streitfall – ohnehin in absehbarer Zeit beendet wird.
bb) Das Berufungsgericht hätte ferner berücksichtigen müssen, daß die Klägerin unter Beweisantritt vorgetragen hat, die der Beklagten in der Gesellschafterversammlung vom 20. Juni 1990 zugesagten Sonderkonditionen hätten im Vergleich zu dem der Beklagten für ihre Leistungen sonst zustehenden Entgelt lediglich einen geringen Teil ausgemacht. Der Annahme des Berufungsgerichts, es sei ohne Bedeutung, wie hoch eine etwaige Unterdeckung der Beklagten ohne die Sonderkonditionen gewesen wäre, da die Klägerin mit der in Rede stehenden Vereinbarung das Bedürfnis der Beklagten an einem zusätzlichen Entgelt anerkannt habe, kann in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten werden. Es hätte beachtet werden müssen, daß nicht jede Vertragsverletzung – unabhängig von ihren Auswirkungen – bereits eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigt. Stellt ein Vertragspartner als Reaktion auf Vertragsverletzungen der Gegenseite lediglich in Aussicht, wie es die Klägerin in ihrem Telefax vom 8. August 1990 getan hat, vertragliche Nebenleistungen nicht erbringen zu wollen, kann darauf allein die sofortige Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses, das nach einer vorangegangenen Parteivereinbarung ohnehin in etwa zehn Wochen beendet werden sollte, nicht gestützt werden.
cc) Bei der Beurteilung, ob die Beklagte zur fristlosen Kündigung des streitgegenständlichen Franchise-Vertrages berechtigt war, durfte auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß sie in ein bundesweites Absatzsystem einbezogen war, das als solches nur funktionieren konnte, wenn die Kühltransportleistungen flächendeckend angeboten wurden. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß ein plötzliches Ausscheiden der Beklagten aus diesem System nahezu zwangsläufig zu einer erheblichen Gefährdung der Grundlage des Gesamtsystems führen mußte. Das gilt vor allem deshalb, weil Gegenstand des Systems der Transport leichtverderblicher Tiefkühlkost war. Derartige Ware ist besonders schadensanfällig. Sie kann nicht ohne weiteres mehrere Tage in einer Verteilerstation liegenbleiben, sondern muß möglichst schnell an die Empfänger ausgeliefert werden. Diese Folge war für die Beklagte aufgrund ihrer damaligen Stellung als Gesellschafterin der Klägerin auch vorhersehbar. Gerade im Rahmen eines nur noch kurze Zeit fortdauernden Vertragsverhältnisses kann es einem Vertragspartner zumutbar sein, über das Bestehen von Ansprüchen gegen die andere Vertragspartei eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Etwas anderes mag dann gelten, wenn sich der potentielle Schuldner in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet und deshalb die Gefahr besteht, daß ein möglicherweise erstrittener Titel nicht durchsetzbar sein könnte (arg. § 321 BGB), wofür im Streitfall jedoch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind.
b) Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin beigetreten werden, daß die Klägerin im Falle schuldhafter Vertragsverletzungen der Beklagten berechtigt gewesen wäre, lediglich Schadensersatz zu fordern, dagegen nicht auch die Bezahlung der der Beklagten zugesagten „Vergütung von Sonderkosten” zu verweigern.
In Betracht zu ziehen ist hier ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB. Die Beklagte war der Klägerin gegenüber aus dem Franchise-Vertrag verpflichtet, die organisatorischen Voraussetzungen für eine systemgerechte Behandlung und Ablieferung des Transportgutes zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Dieser während des Bestehens des Vertragsverhältnisses jederzeit fällige Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte beruhte auf demselben rechtlichen Verhältnis, aus dem die Beklagte ihren Anspruch auf Zahlung der Sonderkonditionen herleitete. Träfe die Behauptung der Klägerin zu, die Beklagte habe die von ihr vertraglich geschuldeten Leistungen aufgrund eigenen Verschuldens nicht ordnungsgemäß erbracht, hätte der Klägerin gemäß § 273 Abs. 1 BGB das Recht zugestanden, die von ihr geschuldeten Ausgleichszahlungen jedenfalls so lange zurückzuhalten, bis die nach Darstellung der Klägerin im Verantwortungsbereich der Beklagten liegenden Organisationsmängel abgestellt waren. Unter diesen Umständen kann die Ankündigung der Klägerin im Schreiben vom 8. August 1990, bei grob fahrlässigen Systemverletzungen der Beklagten die Vergütung der Sonderkosten abzulehnen, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als eine schuldhafte massive Vertragsverletzung der Klägerin angesehen werden.
c) In dem wiedereröffneten Berufungsrechtszug wird das Berufungsgericht im Wege einer Gesamtwürdigung, in die alle Einzelumstände, insbesondere die unter II. 2. a) aa) – cc) genannten Gesichtspunkte, einzubeziehen sind, erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte berechtigt war, den Franchise-Vertrag fristlos aus wichtigem Grund zu kündigen.
Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob – was bislang offengeblieben ist – die auf § 64 ADSp gestützte Verjährungseinrede der Beklagten durchgreift.
III. Danach war das angefochtene Urteil auf die Revision der Klägerin aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Erdmann, Mees, Starck, Bornkamm, Pokrant
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.12.1998 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538499 |
BB 1999, 974 |
NJW 1999, 1177 |
EWiR 1999, 303 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1013 |
MDR 1999, 858 |
VRS 1999, 401 |
TranspR 1999, 168 |