Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. innerer Zusammenhang. Überfall. Vergewaltigung. Angriff. Handlungstendenz. Tatmotiv. Ausbilder. Auszubildende. Machtposition. Arbeitsplatz
Leitsatz (amtlich)
Die Vergewaltigung einer Auszubildenden durch ihren betrieblichen Ausbilder in der Freizeit ist auch dann kein Arbeitsunfall, wenn der Ausbilder die Auszubildende aufgrund seiner betrieblichen Machtposition dazu veranlaßt hat, die Freizeit mit ihm zu verbringen.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente aufgrund einer Vergewaltigung, der die Klägerin zum Opfer gefallen und deren Anerkennung als Arbeitsunfall zwischen den Beteiligten umstritten ist.
Die im Jahre 1974 geborene Klägerin begann im August 1990 bei der F. GmbH in Bo. eine Berufsausbildung zur Chemielaborantin. Ab Anfang 1992 war sie im Ausbildungsbetrieb wiederholt sexuellen Belästigungen und Zudringlichkeiten ihres Ausbilders, des chemisch-technischen Assistenten K. (K.), ausgesetzt. Auf Dauer widersetzte sie sich nicht aktiv, weil K. ihr bei Abwehrversuchen immer wieder drohte, er werde als ihr Ausbilder dafür sorgen, daß sie nicht - wie von ihr erstrebt - vorzeitig zur Abschlußprüfung zugelassen werde. Bei ihm gebe es nur Liebe oder Haß; wenn sie sich nicht für die Liebe entscheide, werde er sie beim Ausbildungsleiter schlecht machen. Unter dem Eindruck der Drohungen des K. stimmte sie gemeinsamen Unternehmungen in der Freizeit zu. So begleitete sie ihn in eine Gemeinschaftssauna, zum Schwimmen, zum Essen und in den Zirkus. Am 15. April 1992 - einem gemeinsamen Urlaubstag - stimmte die Klägerin auf Drängen des K. dem Besuch einer Kunstausstellung zu. K. überredete sie dabei zu einem Frühstück in seiner Wohnung und schlug dort vor, "ins Bett kuscheln zu gehen". Die Klägerin lehnte dies ab, woraufhin K. ihr erneut mit der Vereitelung der vorzeitigen Zulassung zur Abschlußprüfung drohte. Die völlig verängstigte Klägerin ließ sich daraufhin von K. ausziehen und duldete nach der Versicherung des K., es sei ja nur dieses eine Mal, den Geschlechtsverkehr mit ihm. Auch in der Folgezeit setzte K. seine sexuellen Übergriffe am Arbeitsplatz fort.
Auf Drängen des K. erklärte sich die Klägerin dazu bereit, ihn am 22. Mai 1992 - einem weiteren gemeinsamen Urlaubstag - zum Schwimmen zu begleiten. K. holte die Klägerin ab und gab vor, sie müßten zunächst noch einmal in seine Wohnung, weil er sein Schwimmzeug vergessen habe. Die Klägerin vertraute der Versicherung des K., der Vorfall vom 15. April 1992 werde sich nicht wiederholen. In seiner Wohnung vergewaltigte K. die Klägerin, die um keinen Preis erneut Geschlechtsverkehr mit ihm haben wollte und sich deshalb diesmal heftig wehrte. Unter Anwendung körperlicher Gewalt gelang es K. aber, ihren Widerstand zu brechen, in sie einzudringen und trotz ihres Flehens, mit der Vergewaltigung aufzuhören, den Geschlechtsverkehr auszuführen. Anschließend flüchtete die Klägerin in ein in der Nähe gelegenes Geschäft, von wo aus die Polizei alarmiert wurde.
Das Landgericht Bochum verurteilte den K. am 27. Dezember 1994 wegen Vergewaltigung und Nötigung der Klägerin rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen habe K. sich am 15. April 1992 eines besonders schweren Falles der Nötigung und am 22. Mai 1992 der Vergewaltigung schuldig gemacht. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht zu Lasten des K. ua, daß er die damals erst siebzehnjährige Klägerin schon seit Januar 1992 am Arbeitsplatz bedrängt und ihren erkennbaren Wunsch, die Ausbildung vorzeitig mit Erfolg zu beenden, für seine Zwecke ausgenutzt habe. Bei den Versuchen der Klägerin, sich ihm zu entziehen, habe K. seine Machtstellung als Ausbilder ausgenutzt, indem er ihr berufliche Nachteile angedroht habe.
Das beigeladene Land bewilligte der Klägerin durch Bescheid vom 21. Mai 1996 eine Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Es sah die Vergewaltigung vom 22. Mai 1992 als vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff iS von § 1 OEG an und stellte fest, die Klägerin sei durch die Schädigungsfolge "posttraumatische psychische Störungen" in ihrer Erwerbsfähigkeit um 30 vH gemindert. Unter Berücksichtigung eines später im vorliegenden Verfahren vom Sozialgericht Münster (SG) eingeholten Sachverständigengutachtens hob der Beigeladene die Bewilligung von Versorgungsrente durch Bescheid vom 20. August 1998 ab 1. Oktober 1998 mit der Begründung auf, die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung bedinge keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 25 vH mehr.
Auf Veranlassung des Beigeladenen beantragte die Klägerin am 30. November 1994 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, die Klägerin habe keinen Unfall erlitten, denn bei den Taten des K. handele es sich um eine Kette von Ereignissen, die sich über mehrere Monate verteilt, also nicht in nur einer Arbeitsschicht ereignet hätten. Auch wenn man der Vergewaltigung vom 22. Mai 1992 eine eigenständige Bedeutung für die Schädigungsfolgen und damit Unfallcharakter zumesse, handele es sich bei dieser Tat nicht um einen Arbeitsunfall, weil sie nicht auf einem betriebsbezogenen Motiv beruht habe (Bescheid vom 12. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 1996).
Das SG hat die Beklagte nach persönlicher Anhörung der Klägerin und Einholung eines Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. verurteilt, das Ereignis vom 22. Mai 1992 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin ab Wiedereintritt ihrer Arbeitsfähigkeit eine Verletztenrente von 30 vH und ab 1. Dezember 1997 eine solche in Höhe von 20 vH der Vollrente zu gewähren (Urteil vom 28. April 1999).
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung der Beklagten nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens von Dr. B. mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Klägerin unter Anrechnung der vom Beigeladenen gezahlten Grundrente Verletztenrente von 30 vH der Vollrente bis zum 23. November 1997 und danach bis zum 30. Juni 1998 eine solche in Höhe von 20 vH der Vollrente zu gewähren ist. Die Vergewaltigung durch K. am 22. Mai 1992 erfülle die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls. Dieses katastrophenähnliche Ereignis hebe sich derart aus der Kette der mehrere Monate lang andauernden sexuellen Belästigungen durch K. heraus, daß es nicht nur als letzte von mehreren gleichwertigen Ursachen der psychischen Erkrankung der Klägerin erscheine. Dies sei dem Gutachten des Dr. B. zu entnehmen.
Die Vergewaltigung der Klägerin durch K. sei ihrer gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten Tätigkeit zuzurechnen, da sie in dem erforderlichen inneren Zusammenhang damit gestanden habe. Zu diesem Vorfall wäre es nie gekommen, wenn sich die Klägerin nicht allein aufgrund ihrer sich aus dem Ausbildungsverhältnis ergebenden persönlichen Abhängigkeit genötigt gesehen hätte, die Annäherungsversuche des K. zu dulden. Daß sie am 22. Mai 1992 Urlaub gehabt und sich nicht im Ausbildungsbetrieb aufgehalten habe, stehe nicht entgegen, da sie zum Unfallzeitpunkt nur deshalb in der Begleitung des K. gewesen sei, weil dieser sie mittels Ausnutzung seiner Machtposition als Ausbilder dazu bestimmt gehabt habe. Dieses der Klägerin abgenötigte Verhalten unterliege bei wertender Betrachtung ebenso dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung wie das Tätigwerden eines Versicherten auf Weisung seines Dienstvorgesetzten, das auch dann der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei, wenn private Angelegenheiten besorgt würden. Daß die Klägerin einem vorsätzlichen Angriff zum Opfer gefallen sei, der nicht auf einem betrieblichen, sondern einem privaten Motiv beruht habe, schließe den inneren Zusammenhang nicht aus, weil die Verhältnisse am Arbeitsplatz - die Machtposition des K. als Ausbilder - die Tat vom 22. Mai 1992 wesentlich begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht hätten.
Der Arbeitsunfall der Klägerin vom 22. Mai 1992 habe bei ihr psychische Störungen iS einer posttraumatischen Belastungsreaktion ausgelöst. Die dadurch bedingte MdE habe bis zum 23. November 1997 30 vH, dann bis zum 30. Juni 1998 20 vH betragen. Da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin anschließend nur noch um 10 vH gemindert sei, stehe ihr vom 1. Juli 1998 an keine Verletztenrente mehr zu. Soweit die Klägerin von dem nachrangig verpflichteten beigeladenen Land Versorgungsrente nach dem OEG erhalten habe, bestehe kein Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor, die Bejahung des inneren Zusammenhangs zwischen der betrieblichen Tätigkeit der Klägerin und der Vergewaltigung verletze § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO. Die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet habe, müsse nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zumindest nach den subjektiven Vorstellungen des Versicherten dazu bestimmt gewesen sein, den Zwecken des Unternehmens zu dienen. Auch bei weiter Auslegung könne nicht angenommen werden, daß die gemeinsame Freizeitgestaltung der Klägerin mit ihrem Ausbilder den Unternehmensbelangen zu dienen bestimmt gewesen sei. Das LSG stelle zwar zutreffend fest, daß der Angriff auf rein persönlichen Gründen beruht habe, vernachlässige dann aber, daß die Klägerin zu diesem Zeitpunkt keine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Bei einem aus persönlichen Motiven durchgeführten Angriff sei der innere Zusammenhang aber nur gegeben, wenn der Angegriffene eine versicherte Tätigkeit ausgeübt und der Angriff erst durch die besonderen Umstände, unter denen die versicherte Tätigkeit ausgeübt worden sei, ermöglicht oder wesentlich begünstigt worden sei. Dies bedinge in aller Regel, daß sich der Angegriffene in seinem betrieblichen Tätigkeitsbereich bzw auf dem Weg von oder zu diesem befinde. Halte sich der Versicherte dagegen im privaten Umfeld auf und verrichte keine versicherte Tätigkeit, so liege der innere Zusammenhang nur ausnahmsweise und unter der Voraussetzung vor, daß der Angriff aus betriebsbezogenen Gründen erfolge. Da die Klägerin indes Opfer eines persönlich motivierten Angriffs beim Verrichten einer unversicherten Tätigkeit geworden sei, sei sie dabei unversichert gewesen.
Die hierarchiebedingte Abhängigkeit vom Ausbilder könne ohnehin nicht als ein den Angriff erleichternder betrieblicher Umstand angesehen werden, weil darunter nur die räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Tätigkeit verrichtet werde, zu verstehen seien. Die der Klägerin von K. abgenötigte Freizeitgestaltung könne auch keinesfalls einer privaten Verrichtung auf Weisung des Vorgesetzten gleichgesetzt werden, da nur eine auf diese Weise während der Arbeitszeit verrichtete Tätigkeit im Einzelfall versichert sein könne. Die vom LSG vorgenommene Auslegung der §§ 539, 548 RVO führe auch zu einer nicht systemgerechten Ausdehnung des Versicherungsschutzes, weil danach jeder Unfall bei einer so vermittelten privaten Aktivität im privaten Umfeld versichert wäre. Eine sinnvolle und praktisch handhabbare Abgrenzung zwischen betrieblicher und persönlicher Sphäre wäre hier nicht mehr möglich. Diese Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf einen weiten Teil der privaten Lebenssphäre widerspräche dem Grundgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2000 sowie das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28. April 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 22. Mai 1992 als Arbeitsunfall und damit auch nicht auf Gewährung von Verletztenrente. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die von der Klägerin erhobenen Ansprüche richten sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).
Nach § 581 Abs 1 Nr 1 RVO wird dem Verletzten als Verletztenrente der Teil der Vollrente (§ 581 Abs 1 Nr 1 RVO) gewährt, der dem Grade der MdE entspricht, solange seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel (20 vH) gemindert ist. Arbeitsunfall ist gemäß § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84; BSG Urteil vom 18. April 2000 - B 2 U 7/99 R - HVBG-Info 2000, 1846). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (stRspr BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 § 548 Nr 82, 95, 97; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 27; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 38; BSG Urteil vom 18. April 2000 aaO). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 32; BSG Urteil vom 18. April 2000 aaO). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis zu erbringen; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muß der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden (BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 mwN). Es muß also sicher feststehen, daß im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde (BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84 mwN). Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19). Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 4 und Nr 17), so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG SozR 2200 § 548 Nr 90).
Die Klägerin war aufgrund ihres betrieblichen Ausbildungsverhältnisses nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Die Vergewaltigung vom 22. Mai 1992, die hier allein als Arbeitsunfallereignis in Betracht kommt, stand jedoch nicht im inneren Zusammenhang mit ihrer danach versicherten Tätigkeit und stellte daher keinen Arbeitsunfall dar.
Der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit und damit die Merkmale eines Arbeitsunfalls sind zwar nicht ohne weiteres ausgeschlossen, wenn der Versicherte einem Überfall - als solcher stellt sich auch eine Vergewaltigung dar (vgl BSG Urteil vom 29. Mai 1962 - 2 RU 209/61 - BG 1963, 254, 255) - zum Opfer fällt. Vielmehr setzt der innere Zusammenhang bei einem solchen Ereignis zunächst regelmäßig voraus, daß die Beweggründe des Angreifers in Umständen zu suchen sind, die in Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten stehen; ist dies nicht der Fall, fehlt es grundsätzlich an dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (stRspr vgl BSGE 6, 164, 167; 13, 290, 291 = SozR Nr 34 zu § 542 RVO aF; 17, 75, 77 = SozR Nr 37 zu § 542 RVO aF; BSG Urteil vom 23. April 1975 - 2 RU 211/74 - USK 7533; BSGE 78, 65, 67 = SozR 3-2200 § 548 Nr 28 mwN; s auch Brackmann/Krasney, SGB VII, § 8 RdNr 171 zu "Überfall" mwN). Da die Vergewaltigung der Klägerin durch K. nach den bindenden Feststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) des LSG auf rein persönlichen - sexuell bestimmten -, also nicht mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin als Auszubildende in Verbindung stehenden Motiven beruhte, sind diese Voraussetzungen nicht gegeben.
Allerdings bedarf es nicht unbedingt eines betriebsbezogenen Tatmotivs, damit überhaupt der innere Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit hergestellt wird. Vielmehr kann ein innerer Zusammenhang auch bei einem aus rein persönlichen Gründen unternommenen Angriff gegeben sein, wenn die besonderen Umstände, unter denen die versicherte Tätigkeit ausgeübt wird, oder die Verhältnisse am Arbeitsplatz den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (BSGE 78, 65, 67 = SozR 3-2200 § 548 Nr 28 mwN). Voraussetzung für eine solche zur Bejahung des inneren Zusammenhangs trotz nicht betriebsbezogenen Tatmotivs des Angreifers führende besondere Fallgestaltung ist das Vorliegen von versicherter Tätigkeit zum Zeitpunkt des Überfalls bzw jedenfalls unmittelbar davor (vgl BSG Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 37/99 R - = SozR 3-2200 § 548 Nr 41, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Daran mangelt es hier jedoch. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob - wie die Klägerin meint - auch die psychischen Rahmenbedingungen bzw die hierarchiebedingte Abhängigkeit vom Ausbilder zu den besonderen Umständen der Ausübung der versicherten Tätigkeit bzw den Verhältnissen am Arbeitsplatz iS der genannten Rechtsprechung des BSG für die Annahme des inneren Zusammenhangs zählen.
Zum Zeitpunkt der Vergewaltigung durch K. ging die Klägerin nicht ihrer versicherten Tätigkeit als Auszubildende nach. Sie hatte nach den Feststellungen des LSG an diesem Tage Urlaub und befand sich auch nicht in ihrem Ausbildungsbetrieb. Aufgrund ihres Ausbildungsverhältnisses war sie nicht verpflichtet, ihren Ausbilder in der Freizeit zu begleiten. Sie übte auch keine Tätigkeit aus, die dem Unternehmen zu dienen bestimmt war. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist bedeutsam, ob sich der Betroffene wie auch bei den sonstigen versicherten Tätigkeiten in seiner Zielsetzung sozial- wie auch arbeitsrechtlich norm- und vertragsgerecht verhält. Eine solche Wertung nach dem Gesetz ist der Rechtsanwendung im Einzelfall vorbehalten (BSGE 78, 65, 66 = SozR 3-2200 § 548 Nr 28 mwN). Dabei ist es zwar nicht erforderlich, daß die Tätigkeit dem Unternehmen tatsächlich dienlich war, sondern es reicht aus, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, daß die Tätigkeit geeignet sei, den Interessen des Unternehmens wesentlich zu dienen (vgl BSG SozR 2200 § 550 Nr 39). Aber auch dies war hier nicht der Fall. Aus den berufungsgerichtlichen Feststellungen ergibt sich, daß die Klägerin am 22. Mai 1992 ihre Freizeit mit K. auf dessen Drängen verbracht hatte, um keine beruflichen Nachteile dadurch zu erleiden, daß dieser im Falle ihrer Weigerung ihre vorzeitige Zulassung zur Abschlußprüfung vereitelte. Dabei handelte es sich um ein privates Ziel, bei dem die Klägerin auch von ihrem Standpunkt aus nicht davon ausgehen konnte, daß es ihrem Ausbildungsbetrieb wesentlich zu dienen geeignet sei. Auch ihre erstmals im Revisionsverfahren vorgetragene Vorstellung, die vorzeitige Beendigung der Ausbildung hätte zumindest mittelbar auch den Zwecken des Unternehmens gedient, wäre nicht geeignet, eine wesentliche Betriebsdienlichkeit ihrer zur Erreichung dieses Ziels unternommenen Handlungen zu begründen. Denn es kann bereits nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin dem Drängen des K. nicht nachgekommen wäre, wenn dieser aus ihrer Sicht zumindest mittelbar betriebsdienliche Nutzen ihrer Handlung entfallen wäre, weil nach alledem die Verfolgung ihres persönlichen beruflichen Nutzens im Vordergrund ihrer subjektiven Vorstellungen stand.
Ein innerer Zusammenhang zwischen dem von K. der Klägerin am 22. Mai 1992 abgenötigten Verhalten und ihrer versicherten Tätigkeit kann entgegen der Ansicht des LSG auch nicht daraus abgeleitet werden, daß dieses dem Besorgen privater Angelegenheiten des Vorgesetzten oder Unternehmers durch den Arbeitnehmer auf Weisung gleichzustellen wäre. Unfallversicherungsschutz besteht für einen solchen Fall nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig nur dann, wenn die privaten Angelegenheiten während der Arbeitszeit erledigt werden und der Untergebene nach den bestehenden Gepflogenheiten zu Recht glauben konnte, daß er sich einer solchen Bitte nicht entziehen könne (vgl BSG SozR Nr 71 zu § 542 RVO aF). Hiervon unterscheiden sich die Umstände des vorliegenden Falles wesentlich, da die privaten Angelegenheiten des Vorgesetzten außerhalb der Arbeitszeit und des Betriebes zu besorgen waren und nicht anzunehmen ist, daß die Klägerin nach den bestehenden Gepflogenheiten zu Recht glauben konnte, sich einer solchen Bitte nicht entziehen zu können. Daß sie sich gleichwohl zu ihrem Verhalten bestimmen ließ, beruhte nach den Feststellungen des LSG auf ihrer Befürchtung, sonst berufliche Nachteile zu erleiden. Angesichts dieser erheblich anders gelagerten Fallgestaltung ist eine Gleichstellung hinsichtlich der Annahme eines inneren Zusammenhangs und damit von Unfallversicherungsschutz hier nicht angezeigt, da sich eine so geartete Tätigkeit weit mehr von der unfallversicherungsrechtlich im Vordergrund stehenden unmittelbaren betrieblichen Tätigkeit am Arbeitsplatz abhebt als die Besorgung privater Angelegenheiten auf Weisung des Vorgesetzten iS der genannten Rechtsprechung und damit bei wertender Betrachtung nicht mehr innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht.
Nach alledem waren die Urteile des LSG und des SG auf die Revision der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 625063 |
NJW 2002, 388 |
AuA 2001, 372 |
AuA 2002, 236 |
NZS 2002, 98 |
SozR 3-2200 § 548, Nr. 42 |
AuS 2001, 60 |
SozSi 2003, 398 |