Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeldanspruch. Adoptionswille. Analogie. Bewilligungszeitraum. maßgeblicher Zeitpunkt. Inobhutnahme. Adoptionspflegschaft. Pflegegeldbezug. kein Ausschluss
Leitsatz (amtlich)
1. Für ein mit dem Ziel der Adoption in Obhut genommenes Kind ist nicht der Zeitpunkt seiner Geburt, sondern der Zeitpunkt der Inobhutnahme maßgeblich für die Beantragung und Gewährung von Erziehungsgeld.
2. Der Anspruch auf Erziehungsgeld ist in diesem Falle nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Jugendamt für die Vollzeitpflege Leistungen zum Unterhalt des Kindes (§§ 33 und 39 SGB 8) gewährt.
Normenkette
BErzGG § 1 Abs. 1 Nrn. 2-3, Abs. 3 Nr. 1, § 4 Abs. 1, 2 Fassung: 1993-06-23, §§ 8-9; BGB §§ 1744, 1752 Abs. 1, § 1747 Abs. 2 Fassung: 1976-07-02; SGB VIII §§ 3, 27 Abs. 1, §§ 33, 39, 44 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, § 91 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b; AdVermiG 1976 § 8 Fassung: 1989-11-27
Beteiligte
Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1998 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld (ErzG) für ihr am 16. März 1994 geborenes Pflegekind A..
Die Klägerin und ihr Ehemann bewarben sich im Februar 1993 beim Kreisjugendamt W. um die Aufnahme eines Kindes mit dem Ziel der Adoption und durchliefen das sich anschließende Vorbereitungsverfahren erfolgreich. Mit Zustimmung der leiblichen, sorgeberechtigten Mutter vom 26. Oktober 1994 erhielten sie am 15. November 1994 die Inkognito-Dauerpflegschaft für A.. Später zog A. Mutter ihr Einverständnis zurück. Ihr wurde durch Beschluß des Amtsgerichts W. vom 14. Dezember 1995 gemäß § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) das Sorgerecht entzogen und für A. trat die gesetzliche Amtsvormundschaft beim Stadtjugendamt G. ein.
Am 22. Dezember 1994 beantragte die Klägerin bei der Erziehungsgeldkasse des Versorgungsamtes Münster ErzG für die Betreuung von A.. Mit Bescheid vom 16. Januar 1995 lehnte die Versorgungsverwaltung den Antrag mit der Begründung ab, den Pflegeeltern stehe das Personensorgerecht für A. nicht zu und auch ein Adoptionsverfahren sei bisher nicht eingeleitet worden. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. September 1995).
Das Sozialgericht Münster (SG) hat mit Urteil vom 15. August 1997 der Klage stattgegeben und das beklagte Land (den Beklagten) verurteilt, der Klägerin ErzG für das Pflegekind A. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab 15. November 1994 zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf ErzG gemäß § 1 Abs 1 Nr 2 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG), weil ihr nicht die Personensorge für A. zugestanden habe. Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG lägen nicht vor, denn die Klägerin und ihr Ehemann hätten A. nicht mit dem Ziel der Annahme als Kind in ihre Obhut aufgenommen. Die Familienpflegschaft mache die Pflegeeltern nicht zu Annehmenden. Dies geschehe erst mit der Einleitung des Adoptionsverfahrens und daran fehle es hier. Zwar sei dafür kein förmlicher Adoptionsantrag nötig, die Adoptionsbewerbung der Klägerin und ihres Ehemannes aus dem Jahre 1993 genüge jedoch nicht den Anforderungen, die an die Dokumentation ihres Wunsches zu stellen seien, das Kind A. mit dem Ziel der Annahme als Kind in Obhut zu nehmen. Das frühere Vermittlungsverfahren habe sich noch nicht auf die erst später geborene A. bezogen, außerdem hätten die Pflegeeltern bewußt kein Adoptionsverfahren betrieben, denn die Aufrechterhaltung des Status quo habe ihren Interessen vor allem deswegen gedient, um den Prozeß der sogenannten faktischen oder psychologischen Elternschaft zu verfestigen und auf diese Weise eine unumkehrbare Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern zu erreichen. Außerdem hätte ein förmlicher Adoptionsantrag letztlich dazu geführt, daß die Klägerin und ihr Ehemann als „Annehmende” für A. vor deren Verwandten unterhaltspflichtig geworden wären und den Anspruch auf Pflegegeld verloren hätten.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin vor allem, das LSG habe die Anforderungen verkannt, die an die Dokumentation ihres Wunsches zu stellen seien, A. mit dem Ziel der Annahme als Kind in Obhut zu nehmen. Auf ihre ursprüngliche Adoptionsbewerbung im Jahre 1993 könne nicht abgestellt werden. Der Adoptionswunsch könne auch erst später entstehen. Die ursprüngliche Adoptionsbewerbung müsse sich nicht bereits auf das tatsächlich in Pflege genommene Kind, also hier A., bezogen haben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1998 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15. August 1997 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil insbesondere deshalb für zutreffend, weil die Klägerin und ihr Ehemann bisher noch keine konkreten Schritte zur Durchführung der Adoption von A. eingeleitet hätten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) begründet. Das LSG hat bisher nicht alle für die Entscheidung erheblichen tatsächlichen Feststellungen getroffen.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ob die Klägerin aufgrund der von ihr erhobenen verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) dem Grunde nach ab 15. November 1994 für ein Jahr ErzG zu beanspruchen hat. Der streitige Zeitraum ergibt sich aus § 4 Abs 1 und 2 BErzGG iVm mit dem im Dezember 1994 bei dem Beklagten gestellten Formularantrag. Die Klägerin hat allerdings weder das Kästchen Erziehungsgeld „für das erste Lebensjahr bzw erste Jahr der Inobhutnahme” noch das weitere Kästchen „für das zweite Lebensjahr bzw zweite Jahr der Inobhutnahme” angekreuzt. Wohl aber hat sie an anderer Stelle angekreuzt, Erziehungsgeld „für die Höchstdauer (13. – 24. Lebensmonat)” zu beantragen, obwohl der Formularantrag an dieser Stelle den deutlichen Hinweis enthält, daß der Antrag frühestens im 9. Lebensmonat des Kindes bzw im 9. Anspruchsmonat nach der Inobhutnahme gestellt werden kann. Die Bedeutung dieses Hinweises für ihren Fall hat die Klägerin offensichtlich nicht erkannt, so daß der Antrag unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Klägerin (§ 133 BGB), den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften des BErzGG und nach den besonderen Umständen dieses Falles auszulegen ist. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß ein Antragsteller die ihm zustehende Leistung geltend machten will (vgl BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5).
Nach § 4 Abs 1 des BErzGG wird ErzG für Kinder, die nach dem 31. Dezember 1992 geboren sind, vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 24. Lebensmonats gewährt. Für angenommene und Kinder iS des § 1 Abs 3 Nr 1 wird ErzG von der Inobhutnahme für die jeweils geltende Bezugsdauer, längstens bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres gewährt, wenn das Kind nach dem 31. Dezember 1991 geboren ist. Nach § 4 Abs 2 idF des Art 4 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogrammes – FKPG – vom 23. Juni 1993 (BGBl I, 944) ist ErzG schriftlich für jeweils ein Lebensjahr zu beantragen. Der Antrag für das zweite Lebensjahr kann frühestens ab dem 9. Lebensmonat des Kindes gestellt werden. Diese Neufassung des Gesetzes hat der Gesetzgeber wegen der Umstellung auf das aktuelle Einkommen in §§ 5 und 6 BErzGG für erforderlich erachtet. Statt einer einmaligen Bewilligung für zwei Jahre bedarf es seither regelmäßig eines zweiten Antrages für das ErzG im zweiten Lebensjahr des Kindes (vgl BT-Drucks 12/4401 S 74 zu Art 5 Nr 2). Nach § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG wird ErzG rückwirkend höchstens für sechs Monate vor der Antragstellung bewilligt.
Im Gesetz ist für die Fälle der Inobhutnahme oder Annahme eines Kindes nicht ausdrücklich geregelt, ab welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum das mit dem Erstantrag begehrte ErzG zu leisten ist. Insoweit liegt eine planwidrige ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke vor. Das Gebot der Gleichbehandlung aller Bezieher von ErzG bei insoweit gleicher Sach- und Interessenlage verlangt, die Lücke systemgerecht so zu schließen, daß der grundsätzlich bestehende Anspruch auf Gewährung von ErzG bis zu 24 Monaten für alle Bezieher nach gleichartigen Voraussetzungen gewährleistet ist. Das bedeutet, daß an den Zeitpunkt der Inobhutnahme anstatt an den Zeitpunkt der Geburt des Kindes anzuknüpfen und die in § 4 Abs 2 Sätze 1 und 2 getroffene Regelung für Fälle der Inobhutnahme eines Kindes – entsprechend der Verwaltungspraxis des Beklagten – auf das Jahr ab Inobhutnahme bzw sich das daran anschließende Jahr zu projizieren ist. Mit dem Erstantrag wird danach regelmäßig für ein Jahr, beginnend ab dem Zeitpunkt der Inobhutnahme, ErzG beantragt. Streitig ist im vorliegenden Fall danach unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ErzG nach § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG auch rückwirkend bewilligt werden kann, der Zeitraum vom 15. November 1994 bis 14. November 1995. Ob im fortgesetzten Bemühen der Kläger um ErzG auch ein Antrag auf Gewährung von ErzG für das 2. Jahr der Inobhutnahme von A. zu erblicken ist oder der Beklagte die Klägerin (vorsorglich) auf die Stellung eines weiteren Antrags hätte hinweisen müssen, bedarf danach hier keiner Entscheidung. Solange die Verwaltung nicht über den Anspruch auf ErzG für die Zeit vom 15. November 1995 bis 14. November 1996 entschieden hat, kann der Leistungsanspruch für diesen Zeitraum auch nicht Gegenstand des Rechtsstreits sein. Er wird es über § 96 SGG frühestens mit Erlaß eines diesen Zeitraum betreffenden Bescheides des Beklagten.
2. Mit Recht hat das LSG erkannt, daß die Klägerin nicht nach § 1 Abs 1 Nr 2 iVm § 4 BErzGG Anspruch auf die begehrte Leistung hat, weil ihr entgegen den Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG das Sorgerecht (§§ 1626 Abs 1 Satz 2, 1630 Abs 3 BGB) für A. fehlte und die tatsächliche, dauerhaft ausgeübte Sorge insoweit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (vgl BSGE 71, 128 ff = SozR 3-7833 § 1 Nr 9 sowie BVerfG vom 22. Dezember 1993 – 1 BvR 54/93 in SozSich 1994, 235, 236) nicht ausreicht.
3. Die Klägerin kann jedoch nach § 1 Abs 3 Nr 1 iVm § 4 Abs 1 und 2 BErzGG Anspruch auf das begehrte ErzG haben, sofern die materiell-rechtlichen Voraussetzungen in jedem der 12 Monate vorliegen und nicht der Bezug von Pflegegeld den gleichzeitigen von ErzG ausschließt. Ob das hier der Fall ist, läßt sich aufgrund der Feststellungen des LSG nicht entscheiden.
a) Nach § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG steht einem Kind, für das dem Antragsteller die Personensorge zusteht und mit dem er in einem Haushalt lebt (§ 3 Abs 1 Nr 2 BErzGG), ein Kind gleich, das mit dem Ziel der Annahme als Kind in die Obhut des Annehmenden aufgenommen ist.
Diese Voraussetzungen waren jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Klägerin und offenbar auch für eine gewisse Zeit danach erfüllt. Die Klägerin und ihr Ehemann haben A. ab dem 15. November 1994 in ihre Obhut genommen. Obhut ist der Zustand, der der elterlichen Sorge, wäre sie zugeteilt, entspricht (BVerfG, aaO, S 236). Nach den Feststellungen des LSG ist dieser Tatbestand hier gegeben, denn die ab 15. November 1994 bestehende Familienpflege umfaßte die Obhut für A..
A. könnte entgegen der Auffassung des LSG auch mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen worden sein. Allerdings ist ein Kind nicht schon dann mit dem Ziel der Annahme als Kind aufgenommen, wenn die Pflegeeltern vor oder nach der Aufnahme den Entschluß zur Adoption fassen. Nach der Rechtsprechung des BSG genügt für die Inanspruchnahme von ErzG der Status von Pflegeeltern nicht, auch nicht iVm deren inneren Willen oder der unverbindlichen Bereitschaft, ein bestimmtes Kind anzunehmen. Der Annahmewille muß auch bekundet werden. Bei Pflegeeltern geschieht dies regelmäßig durch die Einleitung eines Adoptionsverfahrens bzw der Adoptionsvermittlung. Eines Adoptionsantrages bedarf es nicht. Es genügt die Adoptionsbewerbung (vgl im einzelnen BSGE 71, 128, 131 ff = SozR 3-7833 § 1 Nr 9 und ergänzend BSG, Urteil vom 28. Februar 1996 – 14 REg 3/95 – unveröffentlicht sowie BVerfG aaO). Der Auffassung des LSG ist zuzustimmen, daß die Klägerin nicht bereits deshalb als Annehmende iS des § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG bezeichnet werden kann, weil sie 1993 eine Adoptionsbewerbung eingeleitet hatte. Denn diese Bewerbung war noch nicht darauf gerichtet, ein ganz bestimmtes Kind zu adoptieren. Der Wille der Klägerin und ihres Ehemannes, ein Kind zu adoptieren, könnte sich aber vor oder während der Pflege von A. auf die Adoption dieses Kindes konkretisiert haben. Dazu fehlen entsprechende Feststellungen im angefochtenen Urteil. Sie kann das Revisionsgericht nicht selbst nachholen. Das LSG wird insoweit im erneuten Berufungsverfahren insbesondere zu prüfen haben, ob sich für eine Konkretisierung des Adoptionswillens ausreichende Anhaltspunkte ergeben, etwa aus dem schriftlichen Antrag auf ErzG oder daraus, daß die Klägerin Erziehungsurlaub (vgl § 15 BErzGG) genommen hat.
b) Weiter wird das LSG berücksichtigen müssen, daß die Dauerpflegschaft und der damit verbundene Bezug von Unterhaltsleistungen des Jugendamtes (vgl § 3 Abs 2 Sozialgesetzbuch Achtes Buch ≪SGB VIII≫) für das zu erziehende Kind der Gewährung von ErzG nicht entgegensteht. Denn beide Leistungen dienen unterschiedlichen Zwecken.
Im Rahmen der Hilfe zur Erziehung setzt Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) nach § 27 Abs 1 SGB VIII voraus, daß eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall (§ 27 Abs 2 Satz 2 SGB VIII). Der Anspruch auf Leistungen zum Unterhalt eines Kindes stellt einen Annexanspruch (vgl die Begründung zum Regierungsentwurf eines KJHG, BT-Drucks 11/5948 S 75 zu § 38 Abs 1) zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung dar. Er steht dem Personensorgeberechtigten, nicht aber dem Kind als dem auf Unterhalt Angewiesenen und auch nicht den Pflegepersonen zu (BVerwG, NJW 1997, 2831). Das Jugendamt erfüllt seine Leistungsverpflichtung in den Fällen des § 33 SGB VIII ua dadurch, daß es eine private Vollzeitpflegestelle vermittelt und den Unterhaltsbedarf durch laufende Leistungen nach § 39 SGB VIII deckt. Die Zahlung erfolgt an die Pflegeeltern.
Während also die Leistungen des Jugendamtes nach §§ 33 und 39 SGB VIII das Ziel haben, den Unterhalt des Kindes sicherzustellen, soll das ErzG die durch die Einschränkung der Erwerbsmöglichkeit in der ersten Lebensphase eines Kindes eintretenden wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen und den Eltern die Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase durch materielle Hilfen ermöglichen, wenigstens aber erleichtern (vgl BSGE 71, 128, 131 = SozR 3-7833 § 1 Nr 9; BSG SozR 3-2200 § 383 Nr 1; BSG SozR 3-2200 § 1267 Nr 5).
Im übrigen ist das ErzG eine Förderungsleistung, die weitgehend unabhängig von sonstigen Sozialleistungen gewährt wird (vgl insbesondere BSG SozR 3-7833 § 8 Nr 2). So bleiben beispielsweise nach § 9 des Gesetzes Unterhaltsverpflichtungen unberührt, wenn der Unterhaltsberechtigte ErzG erhält (vgl Buchner/Becker, BErzGG, Komm, 6. Aufl 1998, § 9 RdNr 1). Für sozialrechtliche Unterhaltsansprüche nach § 8 BErzGG wird bereits in der Begründung des Gesetzentwurfes ausdrücklich betont, daß ErzG eine zusätzliche Leistung sein soll (vgl BT-Drucks 10/3792 S 18 zu § 8).
Die gekennzeichnete Funktion des ErzG kommt allerdings nur zum Tragen, wenn die Pflegeperson nicht nur ein Pflegekind betreut, sondern auch Annehmende iS des § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG ist und das durchgeführte Pflegschaftsverhältnis sich materiellrechtlich zugleich als Adoptionspflege iS des § 1744 BGB erweist. Denn nur dann können Pflegeeltern leiblichen Eltern hinsichtlich des Bezugs von ErzG gleichgestellt werden. Die Klägerin und ihr Ehemann haben das Vorbereitungsverfahren für eine Adoption erfolgreich durchlaufen. Damit könnte bereits im hier strittigen Zeitraum ihre Eignung für die Annahme eines Kindes iS des § 8 des Adoptionsvermittlungsgesetzes idF vom 27. November 1989 (BGBl I, 2017) festgestanden haben. Für das Vorliegen einer Adoptionspflegschaft iS des § 1744 BGB könnte das Fehlen einer Pflegeerlaubnis sprechen (vgl § 44 Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB VIII), vor allem aber, daß vor einer Adoption grundsätzlich eine Adoptionspflege als eine Zeit der Vorbereitung und Prüfung für eine spätere Adoption vorgesehen ist (vgl § 1752 Abs 1 BGB). Sie soll die nach § 1741 Abs 1 BGB erforderliche Prognose zum Kindeswohl und zum Entstehen einer wirklichen Eltern-Kind-Beziehung erleichtern (vgl BT-Drucks 7/5087 Ausschußbericht zum Entwurf des Gesetzes über die Annahme als Kind, II 2, S 5). Im übrigen geht der Gesetzgeber davon aus, daß nach der Adoptionspflegschaft in der Regel auch die Annahme des Kindes erfolgt. Deshalb sollen zukünftige Adoptiveltern nicht aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten für ErzG ausgeschlossen sein (vgl Begr des RegE, BT-Drucks 10/3792 S 15 zu § 1 Abs 3 und zur Adoptionspflege Palandt/Diederichsen, BGB-Komm, 59. Aufl 2000, § 1744 RdNrn 1 und 2).
c) Nach der hier maßgeblichen Rechtslage für den Anspruch auf ErzG wird das LSG allerdings auch zu prüfen haben, ob die leibliche Mutter von A., solange ihr das Sorgerecht zustand (vgl § 1747 Abs 2 Sätze 2 bis 5 BGB in der damals geltenden Fassung) in die Pflege mit dem Ziel der Adoption (vgl BT-Drucks 11/1161 S 15) eingewilligt hatte (vgl zum Ganzen Lüderitz in Münchener Komm zum BGB Bd 8, Familienrecht II, 3. Aufl 1992, vor § 1741 RdNrn 22 bis 25; § 1747 RdNrn 4, 5) und ob diese Einwilligung für den gesamten streitigen Zeitraum vorlag (vgl zur damaligen Rechtslage weiter Art 10 Nr 1 des 8. AFGÄndG vom 14. Dezember 1987, BGBl I, 2602, 2610 mit dem in § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG folgender Passus gestrichen worden ist: „und für das die zur Annahme erforderliche Einwilligung der Eltern erteilt ist”). Zwar hat das SG das Vorliegen dieser Voraussetzungen ausdrücklich bejaht, weil dies aus der schriftlichen Einverständniserklärung der Mutter vom 26. Oktober 1994 hervorgehe. Das LSG hat dazu jedoch – nach seiner Rechtsauffassung konsequent – keine näheren Feststellungen getroffen. Im Zuge der weiteren Sachverhaltsaufklärung wird das LSG prüfen müssen, ob die leibliche Mutter ihre Einwilligung in die Pflegschaft mit dem Ziel der Adoption erteilt hat, diese möglicherweise später wirksam zurückgenommen und damit ein rechtserhebliches Hindernis für die Durchführung der Adoption von A. mit der Folge geschaffen hat, daß der Adoptionswille der Klägerin unbeachtlich geworden sein könnte. Sollte A. allerdings zwischenzeitlich von der Klägerin und ihrem Ehemann adoptiert worden sein, könnte dieser Umstand dafür sprechen, daß von einem durchgehenden Annahmewillen der Klägerin ausgegangen werden muß, weil der Adoption jedenfalls keine dauernden und unüberwindbaren Hindernisse entgegengestanden haben.
Schließlich wird das LSG zu beachten haben, daß auch die Verfestigung der sog faktischen Elternschaft durch eine längerdauernde Pflege mit weiterbestehendem Willen zur Adoption die Stellung eines Annehmenden nicht beeinträchtigt (vgl auch insoweit Lüderitz, aaO, § 1741 RdNrn 21, 25).
Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 743282 |
FEVS 2001, 247 |
SozR 3-7833 § 1, Nr. 23 |
AuS 2000, 70 |