Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Vorlage wegen etwaiger unzulässiger Rückwirkung von § 114 Abs. 1 StBerG

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Vorlage der Frage, ob die in § 114 Abs. 1 StBerG vorgesehene Rückwirkung verfassungswidrig sei, ist mangels Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Norm unzulässig. Die Norm setzt eine Verfehlung bei der Berufsausübung voraus, laut Vorlagebeschluß hat sich der Beschuldigte jedoch nicht als Steuerberater sondern als GmbH-Geschäftsführer schuldig gemacht, so daß die Anwendbarkeit von § 114 Abs. 1 StBerG hätte dargelegt werden müssen.

 

Normenkette

GG Art. 100 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2; BVerfGG § 80 Abs. 2; StBerG § 46 Abs. 1, § 47 Abs. 1, § 114 Abs. 1

 

Gründe

I.

1. Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (StBerG) vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1301), das am 1. November 1961 in Kraft getreten ist, enthält im Fünften Teil (§§ 46-107) Vorschriften über die Berufsgerichtsbarkeit. Danach wird ein Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter, der seine Pflichten schuldhaft verletzt, berufsgerichtlich mit Warnung, Verweis, Geldbuße oder Ausschließung aus dem Beruf bestraft (§ 46 Abs. 1, § 47 Abs. 1).

§ 114 Abs. 1 StBerG bestimmt:

Die Vorschriften des Fünften Teils dieses Gesetzes sind anzuwenden, wenn ein Mitglied der Berufskammer seine Pflichten bei der Berufsausübung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes schuldhaft verletzt hat.

2. Der Beschuldigte des berufsgerichtlichen Ausgangsverfahrens wurde im Jahr 1948 vom Finanzamt X. als Helfer in Steuersachen zugelassen. Vom November 1958 bis Juli 1961 war er Mitgesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der X.er Verkehrsgesellschaft. Bei dieser Tätigkeit, die er außerhalb seines Berufs als Steuerbevollmächtigter ausübte, beging er strafbare Handlungen. Er wurde deshalb durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts B. vom 29. März 1962 zu einer Gesamtstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten Gefängnis sowie zu Geldstrafen von 250.– und 2500.– DM verurteilt.

Wegen dieser Straftaten warf ihm der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht … in einer Anschuldigungsschrift vom 31. August 1963 vor, in den Jahren 1959 bis 1961 seine Pflichten als Steuerbevollmächtigter schuldhaft verletzt zu haben, indem er sich außerhalb seiner Berufstätigkeit nicht des Vertrauens und der Achtung, die sein Beruf erforderten, würdig erwiesen habe. Der Generalstaatsanwalt beantragte, das Hauptverfahren vor dem Landgericht K. – Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen – zu eröffnen.

Durch Beschluß vom 11. März 1964 hat die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Landgericht K. das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Bestimmung des § 114 Abs. 1 StBerG mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Zur Begründung führte das Gericht aus: Die dem Beschuldigten vorgeworfenen Pflichtverletzungen seien sämtlich in der Zeit vor Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes begangen worden. Im Land Nordrhein-Westfalen habe es damals keine Berufsgerichtsbarkeit gegenüber Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten gegeben, berufsgerichtliche Strafen seien nicht angedroht gewesen. Nach §§ 107 und 107 a AO hätten lediglich die Finanzbehörden bei schweren Berufspflichtverletzungen die Berufszulassung entziehen können. Diese Entziehung der Zulassung sei aber eine reine Verwaltungsmaßnahme ohne Strafcharakter gewesen. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG schließe daher eine berufsgerichtliche Bestrafung des Beschuldigten aus. Die gegenteilige Vorschrift des § 114 Abs. 1 StBerG sei verfassungswidrig.

3. Der Bundesminister der Finanzen hat ausgeführt: § 114 Abs. 1 StBerG lasse sich verfassungskonform auslegen. Er gelte nach Maßgabe des Art. 103 Abs. 2 GG nur für solche Pflichtverletzungen, deren Strafbarkeit schon vor Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften bestimmt gewesen sei. Solche gesetzlichen Vorschriften hätten in den Ländern der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone bestanden. In Ländern dagegen, die – wie z. B. Nordrhein-Westfalen – vor dem Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes disziplinarische Strafmaßnahmen gegen steuerberatende Berufe nicht gekannt hätten, stehe Art. 103 Abs. 2 GG einer Bestrafung nach § 114 Abs. 1 StBerG entgegen.

Der Betroffene hält die verfassungsrechtlichen Erwägungen des Vorlagebeschlusses für zutreffend, ist aber der Ansicht, daß es darauf nicht ankomme. § 114 Abs. 1 StBerG finde seinem Wortlaut nach nur dann Anwendung, wenn ein Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter seine Pflichten „bei der Berufsausübung” verletzt habe; diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

II.

Die Vorlage ist unzulässig.

Zwar steht der Zulässigkeit nicht entgegen, daß die Vorlage vor Eröffnung des Hauptverfahrens vorgenommen worden ist; denn schon in diesem Abschnitt des Verfahrens muß sich das Gericht über die Gültigkeit der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen schlüssig werden (BVerfGE 4, 352 [355]). Die Vorlage entspricht jedoch nicht den Erfordernissen des § 80 Abs. 2 BVerfGG, da sie nicht erkennen läßt, inwiefern von der Gültigkeit der in Zweifel gezogenen Rechtsvorschrift die Entscheidung des vorlegenden Gerichts abhängig ist.

Auf die Gültigkeit des § 114 Abs. 1 StBerG kommt es bei der von dem vorlegenden Gericht zu treffenden Entscheidung nur an, wenn diese Vorschrift auf den im Ausgangsverfahren vorliegenden Fall überhaupt Anwendung finden kann. Das vorlegende Gericht hat sich im Vorlagebeschluß hierzu nicht geäußert. Die Frage ist indes sehr zweifelhaft. Nach § 114 Abs. 1 StBerG sind die Disziplinarbestimmungen des Fünften Teils auf die vor Inkrafttreten des Gesetzes begangenen Pflichtverletzungen dann anzuwenden, wenn es sich um Verfehlungen „bei der Berufsausübung”, also jedenfalls dem Wortsinn nach um Verfehlungen bei der Tätigkeit als Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter, handelt. Wie im Vorlagebeschluß festgestellt wird, hat der Beschuldigte sich aber nicht als Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter, sondern als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung strafbarer Handlungen schuldig gemacht. Der Bundesgerichtshof hat in einem gleichliegenden Fall entschieden, daß nur solche Pflichtverletzungen unter § 114 Abs. 1 StBerG fallen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen (BGHSt 20, 104 [107]). Diese Entscheidung ist zwar erst nach dem Vorlagebeschluß ergangen. Es mußte aber schon vor dieser Entscheidung zweifelhaft erscheinen, ob § 114 Abs. 1 StBerG auf Fälle wie den vorliegenden anwendbar ist. Unter diesen Umständen bedurfte es einer Darlegung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht die Auslegung, die der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht … der Vorschrift offensichtlich gibt, für gerechtfertigt hält. An einer solchen Darlegung fehlt es; auch aus dem Zusammenhang des Beschlusses ergibt sich nicht, weshalb das Gericht die Vorlagefrage für entscheidungserheblich hält (vgl. BVerfGE 18, 305 [308] mit weiteren Nachweisen). Unter diesen Umständen genügt der Vorlagebeschluß nicht der Begründungspflicht des § 80 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist einstimmig beschlossen worden.

 

Fundstellen

BVerfGE, 39

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