Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluß eines Kindes von der Familienversicherung – getrennt lebende Eltern – Systemabgrenzung gesetzliche/private Krankenversicherung – Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Ausschluß eines Kindes verheirateter Eltern von der Familienversicherung nach § 10 Abs 3 SGB 5 gilt auch, wenn die Eltern getrennt leben.
2. Dies ist nicht verfassungswidrig.
Stand: 9. April 2001
Normenkette
SGB V § 10 Abs. 3 Hs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1999 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger familienversichert ist.
Der 1985 geborene Kläger ist freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Seine Eltern zahlen für ihn Mindestbeiträge. Seine Mutter ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten, sein in der Schweiz beschäftigter Vater nicht Mitglied der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Familienversicherung des Klägers im Rahmen der Versicherung seiner Mutter war nach § 10 Abs 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ausgeschlossen.
Seit April 1995 leben die Eltern des Klägers getrennt. Der Kläger lebt im Haushalt seiner Mutter. Diese beantragte im Mai 1995, den Kläger nunmehr in die Familienversicherung aufzunehmen. Dies lehnte die Beklagte mit ihrem an die Mutter gerichteten Bescheid vom 27. Juli 1995 und Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1996 ab. Der Kläger sei weiterhin von der Familienversicherung ausgeschlossen, weil sein Vater nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei und sein Gesamteinkommen höher als die Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAE-Grenze) und höher als das Gesamteinkommen seiner Ehefrau, der Mutter des Klägers, sei. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 26. September 1996 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 15. August 1997 zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der erkennende Senat mit Urteil vom 18. März 1999 (BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 3) das Urteil des LSG aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Dieses hat die Mutter des Klägers zum Rechtsstreit beigeladen und das Vorverfahren gegenüber dem Kläger nachholen lassen. Mit Urteil vom 17. Dezember 1999 hat es die Berufung erneut zurückgewiesen. Es hat den Ausschluß des Klägers von der Familienversicherung wiederum bestätigt und festgestellt, daß der Vater des Klägers nach Abzug einer Kinderzulage seit April 1995 aus Arbeitsentgelt ein Gesamteinkommen von mindestens 6.375 Schweizer Franken (Sfr) im Monat hat. Es lag damit regelmäßig über einem Zwölftel der jeweils geltenden JAE-Grenze. Diese betrug in den alten Bundesländern monatlich 5.850 DM (1995), 6.000 DM (1996), 6.150 DM (1997), 6.300 DM (1998) und 6.375 DM (1999). Bei der Mutter des Klägers hat das LSG festgestellt, daß sie als Beschäftigte nie mehr als 5.000 DM monatlich verdient hat und sie seit Juli 1999 Arbeitslosengeld (Alg) bezieht. Daneben erhält sie Kindergeld und von ihrem Ehemann monatlich 900 DM Unterhalt.
Der Kläger und die Beigeladene haben Revisionen eingelegt. Sie rügen eine Verletzung des Art 3 und Art 6 des Grundgesetzes (GG). § 10 Abs 3 SGB V sei verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Familienversicherung nur ausgeschlossen sei, wenn die Ehegatten tatsächlich in „räumlich-gegenständlicher Wirtschaftsgemeinschaft” zusammenlebten. Bei getrennt lebenden Ehegatten dürfe die Vorschrift nicht angewendet werden.
Der Kläger und die Beigeladene beantragen,
- das Urteil des LSG vom 17. Dezember 1999 und das Urteil des SG vom 26. September 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 1995 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. Januar 1996 und 11. August 1999 aufzuheben und festzustellen, daß der Kläger seit dem 1. April 1995 bei der Beklagten familienversichert ist,
- hilfsweise, den Rechtsstreit auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage einzuholen, ob § 10 Abs 3 SGB V mit Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG vereinbar ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und § 10 Abs 3 SGB V nicht für verfassungswidrig.
Der Senat hat im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung eine Auskunft des Verbandes der privaten Krankenversicherung eV vom 15. Januar 2001 zur Höhe der Versichertenprämien für Kinder eingeholt.
II
Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen sind unbegründet. Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG mit Recht zurückgewiesen.
1. Die Beklagte hat festgestellt, daß der Kläger nicht familienversichert ist. Hiergegen konnten sich sowohl der Kläger als auch seine bei der Beklagten versicherte Mutter wenden (BSGE 72, 292, 293 = SozR 3-2500 § 10 Nr 2; BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 5 S 22 und Nr 6 S 29).
a) Der Kläger erfüllt zwar die persönlichen Voraussetzungen des § 10 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 5, Abs 2 SGB V für die Familienversicherung; die von ihm auch nach Trennung seiner Eltern vorsorglich aufrechterhaltene freiwillige Versicherung steht der Familienversicherung nicht nach § 10 Abs 1 Nr 2 SGB V entgegen (vgl BSGE 72, 292, 295 = SozR 3-2500 § 10 Nr 2 S 5). Sie ist jedoch nach § 10 Abs 3 Halbsatz 1 SGB V ausgeschlossen. Danach sind Kinder nicht familienversichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der JAE-Grenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist. Dieses trifft hier zu. Die Mutter des Klägers ist Mitglied der beklagten inländischen gesetzlichen Krankenkasse, während ihr Ehemann, der Vater des Klägers, nicht Mitglied einer solchen Kasse ist. Das vom LSG festgestellte Gesamteinkommen des Vaters war regelmäßig im Monat höher als ein Zwölftel der seit 1995 geltenden JAE-Grenze und auch höher als das Gesamteinkommen seiner Ehefrau (beigeladene Mutter des Klägers).
b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist § 10 Abs 3 SGB V nicht nur anzuwenden, wenn und solange Eltern zusammenleben. Nach dem Wortlaut genügt es, daß zwischen dem Mitglied und dem Verwandten des Kindes ein Ehegattenverhältnis besteht. Das ist auch noch während des Getrenntlebens der Eheleute (§ 1567 BGB) der Fall. Eine Ehe wird erst mit Rechtskraft des Scheidungsurteils aufgelöst (§ 1564 Satz 2 BGB). Der Gesetzestext gibt keinen Anhalt dafür, daß der familienrechtliche Statusbegriff hier nicht gelten soll. Seit Einführung der Ausschlußreglung im Jahre 1977 (unten d) sind die Voraussetzungen der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen weiter deutlich verschärft worden (vgl BSG SozR 3-2200 § 205 Nr 1 S 3f). Dieser Tendenz der Gesetzgebung würde es widersprechen, eine der Begrenzung der Familienversicherung dienende Vorschrift wie § 10 Abs 3 SGB V einschränkend auszulegen und getrennt lebende Ehegatten von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen.
c) Dem Kläger entgeht damit der Versicherungsschutz durch die Familienversicherung, seiner Mutter der Anspruch auf Kinderkrankengeld (vgl § 45 SGB V). Die Familienversicherung ist ein wesentliches Element des sozialen Ausgleichs (Familienlastenausgleich), das die soziale Krankenversicherung prägt (Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫, Dreierausschuß, SozR 2200 § 205 Nr 18 S 37; Kasseler Komm-Peters, § 3 SGB V RdNr 7, Stand Mai 1997; § 10 SGB V RdNr 2, Stand April 2000). Der Familienversicherte selbst hat keine Beiträge zu entrichten (§ 3 Satz 3 SGB V). Bei dem gesetzlich versicherten Elternteil ist eine Abstufung der Beiträge nach der Zahl der Angehörigen, für die eine Versicherung nach § 10 SGB V besteht, unzulässig (§ 243 Abs 2 Satz 2 SGB V). Daher finanzieren unter sonst gleichen Verhältnissen die Mitglieder ohne Ehegatten oder Angehörige die Leistungen an beitragsfrei versicherte Familienangehörige anderer Mitglieder zum Teil mit.
d) § 10 Abs 3 SGB V hat einen Vorgänger in § 205 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der auf Art 1 Nr 18 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) zurückgeht und am 1. Juli 1977 in Kraft getreten ist. Zu dessen Begründung wurde im Gesetzentwurf ausgeführt, der (damalige) Anspruch auf Familienhilfe für Kinder werde zur Entlastung der Solidargemeinschaft ausgeschlossen, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Versicherten nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei, sein Gesamteinkommen die Versicherungspflichtgrenze überschreite und höher sei als das des Versicherten (BT-Drucks 8/166, S 26 zu § 205 RVO). Das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) übernahm diese Regelung des § 205 RVO. Im Gesetzentwurf zum GRG wird insoweit nur darauf hingewiesen, daß die Abs 1 bis 4 des § 10 SGB V weitgehend den Personenkreis übernehmen, der im Rahmen der Familienhilfe schon bisher einbezogen war (BT-Drucks 11/2237, S 161 zu § 10 SGB V).
e) Das BVerfG (Dreierausschuß) hat Verfassungsbeschwerden gegen die Neufassung des § 205 Abs 1 Satz 2 RVO durch das KVKG nicht zur Entscheidung angenommen. In dem Beschluß vom 9. Juni 1978 (SozR 2200 § 205 Nr 18) hat es dazu ausgeführt, daß die damaligen Beschwerdeführer durch die Regelung nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt würden. Der Gesetzgeber sei nicht nur berechtigt, sondern zugunsten der Gemeinschaft der Beitragszahler, denen keine erhöhten Beiträge zugunsten nicht schutzbedürftiger Personenkreise abverlangt werden sollten, auch gehalten, die Interessen der Solidargemeinschaft bei der Bemessung von Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu berücksichtigen. Das gelte in besonderem Maße für die nicht beitragsadäquaten Leistungen der Familienhilfe. Auf die weiteren Ausführungen des Beschlusses wird Bezug genommen. – Im Urteil vom 22. Juli 1981 (SozR 2200 § 205 Nr 44) ist der damals zuständige 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) dem BVerfG gefolgt. Der später zuständige erkennende 12. Senat des BSG hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und zu § 10 Abs 3 SGB V ausgeführt, in den dort geregelten Fällen bestehe „kein anerkennenswerter Bedarf” für eine beitragsfreie Versicherung der Kinder (BSGE 70, 13, 18 = SozR 3-2500 § 240 Nr 6 S 14; SozR 3-2500 § 240 Nr 7 S 21). Die Rechtsprechung hat in der Literatur Zustimmung gefunden (vgl Gerlach in: Hauck/Haines, K § 10 SGB V RdNr 92, Stand Juni 1999; Krauskopf/Baier, § 10 SGB V RdNr 52, Stand November 1998; Zipperer in: Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, § 10 RdNr 59, Stand April 1995).
2. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest, obwohl seit dem Beschluß des BVerfG (Dreierausschuß) aus dem Jahre 1978 einige Veränderungen stattgefunden haben und die Beiträge der Versicherten, deren Kinder nach § 10 Abs 3 SGB V von der Familienversicherung ausgeschlossen sind, einen geringeren Erfolgswert als die Beiträge der Versicherten haben, deren Kinder familienversichert sind.
a) Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist vom Sinn und Zweck des § 10 Abs 3 SGB V auszugehen. Die Vorschrift befaßt sich mit dem Ausschluß der Familienversicherung von Kindern, bei denen nur ein Elternteil Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Sie läßt zum einen die Familie von Kindern unberührt, deren beide Eltern der gesetzlichen Krankenversicherung angehören; diese Kinder sind ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse ihrer Eltern familienversichert. In diesen Fällen tragen beide Eltern mit Beiträgen zu den Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei. Die Vorschrift betrifft zum anderen nicht Kinder, deren Eltern beide privat versichert sind; dann sind es die Kinder in der Regel ebenfalls. § 10 Abs 3 SGB V löst die Frage, welchem Elternteil die Kinder versicherungsrechtlich zugeordnet werden, wenn der eine Elternteil gesetzlich versichert ist, der andere jedoch nicht der gesetzlichen Krankenversicherung angehört und dann in der Regel privat versichert ist. Soweit § 10 Abs 3 SGB V Kinder von der Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließt, werden sie damit grundsätzlich dem nicht im Inland gesetzlich versicherten Elternteil zugewiesen. Dieser wird nur sehr selten überhaupt nicht krankenversichert sein, sondern im In- oder Ausland einem anderen Sicherungssystem angehören, in aller Regel einer privaten Versicherung im Inland (im Folgenden verallgemeinernd und einheitlich: Privat versicherter Elternteil). So gesehen enthält die Vorschrift eine Systemabgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.
b) Die Systemabgrenzung erfolgt dem Grunde nach zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen und zugunsten der privaten Versicherung, denn § 10 Abs 3 SGB V ist eine Ausschlußnorm. Nur dann, wenn die in der Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale vorliegen, ist die Familienversicherung ausgeschlossen, die § 10 Abs 1 SGB V als Regelfall vorsieht. Die Verweisung der Kinder auf das System des privat versicherten Elternteils wird zunächst dadurch erschwert, daß sie erst eintritt, wenn sein Gesamteinkommen die JAE-Grenze (§ 6 Abs 1 Nr 1 SGB V) übersteigt. Dieser Elternteil gehört dann nicht mehr zu dem Personenkreis, für den die gesetzliche Krankenversicherung grundsätzlich besteht (vgl § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V).
Der Ausschluß von der Familienversicherung hängt weiter davon ab, daß das Gesamteinkommen des privat versicherten Elternteils höher ist als das Gesamteinkommen des gesetzlich versicherten. Insoweit geht das Gesetz in einer typisierenden Betrachtung davon aus, daß der höher verdienende privat versicherte Elternteil den Barunterhalt des Kindes und damit auch dessen Krankenversicherung sicherzustellen hat. Anders als § 205 RVO verlangt § 10 SGB V für die Familienversicherung zwar nicht mehr eine konkrete Unterhaltspflicht nach den familienrechtlichen Vorschriften. Hieraus darf jedoch nicht geschlossen werden, unterhaltsrechtliche Überlegungen hätten im Rahmen des § 10 SGB V keine Bedeutung mehr. Der Familienversicherung liegt vielmehr weiterhin die Vorstellung zugrunde, daß in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung nur Kinder beitragsfrei einbezogen sein sollen, denen bei typisierender Betrachtungsweise hauptsächlich der gesetzlich versicherte Elternteil Unterhalt zu leisten hat (vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 6 S 33) und denen eine eigene Beitragslast wirtschaftlich nicht zugemutet werden soll (vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 5 S 23). Die Familienversicherung soll auch unter der Geltung des § 10 SGB V den Familienaufwand für die Krankenversicherung mindern und damit den Auftrag des § 6 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil verwirklichen. Danach hat derjenige, der Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen.
Der Unterhalt der Kinder wird vom gesetzlich versicherten Elternteil überwiegend getragen, wenn er im Vergleich zum privat versicherten Elternteil das höhere Gesamteinkommen hat. Er wird von dem gesetzlich versicherten Elternteil aber auch noch wesentlich mitgetragen, wenn das Gesamteinkommen des privat versicherten Elternteils zwar höher ist, aber die JAE-Grenze nicht übersteigt. Erst wenn beim überwiegend verdienenden privat versicherten Elternteil auch diese Grenze überschritten ist, wird nach der Annahme des Gesetzgebers der Unterhalt der Kinder nicht mehr wesentlich von dem gesetzlich versicherten Elternteil mitgetragen und eine Verweisung der Kinder an das System des privat versicherten Elternteils für sachgerecht gehalten.
c) Bei Würdigung der Systemabgrenzung ist zu berücksichtigen, daß viele der privat versicherten Elternteile, deren Kinder jetzt nach § 10 Abs 3 SGB V von der Familienversicherung ausgeschlossen werden, in der Vergangenheit das Recht hatten, der gesetzlichen Krankenversicherung im Anschluß an eine frühere Pflichtversicherung (vgl § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V, früher § 313 Abs 1 RVO) oder bei der erstmaligen Aufnahme einer Beschäftigung über der JAE-Grenze (vgl § 9 Abs 1 Nr 3 SGB V, früher § 176a RVO) freiwillig beizutreten. Hierdurch hätten sie ihren Kindern die beitragsfreie Familienversicherung verschaffen oder erhalten können. Dies gilt häufig sogar für Personen, die heute als Selbständige nicht versicherungspflichtig (§ 5 Abs 5 SGB V) oder als Beamte versicherungsfrei sind (§ 6 Abs 1 Nr 2 SGB V), wenn sie in ihrem früheren Berufsleben versicherungspflichtige Arbeitnehmer waren. Bis 1988 war der freiwillige Beitritt nach Maßgabe des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 3 RVO auch gewissen Selbständigen eröffnet. Personen, die zu keiner Zeit ein Beitrittsrecht hatten, haben ständig außerhalb des Kreises gestanden, für den die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtend oder jedenfalls offen ist; sie waren stets auf eine private Krankenversicherung verwiesen.
Die Frage, ob jemand ein Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung ausübt, wird regelmäßig nach wirtschaftlichen Erwägungen beantwortet. Tritt er bei, sind seine Kinder familienversichert. Übt er hingegen ein Beitrittsrecht nicht aus oder hat keines bestanden, sind seine Kinder, sofern § 10 Abs 3 SGB V eingreift, in der Regel privat zu versichern. Die Ausgestaltung ihres Versicherungsschutzes unterliegt dann im Grundsatz der Privatautonomie. Die §§ 178a ff Versicherungsvertragsgesetz (VVG) gewährleisten für Kinder insoweit Mindeststandards (vgl Honsell/Hohlfeld, Berliner Komm zum VVG, 1998, Vorbem §§ 178a bis 178o RdNr 1), sehen für sie aber anders als in der privaten Pflegeversicherung (vgl § 110 Abs 1 Nr 2 Buchst f, Abs 3 Nr 6 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung ≪SGB XI≫) weder einen prämienfreien Versicherungsschutz noch eine Begrenzung der Prämienhöhe vor. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Verbandes der privaten Krankenversicherung eV liegen die Prämien für Kinder bis zum 15. Lebensjahr zur Zeit je nach Selbstbehalt und Umfang der Leistungen zwischen 79,59 DM und 205,60 DM, wobei der teuerste Tarif einen Selbstbehalt überhaupt nicht und über die allgemeinen Krankenleistungen hinaus Chefarztbehandlung und Unterbringung in einem Einbettzimmer vorsieht. Der brancheneinheitliche Standardtarif (allgemeine Leistungen, Selbstbehalt 600 DM für Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel) liegt bei 167,38 DM. Ist für Kinder, deren Eltern beihilfeberechtigt sind, nur eine Restkostenversicherung abzuschließen, sind die Prämien entsprechend niedriger (beim Kläger des vorliegenden Verfahrens zB monatlich 32,80 DM im Jahre 1992 und 45,10 DM im Jahre 1998).
Alternativ zu einer privaten Krankenversicherung kann der Ausschluß der Kinder von der Familienversicherung durch deren Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung abgemildert werden. Kinder, für die eine Familienversicherung ausscheidet oder endet, können nach Maßgabe des § 9 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 SGB V freiwillige Mitglieder werden. Als solche haben sie jedoch Beiträge gemäß der Kassensatzung iVm § 240 SGB V zu entrichten, mindestens Beiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen des § 240 Abs 4 Satz 1 SGB V. Bei der Beklagten betrugen diese Mindestbeiträge in den alten Bundesländern beim ermäßigten Beitragssatz des § 243 Abs 1 Satz 1 SGB V (ohne Krankengeld) monatlich 172 DM (1995), 175 DM (1996), 180 DM (1997), 190 DM (1998) und 193 DM (1999). Kinder, die der gesetzlichen Krankenversicherung beigetreten sind, können diese kurzfristig wieder verlassen (§ 191 Nr 4 SGB V), wenn sich ihnen eine günstigere Privatversicherung bietet. Dies ist nach der genannten Auskunft nicht selten und im Fall einer bloßen Restkostenversicherung für Beamtenkinder regelmäßig der Fall. Auch insoweit sind für den Übertritt zur privaten Krankenversicherung wirtschaftliche Erwägungen von Bedeutung, bis hin zu Entscheidungen, nach denen „gesunde” Kinder kostengünstig in der privaten, behinderte oder chronisch kranke Kinder hingegen in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert werden.
d) Gegen die Systemabgrenzung kann nicht eingewandt werden, der Ausschluß von der Familienversicherung nach § 10 Abs 3 SGB V falle für die gesetzliche Krankenversicherung nicht ins Gewicht. Zwar steht nicht fest, wie viele Kinder hiervon betroffen sind. Konkrete Zahlen dazu konnte der Senat nicht ermitteln. Schätzungen lassen aber den Schluß zu, daß ihr Anteil prozentual sehr niedrig ist. § 10 Abs 3 SGB V setzt voraus, daß von Ehegatten, die Kinder im familienversicherungsfähigen Alter haben (vgl § 10 Abs 2 SGB V), der eine gesetzlich, der andere nicht gesetzlich, dh in der Regel privat versichert ist. Letzteres ist bei höchstens 10 vH der Bevölkerung der Fall. Von den Ehepaaren sind nur diejenigen in verschiedenen Sicherungssystemen und auch sie nur dann betroffen, wenn die Regelungen des § 10 Abs 3 SGB V über das Gesamteinkommen zum Ausschluß der Kinder führen. Dennoch wird die Zahl der betroffenen Kinder absolut gesehen wegen der hohen Zahl verheirateter Eltern mit Kindern für die gesetzliche Krankenversicherung leistungs- und beitragsrechtlich ins Gewicht fallen. 1999 lebten in Deutschland rund 7,4 Mio Ehepaare mit rund 12,5 Mio Kindern unter 18 Jahren (vgl Statistisches Jahrbuch 2000, Nr 3.19 S 64). Jedenfalls hat der Gesetzgeber die Regelung nicht wegen einer zu geringen Zahl betroffener Kinder für entbehrlich gehalten. Er hat vielmehr sogar in Kauf genommen, daß die Ausschlußregelung zu praktischen Schwierigkeiten und zusätzlichem Verwaltungsaufwand führen kann, weil die Krankenkassen das Gesamteinkommen der Ehegatten feststellen müssen. Sie können die erforderlichen Angaben allerdings bei den ohnehin nötigen Fragen nach den Voraussetzungen des § 10 Abs 1, 2 SGB V miterheben. Für die Mitglieder besteht die Meldepflicht nach § 10 Abs 6 SGB V.
Nach allem enthält § 10 Abs 3 SGB V eine sozialpolitisch berechtigte und zum Schutz der Solidargemeinschaft möglicherweise sogar notwendige, angesichts ihres doppelten „Schwellenwertes” aber maßvolle Ausschlußregelung. Die hierdurch für die gesetzliche und private Krankenversicherung getroffene Systemabgrenzung hat der Gesetzgeber in der Pflegeversicherung übernommen (vgl § 25 Abs 3 SGB XI), dort aber weitergehend angeordnet, daß nicht gesetzlich krankenversicherte Kinder des privat Versicherten in der privaten Pflegeversicherung beitragsfrei mitzuversichern sind (§ 110 Abs 1 Nr 2 Buchst f, Abs 3 Nr 6 SGB XI). Daß § 10 Abs 3 SGB V gemessen an der Zahl der Familienversicherten keine große Breitenwirkung hat und gewisse praktische Schwierigkeiten mit sich bringt, hat der Gesetzgeber zum Schutz der Solidargemeinschaft in Kauf genommen. Die Akzeptanz der Familienversicherung bei den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen wäre nämlich gefährdet, wenn zB Kinder eines versicherungspflichtigen mit niedrigem Arbeitsentgelt teilzeitbeschäftigten Elternteils zu niedrigen Beiträgen des Mitglieds beitragsfrei mitversichert wären, während der privat versicherte Elternteil nicht am solidarischen Ausgleich teilnimmt, obwohl sein hohes Gesamteinkommen auch den Krankenversicherungsschutz für die Kinder ermöglicht. Dies gilt erst recht, wenn die Versicherung des gesetzlich versicherten Elternteils auf einem Ehegattenbeschäftigungsverhältnis beim privat versicherten Ehegatten beruht (vgl den Sachverhalt in BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33; Verfassungsbeschwerde durch Kammerbeschluß des BVerfG vom 28. Juni 2000 – 1 BvR 813/00 – nicht zur Entscheidung angenommen).
3. Auf dieser Grundlage vermag sich der Senat auch den verfassungsrechtlichen Bedenken der vorliegenden Revisionen nicht anzuschließen. Die Revisionen machen geltend, der Kläger werde gegenüber den Kindern geschiedener Eltern oder Alleinerziehender ohne sachlichen Grund benachteiligt. Prüfungsmaßstab ist insoweit der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 iVm dem Schutz der Ehe und Familie nach Art 6 Abs 1 GG.
a) Aus Art 3 Abs 1 GG folgt, daß der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung unterliegt, die nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt ist, sondern auch dann besteht, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn durch die Zwangsmitgliedschaft von Versicherten in einem öffentlich-rechtlichen Verband die allgemeine Handlungsfreiheit iS des Art 2 Abs 1 GG eingeschränkt wird. Außerhalb des so umschriebenen Bereichs läßt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot (BVerfGE 92, 53 ≪68 f≫ = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 S 19 mwN).
Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie hier braucht der Gesetzgeber allerdings nicht um die differenzierende Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er ist vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt (vgl BVerfGE 11, 245 ≪254≫; 78, 214 ≪227≫). Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Die Typisierung setzt allerdings voraus, daß die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht. Außerdem kann sich eine Einschränkung der dem Gesetzgeber danach zustehenden Gestaltungsfreiheit aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Differenziert der Gesetzgeber zum Nachteil von Ehe und Familie, so ist der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Ehe und der Familie schuldet (vgl BVerfGE 87, 234, ≪255 f≫ = SozR 3-4100 § 137 Nr 3 S 30).
b) Den Revisionen ist einzuräumen, daß die wirtschaftliche Lage des Klägers und seiner Eltern insofern derjenigen geschiedener oder Alleinerziehender entspricht, als auch sie nicht in einer Haushaltsgemeinschaft leben. Für den Ausschluß aus der Familienversicherung kommt es jedoch nicht drauf an, ob verheiratete Eltern tatsächlich einen gemeinsamen Haushalt führen.
Zwar ist anerkannt, daß in einer Haushaltsgemeinschaft umfassend „aus einem Topf gewirtschaftet” wird. Dies hat zur Folge, daß zusammenlebende Eltern einen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs eines Alleinwirtschaftenden liegt (vgl BVerfGE 87, 234 ≪256≫ = SozR 3-4100 § 137 Nr 3 S 30 f) und wirtschaftlich besser stehen als getrennt lebende Eltern. Gleichwohl ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, eine Sonderregelung für getrennt lebende Ehegatten zu schaffen. Ein Kind, das wie der Kläger bis März 1995 nach § 10 Abs 3 SGB V nicht familienversichert war, braucht nicht wieder in die Familienversicherung einbezogen werden, weil sich die Eltern getrennt haben, ohne sich scheiden zu lassen.
Einer Ehescheidung gehen mehr oder weniger lange Zeiten des Getrenntlebens voraus, in denen Ehegatten von der Ausschlußregelung des § 10 Abs 3 SGB V betroffen sind. Dieser Zustand ist jedoch in der Regel nur vorübergehend; er endet, wenn nicht die Ehegatten wieder zusammenfinden, mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils. Zu diesem Zeitpunkt entfällt der Tatbestand des § 10 Abs 3 SGB V mit der Folge, daß Kinder des Mitglieds wieder familienversichert sind. Daß die Ehegatten dauerhaft getrennt leben, ohne die Absicht der Ehescheidung zu haben, dürfte nur selten vorkommen. Jedenfalls brauchte der Gesetzgeber auf solche Ausnahmen keine Rücksicht nehmen. Daß sich Ehegatten durch die Regelung des § 10 Abs 3 SGB V veranlaßt sehen, sich scheiden zu lassen, ist im Hinblick auf die dort gezogenen Einkommensgrenzen und fortbestehenden Vorteile der Ehe (zB Ehegattensplitting) einerseits und die Kosten einer freiwilligen Versicherung für Kinder andererseits nicht naheliegend.
Im übrigen würde die Forderung, Kinder getrennt lebender Eltern wie Kinder geschiedener Eltern zu behandeln, die Forderung nach sich ziehen, auch den getrennt lebenden Ehegatten einem geschiedenen gleichzustellen. Letzteres würde aber dazu führen, dem getrennt lebenden Ehegatten des gesetzlich krankenversicherten Elternteils als nicht mehr verheiratet anzusehen und ihm damit, obgleich die Anforderungen des § 10 Abs 1 SGB V erfüllt sind, die Familienversicherung zu versagen (zum Fortbestehen der Familienversicherung des Ehegatten trotz Getrenntlebens vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 4 S 20). Denn es ist schwer einzusehen, daß getrennt lebende Ehegatten wie geschiedene behandelt werden sollen, wenn es um die Familienversicherung ihrer Kinder geht, die getrennt lebenden Ehegatten aber wie verheiratete zu behandeln, wenn es darum geht, ob sich die Ehegatten untereinander die beitragsfreie Familienversicherung vermitteln können.
Der Senat hält den von den Revisionen beanstandeten § 10 Abs 3 SGB V nicht für verfassungswidrig. Gleiches gilt, soweit es um die Familienversicherung von Kindern nichtehelicher Lebensgemeinschaften geht, bei denen Abs 3 keine Anwendung findet (Urteil vom 25. Januar 2001 – B 12 KR 12/00 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Vorlage an das BVerfG schied aus. Vielmehr waren die Revisionen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 584593 |
DB 2001, 927 |
DStR 2001, 905 |
FA 2001, 191 |
ZAP 2001, 374 |
NZS 2001, 493 |
SGb 2001, 311 |
SozR 3-2500 § 10, Nr. 22 |
AuS 2001, 61 |
SozSi 2002, 327 |