Rn 50
Weicht ein Unternehmer von einem Interessenausgleich ab oder führt er eine geplante Betriebsänderung durch, ohne zuvor einen Interessenausgleich versucht zu haben, haben die Arbeitnehmer, denen aufgrund der Abweichung bzw. der Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile entstehen, gemäß § 113 BetrVG Anspruch auf finanziellen Ausgleich. Sanktioniert wird ein objektiv betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers, ohne dass ein Verschulden vorausgesetzt wird.
7.1 Abweichen von einem Interessenausgleich
Rn 51
Voraussetzungen für das Entstehen eines Nachteilsausgleichsanspruchs nach § 113 Abs. 1 BetrVG ist, dass der Unternehmer von einem Interessenausgleich ohne zwingenden Grund abgewichen ist. Das Abweichen von einem Interessenausgleich, das von der Planung einer neuen Betriebsänderung zu unterscheiden ist, liegt etwa dann vor, wenn der Unternehmer im Rahmen der Beratungen mit dem Betriebsrat auf bestimmte von ihm geplante Betriebsänderungen verzichtet hat, diese später aber doch durchführt. Gleiches gilt, wenn sich der Unternehmer nicht an die vereinbarten Modalitäten der Betriebsänderung hält, so z.B. wenn er den Zeitpunkt der Betriebsstilllegung vorverlegt. Eine solche Abweichung ist sanktionslos nur dann zulässig, wenn hierfür ein zwingender Grund vorliegt.
An die Notwendigkeit der Abweichung ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ein zwingender Grund liegt daher nur dann vor, wenn dieser erst nach Abschluss des Interessenausgleichs erkennbar geworden oder entstanden ist und wenn dem Unternehmer im Interesse des Unternehmens und der Belegschaft zur Abwendung unmittelbar drohender Gefahren praktisch keine andere Wahl bleibt, als die ursprüngliche Planung zu modifizieren.
7.2 Unterlassen des Interessenausgleichsverfahrens
Rn 52
Das Gesetz stellt in § 113 Abs. 3 BetrVG den Fall gleich, dass der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gewahrt oder die Einigungsstelle zur Erzielung eines Interessenausgleichs angerufen zu haben.
Abfindungsansprüche nach § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 BetrVG können jedoch dann nicht erhoben werden, wenn Ereignisse eingetreten sind, die eine sofortige Schließung des Betriebs unausweichlich gemacht haben, und ein Hinausschieben der Betriebsstilllegung zum Zwecke des Versuchs eines Interessenausgleichs den betroffenen Arbeitnehmern nur weitere Nachteile hätte bringen können. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Fortführung eines Betriebs bis zur Ausschöpfung des Verfahrens nach § 112 BetrVG weitere Betriebskosten, insbesondere Personalkosten, verursacht, für die keine Deckung mehr vorhanden ist. In einem solchen Fall ist die sofortige Schließung des Betriebs die einzig mögliche und im Interesse der Arbeitnehmer gebotene Reaktion. Unter solchen Umständen hat der Versuch eines Interessenausgleichs nach § 112 BetrVG jeden Sinn verloren.
7.3 Entlassungen oder andere wirtschaftliche Nachteile
Rn 53
Die in § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG definierten Verstöße des Unternehmers gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Obliegenheiten werden nur dann sanktioniert, wenn Arbeitnehmer in Folge der Betriebsänderung entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Von dem Begriff "Entlassung" werden dabei nicht nur (betriebsbedingte) Kündigungen, sondern auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch vom Arbeitgeber veranlasste Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen erfasst. Voraussetzung ist jedoch, dass die ausgesprochenen Kündigungen rechtswirksam sind. Gegenüber unwirksamen Kündigungen ist der Arbeitnehmer durch das Kündigungsschutzrecht hinreichend geschützt.
7.4 Höhe der Nachteilsausgleichsansprüche
Rn 54
Im Falle der Entlassung von Arbeitnehmern richtet sich die Höhe der Nachteilsausgleichsansprüche nach § 10 KSchG (§ 113 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG). Innerhalb der dort geregelten Höchstbeträge entscheidet das Arbeitsgericht im Falle einer entsprechenden Klage des Arbeitnehmers nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Berücksichtigung des Lebensalters, der Betriebszugehörigkeit und der Aussichten des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt. Auch der Grad der Zuwiderhandlung gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten des Unternehmers können von Bedeutung sein.
Erleiden Arbeitnehmer infolge der Missachtung der §§ 111, 112 BetrVG andere wirtschaftliche Nachteile, sind diese bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen (§ 113 Abs. 2 BetrVG). Ausgleichspflichtig sind etwa Umzugskosten, erhöhte Fahrkosten oder Lohnausgleich bei geringerem Arbeitsverdienst.
Die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Nachteilsausgleich und die Ansprüche aus seinem Sozialplan bestehen grundsätzlich nebeneinander, der Unternehmer hat also kein Wahlrecht zwischen Sozialplan und Nachteilsausgleich. Wird a...