Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung von Verwaltungsakten an Bevollmächtigte
Leitsatz (redaktionell)
Wenn auch zur Schaffung klarer und unverbrüchlicher Verfahrenslagen bei der Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten an Bevollmächtigte eine schriftliche Empfangsvollmacht vorzuziehen sein mag, genügt doch zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch eine nur mündlich oder nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht und Anscheinsvollmacht schlüssig erteilte Vollmacht (hier: Zustellung von Steuerbescheiden an Wirtschaftsprüfungsgesellschaft).
Normenkette
FGO § 62; VwZG § 8 Abs. 1; AO 1977 § 122; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Wenn der Bundesfinanzhof im Ausgangsfall unter Hinweis auf Treu und Glauben den Einwand der Beschwerdeführerin, die Übermittlung der Bescheide vom 5. November 1971 für sie an die Wirtschaftsprüfungsellschaft sei mangels schriftlicher Zustellungsvollmacht unwirksam, für unbeachtlich erklärt hat, so wollte er ersichtlich zum Ausdruck bringen, die Beschwerdeführerin müsse es sich entsprechend den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht gefallen lassen, daß die Zusendung der Bescheide an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als eine der Beschwerdeführerin gegenüber wirksame Bekanntgabe angesehen wird. Die Vorschriften über die Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten sollen gewährleisten, daß der Betroffene Gelegenheit erhält, vom Inhalt des Steuerverwaltungsakts Kenntnis zu nehmen und seine Rechtsverteidigung gegebenenfalls darauf einzurichten. Sie dienen damit im Vorfeld eines möglichen gerichtlichen Verfahrens der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs. Mag auch zur Schaffung klarer und unverbrüchlicher Verfahrenslagen, eine schriftliche Empfangsvollmacht vorzuziehen sein, so genügt doch zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch eine nur mündlich oder nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht schlüssig erteilte Vollmacht.
Im Ausgangsfall war die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unstreitig von der Beschwerdeführerin beauftragt, während des Betriebsprüfungsverfahrens die steuerlichen Interessen der Beschwerdeführerin wahrzunehmen und in dieser Angelegenheit mit dem Finanzamt zu korrespondieren. Sie hat nach Ergehen der Bescheide innerhalb weniger Tage ausdrücklich namens und im Auftrag der Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt, die Beschwerdeführerin sodann während des Einspruchverfahrens gegenüber dem Finanzamt vertreten und für die Beschwerdeführerin Schriftsätze eingereicht. Unstreitig hat auch der bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Angelegenheit befaßte Sachbearbeiter die Bescheide mit der Beschwerdeführerin erörtert und die zu unternehmenden Schritte mit ihr besprochen. Gegenüber dem Finanzamt ist in dieser Zeit nicht zum Ausdruck gebracht worden, die Bekanntgabe sei nicht gegenüber dem richtigen Empfänger erfolgt und werde demzufolge als unwirksam angesehen. Daraus läßt sich nur schließen, daß die Beschwerdeführerin mit der Übermittlung der Bescheide an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zumindest stillschweigend einverstanden war und sie gegen sich gelten lassen wollte. Es liegt auf der Hand, daß die Beschwerdeführerin nach über zehn Jahren dieses Einverständnis nicht rückwirkend widerrufen kann, um dem ganzen Verfahren die Grundlage zu entziehen. Weshalb es gegen Prinzipien rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung verstoßen sollte, die Beschwerdeführerin an ihrem vor über zehn Jahren an den Tag gelegten Einverständnis festzuhalten, läßt sich nicht erkennen.
Zu Unrecht behauptet die Beschwerdeführerin, der Bundesfinanzhof habe ihr Vorbringen übergangen, wonach ihr Prozeßbevollmächtigter erst bei der Lektüre des BMF-Schreibens vom 30. April 1982 über die Bekanntgabe von schriftlichen Verwaltungsakten auf die Idee gekommen sei, die Wirksamkeit der Bekanntgabe der Steuerbescheide näher nachzuprüfen. Sie verkennt dabei, daß nicht jedes Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich beschieden werden muß. Der Bundesfinanzhof hat ihren Einwand ersichtlich nicht wegen illoyal verzögerten Vorbringens scheitern lassen, sondern weil das Vorbringen ungeeignet war, die vor zehn Jahren bestehende Duldungs- und Anscheinsvollmacht nachträglich zu zerstören.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen