Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ein verheiratetes Kind. Unterhalt. Ehegatte. Schwiegerkind. überwiegend unterhalten. überwiegender Unterhalt. Heiratsklausel. Verheirateten-Klausel. Unterhaltsbedarf. Selbstbehalt. angemessener Unterhalt. Düsseldorfer Tabelle. Berliner Tabelle. Zusammenleben. Bagatellgrenze

 

Leitsatz (amtlich)

  • Für den im Rahmen des § 2 Abs 2a BKGG anzustellenden Vergleich zwischen der Unterhaltsleistung des Kindergeldberechtigten Elternteils und der Unterhaltspflicht des Ehegatten des Kindes ist zu ermitteln, ob die eigenen Einkünfte des Ehegatten seinen angemessenen Unterhalt (Selbstbehalt) übersteigen; insoweit ist er im Verhältnis zum Elternteil vorrangig unterhaltsverpflichtet.
  • Die Höhe des Selbstbehalts kann durch Vorteile des Zusammenlebens beeinflußt werden.
 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 2a; BGB §§ 1608, 1610 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

BezirksG Erfurt (Beschluss vom 04.05.1993; Aktenzeichen L 1 Kg 5/93)

KreisG Erfurt (Urteil vom 08.12.1992; Aktenzeichen 2 So 248/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluß des Bezirksgerichts Erfurt – Senat für Sozialrecht – vom 4. Mai 1993 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen ihre zweitinstanzlich bestätigte Verurteilung zur Gewährung von Kindergeld für die verheiratete Tochter des Klägers.

Die Tochter Nicolle (N.…) des Klägers war in der streitigen Zeit von Januar bis April 1991 verheiratet; sie besuchte die Ingenieurschule in Apolda/Thüringen und erhielt Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von DM 450,-- bzw (ab 1. April 1991) DM 510,--/Monat. Ihr Ehemann bezog Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von DM 642,60 “oder” DM 790,40/Monat; ab dem 8. April 1991 stand er in einem Arbeitsverhältnis mit einem Nettoverdienst von ca DM 1.300,--/Monat. Der Kläger unterstützte N.… im streitigen Zeitraum mit DM 350,--/Monat.

Mit Bescheid vom 2. August 1991 und Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 1991 lehnte die Beklagte den Kindergeldantrag des Klägers vom Dezember 1990 ab. Dieser unterhalte N.… nicht iS des § 2 Abs 2a des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) überwiegend; hierzu seien bei einem Unterhaltsbedarf von DM 650,--/Monat Unterhaltszahlungen von mehr als DM 325,--/Monat erforderlich. Die Zahlungen des Klägers deckten angesichts ihres Stipendiums in Höhe von DM 510,--/Monat jedoch lediglich in Höhe von DM 140,--/Monat den (Rest-)Unterhaltsbedarf seiner Tochter.

Das Kreisgericht Erfurt hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Kindergeld für die Zeit von Januar 1991 bis April 1991 zu zahlen. Der Kläger leiste den überwiegenden Unterhaltsbedarf seiner Tochter, da deren Ehemann nicht leistungsfähig sei (Urteil vom 8. Dezember 1992). Das Bezirksgericht Erfurt – Senat für Sozialrecht – hat die vom Kreisgericht zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Beschluß vom 4. Mai 1993). Der Kläger habe für den streitigen Zeitraum Anspruch auf Kindergeld für N.… Dies gelte auch angesichts der von dieser bezogenen BAföG-Leistungen. Ein eigenes Einkommen des Kindes sei im Rahmen des § 2 Abs 2a BKGG nicht zu berücksichtigen. Für die Feststellung, ob der Kläger N.… “überwiegend” unterhalte, seien lediglich seine Unterhaltsleistungen mit denen ihres Ehemannes zu vergleichen. Hier habe der Ehemann der Tochter aus dem von ihm bezogenen Alg jedenfalls keinen Unterhalt in Höhe von DM 325,-- oder mehr leisten können. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe die frühere Regelung des BKGG, die Kindergeld für verheiratete Kinder ausschloß, für verfassungswidrig erklärt. Eine Streichung des Kindergeldes sei dann nicht sachgerecht, wenn sich durch die Heirat die wirtschaftliche Belastung des Kindergeldberechtigten nicht ändere (BVerfGE 29, 71, 79). Wollte man allein die Heirat als solche, auch wenn sie keine wirtschaftliche Veränderung nach sich ziehe, als Ansatz für den Wegfall des Kindergeldes nehmen, wäre dies geradezu ehefeindlich und könne direkt zur Verhinderung von Eheschließungen führen. Sollte infolge der Auslegung des § 2 Abs 2a BKGG durch das Bezirksgericht auch dann Kindergeld zu leisten sein, wenn neben hohen BAföG-Leistungen die Eltern nur ganz geringen Unterhalt zahlten, so könne dies die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden Typisierung nicht in Frage stellen.

Mit der vom Bezirksgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 2a BKGG. Das BVerfG habe mit Beschluß vom 14. Januar 1992 (NJW 1992, 2012) festgestellt, daß die unterschiedliche Berücksichtigung von eigenem Einkommen bei verheirateten und nichtverheirateten Kindern bei Anwendung des § 2 Abs 2a BKGG mit Art 3 Grundgesetz (GG) vereinbar sei. Die im Sozialleistungsbereich zulässige Typisierung rechtfertige den Wegfall des Kindergeldanspruchs, wenn infolge der Heirat im Rahmen der Bedarfsermittlung Nebeneinkünfte des Kindes zum Tragen kämen, die vorher nach § 2 Abs 2 BKGG unberücksichtigt blieben. Dies müsse auch für BAföG-Leistungen gelten. Gemessen an dem Unterhaltsbedarf werde der Unterhalt der Tochter des Klägers überwiegend durch eigenes Einkommen gedeckt mit der Folge, daß er mindestens insoweit von einer Unterhaltspflicht freigestellt sei. Gleichwohl gewährte freiwillige Zahlungen rechtfertigten die wirtschaftliche Entlastung durch Kindergeld nicht. Es könne dahingestellt bleiben, ob und ggf in welchem Umfang der Ehemann der Tochter unter Berücksichtigung seiner Einkommensverhältnisse in ausreichendem Maße leistungsfähig und damit unterhaltspflichtig gewesen wäre.

Die Beklagte beantragt,

den Beschluß des Bezirksgerichts Erfurt – Senat für Sozialrecht – vom 4. Mai 1993 und das Urteil des Kreisgerichts Erfurt – Kammer für Sozialrecht – vom 8. Dezember 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten gegen den Beschluß des Bezirksgerichts Erfurt – Senat für Sozialrecht – vom 4. Mai 1993 zurückzuweisen.

Er trägt vor, die BAföG-Leistung sei kein “Unterhalt” iS des § 2 Abs 2a BKGG, da dort nur auf das Verhältnis zwischen dem Ehegatten einer- und den Eltern andererseits als Unterhaltsleistende abgestellt werde.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Auf der Grundlage der bisher festgestellten Tatsachen kann nicht entschieden werden, ob der Kläger Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter N.… für den streitigen Zeitraum von Januar bis April 1991 hatte. In diesem Zeitraum hatten zwar sowohl der Kläger als auch N.… im Geltungsbereich des BKGG ihren Wohnsitz (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG; dieses Gesetz ist am 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getreten: Buchst B Kapitel X Sachgebiet H Abschnitt III Nr 1b der Anlage I zum Einigungsvertrag). Die über 16-, jedoch unter 27-jährige N.… befand sich auch in Berufsausbildung (§ 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG).

Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs 2a BKGG über die Gewährung von Kindergeld an verheiratete Kinder erfüllt waren. Nach dieser (mit Wirkung zum 1. Januar 1982 durch das 9. Änderungsgesetz-BKGG vom 22. Dezember 1981 – BGBl I 1566 – eingefügten) Regelung wird Kindergeld für verheiratete Kinder nur gewährt, wenn sie vom Berechtigten überwiegend unterhalten werden, weil ihr Ehegatte ihnen keinen ausreichenden Unterhalt leisten kann.

Diese Voraussetzungen fehlen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon deswegen, weil sich N.… selbst im streitigen Zeitraum überwiegend aus eigenen Mitteln (hier: den BAföG-Leistungen) unterhalten haben dürfte. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob ihr darüber hinausgehender (Rest-)Unterhaltsbedarf überwiegend deshalb vom Kläger zu decken war, weil ihr Ehemann ihr keinen (ausreichenden) Unterhalt leisten konnte (1). Die erforderlichen Feststellungen zu dessen Unterhaltspflicht fehlen jedoch (2).

(zu 1) Die Vordergerichte haben nicht übersehen, daß der erkennende Senat ebenso wie andere Spruchkörper und vielfältige Stimmen in der Literatur zu der hier letztlich streitentscheidenden Frage Stellung genommen haben, wann davon auszugehen ist, daß ein Kindergeldantragsteller ein Kind “überwiegend unterhalten” hat. Die Beklagte beruft sich bei der Beantwortung dieser Frage in erster Linie auf die Rechtsprechung des Senats (s dessen Urteile vom 23. Oktober 1984 – 10 RKg 12/83 –, unveröffentlicht; vom 20. Mai 1987 – 10 RKg 12/85 – BSGE 62, 5, 6 f = SozR 1750 § 287 Nr 1; vom 17. Mai 1988 – 10 RKg 10/86 – SozR 5870 § 3 Nr 6; vom 11. Januar 1989 – 10 RKg 14/87 – BSGE 64, 244 = SozR 5870 § 2 Nr 60).

Diese vier Urteile stützen die Rechtsauffassung der Beklagten allerdings nur dem trügerischen ersten Anschein nach. In Wahrheit ist die Sachverhaltsgestaltung in der hier zu entscheidenden Streitsache gerade bei dem von der Beklagten mit Recht herausgestellten Umstand, daß das verheiratete Kind des Klägers eigene Einkünfte hat, gegenüber den früher entschiedenen Streitigkeiten völlig anders:

Den genannten vier Rechtsstreitigkeiten ist gemeinsam, daß eine “überwiegende Unterhaltsleistung” Voraussetzung für die Kindergeldberechtigung war. Dabei war in den beiden zuerst entschiedenen Fällen zwischen den Barleistungen des Großvaters einerseits und den persönlich erbrachten Betreuungsleistungen der Eltern des Kindes andererseits abzuwägen. In dem im Jahre 1988 entschiedenen Falle standen sich Unterhaltsgewährungen des Vaters und des Stiefvaters gegenüber. Schließlich war am 11. Januar 1989 zwischen dem Unterhalt von seiten des Vaters und seiner (berufstätigen) Schwiegertochter zu unterscheiden. In allen diesen Entscheidungen ist der Senat davon ausgegangen, daß überwiegenden Unterhalt leistet, wer “mehr als die Hälfte des gesamten Unterhaltsbedarfs des Kindes abdeckt”.

Der Senat hat keinen Anlaß, diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall aufzugeben. Dagegen rechtfertigt die hier zu entscheidende Fallgestaltung die Übernahme des wiedergegebenen Rechtssatzes nicht.

Den entschiedenen vier Rechtssachen war gemeinsam, daß das zum Bezug von Kindergeld berechtigende Kind ohne – berücksichtigungsfähige – eigene Einkünfte war. Hiervon ist bereits das Kreisgericht zu Recht ausgegangen. Infolgedessen tauchte die Frage nicht auf, wie derartige Einkünfte bei der Entscheidung zu berücksichtigen sein würden. Es ging “nur” um die Rechtsfrage, welche Bedeutung die Leistungen der beiden anderen Personen in ihrer Wertigkeit zueinander für die Frage des überwiegenden Unterhalts hatten. In den drei zuerst entschiedenen Fällen erhob sich darüber hinaus die hier interessierende Frage überhaupt nicht, ob ggf für ein Kind kein Kindergeld mehr zu zahlen war. Vielmehr ging es ausschließlich um den Vorrang des einen oder anderen Unterhalt gewährenden Berechtigten. Bei dieser Abwägung konnte es nur darum gehen, den Anspruch demjenigen zuzusprechen, der “mehr als die Hälfte des Unterhaltsbedarfs abdeckt”. (Für die Entscheidung der reinen Vorrangsfrage dürfte es im übrigen unerheblich sein, ob das Kind teilweise eigene Mittel hat; vgl auch die Entscheidung des Senats vom 29. Oktober 1992, SozR 3-5870 § 3 S 9, wo lediglich die Unterhaltsleistungen der Mutter und des Vaters gegenübergestellt wurden, ohne die Zuwendungen der Großmutter zu berücksichtigen).

Vorliegend kommt es dagegen darauf an, ob sonstige Einnahmen des Kindes Einfluß auf die Kindergeldberechtigung haben. Denn Unterhalt an ein Kind erbringt ein Berechtigter nur, wenn er zu dessen – gesamtem verbleibenden – Unterhaltsbedarf in vom Gesetz vorgesehenen Rahmen beiträgt. Durch die Regelung des § 2 Abs 2a BKGG ist es vorgegeben, anhand der zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen dreierlei Unterhaltsbeiträge in die Betrachtung einzubeziehen: 1. eigene Mittel des Kindes, 2. Unterhaltsleistungen des vorrangig verpflichteten Ehegatten und 3. Unterhalt von seiten des – bisher – Kindergeldberechtigten. Eine derartige Sachverhalts- und Rechtsgestaltung erfaßt der in den oa Urteilen des Senats aufgestellte Rechtssatz naturgemäß nicht ohne weiteres. Diese Frage ist vielmehr aufgrund des Zweckes und der Geschichte der Norm des § 2 Abs 2a BKGG zu ermitteln. Dabei ergibt sich folgendes:

Die frühere – absolute – Heiratsklausel des § 2 Abs 2 Satz 1 BKGG vom 14. April 1964 (BGBl I 265) hat das BVerfG als mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG unvereinbar erklärt (Beschluß vom 14. Juli 1970, BVerfGE 25, 71). Dabei ging es – ebenso wie bei der entsprechenden Regelung für die Waisenrente aus der Rentenversicherung (BVerfG vom 27. Mai 1970, BVerfGE 28, 324, 347) – davon aus, daß die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden könne: “Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben: Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichnete besondere Lage der Ehegatten darf gerade bei der konkreten Maßnahme den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft nicht widersprechen und somit als Diskriminierung der Ehe anzusehen sein.” Entsprechend hat es das BVerfG in der damaligen Entscheidung zum BKGG als “nicht sachgerecht” erachtet, “die Heirat des Kindes auch dann zum Anlaß einer Schlechterstellung des Kindergeld-Berechtigten zu nehmen, wenn dieses Ergebnis an dessen wirtschaftlicher Belastung nichts ändert” (BVerfGE 29, 71, 79). Dies gelte selbst dann, wenn das Kind mit der Heirat aus der häuslichen Gemeinschaft mit den Eltern ausscheide und damit eine bis dahin etwa noch andauernde persönliche Betreuung des Kindes durch die Eltern entfalle (BVerfGE aaO 79 f).

Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat der Gesetzgeber dann über 10 Jahre später die jetzige differenzierte Verheirateten-Klausel des § 2 Abs 2a BKGG eingeführt. Nach den Materialien (BT-Drucks 9/842 S 54) hatten “sich die Fälle gehäuft, in denen – inbesondere in Ausbildung stehende – volljährige Kinder bereits verheiratet sind und ganz oder überwiegend von ihren Ehegatten unterhalten werden können, so daß sie nicht mehr oder nicht mehr in einem die Zahlung von Kindergeld rechtfertigenden Umfang von ihren Eltern unterhalten zu werden brauchen. Diese Fälle sollen künftig kindergeldrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden. Das Kriterium, nach dem die Berücksichtigung entfällt, wenn die Eltern das Kind nicht mehr überwiegend zu unterhalten brauchen, ist in einem stark typisierenden Leistungssystem angemessen. Es verhindert, daß Eltern, die nur noch in verhältnismäßig geringem Umfang Unterhalt für ihr verheiratetes Kind leisten, dafür Kindergeld erhalten.”

Nach den Materialien soll der Kindergeldanspruch des Berechtigten bei Verheiratung eines Kindes also dann entfallen, wenn infolge der Unterhaltsleistungen seines Ehegatten eine wirtschaftliche Entlastung eintritt. Diese Zielrichtung des Gesetzgebers kann auch dem Gesetzeswortlaut entnommen werden. Denn § 2 Abs 2a, 2. Halbs BKGG (“weil ihr Ehegatte …”) setzt für den Kindergeldanspruch voraus, daß der Kindergeld-Berechtigte wegen der unzureichenden Unterhaltsfähigkeit des “Schwieger-Kindes” das Kind weiterhin überwiegend unterhält. Der hiernach erforderlichen kausalen Verknüpfung des vom Kg-Berechtigten auch nach der Verheiratung geleisteten Unterhalts einerseits mit der Unterhaltsfähigkeit des Schwieger-Kindes auf der anderen Seite wird nur eine Auslegung gerecht, welche den Unterhaltsbeitrag des Kindergeldberechtigten mit der neu entstandenen Unterhaltsverpflichtung des Schwieger-Kindes vergleicht. Geben dagegen, wie dies in der Argumentation der Revision der Fall ist, eigene Einkünfte des Kindes den Ausschlag, obwohl diese vor der Verheiratung in derselben Weise vorhanden und anspruchsunschädlich waren, so wird genau das vom BVerfG (aaO) mißbilligte Ergebnis erzielt, daß nämlich die Verheiratung im Ergebnis einen wirtschaftlichen Nachteil für den Kindergeldberechtigten mit sich bringt.

Die Beklagte kann sich für ihre Rechtsauffassung auch nicht auf den Kammerbeschluß des BVerfG vom 14. Januar 1992 (SozR 3-5870 § 2 Nr 18) berufen. In dem hierzu gebildeten Orientierungssatz heißt es zwar – mißverständlich –: “Es ist nicht verfassungswidrig, daß Nebeneinkünfte des Kindes zum Wegfall des Kindergeldes führen können, wenn das Kind verheiratet ist, während sie beim unverheirateten Kind für den Anspruch unerheblich sind.” Das BVerfG hatte jedoch über einen Fall zu entscheiden, in dem der Unterhaltsbedarf des Kindes von DM 765,--/ Monat in Höhe von mindestens DM 165,--/Monat durch eigenes Einkommen des Kindes gedeckt war und die vorrangig unterhaltspflichtige Ehefrau aufgrund ihres Einkommens den Restunterhalt von DM 600,--/Monat mindestens zur Hälfte tragen mußte. Durch die Heirat des Sohnes war daher die Unterhaltspflicht des Kindergeldberechtigten ganz erheblich um mindestens die Hälfte (von DM 600,--/ Monat auf höchstens DM 300,-- /Monat) herabgesetzt worden.

Hierzu führt die zitierte Kammer-Entscheidung ausdrücklich aus: “Auf dieser Grundlage begegnet aber auch § 2 Abs 2a BKGG in der Auslegung der angegriffenen Entscheidungen, in denen bei der Bemessung des Unterhalts die Nebeneinkünfte des Kindes berücksichtigt worden sind, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zu einem Wegfall der Kindergeldberechtigung kann es danach nur kommen, wenn der vorrangig unterhaltsverpflichtete Ehegatte des Kindes soweit leistungsfähig ist, daß er von dem Unterhaltsbedarf, der nach Anrechnung der (Neben-)Einkünfte des Kindes verbleibt, zumindest die Hälfte tragen kann. Der (potentiell) Kindergeldberechtigte wird dadurch im Ergebnis wesentlich stärker finanziell entlastet, als er es bei einem unverheirateten Kind mit Nebeneinkünften in der im Regelfall zu erwarteten Höhe wäre” (Hervorhebung nur hier).

(zu 2) Ist aber, wie aufgezeigt, für die Feststellung, wer den überwiegenden Unterhalt im Sinne des § 2 Abs 2a BKGG leistet bzw leisten muß, nur auf den Vergleich zwischen den Kindergeldberechtigten, also typischerweise einem Elternteil, und dem Ehegatten des Kindes (dem “Schwieger-Kind”) abzustellen, so ist – wie es bereits Kreis- und Bezirksgericht im Grundsatz getan haben – einerseits die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit (nicht die tatsächliche Leistung, da Abs 2a auf das “Unterhalt-leisten-können” abstellt) des Schwieger-Kindes der tatsächlichen Unterhaltsleistung des Elternteils andererseits gegenüberzustellen. Hierbei ist zu beachten, daß – auch im Rahmen des § 2 Abs 2a BKGG – ein Kind nur insoweit “unterhalten” wird, als die ihm erbrachten Bar- oder Sachleistungen seinen angemessenen Lebensbedarf (§ 1610 Abs 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) decken. Darüber hinausgehende Zuwendungen sind Vergünstigungen anderer Art (BSG vom 29. Oktober 1992, SozR 3-5870 § 3 Nr 3 S 9 unter Bezug auf BSG vom 17. Mai 1988, SozR 5870 § 3 Nr 6).

Zur Ermittlung der Unterhaltspflicht des Schwieger-Kindes ist die Regelung des § 1608 BGB über die Rangfolge der Unterhaltspflichten zwischen dem Ehegatten und den Verwandten des Unterhaltsbedürftigen heranzuziehen. Nach dieser Vorschrift haftet der Ehegatte des Bedürftigen vor dessen Verwandten. Dies gilt auch dann, wenn der nach ihrer Lebensstellung geschuldete Unterhalt der Eltern den vom Ehegatten nach dem (neuen) ehelichen Verhältnissen zu leistenden Unterhalt überstiege. Soweit jedoch der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts Leistungen zu gewähren, haften die Verwandten vor dem Ehegatten. Damit bleiben die Eltern einem verheirateten Kind nur dann unterhaltspflichtig, wenn der Ehegatte nicht leistungsfähig ist (BGH vom 30. Januar 1964, BGHZ 41, 104, 113). Zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Ehegatten ist von dessen Einkommen der angemessene Selbstbehalt abzuziehen: Ein Ehegatte schuldet dem anderen bei Vorhandensein leistungsfähiger Verwandten nur dann Unterhalt, wenn die Grenze des Selbstbehalts überschritten wird (OLG Köln vom 8. Juni 1989, FamRZ 1990, 54; OLG Frankfurt/Main vom 5. Juni 1984, FamRZ 1985, 704; so auch der Senat im Urteil vom 11. Januar 1989, BSGE 64, 244, 247 = SozR 5870 § 2 Nr 60).

Demgegenüber sei zur Klarstellung auf folgendes hingewiesen: Im Regelungszusammenhang des § 2 Abs 2a BKGG ist unerheblich, daß sich die Eheleute untereinander – im Innenverhältnis – jedenfalls bei Zusammenleben nicht auf einen Selbstbehalt berufen dürfen (vgl auch BVerfG vom 10. Januar 1984, BVerfGE 66, 84, 99). Im Innenverhältnis gilt folgendes: Hier gibt es einen dem Wesen der Ehe entsprechenden gemeinsamen Lebensbedarf der Ehegatten (§ 1360 Satz 1, § 1360a Abs 1 und 2 BGB), zu dem beide ohne Vorrang der Selbsterhaltung beizusteuern haben. Lediglich bei Getrenntleben bleibt dem Verpflichteten aus Praktikabilitätsgründen das Existenzminimum für sich allein, denn anderenfalls müßten sowohl Verpflichteter als auch Berechtigter auf (ergänzende) Sozialhilfe verwiesen werden (Kalthoener/Büttner. Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 4. Aufl 1989, RdNr 37). Grundsätzlich jedoch hat jeder Ehegatte alle seine verfügbaren Mittel zum gemeinsamen Unterhalt zu verwenden (so auch § 1603 Abs 2 Satz 1 BGB für eine Familie mit Kindern). Dies bedeutet im vorliegenden Falle, daß – ohne Berücksichtigung der Zuwendungen des Klägers – die BAföG-Leistungen der Tochter des Klägers (DM 510,-/Monat) und das Alg ihres Ehemannes (unterstellt: DM 790,40/Monat) in einen gemeinsamen “Topf” zu werfen waren, der damit DM 1.300,40/Monat an Barmitteln umfaßte.

Im Rahmen des § 2 Abs 2a BKGG ist jedoch allein erheblich, inwieweit der (Rest-)Unterhaltsbedarf der Tochter des Klägers im Verhältnis zu diesem von ihrem Ehemann zu decken war; hieraus wiederum ergibt sich, ob und inwieweit die vom Kläger erbrachten Zuwendungen seine Tochter “unterhalten” haben. Darauf aber haben die innerehelichen Unterhaltspflichten keinen Einfluß.

Denn auf der einen Seite führt die Heirat des Kindes rechtlich zu keiner erweiterten Unterhaltspflicht der Eltern: Nach § 1610 Abs 2 BGB erfaßt der zu gewährende angemessene Unterhalt (§ 1610 Abs 1 BGB) lediglich den Lebensbedarf des Bedürftigen, nicht aber die von diesem zu erfüllenden Unterhaltspflichten. Von anderer Seite gegen den Empfänger gerichtete Unterhaltsforderungen erhöhen seinen Bedarf nicht. Anderenfalls entstünde – mittelbar – eine Unterhaltspflicht über den gesetzlichen Rahmen (§ 1601 BGB: Verwandte in gerader Linie/§ 1360, § 1361 BGB: Ehegatten/§ 1369 BGB: geschiedene Ehegatten) hinaus (so auch BGH vom 6. Dezember 1984, BGHZ 93, 123, 130 f mwN). Dem entspricht auf der anderen Seite, daß Unterhaltsleistungen seines Ehegatten den Bedarf des Kindes nicht mindern, solange der angemessene Unterhalt des Ehegatten nicht durch dessen Eigenmittel gedeckt ist. Denn die unterhaltspflichtigen Eltern eines Ehegatten sollen nicht allein durch dessen Heirat von ihren Unterhaltspflichten – teilweise – entlastet werden, wenn das Einkommen der jungen Eheleute nicht zu einem angemessenen Unterhalt für beide reicht. Eben dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 1608 BGB, die wiederum der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG entspricht. Denn sonst würde sich im aufgezeigten Zusammenhang ein unterhaltsberechtigtes Kind allein durch seine Heirat schlechter stellen.

Der “angemessene Unterhalt”, (Legaldefinition: § 1610 Abs 1 BGB), der nach § 1608 Satz 2 BGB dem an sich unterhaltspflichtigen Ehegatten im Verhältnis zu seinen Schwiegereltern zu verbleiben hat, entspricht zum einen demjenigen Betrag, den dieser seinerseits gegenüber ihm Unterhaltspflichtigen geltend machen kann (§ 1610 Abs 1 und 2 BGB) und zum anderen dem sogenannten “großen Selbstbehalt”, den ein Unterhaltspflichtiger seinen volljährigen Kindern oder sonstigen Unterhaltsberechtigten entgegenhalten kann (§ 1603 Abs 1 BGB).

Es bestehen keine Bedenken, bei der Ermittlung des Selbstbehalts im Regelfall auf Erfahrungswerte zurückzugreifen, wie sie in Bedarfstabellen oder Unterhaltsrichtlinien (zB der Düsseldorfer Tabelle oder der vom Bezirksgericht angewandten Berliner Tabelle ) ausgewiesen werden. Dies wird im Rahmen einer Massenverwaltung – wie der Entscheidung über Kindergeldanträge – auch notwendig sein. Das enthebt die Gerichte aber nicht, alle von der Norm abweichenden Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wenn solche Umstände konkret geltend gemacht werden oder sonst erkennbar sind (so bereits der Senat im Urteil vom 11. Januar 1989, BSGE 64, 244, 246 f mwN = SozR 5870 § 2 Nr 60).

Nach der vom Bezirksgericht angewandten “Berliner Tabelle”, Stand: 1. Januar 1991 (Brudermüller/Klattenhoff, Tabellen zum Familienrecht – TzFamR –, 8. Aufl, Stand: 1. Januar 1993, S 23) betrug der “große Selbstbehalt”/angemessene Eigenbedarf DM 1.100,--/Monat. Demgegenüber bezifferten die Tabellen des Bezirksgerichts Gera (Stand: November 1991) den “großen Selbstbehalt” des im Beitrittsgebiet wohnenden Unterhaltsverpflichteten für den Zeitabschnitt bis zum 30. September 1991 mit DM 900,-- bei Erwerbstätigkeit und DM 850,-- bei Nichterwerbstätigkeit des Verpflichteten (TzFamR S 136).

Legt man aber diese Werte zugrunde, so blieb das eigene Einkommen des Schwiegersohnes des Klägers im streitigen Zeitraum (Alg in Höhe von – höchstens – DM 790,40/Monat) stets unterhalb des “großen Selbstbehalts”. Hiervon ist das Bezirksgericht also mit Recht ausgegangen.

Hierbei hat es jedoch nicht erkennbar berücksichtigt, daß der Selbstbehalt des Schwiegersohnes sich evtl durch das Zusammenleben mit der Tochter des Klägers vermindern konnte. Die vom Bezirksgericht herangezogene “Berliner Tabelle” (aaO) versteht sich nach Ihrer Vorbemerkung als Ergänzung der “Düsseldorfer Tabelle”. Hiernach aber (Stand: 1. Juli 1992, Abschnitt B V, VI, TzFamR S 16) mindert sich der monatliche notwendige Eigenbedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten dann – durchaus erheblich –, wenn er mit dem Unterhaltspflichtigen einen gemeinsamen Haushalt führt; auch nach den “Hamburger Leitlinien” (Stand: 1. Juli 1992, Nr 2 – TzFamR S 42) kommt beim Zusammenleben in einer häuslichen Gemeinschaft eine Herabsetzung der Eigenbedarfssätze in Betracht (vgl ferner Kalthoener/Büttner aaO, RdNr 37 sowie lgl, SGb 1990, 124, 125).

Das Berufungsgericht wird daher festzustellen haben, ob und ggf inwieweit das vom Schwiegersohn bezogene Alg seinen angemessenen Selbstbehalt (unter Berücksichtigung des Zusammenlebens) überschritt. Nur in dieser Höhe konnte er seiner Ehefrau, der Tochter des Klägers, Unterhalt leisten. Auf deren Unterhaltsbedarf sind wiederum ihre eigenen Einnahmen anzurechnen. Hierzu gehören Leistungen nach dem BAföG auch insoweit, als sie darlehensweise gewährt werden (BGH vom 19. Juni 1985, NJW 1985, 2331). Schließlich bleibt zu prüfen, ob auch dann noch der vom Kläger geleistete (Rest-)Unterhalt bis zum Erreichen des Unterhaltsbedarfs seiner Tochter (der wiederum von Vorteilen des Zusammenlebens beeinflußt sein kann, unter Umständen auch durch Ersparnisse infolge von Haushaltstätigkeiten des nicht erwerbstätigen Ehegatten) den von seinem Schwiegersohn zu leistenden Unterhaltsbeitrag überschritten hat. Wenn ja, steht ihm Kindergeld für die streitige Zeit zu.

Weiterhin ist zu beachten, daß der Begriff “unterhalten” im § 2 Abs 2a BKGG jedenfalls nicht voraussetzt, daß eine Mindesthöhe des Unterhalts gezahlt wird, wie sie etwa die Rechtsprechung zur Geschiedenenwitwenrente (§ 1265 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫, § 243 SGB VI) fordert (hierzu BSG vom 13. September 1990, SozR 3-1200 § 1265 Nr 4 S 16 f mwN). Der Senat neigt zu der Auffassung, daß insoweit eine Bagatellgrenze auch nicht aus § 10 BKGG – also etwa in Form der Mindesthöhe des Kindergeldes – entnommen werden kann. Denn wenn die Gewährung von Kindergeld für nichtverheiratete Kinder im Rahmen des § 2 Abs 2 BKGG nicht berücksichtigt, ob der Kindergeldberechtigte überhaupt Unterhalt leistet, so können an den Begriff “unterhalten” in § 2 Abs 2a BKGG keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Beim gegenwärtigen Streitstand kann der Senat allerdings offenlassen, ob Zuwendungen in zu vernachlässigender Höhe (zB unter DM 10,--/Monat) ein Kind iS des § 2 Abs 2a BKGG “unterhalten”. Für die Anwendung einer derartigen Bagatellgrenze könnten Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung sprechen.

Unberücksichtigt kann demgegenüber bleiben, ob und inwieweit auch der Kläger selbst mit seinem eigenen Einkommen unterhalb des von ihm gegenüber seiner Tochter geltend zu machenden eigenen “großen Selbstbehalts” lag (insoweit fehlen jegliche Feststellungen des Bezirksgerichts). Denn nach Auffassung des Senats “unterhalten” iS des § 2 Abs 2a BKGG (kindergeldberechtigte) Eltern ihre Kinder auch dann, wenn sie ihnen Zahlungen bis zur Deckung von deren Unterhaltsbedarf leisten, auch ohne daß sie – mit Rücksicht auf ihren eigenen Selbstbehalt – zur Leistung verpflichtet wären. Damit wird das widersinnige Ergebnis vermieden, daß in Mangelsituationen kein Kindergeld zusteht, während bei Bessersituierten (die ohne Gefährdung ihres Selbstbehalts Unterhalt leisten können) diese Sozialleistung zusätzlich gewährt wird. In dieser Auslegung sieht sich der Senat darin bestätigt, daß § 2 Abs 2a BKGG die Unterhaltspflichtigkeit des Schwieger-Kindes dem tatsächlichen Unterhalten durch den Kindergeldberechtigten (und nicht etwa dessen Unterhaltspflicht) gegenüberstellt.

Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1995, 79

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