Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Sozialdienstleisters auf Zuschuss nach dem SodEG. Zuschusshöhe. Prognose für zukünftige Zeiträume. Spitzabrechnung für zurückliegende Zeiträume. Abzug vorrangiger Mittel vom Monatsdurchschnitt. sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg zu den Sozialgerichten. keine Gerichtskostenfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Höhe von Zuschüssen nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz ist für zukünftige Zeiträume durch eine Prognoseentscheidung zu ermitteln.
2. Zuschüsse für einen zurückliegenden Zeitraum werden im Weg der Spitzabrechnung unter Berücksichtigung bereits zugeflossener Mittel bewilligt.
3. Zufließende vorrangige Mittel sind von dem der Berechnung zugrunde zu legenden Monatsdurchschnitt, nicht vom Höchstbetrag des Zuschusses abzusetzen.
Orientierungssatz
1. Bei einem Streit über die Zuschussgewährung ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet (vgl § 7 Abs 2 SodEG).
2. Die Zuschüsse nach dem SodEG stellen keine Sozialleistungen dar, die den Empfänger zu einem Leistungsempfänger im Sinne des § 183 S 1 SGG werden lassen.
Normenkette
SodEG § 3 Sätze 1, 2 Hs. 1, Sätze 5, 7, § 1 Sätze 1-2, § 2 Sätze 1-3, § 4 Sätze 1-2, 4, 6, § 5 S. 1, § 7 Abs. 2; SodEGAG HE § 1; BGB § 242; SGB I § 39; SGB IX § 94 Abs. 1, §§ 123, § 123 ff.; SGG § 51 Abs. 1 Nr. 10, § 183 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2022 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. April 2021 aufgehoben sowie der Bescheid des Beklagten vom 12. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2021 geändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin für die Monate Juni und Juli 2020 weitere Leistungen nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz in Höhe von 9539,29 Euro zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 9539,29 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit ist die Höhe von Zuschüssen nach dem Gesetz über den Einsatz der Einrichtungen und sozialen Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise in Verbindung mit einem Sicherstellungsauftrag (Sozialdienstleister-Einsatzgesetz ≪SodEG≫) für die Monate Juni und Juli 2020.
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, erbrachte ua im Jahr 2020 auf Grundlage einer mit dem beklagten hessischen Landkreis geschlossenen Leistungs-, Qualitäts- und Prüfungsvereinbarung vom 9.6.2016 sowie einer Vergütungsvereinbarung vom 15.11.2019 in dessen Zuständigkeitsbereich Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX) ua in Form von Teilhabeassistenz für Kinder und Jugendliche mit geistiger oder somatischer Behinderung oder Mehrfachbehinderung in Schulen (Schulbegleitung). Der Beklagte zahlte der Klägerin in der Zeit von März 2019 bis Februar 2020 für die Erbringung dieser Leistungen einen Betrag von 326 282,46 Euro sowie im Juni und im Juli 2020 eine Leistungsvergütung für erbrachte Leistungen iHv 15 984,65 Euro (Juni) bzw iHv 2741,74 Euro (Juli).
Ab dem 16.3.2020 wurde infolge der COVID-19-Pandemie der reguläre Präsenzunterricht in Hessischen Schulen eingestellt (§ 3 der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 13.3.2020, Hessisches GVBl 153). Die Klägerin stellte am 26.8.2020 bei dem Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem SodEG ab Juni 2020 bis voraussichtlich Ende September 2020. Dem Antrag beigefügt war eine Erklärung, mit der die Klägerin die Einsatzmöglichkeiten ihres Personals sowie ihrer Gebäude und Sachmittel einschließlich der rechtlichen Rahmenmöglichkeiten und der tatsächlichen Einsatzfähigkeit und -bereitschaft darstellte und die Richtigkeit der Angaben versicherte.
Der Beklagte bewilligte für Juni und Juli 2020 einen monatlichen Zuschuss nach dem SodEG vorbehaltlich der Feststellung nachträglicher Erstattungsansprüche (Bescheid vom 12.11.2020; Widerspruchsbescheid vom 20.1.2021). Bei der Berechnung legte er 75 Prozent des monatlichen Durchschnitts der im Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 erhaltenen Gesamtzahlungen zugrunde (im Bescheid berechnet mit 20 392,65 Euro) und zog von diesem Betrag die bereits geleisteten Zahlungen ab. Daraus ergab sich für den Monat Juni 2020 ein Zuschuss iHv 4408 Euro (20 392,65 Euro - 15 984,65 Euro) und für Juli 2020 ein Zuschuss iHv 17 650,91 Euro (20 392,65 Euro - 2741,74 Euro).
Die Klage, gerichtet auf die Bewilligung von Zuschüssen iHv insgesamt 11 205,55 Euro für den Monat Juni 2020 und iHv insgesamt 20 392,65 Euro für den Monat Juli 2020, hilfsweise auf Neubescheidung des Antrags, hat keinen Erfolg gehabt (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Darmstadt vom 28.4.2021; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 16.3.2022). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Beklagte habe zu Recht die tatsächlich erhaltenen Zahlungen nicht vom monatlichen Durchschnitt der Zahlungen im vorangegangenen Jahreszeitraum, sondern vom Zuschuss selbst abgezogen. Das SodEG ermögliche lediglich eine Teilabsicherung und sei im Übrigen subsidiär. Im Rahmen der Ermessensausübung habe der Beklagte bei der Zuschusshöhe diejenigen Mittel zu berücksichtigen, die im Wege der Erstattung nach § 4 SodEG zurückgezahlt werden müssten. Für einen Abzug vorrangiger Mittel vom Monatsdurchschnitt fänden sich weder im Gesetz selbst noch in den Gesetzgebungsmaterialien Anhaltspunkte.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 3 Satz 5 und § 4 SodEG. Die Berücksichtigung der zugeflossenen Mittel bei der Berechnung der Zuschüsse sei unzulässig, weil diese nach dem Wortlaut des § 4 SodEG erst nachträglich im Zuge des Erstattungsverfahrens erfolgen dürfe. Jedenfalls entspräche es der gesetzgeberischen Zielsetzung, dass zugeflossene Mittel nur dann zum Abzug gebracht werden könnten, wenn sie 25 Prozent des Monatsdurchschnitts nach § 3 Satz 2 SodEG überstiegen. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Existenzsicherung der sozialen Dienstleister sei ohnehin mit einem regelhaft auf 75 Prozent des Monatsdurchschnitts begrenzten Zuschuss nicht gewährleistet. Im Fall der Klägerin seien weitere strukturelle Einsparungen nicht möglich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2022 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. April 2021 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 12. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2021 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für Juni und Juli 2020 weitere Leistungen nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz in Höhe von 9539,29 Euro zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2022 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. April 2021 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2021 zu verurteilen, über den Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz für die Monate Juni und Juli 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Klägerin hat Anspruch auf weitere Zuschüsse für Juni 2020 iHv 6797,55 Euro und Juli 2020 iHv 2741,74 Euro.
Der Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan (GVP) des Bundessozialgerichts (BSG) für die Entscheidung über die vorliegende Streitigkeit zuständig. Die im GVP insoweit - unabhängig von der Bindungswirkung nach § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) - vorausgesetzte Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit folgt daraus, dass die Zuschussgewährung auf einem Rechtsverhältnis zum sozialen Dienstleister nach Teil 2 Kap 8 des SGB IX beruht, für das der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist (§ 7 Abs 2 SodEG idF des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie weiterer Gesetze vom 9.12.2020, BGBl I 2855 iVm § 51 Abs 1 Nr 10 und § 51 Abs 1 Nr 6a SGG). Nach dem GVP folgt die Zuständigkeit des erkennenden Senats aus seiner Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX (Teil A Abschn II Nr 1 Buchst a GVP).
Gegenstand der Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 12.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2021 (§ 95 SGG). Gegen diesen Bescheid wendet sich die Klägerin mit dem Ziel, neben der Änderung des Verwaltungsakts zugleich eine bezifferte höhere Leistung zu erhalten, auf die nach ihrem Vortrag der Höhe nach ein entsprechender Rechtsanspruch besteht. Dieses Ziel erreicht sie zulässigerweise im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG), als die ihr Vorbringen von Beginn an auszulegen ist. Lediglich mit ihrem Hilfsantrag will sie eine Neubescheidung durch den Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts für den Fall erreichen, dass die Höhe des Zuschusses nach dem SodEG - entgegen ihrer Auffassung - im Ermessen des Beklagten steht; dieses Ziel verfolgt sie im Wege der zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG).
Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Zuschüsse ist § 3 Satz 1 SodEG (idF des Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ≪Sozialschutz-Paket II≫ vom 20.5.2020, BGBl I 1055). Danach zahlen die Leistungsträger nach § 12 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) zur Erfüllung ihres besonderen Sicherstellungsauftrags nach dem SodEG monatliche Zuschüsse an die einzelnen sozialen Dienstleister für den Zeitraum, in dem die sozialen Dienstleister durch Maßnahmen nach § 2 Satz 2 SodEG beeinträchtigt sind, und gewährleisten so den Bestand der sozialen Dienstleister ua im Aufgabenbereich des Sozialgesetzbuchs (§ 2 Satz 1 SodEG). Voraussetzung für die Gewährung von Zuschüssen nach dem SodEG ist, dass der soziale Dienstleister mit der Antragstellung erklärt, alle ihm nach den Umständen zumutbaren und rechtlich zulässigen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel in Bereichen zur Verfügung zu stellen, die für die Bewältigung von Auswirkungen der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise geeignet sind (§ 1 Satz 1 SodEG). Maßnahmen, die Ansprüche auf einen Zuschuss auslösen, sind hoheitliche Entscheidungen, die im örtlichen Tätigkeitsbereich des sozialen Dienstleisters unmittelbar oder mittelbar seinen Betrieb, die Ausübung, die Nutzung oder die Erreichbarkeit von seinen Angeboten beeinträchtigen (vgl § 2 Satz 3 SodEG).
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen an die Klägerin für Juni und Juli 2020 liegen vor. Der Beklagte ist gemäß § 5 Satz 1 SodEG iVm § 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum Sozialdienstleister-Einsatzgesetz vom 6.5.2020 (GVBl, 329) in seinem sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsbereich der für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SodEG zuständige Leistungserbringer. Er erbringt als Träger der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX iVm § 1 Abs 1, § 2 Abs 1 Hessisches Ausführungsgesetz zum Neunten Buch Sozialgesetzbuch ≪HAG/SGB IX≫ vom 13.9.2018 (GVBl, 590) Sozialleistungen nach §§ 11 und 28a SGB I.
Die Klägerin, eine juristische Person, ist als sozialer Dienstleister iS des § 2 Satz 2 iVm § 2 Satz 1 SodEG leistungsberechtigt. Sie stand zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der hier in Rede stehenden hoheitlichen Maßnahme, der Einstellung des regulären Schulbetriebs in Hessen ab dem 16.3.2020, mit dem Beklagten in einem Rechtsverhältnis und hat auf Grundlage der insoweit geschlossenen Vereinbarungen ua Leistungen der Schulbegleitung nach Teil 2 des SGB IX erbracht. Sie hat innerhalb der Geltungsdauer des Gesetzes den nach § 1 Satz 1 SodEG erforderlichen Antrag gestellt und mit diesem eine Erklärung nach § 1 Satz 1 und 2 SodEG abgegeben, in welcher Form ihr Personal sowie ihre Gebäude und Sachmittel eingesetzt werden könnten. Sie hat nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) mit der Erklärung die ihr nach Art und Umfang zumutbaren und rechtlich zulässigen Unterstützungsmöglichkeiten bezogen auf den Einzelfall hinreichend glaubhaft gemacht (vgl dazu BT-Drucks 19/18107 S 36; Schlegel in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl 2022, § 16 RdNr 24), indem sie die entsprechenden rechtlichen Rahmenmöglichkeiten und die tatsächliche Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft dargelegt und die Richtigkeit der Angaben versichert hat.
Die Klägerin ist auf Grundlage der bindenden Feststellungen des LSG auch pandemiebedingt beeinträchtigt gewesen, ihre Leistungen im bisherigen Umfang zu erbringen, sodass der Beklagte zur Gewährleistung des Bestandes grundsätzlich verpflichtet war (§ 2 Satz 1 SodEG). Den Feststellungen ist hinreichend zu entnehmen, dass aufgrund des in der Zweiten hessischen Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus allgemein angeordneten Fernbleibens der Schülerinnen und Schüler vom Unterricht der reguläre Schulbetrieb nur noch in eingeschränktem Umfang stattgefunden hat und die von der Klägerin angebotenen Leistungen entsprechend nur noch eingeschränkt erbracht werden konnten. Insoweit liegt eine zumindest mittelbare Beeinträchtigung durch eine hoheitliche Entscheidung vor, die bereits anzunehmen ist, wenn die Zusammenarbeit zwischen Leistungsträger und sozialen Dienstleistern gestört ist (vgl BT-Drucks 19/18107 S 36 f; Schlegel in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl 2022, § 16 RdNr 53; Hoenig, TuP 2020, 211, 212; Tabbara, NZS 2020, 837, 838).
Zutreffend macht die Klägerin geltend, dass ihr für Juni und Juli 2020 höhere als die von dem Beklagten bewilligten Zuschüsse zustehen. Zwar hat der Beklagte zu Recht die tatsächlich im Juni und Juli zugeflossenen Vergütungen bereits im Zeitpunkt der Bewilligung berücksichtigt. Diese Zahlungen sind jedoch vom Monatsdurchschnitt der aus den im Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 an die Klägerin geleisteten Zahlungen abzusetzen, nicht dagegen vom Höchstbetrag der Zuschüsse (75 Prozent des Monatsdurchschnitts).
§ 3 SodEG regelt auch die Höhe des Zuschusses: Der monatliche Zuschuss beträgt höchstens 75 Prozent des Monatsdurchschnitts, der im Regelfall - wie auch hier - aus den im Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 geleisteten Zahlungen in den von § 2 SodEG erfassten Rechtsverhältnissen gebildet wird (§ 3 Satz 2 Halbsatz 1, Satz 5 SodEG). Der Beklagte hat bei der Berechnung zu Recht nur die bereits zugeflossenen Mittel im Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 zugrunde gelegt (326 282,46 Euro), was die Klägerin auch nicht beanstandet. Wie der Monatsdurchschnitt zu berechnen ist, wenn in den Zahlungen durchlaufende Posten enthalten sind (dazu Schlegel in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl 2022, § 16 RdNr 44 f; Gutachten des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 3.11.2020, NDV 2021, 54, 56), braucht nicht entschieden zu werden. Anhaltspunkte für einen solchen Sachverhalt sind auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht ersichtlich. Eine gegenüber § 3 Satz 5 SodEG nach oben abweichende Höchstgrenze für den Zuschuss durch den Landesgesetzgeber (vgl § 5 Satz 1 SodEG) ist in Hessen nicht erfolgt. Auf den Rundungsfehler im Centbereich bei der abschließenden Bestimmung der Höchstgrenze von 75 Prozent kommt es ausgehend vom bezifferten Antrag der Klägerin nicht an, weil sie schon aus anderen Gründen Anspruch auf die geltend gemachte weitere Zahlung hat.
Weitere ausdrückliche Vorgaben für die Bestimmung der Zuschusshöhe macht § 3 SodEG nicht. Lediglich daraus, dass § 3 Satz 5 SodEG von einem Höchstbetrag ausgeht, ist zu schließen, dass eine niedrigere Festsetzung in Betracht kommt. Dies entspricht dem Gesetzeszweck, wonach gesetzlich sichergestellt werden soll, dass der Bestand der sozialen Dienste und Einrichtungen sowohl in dem Zeitraum, in dem entsprechende Kapazitäten zur Hilfeleistung während der Pandemie benötigt werden, als auch künftig nach deren Ende ungefährdet bleibt. Dieser besondere Sicherstellungsauftrag gilt jedoch nur, soweit die sozialen Dienste und Einrichtungen nicht mit vorrangigen verfügbaren Mitteln ihren Bestand absichern können (BT-Drucks 19/18107 S 35 f).
Die Höhe der danach auszuzahlenden Zuschüsse liegt - anders als die Vorinstanzen meinen - nicht im Ermessen des Leistungsträgers, sondern ist im Grundsatz durch eine Prognoseentscheidung zu ermitteln, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl zuletzt BSG vom 28.3.2019 - B 10 LW 1/17 R - BSGE 128, 1 = SozR 4-5868 § 3 Nr 4, RdNr 24 mwN). In diese Entscheidung sind voraussichtliche Zuflüsse und denkbare Einsparungen einzubeziehen. Erfolgt - wie im zugrunde liegenden Sachverhalt - die Entscheidung über die Gewährung der Zuschüsse erst nachträglich für einen im Zeitpunkt der Bewilligung bereits abgeschlossenen Zeitraum, findet indes keine Prognose mehr statt; denn eine solche ist begriffsnotwendig zukunftsbezogen (BSG vom 28.3.2019 - B 10 LW 1/17 R - BSGE 128, 1 = SozR 4-5868 § 3 Nr 4, RdNr 20). Anders als etwa die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl § 30 SGB I) zu einem bestimmten Zeitpunkt, an die sich eine dauerhafte Rechtsfolge anschließt (vgl dazu BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 22/16 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 28 RdNr 20; BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 26; BSG vom 18.10.2022 - B 12 KR 2/21 R - RdNr 17, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 10 Nr 15 vorgesehen), entfällt bei Bewilligung des Zuschusses für die Vergangenheit der Anlass für eine Prognoseentscheidung. In der Konstruktion des SodEG ist die Korrektur der Entscheidung aus ex-post-Sicht durch einen Erstattungsanspruch (vgl § 4 SodEG) angelegt. Liegt der Zeitraum, für den der Zuschuss gewährt wird, in der Vergangenheit, sind die für die Bestimmung der Höhe relevanten Positionen (Zuflüsse und Einsparungen) auf Grundlage der entsprechenden Angaben des Berechtigten zu ermitteln und von den zu gewährenden Leistungen abzuziehen (BT-Drucks 19/18107 S 35 f).
Den Normen des SodEG lässt sich dagegen nicht die Vorgabe entnehmen, dass die Leistungsträger bei Bestimmung der Leistungshöhe Ermessen auszuüben haben. Kennzeichen der Ermessensverwaltung ist, dass einer Behörde durch Rechtsvorschrift die Entscheidungsfreiheit eingeräumt ist, zwischen mehreren - nach Maßgabe zu beachtender Tatbestandsvoraussetzungen - rechtlich zulässigen Entscheidungen aus Zweckmäßigkeitsgründen unter Abwägung der öffentlichen Belange und der Interessen Einzelner sachgerecht zu wählen (vgl Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz ≪VwVfG≫, 10. Aufl 2023, § 40 RdNr 13 ff; Just in Hauck/Noftz, SGB I, § 39 RdNr 4, Stand November 2021). § 3 SodEG weist insoweit schon keinen für eine Ermessensvorschrift typischen Wortlaut ("kann", "darf", "ist befugt", "ist berechtigt") auf (vgl Mrozynski SGB I, 6. Aufl 2019, § 39 RdNr 4). Ein Ermessen kann sich zwar auch aus dem Gegenstand oder der Struktur der Norm ergeben (vgl Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl 2023, § 40 RdNr 21 ff; Mrozynski SGB I, 6. Aufl 2019, § 39 RdNr 4 f). Hierauf weist im Fall der Zuschüsse nach dem SodEG aber nichts hin: Sie sollen als Zuschüsse besonderer Art, die nicht dem Vertrags- oder Zuwendungsrecht unterfallen, in einer Höhe gewährt werden, die der Erfüllung des Gesetzeszwecks - der Gewährleistung des Bestandes der sozialen Dienstleister - dient. Diese Vorgabe ermöglicht keine Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Belangen bzw anhand von Zweckmäßigkeitserwägungen, wie sie für eine Ermessensvorschrift typisch ist. Die Gesetzesbegründung verweist zudem darauf, dass die Zuschusshöhe im Rahmen einer summarischen Prüfung bestimmt werden soll. Nach der Begründung soll insbesondere der tatsächliche Zufluss anderer vorrangiger Mittel berücksichtigt werden, sodass sich der Zuschuss im Regelfall im Bereich von 50 bis 75 Prozent bewegen werde (BT-Drucks 19/18107 S 37 zu § 3). Diese Formulierung weist nicht auf eine Abwägungsentscheidung, sondern vielmehr auf einen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vollständig aufklärbaren Sachverhalt und damit auf eine Prognoseentscheidung hin, bei der im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung erkennbaren Umstände zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen sind (vgl zum Maßstab etwa BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 22/16 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 28 RdNr 20).
Dabei hat die Bestimmung der Zuschusshöhe unter Berücksichtigung im Zeitpunkt der Bewilligung bereits zugeflossener Mittel zu erfolgen, obwohl der Erstattungsanspruch nach § 4 SodEG frühestens drei Monate nach der letzten Zuschusszahlung des maßgeblichen Zeitraumes der Zuschussgewährung entsteht (§ 4 Satz 4 SodEG). Zu den im Rahmen der Bewilligungsentscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen bei der Berechnung der Zuschusshöhe zählen auch die bereits vom sozialen Dienstleister erhaltenen vorrangigen Mittel nach § 4 Satz 1 und 2 SodEG, weshalb dieser schon bei Beantragung verpflichtet ist, den Zufluss mitzuteilen (§ 3 Satz 7 SodEG). Diese mit dem Sozialschutz-Paket II eingefügte ausdrückliche Verpflichtung steht neben der Anzeigepflicht im Rahmen der Erstattungsforderung (§ 4 Satz 6 SodEG) und soll der Berechnung der Zuschusshöhe dienen (vgl BT-Drucks 19/18966 S 34). Auf diese Weise wird eine Überkompensation des sozialen Dienstleisters vermieden, dem die in § 4 Satz 1 und 2 SodEG aufgezählten Leistungen als "bereite Mittel" schon im Zeitpunkt der Bewilligung zur Verfügung stehen (Schlegel in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl 2022, § 16 RdNr 59). Soweit die Weiterführung des Betriebs mit anderen Mitteln möglich ist, besteht kein Anspruch auf Zuschüsse (Tabbara, NZS 2020, 837, 839); in diesem Sinne ist der Zuschuss nach § 3 SodEG subsidiär (vgl auch BT-Drucks 19/18107 S 5, 36).
Zu einer doppelten Berücksichtigung der vorrangigen Mittel kommt es dabei nicht, wie die Klägerin aber meint. Erfolgt eine Anrechnung bereits im Rahmen der Bewilligungsentscheidung und ist dem Leistungsträger der Zufluss mithin bereits bekannt, ist für einen nachträglichen Erstattungsanspruch erkennbar kein Raum (allgemein zur systematischen Einordnung des Erstattungsanspruchs nach § 4 SodEG Schlegel in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl 2022, § 16 RdNr 66). Lediglich ungerechtfertigte Bereicherungen sollen über einen Erstattungsanspruch auszugleichen sein (vgl BT-Drucks 19/18107 S 37). Die Berücksichtigung der tatsächlichen Zuflüsse bereits im Rahmen der Bewilligungsentscheidung stellt damit eine Ausprägung des aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) abgeleiteten Prinzips dar, dass ein Anspruch nicht durchzusetzen ist, wenn der Gläubiger das Erlangte sofort wieder herausgeben müsste ("dolo agit qui petit quod statim redditurus est"); denn auch bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruches steht dem Leistungsträger kein Entscheidungsfreiraum zu, sofern dem sozialen Dienstleister vorrangige Mittel iS des § 4 SodEG tatsächlich zugeflossen sind.
Die tatsächlich zugeflossenen vorrangigen Mittel sind aber entgegen der Auffassung des Beklagten und der Vorinstanzen vom zugrunde zu legenden Monatsdurchschnitt, nicht vom Höchstbetrag des Zuschusses abzusetzen (so auch Walling, DVfR Forum E, E2-2023; Axmann, RdLH 2022, 116, 118; ähnlich Gutachten des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 3.11.2020, NDV 2021, 54, 57; anders Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Häufige Fragen zum Gesetz über den Einsatz der Einrichtungen und sozialen Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise in Verbindung mit einem Sicherstellungsauftrag, Stand 24.1.2022, S 8 f). Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der mit dem SodEG beabsichtigten Sicherung der Liquidität der Sozialdienstleister. Das Gesetz geht von der Vorstellung aus, dass für einen kostendeckenden Betrieb des Dienstes monatlich die durchschnittlich im Jahr vor der Pandemie zugeflossene Vergütung notwendig ist; diese Vergütungen sind der Ausgangswert für die Berechnung des Zuschusses. Der Zuschuss selbst ist - sofern ein Land keinen Gebrauch von der Ermächtigung zur Bestimmung höherer Zuschüsse macht - auf 75 Prozent beschränkt, weil der Bundesgesetzgeber weiter davon ausgeht, dass die Liquidität des Sozialdienstleisters über diesen Prozentsatz hinaus - prognostisch - anderweitig gesichert ist. In der Gesetzesbegründung wird die pauschale Verminderung um 25 Prozent vom Monatsdurchschnitt mit regelmäßig zu erwartenden Zuflüssen und ggf Einsparungen bei variablen Kosten begründet. Während der pandemiebedingt nur eingeschränkten Betätigungsmöglichkeiten werden geringere Kosten anfallen und/oder vorrangige Leistungen den Ausfall kompensieren (BT-Drucks 19/18107 S 37). Vorrangige Mittel, deren Zufluss in erster Linie im Raum stehen und die deshalb bereits in der Gesetzesbegründung genannt sind, sind zu erwartende Zahlung von Kurzarbeitergeld (Kug) wie auch die fortgezahlte, ggf verminderte Vergütung aus den Verträgen. Bestehen Anhaltspunkte für weitere zu erwartende bzw der Höhe nach 25 Prozent voraussichtlich übersteigende Mittel iS des § 4 Satz 1 oder Satz 2 SodEG einerseits oder weitergehende Einsparungsmöglichkeiten andererseits, sind sie in die Prognoseentscheidung einzubeziehen mit der Folge, dass sich ein Zuschuss von unter 75 Prozent ergibt. Damit gilt für eine Bewilligung für bereits abgelaufene Zeiträume, dass die Mittel wie auch die tatsächlich stattgehabten Einsparungen zwar Berücksichtigung finden, weil sie entsprechend die Liquidität des Dienstleisters beeinflusst haben, aber auch insoweit der Monatsdurchschnitt Ausgangspunkt für die Bestimmung der Höhe ist.
In diesem Sinne bietet das SodEG nur eine Teilabsicherung, die je nach der tatsächlichen Lage der Dienstleister durch vorrangige Zuflüsse ergänzt wird (vgl Schlegel in Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Aufl 2022, § 16 RdNr 46). Erreichen die vom Gesetzgeber unterstellten Kompensationsmöglichkeiten tatsächlich 25 Prozent des Monatsdurchschnitts nicht (wie vorliegend bei der Klägerin im Juli 2020), muss der Dienstleister dies aus Sicht des Bundesgesetzgebers als pandemiebedingte Folge hinnehmen. Eine höhere Absicherungsquote bleibt der Entscheidung des Landesgesetzgebers überlassen. Mehrkosten für die Leistungsträger entstehen auf Grundlage der vom Senat vorgenommenen Auslegung entgegen der Auffassung des Beklagten nicht: Die ursprünglich für die Erbringung der Leistungen eingeplanten Haushaltsmittel werden - wie dies der Gesetzgeber voraussetzt - pandemiebedingt für die Sicherstellung des Bestandes der Dienstleister eingesetzt. Der Zuschuss bleibt aber auch bei der vorgenommenen Auslegung subsidiär, soweit die Bestandssicherung mit anderen Leistungen (insbesondere auch mit Zahlungen aus den Vergütungsverträgen) erreicht wird (vgl BT-Drucks 19/18107 S 36).
Für die Berücksichtigung von weiteren Positionen, die bei der Bemessung des Zuschusses im Juni oder Juli 2020 zu berücksichtigen wären, ist vorliegend nichts ersichtlich und von den Beteiligten auch nichts vorgetragen. Neben dem Zufluss vorrangiger Mittel sind in der Gesetzesbegründung zwar denkbare Einsparungen von variablen Kosten genannt, die - wie ausgeführt - die gesetzgeberische Entscheidung, den Zuschuss auf höchstens 75 Prozent zu begrenzen, leiten (vgl BT-Drucks 19/18107 S 37; Tabbara, NZS 2020, 837, 838). Im vorliegenden Einzelfall sind in der Rückschau auf Grundlage der von den Beteiligten unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG solche Einsparungen bei der Klägerin in den bezeichneten Monaten aber tatsächlich nicht eingetreten; es lässt sich aufgrund der personalintensiven Struktur der von ihr erbrachten Leistungen der Schulbegleitung auch nicht erkennen, in welchem Rahmen relevante Einsparungen bei variablen Kosten hätten erzielt werden können.
Im Ergebnis besteht für Juni 2020 ein Anspruch auf einen Zuschuss iHv 11 205,55 Euro und für Juli 2020 iHv 20 392,65 Euro, also den vom Beklagten berechneten Höchstbetrag für den Zuschuss, den die Klägerin allein geltend gemacht hat. Zur Zahlung der Differenzbeträge gegenüber der Bewilligung - insgesamt 9539,29 Euro - hat der Senat entsprechend verurteilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Klägerin ist keine Leistungsempfängerin iS des § 183 Satz 1 SGG; denn die Zuschüsse nach dem SodEG stellen keine Sozialleistungen im weiteren Sinne dar, sondern werden anstelle von Vergütungen aus einem Vertragsverhältnis iS der §§ 123 ff SGB IX und als Kompensation für eine Bereitschaft zum Einsatz in der Pandemiebekämpfung gewährt.
Fundstellen
Haufe-Index 16025763 |
BSGE 2024, 83 |
NDV-RD 2024, 132 |
SGb 2023, 432 |
SRA 2024, 25 |