Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Vergütung für Ultraschall-Untersuchung. Ablehnung der Untersuchung durch Patientin

 

Orientierungssatz

Aus dem Grundgesetz kann lediglich abgeleitet werden, daß Patientinnen nicht gegen ihren Willen zu Ultraschall-Untersuchungen gezwungen werden dürfen und der Arzt nicht gegen sein ärztliches Gewissen zu deren Durchführung veranlaßt werden darf. Es ist aber nicht zu beanstanden, daß eine Vergütung daran anknüpft, ob solche Untersuchungen durchgeführt wurden.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 2, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; EBM-Ä Nr. 100; SGB V § 87 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.01.2001; Aktenzeichen L 5 KA 409/00)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 15.12.1999; Aktenzeichen S 1 KA 3956/99)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem als Frauenarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger die Vergütung von 1850 Punkten nach Nr 100 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) auch für solche Fälle zusteht, in denen er bei den jeweiligen Patientinnen im Verlauf der Schwangerschaft keine Ultraschall-Untersuchungen durchführte. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) versagte ihm diese sog Betreuungspauschale für sieben solcher Fälle im Quartal II/1998 und für drei im Quartal III/1998.

Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Im Berufungsurteil ist ausgeführt, die in Nr 100 EBM-Ä vorausgesetzte Betreuung der Schwangeren "gemäß den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft" beinhalte unter anderem die Durchführung aller Ultraschall-Untersuchungen, die in den Mutterschafts-RL vorgesehen seien. Nur mit ihnen sei der Leistungsinhalt vollständig erbracht. Soweit die RL die Formulierung "soll" enthielten, bedeute das, daß das Ultraschall-Screening im Regelfall durchzuführen sei. Ein Abweichen komme aus medizinischen Gründen in Betracht, die aber in den betroffenen Behandlungsfällen nicht vorgelegen hätten. Der Kläger habe das Ultraschall-Screening deshalb nicht durchgeführt, weil die Patientinnen dem widersprochen hätten. In den Fällen, in denen die Betreuungspauschale mangels Durchführung des Ultraschall-Screening nicht fällig werde, verbleibe die Möglichkeit, die einzelnen Leistungen nach den entsprechenden kurativen Gebührenpositionen abzurechnen.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger erhobene Rüge, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), ist unbegründet. Dieser Zulassungsgrund ist nicht gegeben.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Revision nur zuzulassen, wenn die von der Beschwerde hinreichend deutlich bezeichnete Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.

Im vorliegenden Fall ist die Voraussetzung der Klärungsbedürftigkeit nicht gegeben. Denn die Grundsätze, nach denen Vergütungstatbestände auszulegen sind, sind - worauf das Berufungsurteil auch Bezug genommen hat - bereits geklärt. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - vgl zB BSG SozR 3-5555 § 10 Nr 1 S 4; SozR 3-5533 Geb-Nr 2449 Nr 1 S 3; MedR 2000, 201, 202 und stRspr) ergibt sich, daß Vergütungstatbestände entsprechend ihrem Wortsinn auszulegen und anzuwenden sind. Dieser ist maßgebend und kann nur in engen Grenzen durch eine systematische und/oder entstehungsgeschichtliche Interpretation ergänzt werden. Ausdehnende Auslegungen und Analogien sind unzulässig (BSG aaO). Die Gewährung der Vergütung setzt voraus, daß die Leistungslegende vollständig erfüllt ist (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-1500 Nr 3 S 6 f; SozR 3-5533 BMÄ-Nr 5411 Nr 1 S 4; SozR 3-5533 BMÄ-Nr 75 Nr 1 S 5).

Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht zugrunde gelegt. Es ist davon ausgegangen, daß für die Gewährung der Vergütung nach Nr 100 EBM-Ä die in dessen Tatbestand genannten Leistungen einschließlich der in den Mutterschafts-RL vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen durchgeführt worden sein müssen. Zu der Bezugnahme auf die Mutterschafts-RL hat es ausgeführt, daß gemäß der Soll-Bestimmung in diesen RL die Ultraschall-Untersuchungen grundsätzlich notwendiger Bestandteil des Leistungstatbestandes der Nr 100 EBM-Ä sind. Selbst wenn eine andere Auslegung denkbar wäre, wofür wenig spricht, führte dies nicht zur Annahme einer Klärungsbedürftigkeit. Aus der richtigen oder falschen Anwendung von Rechtsprechungsgrundsätzen folgt im Regelfall keine grundsätzliche Bedeutung (vgl Beschlüsse vom 13. Dezember 2000 - B 6 KA 30/00 B - und vom 3. April 2001 - B 6 KA 84/00 B -).

Unzutreffend ist die Ansicht des Klägers, eine grundsätzliche Bedeutung sei deshalb gegeben, weil Verfassungsrecht in Rede stehe, die Vergütungsversagung nämlich bedeute, daß er genötigt sei, Ultraschall-Untersuchungen gegen den Willen der Patientinnen durchzuführen und damit sie und das Kind in ihrer körperlichen Unversehrtheit zu verletzen sowie gegen sein ärztliches Gewissen zu handeln (mit Hinweis auf Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 sowie Art 2 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫, ferner auf § 223 Strafgesetzbuch ). Die Rüge einer Verletzung des GG ergibt nicht ohne weiteres das Vorliegen grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , insbesondere dann nicht, wenn wie hier ersichtlich eine Verfassungsverletzung nicht gegeben ist. Aus dem GG kann lediglich abgeleitet werden, daß die Patientinnen nicht gegen ihren Willen zu Ultraschall-Untersuchungen gezwungen werden dürfen und der Arzt nicht gegen sein ärztliches Gewissen zu deren Durchführung veranlaßt werden darf. Es ist aber nicht zu beanstanden, daß die Vergütung daran anknüpft, ob solche Untersuchungen durchgeführt wurden. Der mögliche Nutzen solcher Untersuchungen kann - was ernsthaft nicht in Frage gestellt werden kann - nicht verneint werden. Einen Verfassungsrechtssatz, der besagen würde, daß für den Fall, daß die Untersuchungen auf Wunsch des Patienten nicht durchgeführt werden, dieselbe Vergütung zu gewähren ist wie bei deren Durchführung, gibt es ersichtlich nicht, wovon der Senat auch schon bisher - wie dargelegt - in ständiger Rechtsprechung ausgeht. Dementsprechend ist die Folge, daß der Arzt, der aus Respekt vor bestimmten Wünschen der Patientinnen die Leistungen nach Nr 100 EBM-Ä nicht vollständig erbracht hat, statt dieser Betreuungspauschale nur die Summe der Vergütungen für die einzelnen erbrachten Einzelleistungen erhält, rechtlich hinzunehmen.

Die vom Kläger angesprochene Frage, ob dem Arzt die Vergütung nach Nr 100 EBM-Ä auch dann versagt wird, wenn Ultraschall-Untersuchungen speziell wegen medizinischer Bedenken unterblieben sind (so sinngemäß Beschwerdebegründung S 1 unten), ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Denn im Berufungsurteil ist festgestellt, daß medizinische Gründe nicht vorlagen (Urteil S 8). An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat gebunden, weil der Kläger keine durchgreifenden Revisionsrügen gegen sie vorgebracht hat ( § 163 SGG ).

Nach alledem ist die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1175732

RegNr, 25361 (BSG-Intern)

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