Verfahrensgang
LG Dortmund (Beschluss vom 08.05.2007; Aktenzeichen 44 KLs 1/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Der angefochtene Beschluss, mit dem das Landgericht einen Antrag des Beschwerdeführers auf Abtrennung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens abgelehnt hat, ist als der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung (§ 305 Satz 1 StPO) mit der Verfassungsbeschwerde nicht isoliert anfechtbar. Es gelten die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht für die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen entwickelt hat.
I.
Verfassungsbeschwerden gegen strafprozessuale, der Beschwerde entzogene Zwischenentscheidungen sind grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 1, 9 ≪10≫; 7, 109 ≪110 f.≫; 9, 261 ≪265≫; 21, 139 ≪143≫). Die isolierte Anfechtbarkeit einer Zwischenentscheidung kommt nur in Betracht, wenn diese einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen hat, der sich später gar nicht oder nicht vollständig beheben lässt (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪120≫ m.w.N.). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Betroffene etwaige durch die Zwischenentscheidung bewirkte Grundrechtsverletzungen nicht mit der Anfechtung der Endentscheidung im fachgerichtlichen Verfahren rügen kann (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪143 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 1994 – 2 BvR 1547/94 –, NJW 1995, S. 316) oder ihm die Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsschutz nicht zuzumuten ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2003 – 2 BvR 2000/03 –, juris, Abs.-Nr. 4; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2002 – 2 BvR 932/02 –, juris, Abs.-Nr. 20 f.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2001 – 2 BvR 1152/01 –, NStZ 2002, S. 99). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
II.
1. Der Beschwerdeführer kann die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen im Revisionsverfahren rügen. Auch wenn Verbindung und Trennung von Verfahren grundsätzlich dem Ermessen des Tatrichters überlassen sind, kann ein Beschwerdeführer im Revisionsverfahren im Wege der Verfahrensrüge geltend machen, dass der Tatrichter das ihm zustehende Ermessen missbraucht hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2002 – 2 BvR 932/02 –, juris, Abs.-Nr. 19 und 25; BGH, Urteil vom 5. Februar 1963 – 1 StR 265/62 –, NJW 1963, S. 869 f.; Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl. 2003, § 4 Rn. 13 sowie § 2 Rn. 15, § 3 Rn. 5, § 16 Rn. 7 und 9; Kuckein, Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl. 2003, § 338 Rn. 66 f.). Ein solcher Ermessensmissbrauch kann insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung über die Verbindung der Verfahren beziehungsweise die Ablehnung der Trennung Bedeutung und Tragweite von Grundrechten des Beschuldigten nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt hat. Grundrechte des Beschuldigten setzen dem Ermessenspielraum des Tatrichters verfassungsrechtliche Grenzen. Zu diesen den Ermessensspielraum eingrenzenden Grundrechten gehören insbesondere die hier vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Rechte auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren und auf zügigen Abschluss des Strafverfahrens sowie das Übermaßverbot (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2002 – 2 BvR 932/02 –, juris, Abs.-Nr. 26 f.). Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die Ablehnung der Verfahrenstrennung kann der Beschwerdeführer im Revisionsverfahren überdies durch eine eigenständige, auf die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gestützte Verfahrensrüge geltend machen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2003 – 5 StR 376/03 –, NStZ 2004, S. 639 ≪641≫; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 StR 315/06 –, juris, Abs.-Nr. 4; BGH, Beschluss vom 21. Februar 2007 – 4 StR 548/06 –, juris).
2. Dass dem Beschwerdeführer eine Verweisung auf das Revisionsverfahren nicht zuzumuten sei, ist nicht dargetan.
a) Im Grundsatz ist es einem Beschwerdeführer zuzumuten, das anhängige Strafverfahren zu durchlaufen und im Falle seiner Verurteilung fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG). Die Nachteile der Beendigung des laufenden Verfahrens und der drohenden Wiederholung der Hauptverhandlung wegen eines Verfahrensfehlers genügen für sich genommen regelmäßig nicht, die Unzumutbarkeit des fachgerichtlichen Verfahrens zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. April 1995 – 2 BvR 62/95, 2 BvR 765/95 –, juris, Abs.-Nr. 1; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2003 – 2 BvR 2000/03 –, juris, Abs.-Nr. 4; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 178/06 –, juris, Abs.-Nr. 7). Hierdurch entstehende zeitliche und finanzielle Belastungen sind grundsätzlich hinzunehmen.
b) Gewichtige Umstände, die hier eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigten, sind weder die bisherige Verfahrensdauer noch die derzeitige Unabsehbarkeit der Verfahrensbeendigung.
Dass ein Strafverfahren längere Zeit in Anspruch nimmt, ist hinzunehmen, es sei denn die Verfahrensdauer ist auf zögerliches Betreiben des Strafverfahrens durch das Gericht zurückzuführen. Dass dies der Fall sei, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Dem von ihm mitgeteilten Sachverhalt ist zu entnehmen, dass die bisherige Verfahrensdauer der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität der Materie geschuldet ist. Im Übrigen kann das Tatgericht eine lange Verfahrensdauer bei der Strafzumessung berücksichtigen, wobei etwaige unangemessene Verfahrensverzögerungen ohnehin bei Zumessung der Strafe zu kompensieren sind und eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in Ausnahmefällen sogar dazu führen kann, dass dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von Verfassungs wegen nur noch durch eine Verfahrensbeendigung ohne Strafausspruch, etwa eine Einstellung des Verfahrens, hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfGK 2, 239 ≪247 f., 253≫).
Dass eine Beendigung des Verfahrens derzeit nicht absehbar ist, macht es für den Beschwerdeführer ebenfalls nicht unzumutbar, das Strafverfahren zu durchlaufen und etwaige Grundrechtsverletzungen im Revisionsverfahren zu rügen. Unzumutbar mag dies dann sein, wenn eine isolierte Verhandlung eine zeitnahe Erledigung verspricht. So hat das Bundesverfassungsgericht die gegen einen Verbindungsbeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde in einem Einzelfall als zulässig erachtet. Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts hatte die Strafkammer gegen den erklärten Willen der Staatsanwaltschaft ein durchschnittliches Wirtschaftsstrafverfahren gegen den – laut Anklageschrift aussagebereiten – Beschwerdeführer, das nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft innerhalb weniger Verhandlungstage abgeschlossen werden konnte, mit einem nahezu unübersichtlich gewordenen, nur zögernd voranschreitenden Großverfahren mit neun Angeklagten und einer Vielzahl von Verteidigern, in dem die Strafkammer bereits an vierzig Sitzungstagen ergebnislos verhandelt hatte, verbunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2002 – 2 BvR 932/02 –, juris, Abs.-Nr. 21 und 29).
Hier liegt der Fall anders. Selbst bei Abtrennung des Verfahrens ist nicht mit einem zeitnahen Abschluss zu rechnen. Dagegen spricht schon die tatsächliche und rechtliche Komplexität des Anklagevorwurfs, zumal auch nach Abtrennung des Verfahrens über den Tatvorwurf des kollusiven Zusammenwirkens des Beschwerdeführers mit den anderen Mitangeklagten – jedenfalls mit dem Mitangeklagten W… – Beweis zu erheben wäre.
Überdies hat die Verteidigung des Beschwerdeführers im laufenden Verfahren – selbst nach den bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde durchgeführten 147 Verhandlungstagen – Beweisanträge angekündigt. Über diese wäre auch nach Abtrennung des Verfahrens zu entscheiden. Nimmt man – wie der Beschwerdeführer – an, dass das Strafverfahren im Fall der Abtrennung an seinem Wohnsitz in Berlin fortzusetzen wäre, liegt ein zeitnaher Abschluss umso ferner. Das übernehmende Berliner Gericht hätte seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) zu schöpfen. Die vor dem Landgericht Dortmund bereits erhobenen, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer betreffenden Beweise müsste ein Berliner Gericht erneut erheben, so dass das Verfahren gegen den Beschwerdeführer dort faktisch von neuem begänne.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1786211 |
NJW 2007, 3563 |
NJW-Spezial 2007, 616 |