Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 22.03.2018; Aktenzeichen S 9 KR 974/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.10.2019; Aktenzeichen L 5 KR 1624/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Festsetzung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) unter Einbeziehung einer Kapitalleistung eines Lebensversicherungsunternehmens.
Zum 1.11.1994 schloss der damalige Arbeitgeber des Klägers als Versicherungsnehmer eine Lebensversicherung auf den Kläger ab. Im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis wurden mit Wirkung zum 1.10.2001 die ausstehenden Prämien durch eine Einmalzahlung ausfinanziert. Der Kläger war fortan Versicherungsnehmer, erbrachte als solcher aber keine Prämienzahlungen. Im November 2016 erhielt der Kläger eine einmalige Kapitalleistung iHv 45 392,24 Euro. Die beklagte Krankenkasse legte die Summe, verteilt auf 120 Monate, der Beitragserhebung in der GKV und sPV zugrunde (Bescheid vom 19.1.2017; Widerspruchsbescheid vom 30.3.2017). Das SG Reutlingen hat die Klage dagegen abgewiesen (Urteil vom 22.3.2018). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurück- und seine Klage gegen die zwischenzeitlichen Bescheide vom 5.1. und 19.12.2018 abgewiesen. Die Kapitalleistung sei als beitragspflichtiger Versorgungsbezug zu qualifizieren, weil sie vom Arbeitgeber des Klägers als Direktversicherung abgeschlossen worden sei. Auch sei von der Beklagten zu Recht der volle Auszahlungsbetrag berücksichtigt worden. Die Prämien seien nur in der Zeit geleistet worden, in der der Arbeitgeber die Stellung als Versicherungsnehmer innegehabt habe (Urteil vom 23.10.2019).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Baden-Württemberg ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 20.12.2019 auf alle drei Zulassungsgründe.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger formuliert auf Seite 4 der Beschwerdebegründung folgende Fragen:
"1. Ist angesichts der aufgezeigten finanziellen Differenzen und einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise die 'Kapitalleistung' einer kLV die richtige Bemessungsgrundlage zur Bestimmung der Beitragshöhe zur Kranken- und Pflegeversicherung, oder kann es, das Eigentumsrecht des Grundgesetzes beachtend, nur der Ertrag sein?
2. Können, wie der 5. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ohne Begründung ausführt, die Modalitäten der individuellen Beitragsgestaltung unberücksichtigt bleiben - und falls ja, aufgrund welcher konkreten gesetzlichen Grundlage?"
Der Ertrag der von ihm selbst finanzierten Altersvorsorge falle auch unter Berücksichtigung der Steuerersparnis um 56 % geringer aus als der Ertrag einer vergleichbaren arbeitgeberfinanzierten Altersversorgung. In beiden Fällen werde die Beitragslast zur GKV und sPV aber auf Basis der Kapitalleistung ermittelt. Selbst wenn die Kapitalleistung der Beitragspflicht nach § 229 SGB V unterliege, wäre es von Rechts wegen geboten, bei der Beitragspflicht zwischen einer arbeitgeber- und einer arbeitnehmerfinanzierten Kapitalleistung zu differenzieren. Obwohl der Gesetzgeber mit dem GKV-Modernisierungsgesetz nur die Beseitigung eines Umgehungstatbestands bei Kapitalabfindungen von Renten zum Ziel gehabt hätte, sei das BSG "der Interpretation der Lobbyverbände der gesetzlichen Krankenversicherungsträger" gefolgt und habe die Beitragspflicht auch auf originäre Kapitalleistungen, die nie eine Rente gewesen seien, erweitert. Das BVerfG habe die Auffassung des BSG unterstützt, aber auch die Voraussetzungen und Grenzen einer noch zulässigen Beitragspflicht definiert. Vorliegend fehle es an einer Versorgungszusage iS des BetrAVG des damaligen Arbeitgebers des Klägers. Demnach sei von einer Entgeltverwendungsabrede zur Finanzierung einer privaten Altersvorsorge auszugehen.
a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht, weil der Kläger keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
b) Unabhängig hiervon legt der Kläger auch nicht die Klärungsbedürftigkeit der in den Raum gestellten Fragen hinreichend dar. Der Kläger benennt selbst die ständige Rechtsprechung des BSG und des BVerfG, auf die auch das LSG bereits hingewiesen hat. Er führt lediglich aus, damit nicht einverstanden zu sein. Darüber hinausgehend legt der Kläger nicht dar, warum die von ihm aufgeworfenen Fragen erneut klärungsbedürftig geworden sein könnten. Soweit er anregt, bei der Beitragspflicht zwischen einer arbeitgeber- und einer arbeitnehmerfinanzierten Kapitalleistung zu differenzieren, legt er nicht dar, warum hierfür rechtlich eine Veranlassung bestehen soll. Soweit der Kläger insoweit eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) geltend macht, hätte die Beschwerdebegründung aber unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzeigen müssen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG Beschluss vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Wird in der Beschwerde eine Verletzung des Gleichheitssatzes geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG auch darlegen, worin die für eine Gleich- bzw Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale bestehen sollen (vgl BVerfG ≪Dreier-Ausschuss≫ Beschluss vom 8.6.1982 - 2 BvR 1037/81 - SozR 1500 § 160a Nr 45). Soweit sich der Kläger im Übrigen dagegen wendet, dass die Kapitalleistung als Versorgungsbezug in Form einer Direktversicherung qualifiziert worden sei, macht er im Kern eine Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils geltend. Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann aber im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger führt auf Seite 1 der Beschwerdebegründung lediglich aus, das LSG setze sich in seinem Urteil über die vom BVerfG definierten Kriterien für die Beitragspflicht der arbeitnehmerfinanzierten Direktversicherung hinweg (Vorliegen einer Divergenz nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Eine entscheidungserhebliche Divergenz legt der Kläger dadurch nicht dar. Er entnimmt weder der angefochtenen noch der in Bezug genommenen Entscheidung abstrakte Rechtssätze, die zum Nachweis einer Abweichung im Grundsätzlichen gegenüberzustellen wären. Vielmehr beschränkt er sich auf die Behauptung, das LSG habe anders entschieden als vom BVerfG seiner Meinung nach vorgegeben. Hierdurch wird aber eine Divergenz nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dargelegt.
3. Auch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet der Kläger nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 202 ff). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung aber nicht.
Der Kläger behauptet eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Für die mündliche Verhandlung seien vom LSG "nicht einmal 25 Minuten eingeplant" gewesen. Dem Senat habe vermutlich die Geduld gefehlt, seinem Vortrag zuzuhören.
Der Kläger benennt bereits keine Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Gehörsverstoß ergeben soll. Er gibt nicht den Inhalt des Protokolls über die mündliche Verhandlung wieder, wonach der Termin um 10:20 Uhr begann, die mündliche Verhandlung um 11:05 Uhr und der Termin um 11:50 Uhr endete.
Auch legt er nicht detailliert dar, welches konkrete Vorbringen vom LSG übergangen worden sein soll und dass sich das vorinstanzliche Gericht auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung mit dem Vorbringen hätte auseinandersetzen müssen (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 697 mwN). Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, es verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13880438 |