Leitsatz (amtlich)
Nach den Regeln über das Verschulden bei Vertragsschluß kann ausnahmsweise das Interesse des Geschädigten an der Erfüllung eines nicht zustande gekommenen Vertrages zu ersetzen sein, wenn im Einzelfall feststeht, daß die Vertragspartner ohne das schuldhafte Verhalten statt des abgeschlossenen Vertrages einen anderen, für den Geschädigten günstigeren Vertrag abgeschlossen hätten (Fortführung von BGH, Urteil vom 2. März 1988 – VIII ZR 380/86 – NJW 1988, 2234; BGHZ 108, 200, 207 f.).
Normenkette
BGB § 276
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 17. April 1996 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin bezüglich der Ansprüche, die sie wegen des auf dem Flurstück Nr. …/1 der Gemarkung F. geförderten Wassers geltend macht, zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin mehrerer landwirtschaftlicher Grundstücke. Zu diesem Grundbesitz gehören die Flurstücke …/1 und …/2, auf denen sich je eine Quelle befindet. Der geschiedene Ehemann der Klägerin hat früher eine Mühle betrieben. Das Quellwasser wurde zunächst lediglich benutzt, um die Mühlräder anzutreiben. Später hat sich herausgestellt, daß es Mineralwasserqualität hat. Seither wird das Wasser in Flaschen gefüllt und verkauft.
Die Klägerin hat ihrem geschiedenen Ehemann während der Ehe ein lebenslängliches unentgeltliches Nießbrauchsrecht an beiden Flurstücken eingeräumt mit der ausdrücklichen Erlaubnis, sie langfristig zu vermieten. Ihr geschiedener Ehemann hat beide Grundstücke bis zum Jahr 2018 an die beklagte GmbH verpachtet. Gesellschafter der Beklagten sind der geschiedene Ehemann der Klägerin und ein ehelicher Sohn, der zugleich Geschäftsführer ist.
Zunächst wurde nur der Brunnen auf dem Flurstück …/2 zur Gewinnung von Mineralwasser ausgebeutet. Etwa im Jahre 1989 stellte sich bei einer Laboruntersuchung heraus, daß das dort gewonnene Wasser nicht mehr als hochwertiges Mineralwasser geeignet war. Dagegen ist das Wasser aus dem auf dem Flurstück …/1 gelegenen Brunnen einwandfrei.
Die Beklagte beschloß deshalb, die Produktion entsprechend umzustellen. Zur Fortsetzung der Produktion benötigte sie ein Bankdarlehen von ca. 300.000 DM. Die Bank verlangte als Sicherheit eine entsprechende Grundschuld auf dem Flurstück …/2 und außerdem die Zustimmung der Klägerin – der Eigentümerin der Grundstücke – zu dem vom Nießbraucher abgeschlossenen Mietvertrag. Die Beklagte entwarf daraufhin bezüglich der Grundstücke einen neuen Mietvertrag, der auf Vermieterseite die Klägerin als Eigentümerin und ihren geschiedenen Ehemann als Nießbraucher aufführte und auf Mieterseite die Beklagte. Dieser Entwurf eines Mietvertrages schloß ausdrücklich beide Flurstücke ein und sah vor, daß jeder der beiden Vermieter für jede aus den beiden Flurstücken gewonnene Flasche 0,15 Pfennig erhalten sollte.
Die Klägerin übergab diesen Vertragsentwurf einem Rechtsanwalt zur Prüfung. Der Rechtsanwalt war nicht darüber informiert, daß in Zukunft der Brunnen auf dem Flurstück …/1 ausgebeutet werden sollte, und sah deshalb keine Veranlassung, dieses Flurstück in die vertragliche Regelung einzubeziehen. Er teilte der Beklagten mit Schreiben vom 20. April 1989 mit, er habe den ihm übersandten Mietvertrag entsprechend korrigiert. Die von dem Rechtsanwalt korrigierte Fassung wurde dann von den Beteiligten unterschrieben. Die unterschriebene Fassung des Vertrages sieht eine Beteiligung der Vermieter nur an den mit Wasser aus dem Flurstück …/2 abgefüllten Flaschen vor. Die von der Bank geforderte Grundschuld wurde unter Mitwirkung der Klägerin eingetragen und der Darlehensbetrag von 300.000 DM an die Beklagte ausgezahlt.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin für die Jahre 1990 bis 1993 insgesamt 44.430,13 DM. Mit Anwaltsschreiben vom 13. April 1993 beanstandete die Klägerin die angegebene Anzahl der abgefüllten Flaschen. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1993 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie fördere inzwischen nur noch Wasser aus dem Flurstück …/1, das nicht Gegenstand des Mietvertrages sei. Sie sei nicht verpflichtet, über die auf diesem Flurstück geförderte Menge Auskunft zu erteilen. Seither zahlte die Beklagte nichts mehr.
Die Klägerin hat Stufenklage erhoben mit dem Antrag, Auskunft zu erteilen über die auf beiden Flurstücken geförderten Mengen, die Angaben an Eides Statt zu versichern und entsprechend der erteilten Auskunft 0,15 Pfennig pro Flasche an sie zu zahlen unter Berücksichtigung der bereits gezahlten Beträge.
Sie vertritt die Ansicht, der unterschriebene Vertrag sei dahin auszulegen, daß auch für das auf dem Flurstück …/1 geförderte Wasser eine Vergütung zu zahlen sei. Außerdem macht sie geltend, der Geschäftsführer der Beklagten – ihr Sohn – habe ihr vor Unterzeichnung des Vertrages arglistig verschwiegen, daß die Beklagte in Zukunft nur noch auf dem Flurstück …/1 Wasser gewinnen wolle. Statt dessen habe er seinem Bruder W. gegenüber erklärt, nach dem Vertrag könne die Klägerin langfristig mit Einkünften rechnen, wenn sie in die Eintragung der Grundschuld einwillige.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Stufenklage weiter, jedoch nur wegen des auf dem Flurstück …/1 geförderten Wassers.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht führt aus, der von den Parteien unterzeichnete Vertrag könne nach seinem eindeutigen Wortlaut und nach der Vorgeschichte nicht dahin ausgelegt werden, daß die Klägerin auch wegen des auf dem Flurstück …/1 geförderten Wassers Zahlungen erhalten solle. Diese tatrichterliche Auslegung des Vertrages ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird von der Revision auch hingenommen.
Weiter führt das Berufungsgericht aus, unterstelle man den Vortrag der Klägerin als richtig, stehe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß zu. Ein solcher Schadensersatzanspruch sei aber regelmäßig nur auf den Ersatz des sogenannten Vertrauensschadens gerichtet, also insbesondere auf die Befreiung von in dem abgeschlossenen Vertrag eingegangenen Verbindlichkeiten, auf den Ersatz nutzloser Aufwendungen usw. Dagegen könne die Klägerin nicht verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Vertrag mit dem Inhalt des ursprünglichen Vertragsentwurfs zustande gekommen. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der bei den Vertragsverhandlungen Geschädigte unter Umständen als Schadensersatz eine angemessene Vertragsanpassung verlangen, wenn der Vertrag infolge eines Verschuldens des Anspruchsgegners bei Vertragsschluß zu ungünstigen Bedingungen zustande gekommen sei, er aber dennoch an dem Vertrag festhalten wolle. Eine solche Vertragsanpassung komme aber nur in Betracht, wenn wegen des Verhaltens des Verpflichteten bei den Vertragsverhandlungen das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung gestört sei oder wenn – was hier nicht in Betracht komme – der Geschädigte wegen dieses Verhaltens Mehraufwendungen habe machen müssen. Die Gegenleistung, die die Klägerin erhalten habe, könne zwar durch das Verhalten der Beklagten bei den Vertragsverhandlungen nachteilig beeinflußt worden sein, sie sei aber dennoch nicht unangemessen. Die Klägerin habe nach dem Vertrag nur eine relativ geringwertige Leistung erbringen müssen. Sie habe lediglich darin eingewilligt, daß auf einem Grundstück, das sie wegen des eingetragenen Nießbrauchsrechts ohnehin auf Dauer nicht nutzen könne, eine Grundschuld eingetragen werde. Auf das durch die Grundschuld gesicherte Darlehen habe sie keine Zahlungen erbringen müssen. Bei dieser Sachlage habe die Klägerin zumindest nicht dargelegt, daß die von ihr nach dem Vertrag zu erbringenden Leistungen durch die von der Beklagten bisher gezahlten 44.430,13 DM nicht angemessen abgegolten seien.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten nicht in allen Punkten einer rechtlichen Überprüfung stand.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings gegen die Annahme des Berufungsgerichts, eine Anpassung des Vertrages zugunsten der Klägerin komme nicht in Betracht. Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts stimmen überein mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 111, 75, 82 m.w.N.; 69, 53, 58 f.). Die im wesentlichen auf einer tatrichterlichen Beurteilung des Berufungsgerichts beruhende Annahme, als angemessene Gegenleistung könne die Klägerin jedenfalls nicht mehr verlangen, als die Beklagte ihr freiwillig gezahlt habe, ist revisionsrechtlich nicht angreifbar.
3. Zu Recht macht die Revision aber geltend, das Berufungsgericht habe mit unzutreffender Begründung einen Anspruch der Klägerin auf das Erfüllungsinteresse des von der Beklagten entworfenen, aber nicht zustande gekommenen Vertrages verneint. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, der Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß sei grundsätzlich auf Ersatz des sogenannten negativen Interesses gerichtet. Das bedeutet, daß der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte. Das Berufungsgericht übersieht, daß dies u.U. – ausnahmsweise – bedeuten kann, daß nach den Grundsätzen über das Verschulden bei Vertragsschluß das Interesse an der Erfüllung eines nicht zustande gekommenen Vertrages zu ersetzen ist. Das gilt dann, wenn ohne das schuldhafte Verhalten ein anderer, für den Geschädigten günstigerer Vertrag zustande gekommen wäre. Dies hat schon das Reichsgericht mehrfach entschieden (vgl. z.B. RGZ 97, 336, 339 und 159, 33, 57), und der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung fortgeführt (BGHZ 108, 200, 207 f. m.N.; BGH, Urteil vom 2. März 1988 – VIII ZR 380/86 – NJW 1988, 2234 = ZIP 1988, 505 = BGHR BGB § 252 Satz 2 Aufklärungspflicht 1; vgl. auch MünchKomm-BGB/Emmerich, 3. Aufl., vor § 275 Rdn. 202 f.; Palandt/Heinrichs, BGB 57. Aufl. § 276 Rdn. 101.
Unproblematisch sind Fälle, in denen ohne das schuldhafte Verhalten ein Vertrag zu den von dem Geschädigten angestrebten, für ihn günstigeren Bedingungen mit einem Dritten zustande gekommen wäre (BGH, Urteil vom 2. März 1988 aaO; Erman/Battes, BGB 9. Aufl. § 276 Rdn. 124; MünchKommBGB/Emmerich und Palandt/Heinrichs aaO). Nichts anderes gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch, wenn ohne das schädigende Verhalten mit demselben Vertragspartner ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. So hat der Bundesgerichtshof z.B. entschieden, daß eine Versicherungsgesellschaft, die sich als Verschulden bei Vertragsschluß nach § 278 BGB zurechnen lassen muß, ihr Versicherungsvertreter habe den Versicherungsnehmer nicht darauf hingewiesen, daß durch die von ihm empfohlene Versicherung ein für den Versicherungsnehmer bedeutsames Risiko ohne Zusatzversicherung nicht abgedeckt sei, den Versicherungsnehmer so stellen muß, als sei der Versicherungsvertrag einschließlich der Zusatzversicherung abgeschlossen worden (BGHZ 108 aaO).
In der Literatur wird dagegen teilweise unter Berufung auf Stoll (Tatbestände und Funktionen der Haftung für culpa in contrahendo, Festschrift für Ernst von Caemmerer, 435, 445 f.) eingewandt, diese Rechtsprechung laufe zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis auf die Begründung eines unzulässigen Kontrahierungszwangs hinaus (so Erman/Battes aaO und Staudinger/Löwisch, BGB 13. Bearbeitung 1995, vor § 275 f. Rdn. 75). Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Es ist zumindest fraglich, ob sie sich auf Stoll berufen kann (vgl. z.B. Stoll, aaO S. 461/462, wo es zutreffend heißt, die Haftung für culpa in contrahendo trete „in solchen Fällen an die Stelle einer nicht konstruierbaren Vertragshaftung”.
Richtig ist, daß man bei der Bemessung des Schadensersatzes wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht ohne weiteres davon ausgehen darf, der Schädiger sei, wenn es nicht zu der Täuschung gekommen wäre, bereit gewesen, den Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen abzuschließen. Hierzu war der Schädiger nicht verpflichtet. Es bestand insofern kein Kontrahierungszwang. Es gibt aber Fälle, in denen aufgrund besonderer Umstände zuverlässig festgestellt werden kann, daß der Vertrag ohne die Täuschung unter denselben Vertragspartnern zu anderen, für den Getäuschten günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. In solchen Fällen wäre es nicht gerechtfertigt, dem Geschädigten einen Anspruch auf das Erfüllungsinteresse des wegen der Täuschung nicht zustande gekommenen Vertrages zu versagen.
Das Berufungsgericht hat sich – von seinem Standpunkt aus zu Recht – nicht mit der Frage befaßt, ob sich die Beklagte ohne die von dem Berufungsgericht unterstellte Täuschungshandlung vertraglich verpflichtet hätte, der Klägerin auch für das auf dem Flurstück …/1 geförderte Wasser eine Vergütung zu zahlen. Schon der unstreitige Sachverhalt spricht deutlich für diese Annahme. Die Klägerin hatte gegenüber der Beklagten nicht nur eine starke Verhandlungsposition, weil die Beklagte auf die Mitwirkung der Klägerin angewiesen war, um den benötigten Bankkredit zu erhalten. Die Klägerin hatte bereits einen von der Beklagten entworfenen Vertragsentwurf in Händen, nach dem sie auch an den Erträgen des Flurstücks …/1 beteiligt werden sollte. Es spricht alles dafür, daß sie diesen Vertrag ohne auf Korrekturen zu bestehen unterschrieben hätte, wenn die Beklagte bzw. deren Geschäftsführer – ihr Sohn – sie pflichtgemäß darüber aufgeklärt hätte, daß in Zukunft Mineralwasser nur noch aus dem Flurstück …/1 gewonnen werden könne. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte den von ihr entworfenen Vertrag dann nicht ebenfalls unterschrieben hätte. Ein Anspruch der Klägerin auf das Erfüllungsinteresse des von der Beklagten entworfenen, nicht zustande gekommenen Vertrages kommt deshalb in Betracht.
4. Das Berufungsurteil kann deshalb mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, selbst abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO), schon weil das Berufungsgericht den tatsächlichen Vortrag der Klägerin zu einer arglistigen Täuschung bei den Vertragsverhandlungen unterstellt und hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Die Sache muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit es die notwendigen Feststellungen nachholen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 609876 |
BB 1998, 1710 |
DB 1998, 2013 |
WM 1998, 2210 |
ZAP 1998, 795 |
ZMR 1998, 610 |
AgrarR 1999, 19 |
JZ 1999, 93 |
MDR 1998, 1087 |
RdL 1998, 232 |
VersR 1999, 198 |