Entscheidungsstichwort (Thema)
Förderung der Anschaffung eines Kraftfahrzeuges gem. § 6 Abs 4 der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV)
Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
Bundesanstalt für Arbeit,Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Bei dem 1959 geborenen Kläger sind wegen Verlustes beider Unterschenkel der Grad der Behinderung (GdB) mit 80 sowie die Merkzeichen "G" und "aG" anerkannt. Der Kläger arbeitet als Arzthelfer in einer Klinik; er legt die 400 m-Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle mit einem Pkw zurück. Der Kläger ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Sein Antrag vom 14. April 1988 auf Beschaffung eines Ersatzkraftfahrzeuges wurde abgelehnt, weil die Weiterbenutzung seines 1987 erstmals zugelassenen Fahrzeuges zumutbar sei. Dieses dreitürige Fahrzeug sei behindertengerecht, obwohl es dem Kläger behinderungsbedingt nicht möglich sei, seine Kinder auf dem Rücksitz unterzubringen; dies sei für den Weg von und zur Arbeit ohne Bedeutung (Bescheid vom 18. Mai 1988). Der Kläger vertritt demgegenüber die Auffassung, daß ein Fahrzeug nur dann behindertengerecht sei, wenn es auch unter Berücksichtigung des sozialen Lebensbereiches auf die Behinderung zugeschnitten sei. Es müsse überdies berücksichtigt werden, daß das vorherige Kraftfahrzeug von ihm privat finanziert worden sei, also daß ihm dessen Besitz nicht entgegengehalten werden könne.
Die Klage war ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] vom 30. Januar 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Zulassung der Revision zur Neubescheidung verurteilt, weil es bei der erstmaligen Förderung der Anschaffung eines Kraftfahrzeuges keine dem § 6 Abs 4 der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) entsprechende zeitliche Begrenzung gebe. Das gelte jedenfalls dann, wenn man sachliche Gründe für eine Neuanschaffung habe (Urteil vom 30. Januar 1991). Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte unrichtige Rechtsanwendung. Unter Berücksichtigung der Ziele der Berufsförderung Behinderter sei der Zumutbarkeitsbegriff in § 4 KfzHV dahin auszulegen, daß nur die dauerhafte berufliche Eingliederung, nicht aber private Bedürfnisse, maßgeblich seien.
Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. Januar 1991 zurückzuweisen. |
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, weil bei einer Erstförderung ein früher privat angeschafftes Kraftfahrzeug außer Betracht zu bleiben habe. Ein Fahrzeug werde nicht nur für berufliche, sondern auch zum Zwecke der gesellschaftlichen Eingliederung angeschafft und müsse in beiden Bereichen behinderungsgerecht sein.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe hat, weil er über ein Kraftfahrzeug verfügte, dessen weitere Benutzung ihm zumutbar war.
Die Kraftfahrzeughilfe, die zu den sonstigen Leistungen der beruflichen Rehabilitation nach § 56 Abs 3 Nr 6 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gehört, richtet sich nach § 1 KfzHV (vom 21. September 1987 [BGBl I S 2251]) einheitlich für alle Träger der beruflichen Rehabilitation nach dieser Verordnung.
Aufgrund der bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen steht fest, daß der Kläger die persönlichen Voraussetzungen für die Leistung insoweit erfüllt, als er infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um seinen Arbeitsort zu erreichen (§ 3 Abs 1 Nr 1 KfzHV). Nicht nur diese Vorschrift, sondern auch der Grundsatz des § 1 verweist jedoch darauf, daß jede Kraftfahrzeughilfe zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben gedacht ist und sie nur gewährt wird, sofern zu diesem Zweck für die Hilfe ein Bedarf besteht, was sich aus §§ 4 und 6 KfzHV ergibt. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, weil der Kläger ein neues Fahrzeug angeschafft hat, obwohl er über ein Kraftfahrzeug verfügte, das nach Größe und Ausstattung den Anforderungen entsprach, die sich aus der Behinderung ergaben, und dessen weitere Benutzung ihm für die täglichen Wege von und zur Arbeitsstätte zumutbar war.
Die in § 4 Abs 1 und 2 KfzHV aufgestellten Voraussetzungen beziehen sich nicht nur auf solche Fahrzeuge, die bereits unter Inanspruchnahme einer Hilfe angeschafft worden sind; sie gelten für jede, vor allem auch für die erstmalige Förderung (vgl BR-Drucks 266/87 S 12). Für die erneute Förderung ist die zusätzliche Einschränkung der Spezialregelung des § 6 Abs 4 Satz 2 KfzHV zu beachten, wonach die Hilfe nicht vor Ablauf von fünf Jahren seit der Beschaffung des zuletzt geförderten Fahrzeugs geleistet werden soll. Hier hat der Kläger den dreitürigen Wagen ohne finanzielle Förderung durch einen Reha-Träger erworben. Ihm ist daher nicht entgegenzuhalten, daß das frühere Fahrzeug noch keine fünf Jahre alt war (vgl hierzu zum früheren Recht BSGE 57, 199 = SozR 4100 § 56 Nr 17 und Urteil vom 16. Dezember 1981 - 11 RAr 89/80 -). Deshalb bleibt aber der vorhandene Pkw bei der Bedarfsprüfung nicht vollständig unberücksichtigt. Der Bedarf richtet sich nach dem konkreten Ist-Zustand; der Behinderte wird daher ausdrücklich auf ein vorhandenes Kraftfahrzeug verwiesen (vgl BR-Drucks 266/87 S 18).
Die erstmalige Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges setzt voraus, daß der Behinderte derzeit einen Bedarf hat, er also für den Arbeitsweg auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist und nicht über ein geeignetes Kraftfahrzeug verfügt. Geeignet ist ein Kraftfahrzeug nach § 4 Abs 2 KfzHV, das nach Größe und Ausstattung den Anforderungen entspricht, die sich im Einzelfall aus der Behinderung ergeben. Außerdem muß die weitere Benutzung dieses Kraftfahrzeuges zumutbar sein. Das mag dann nicht mehr der Fall sein, wenn sich der Kraftwagen in einem schlechten technischen Zustand befindet, sei es durch Verschleiß, sei es durch Unfallschäden oder wenn beispielsweise durch einen Berufswechsel nunmehr Langstreckenfahrten erforderlich werden, so daß die Benutzung eines Kleinwagens nicht mehr zumutbar erschiene. Derartige berufliche Gründe hat der Kläger für den Wechsel des Wagentyps jedoch nicht vorgebracht. Auch nach den Feststellungen des LSG ist die Unzumutbarkeit der Weiterbenutzung allein darin gesehen worden, daß das vorhandene Kraftfahrzeug zwar noch für den täglichen Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, nicht aber für die Beförderung der Kinder den behinderungsbedingten Einschränkungen gerecht wurde. Dieser private Bereich bleibt aber nach § 4 Abs 1 und 2 KfzHV im Einklang mit den in §§ 1 und 3 niedergelegten Grundsätzen außer Betracht. Private Interessen dürfen die Frage, ob eine Neubeschaffung eines Kraftfahrzeuges erforderlich wird, nicht beeinflussen, weil sie die Eingliederung des Behinderten in das Arbeitsleben nicht gefährden. Die KfzHV verbessert die soziale Mobilität der Behinderten nicht oder allenfalls mittelbar (vgl BR-Drucks 266/87 S 14 zu § 1).
Dem steht nicht entgegen, daß ein Behinderter, der die Voraussetzungen für die Kraftfahrzeughilfe erfüllt, bei der Auswahl seines Fahrzeuges grundsätzlich frei ist und daher bei der Auswahl durchaus private Belange einfließen lassen darf. Einer übermäßigen Belastung der Rehabilitationsträger beugt § 5 KfzHV mit dem Höchstbetrag von 16.000,-- DM für die Bemessung der Kraftfahrzeughilfe ebenso vor wie § 6 KfzHV, der im Anschaffungsjahr 1988 bei einem verheirateten Familienvater von zwei Kindern ab einem Nettoeinkommen von 2.500,-- DM monatlich eine Selbstbeteiligung vorsah.
Anders als bei den Nachteilsausgleichen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG), die der Eingliederung Schwerbehinderter nicht nur in Arbeit und Beruf, sondern auch in die Gesellschaft dienen, wie der Senat schon mehrfach betont hat, sind bei der Kraftfahrzeughilfe allein die berufsbedingten Umstände maßgebend. Zwar kommen dem Kläger sowohl für Berufs- wie für Privatfahrten die Steuervergünstigungen für die Merkzeichen "G" und "aG" (vgl § 3a Abs 1 und 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz) und die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung auch bei Privatfahrten (vgl BFH, Urteil vom 1. August 1975 -BStBL II, 825) zugute. Familiäre Veränderungen, die häufig Anlaß zum Wechsel des Wagentyps geben, bleiben aber auch bei Behinderten Privatsache, deren Folgen nicht durch Beitragsmittel oder sonstige öffentliche Mittel aufgefangen werden. Aus diesem Grund nimmt auch die zuschußfähige Obergrenze in § 5 KfzHV keine Rücksicht auf die Familiengröße.
Dieser Auslegung kann nicht entgegengehalten werden, daß die vom Senat geforderten Anspruchsvoraussetzungen umgangen werden könnten, indem beizeiten ein nicht gefördertes Fahrzeug veräußert oder anderweit abgegeben wird. Zum einen wird ein Behinderter, der beruflich eingegliedert und hierzu auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, beim Erstantrag stets darlegen müssen, wie der - offenkundig auch zuvor vorhandene - Bedarf bisher gedeckt worden ist. Zum anderen sind Mißbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten kein überzeugender Grund dafür, bei bedarfsabhängigen Sozialleistungen von einer konkreten einzelfallbezogenen Prüfung des Bedarfs überhaupt abzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen