Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenrechtliche Bewertung von Kindererziehungszeiten
Beteiligte
Rechtsanwälte Martin Leibenath und Klaus-Peter Hohenner |
Rechtsanwältinnen Beate Dörrfuß und Petra Braun |
Verfahrensgang
Tenor
1.§ 32 a Absatz 5 Satz 2 und § 32 Absatz 6 a Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes, § 1255 a Absatz 5 Satz 2 und § 1255 Absatz 6 a Satz 2 der Reichsversicherungsordnung, § 54 a Absatz 5 Satz 2 und § 54 Absatz 6 a Satz 2 des Reichsknappschaftsgesetzes – jeweils in der Fassung des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes vom 11. Juli 1985 (Bundesgesetzblatt I Seite 1450) – sowie § 70 Absatz 2 und § 83 Absatz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 (Bundesgesetzblatt I Seite 2261) sind mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit danach beim Zusammentreffen von Beitrags- und Kindererziehungszeiten der monatliche Wert nur in dem Maße erhöht wird, wie der Wert der beitragsbelegten Zeiten 6,25 Werteinheiten (0,0625 Entgeltpunkte) in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie 4,63 Werteinheiten (0,0468 Entgeltpunkte) in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterscheidet.
2.Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Regelung spätestens bis zum 30. Juni 1998 durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen.
3. a) Die Urteile des Bundessozialgerichts vom 19. April 1990 – 1 RA 83/88 –, des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1988 – L 8 An 220/87 – und des Sozialgerichts Detmold vom 29. September 1987 – S 13 An 37/87 – verletzen die Beschwerdeführerin zu I. in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialgericht Detmold zurückverwiesen.
b) Der Beschluß des Bundessozialgerichts vom 19. April 1990 – 1 BA 243/88 – und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. November 1988 – L 5 A 105/87 – verletzen die Beschwerdeführerin zu II. in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
4. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführerinnen die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
I.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, ob die rentenrechtliche Bewertung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, auch dann auf 6,25 Werteinheiten je Kalendermonat begrenzt werden darf, wenn diese Zeiten bereits aufgrund sonstiger Beitragszeiten bewertet sind.
1. a) Am 1. Januar 1986 trat das Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz – HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S. 1450) in Kraft. Damit trug der Gesetzgeber dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 (BVerfGE 39, 169) Rechnung. Das HEZG führte neben einer Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung die rentenbegründende und rentensteigernde Anrechnung von Kindererziehungszeiten ein. Es traf allerdings nur eine Regelung für Mütter und Väter, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind und damit frühestens mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1986 das 65. Lebensjahr vollendeten und hinsichtlich ihres Alters die Voraussetzungen für das reguläre Altersruhegeld erfüllten. Die Kindererziehungszeiten der in der öffentlichen Diskussion häufig als „Trümmerfrauen” bezeichneten Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 wurden erst mit dem Gesetz über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 (Kindererziehungsleistungs-Gesetz – KLG) vom 12. Juli 1987 (BGBl I S. 1585) geregelt, das Vorschriften über besondere Kindererziehungsleistungen in die jeweiligen Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze einfügte (vgl. hierzu BVerfGE 87, 1).
b) Das – inzwischen durch eine Neuregelung (vgl. unten c) abgelöste – HEZG differenziert danach, ob die Kindererziehung vor oder nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1986 liegt. Mütter und Väter, die ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes in der Zeit ab 1. Januar 1986 erziehen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufhalten, sind in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt ihres Kindes versichert; erziehen sie in diesem Zeitraum mehrere Kinder, verlängert sich die Zeit der Versicherung für das zweite und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten, in denen gleichzeitig mehrere Kinder erzogen worden sind (§ 1227 a Abs. 1 RVO, § 2 a Abs. 1 AVG, § 29 a Abs. 1 RKG, jeweils in der Fassung des HEZG). Die Beiträge gelten als durch den Bund entrichtet (§ 1385 Abs. 6 RVO, § 112 Abs. 6 AVG, § 130 Abs. 9 RKG) und gehen wie Beiträge aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in die Berechnung der Rente ein, und zwar sowohl „rentenbegründend” bei der Ermittlung der erforderlichen Wartezeit als auch „rentensteigernd” bei der Rentenhöhe.
Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 sind bei den nach dem 31. Dezember 1920 geborenen Vätern und Müttern nicht als Pflichtbeitragszeiten, sondern als Versicherungszeiten „eigener Art” behandelt worden (vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 10/2677 S. 30 unter Nr. 2 a). Wie Zeiten der Kindererziehung nach dem 31. Dezember 1985 haben auch diese Zeiten rentenbegründende und rentensteigernde Wirkung. Sie sind auf die für eine Rente erforderliche Wartezeit anzurechnen und werden bei den für die Höhe der Rente maßgeblichen Versicherungsjahren mitgezählt (§ 1250 Abs. 1 Buchst. c RVO, § 27 Abs. 1 Buchst. c AVG, § 50 Abs. 2 RKG).
c) Die vorgenannten Regelungen sind mit Wirkung vom 1. Januar 1992 von den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) abgelöst worden (vgl. Art. 6 Nr. 24, Art. 83 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 7 in Verbindung mit Art. 85 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ≪Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992 -≫ vom 18. Dezember 1989, BGBl I S. 2261). Die früher unterschiedliche Behandlung der Kindererziehungszeiten je nachdem, ob sie nach dem 31. Dezember 1985 oder vor dem 1. Januar 1986 zurückgelegt wurden, ist nicht beibehalten worden. Vielmehr sind auch die vor dem 1. Januar 1986 liegenden Kindererziehungszeiten der nach dem 31. Dezember 1920 geborenen Mütter und Väter Pflichtbeitragszeiten, für die Pflichtbeiträge als gezahlt gelten (§ 55 Satz 2 SGB VI), sofern die Rente nach den Vorschriften des SGB VI zu berechnen ist. Die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind endet weiterhin zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt (§ 249 Abs. 1 SGB VI), während für ein nach dem Inkrafttreten des RRG 1992 geborenes Kind drei Jahre Kindererziehungszeit angerechnet werden und für Zeiten der Erziehung solcher Kinder in deren ersten drei Lebensjahren Pflichtbeiträge als entrichtet gelten (vgl. § 56 Abs. 1 SGB VI). Die Versicherungspflicht wegen Kindererziehung ergibt sich nunmehr aus § 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI.
Für Versicherte, deren Rente bereits vor Inkrafttreten des RRG 1992 am 1. Januar 1992 gezahlt wurde, wie dies bei den Beschwerdeführerinnen der Fall ist, bleibt es bei den einschlägigen Vorschriften in der Fassung des HEZG, so daß deren Renten weiterhin nach altem Recht zu berechnen sind (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI; sogenanntes Leistungsbeginnprinzip).
2. a) Die für die Bewertung von Kindererziehungszeiten maßgeblichen Bestimmungen der RVO und des AVG lauten in der Fassung des HEZG:
§ 1255 Abs. 6 a RVO,
§ 32 Abs. 6 a AVG
Bei Zeiten der Kindererziehung nach dem 31. Dezember 1985, die nicht mit bewerteten Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten zusammentreffen, ist von einem Bruttoarbeitsentgelt auszugehen, das für einen Kalendermonat dem Wert 6,25 entspricht. Die Werte für Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten, die mit Zeiten der Kindererziehung nach dem 31. Dezember 1985 zusammentreffen, sind auf den Wert 6,25 anzuheben.
§ 1255 a Abs. 5 Sätze 1 und 2 RVO,
§ 32 a Abs. 5 Sätze 1 und 2 AVG
Für Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986, die nicht mit bewerteten Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten zusammentreffen, ist der Wert 6,25 zugrunde zu legen. Die Werte für Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten, die mit Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 zusammentreffen, sind auf den Wert 6,25 anzuheben.
Die entsprechenden Regelungen im Knappschaftsrecht sind in § 54 Abs. 6 a und § 54 a Abs. 5 RKG enthalten.
b) Die in der Regel rentensteigernde Wirkung von Kindererziehungszeiten ergibt sich daraus, daß ihnen sogenannte Werteinheiten und für die Zeit seit Inkrafttreten des SGB VI sogenannte Entgeltpunkte zugeordnet werden. Dabei entsprechen 100 Werteinheiten alten Rechts einem (1) Entgeltpunkt neuen Rentenrechts. Jeder Kalendermonat der Kindererziehungszeit wird mit 6,25 Werteinheiten (oder nunmehr 0,0625 Entgeltpunkten) bewertet. Ein Jahr Kindererziehungszeit ergibt somit eine Rentenanwartschaft in Höhe von (12 × 6,25 =) 75 Werteinheiten (= 0,75 Entgeltpunkte). Die Kindererziehungszeit wird damit so bewertet und bei der Rentenberechnung berücksichtigt, als habe der erziehende Elternteil ein (beitragspflichtiges) Arbeitsentgelt erzielt, das 75 vom Hundert des (beitragspflichtigen) Durchschnittsentgelts sämtlicher Versicherten in diesem Zeitraum entspricht. Im Jahr 1995 steigerte beispielsweise eine Kindererziehungszeit die Rente um monatlich 34,50 DM in den alten und um 26,59 DM in den neuen Bundesländern. Dem Rentenkonto des Versicherten werden Zeiten der Kindererziehung jedoch nur dann im vollen Umfang von 6,25 Werteinheiten je Kalendermonat gutgeschrieben, wenn der entsprechende Kalendermonat nicht bereits mit Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten belegt ist und folglich noch keine anrechenbaren Werteinheiten vorhanden sind. Fallen Kindererziehungszeiten dagegen mit Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten zusammen, werden die aufgrund der genannten Zeiten bereits erworbenen Werteinheiten lediglichauf den Wert von 6,25 angehoben. Haben sie diesen Wert bereits erreicht, wirkt sich die Kindererziehungszeit nicht aus. Es findet keine Anhebungum den Wert 6,25 – also keine „additive” Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten – statt.
In der Begründung des Gesetzentwurfs ist hierzu ausgeführt (BTDrucks 10/2677 S. 30 unter III Nr. 1 e):
Übt der wegen Kindererziehung versicherte Ehegatte gleichzeitig eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aus, so bedeutet dies keinen Hinderungsgrund für die Anerkennung dieser Zeit auch als Zeit der Versicherungspflicht wegen Kindererziehung. Nach der allgemeinen Systematik des Rentenrechts zählen diese Monate für die Begründung der Wartezeit jedoch nur einmal, genau wie dies der Fall ist, wenn der Versicherte mehrere versicherungspflichtige Beschäftigungen nebeneinander ausübt (sog. Mehrfachbeschäftigung). Für die Höhe der Bewertung dieser Zeit gilt, daß eine Aufstockung der durch die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit erreichten Werte auf 75 vom Hundert des Durchschnittsentgelts aller Versicherten erfolgt; diese Regelung trägt dem Gedanken Rechnung, daß diese Elternteile durch die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit bereits eine soziale Absicherung haben.
An diesem Prinzip hat auch das RRG 1992 festgehalten. § 70 Abs. 2 SGB VI bestimmt, daß Kindererziehungszeiten für jeden Kalendermonat 0,0625 Entgeltpunkte erhalten, mindestens jedoch die aufgrund eigener Beitragszahlung errechneten Entgeltpunkte.
II.
1. Verfassungsbeschwerde 1 BvR 609/90
a) Die am 28. April 1923 geborene Beschwerdeführerin entrichtete im Zeitraum von 1938 bis 1957 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung. Während der Erziehung ihrer 1958 und 1959 geborenen Kinder war sie nicht berufstätig. Nach Eintritt in das Geschäft ihres Ehemannes als Mitgesellschafterin einer Gesellschaft Bürgerlichen Rechts entrichtete sie ab Dezember 1974 wieder Beiträge zur Angestelltenversicherung als Pflichtversicherte kraft Antrags. 1975 machte sie von der durch das Rentenreformgesetz 1972 eröffneten Möglichkeit Gebrauch, für die Zeit von Juli 1957 bis Ende 1967 freiwillige Beiträge nachzuentrichten. Seit 26. Mai 1984 bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; diese Rente wurde mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 7. Oktober 1986 in ein Altersruhegeld umgewandelt. Im Versicherungsverlauf der Beschwerdeführerin ist die Zeit vom 1. April 1958 bis 31. März 1959 und vom 1. September 1959 bis 31. August 1960 zwar als Kindererziehungszeit ausgewiesen, doch sind aufgrund ihrer nachentrichteten freiwilligen Beiträge innerhalb dieses Zeitraums die Kalendermonate des Jahres 1958 bereits mit jeweils 11,26, die Kalendermonate des Jahres 1959 mit jeweils 14,28 und die Kalendermonate des Jahres 1960 mit jeweils 13,11 Werteinheiten bewertet.
Unter Hinweis auf § 32 a Abs. 5 AVG lehnte es die BfA ab, diese Zeiten bei der Rentenberechnung mit höheren als den bereits aufgrund freiwilliger Beitragszahlung erreichten Werteinheiten zu berücksichtigen. Widerspruch, Klage und Berufung der Beschwerdeführerin sind ohne Erfolg geblieben. Das Bundessozialgericht hat die vom Landessozialgericht zugelassene Revision der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Kindererziehungszeiten seien nur subsidiär im Sinne einer Auffüllung der Rentenanwartschaft anzurechnen, soweit der Versicherungsverlauf in der Zeit der Kindererziehung während des ersten Lebensjahres des Kindes den Wert von 6,25 je Kalendermonat nicht erreiche. Beitragszeiten im Sinne des § 32 a Abs. 5 AVG seien auch Zeiten, in denen freiwillige Beiträge geleistet wurden. § 32 a Abs. 5 AVG verstoße nicht gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Materielles Differenzierungskriterium für die volle oder teilweise Anrechnung, aber auch für die Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 sei, ob der erziehende Elternteil während des ersten Lebensjahres nach der Geburt des Kindes Lücken im Aufbau einer Rentenanwartschaft bis zur Obergrenze von 6,25 Werteinheiten habe. Dieses Kriterium sei nicht willkürlich. Es halte sich unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks und der Notwendigkeit generalisierender und typisierender Regelungen im Rahmen des dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit zustehenden, besonders weiten Gestaltungsspielraums. Die Eigentumsgarantie sei ebenfalls nicht verletzt, weil jedenfalls durch die rückwirkende Anerkennung und Bewertung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 nicht in eine bereits erworbene individuelle Rechtsposition oder in die Institutsgarantie des Eigentums belastend eingegriffen werde. Vielmehr liege eine eigentumsrechtlich unbedenkliche, ausschließlich begünstigende Inhaltsregelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Auch das Sozialstaatsprinzip sei nicht verletzt, da öffentliche Mittel nach dem Grad der Schutzbedürftigkeit nur dorthin gelenkt werden dürften, wo im Einzelfall Bedarf bestehe.
b) Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Sie trägt im wesentlichen vor, § 32 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 5 AVG treffe keine sozial ausgewogene Regelung. Ziel des HEZG sei es gewesen, Erziehungsleistungen rentenbegründend und rentensteigernd zu berücksichtigen, damit die durch den Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit entstandenen Nachteile ausgeglichen würden. Dieses Ziel werde für wesentliche Bevölkerungsgruppen, nämlich die ohnehin sozial benachteiligten, nicht erreicht, so zum Beispiel für Alleinerziehende, die unmittelbar nach Auslaufen der Mutterschutzfrist zur Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit gezwungen gewesen seien. Es werde aber auch für Familien verfehlt, in denen es aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei, auf das Einkommen eines Ehegatten ganz oder teilweise zu verzichten. Andererseits kämen jene Bevölkerungsschichten voll in den Genuß der rentenrechtlichen Absicherung, die sozial und wirtschaftlich bessergestellt und nicht auf eine Berufstätigkeit des erziehenden Elternteils angewiesen seien. Unerträglich sei es, wenn Frauen – wie in ihrem Fall – mit Unterstützung eines schwerkriegsbeschädigten Ehemannes zur Erlangung einer eigenen Altersversorgung nachträglich freiwillige Beiträge gezahlt und die Mittel hierfür aus dem Familieneinkommen aufgebracht hätten, nicht in den Genuß der Begünstigung kämen.
2. Verfassungsbeschwerde 1 BvR 692/90
a) Die am 19. Mai 1922 geborene Beschwerdeführerin ist Diplomchemikerin. Sie war zu keinem Zeitpunkt in der Rentenversicherung versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Abschluß ihres Studiums im Juli 1949 und der Geburt ihrer vier zwischen 1950 und 1962 geborenen Kinder war sie Hausfrau. Im Jahre 1973 machte sie von der durch das Rentenreformgesetz 1972 eröffneten Möglichkeit Gebrauch, für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Dezember 1972 freiwillige Beiträge nachzuentrichten. Seit Juni 1987 bezieht sie von der BfA ein Altersruhegeld. Dabei wurden neben ihren nachentrichteten freiwilligen Beiträgen auch Kindererziehungszeiten für die ersten drei Kinder berücksichtigt. Für ihr 1962 geborenes Kind ist eine Kindererziehungszeit im Versicherungsverlauf zwar vorgemerkt (1. August 1962 bis 31. Juli 1963); die Rente wird durch die zuletzt genannte Kindererziehungszeit jedoch nicht erhöht, weil dieser Zeitraum – anders als die übrigen Kindererziehungszeiten – bereits aufgrund der 1973 nachentrichteten freiwilligen Beiträge mit Werteinheiten von monatlich über 6,25 belegt ist.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Rentenbescheid Sprungklage zum Sozialgericht. Sie beantragte, die BfA zur Zahlung einer höheren Rente zu verurteilen. Zusätzlich zu den wegen ihrer freiwilligen Beiträge für die Zeit von August bis Dezember 1962 berücksichtigten 10,92 Werteinheiten und für die Zeit von Januar bis Juli 1963 berücksichtigten 12,86 Werteinheiten je Kalendermonat seien monatlich weitere 6,25 Werteinheiten als Kindererziehungszeit anzuerkennen und zu den vorhandenen Werteinheiten zu addieren. Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn bei ihr nach § 32 a Abs. 5 AVG wegen bereits vorhandener freiwilliger Beiträge eine weitere rentensteigernde Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten ausscheide. Die Mittel für die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge seien bei ihr aus dem Familieneinkommen abgezweigt worden. Sie habe fest darauf vertraut, diese Beiträge würden nicht nachträglich dadurch entwertet, daß sie zu einem Ausschluß von Ansprüchen führten, die vergleichbaren Frauen mit Kindererziehungszeiten ohne Beitragsnachentrichtung zuerkannt würden.
Klage und Berufung der Beschwerdeführerin sind ohne Erfolg geblieben. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts hat sie Beschwerde zum Bundessozialgericht eingelegt, die zurückgewiesen worden ist. Zur Begründung wird auf das Revisionsurteil vom selben Tag verwiesen, das Gegenstand der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 609/90 (vgl. oben II a) ist.
b) Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 1 und 3 GG. Sie trägt vor, die Bedeutung der Erziehungsleistung für die Allgemeinheit bestehe darin, daß die nachwachsende Kindergeneration für die Alterssicherung der Eltern- und Großelterngeneration aufkomme. Dieser Beitrag für die Allgemeinheit werde von allen Müttern durch die Erziehung ihrer Kinder geleistet, nicht nur von jenen, die in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt ihres Kindes keine mit entsprechender Beitragsentrichtung verbundene Erwerbstätigkeit ausgeübt hätten. Kindererziehung als Leistung zugunsten des sogenannten Generationenvertrages werde nicht dadurch zur „Nichtleistung”, daß die Mutter in der Zeit der Kindererziehung erwerbstätig geblieben sei und wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Familie oder wegen Fehlens eines unterhaltspflichtigen Partners habe erwerbstätig bleiben müssen. Gleiches treffe zu, wenn durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge Maßnahmen der Eigenvorsorge getroffen würden. Denn auch die Kinder dieser Mütter würden später als Erwerbstätige zur Finanzierung der Rentenversicherung herangezogen, nicht anders als die Kinder jener Mütter, denen das HEZG „etwas bringe”. Die nach dem 31. Dezember 1920 geborenen Mütter würden von der „Gegenleistung” für ihre Kindererziehung ausgeschlossen und damit gegenüber den vor dem 1. Januar 1921 geborenen Müttern benachteiligt. Eine Benachteiligung liege auch gegenüber jenen Müttern vor, die neben der Kindererziehung keine zusätzlichen Leistungen (etwa in Form der Entrichtung freiwilliger Beiträge) zugunsten der Rentenversicherung erbracht hätten. Im Rentenrecht gelte der Grundsatz, daß bei einer Mehrfachbeschäftigung für den gleichen Zeitraum entrichtete Beiträge in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen seien. Wenn es in der Begründung zum HEZG heiße, es könnten für den gleichen Zeitraum mehrere erbrachte Leistungen bei der Rentenberechnung nicht gleichzeitig berücksichtigt werden, sei dies unrichtig. Da für Kindererziehungszeiten Beiträge als entrichtet gälten, müsse die Rente der Summe der Beiträge für Kindererziehungszeiten und freiwilligen Beiträgen oder Pflichtbeiträgen entsprechen. Ihre freiwilligen Beiträge seien entwertet; sie sei in ihrem Vertrauen, mit der Entrichtung von freiwilligen Beiträgen für ihr Alter vorzusorgen, enttäuscht worden. Zudem werde sie gegenüber jenen Müttern ungleich behandelt, die sich etwa aus Anlaß der Eheschließung oder der Rückkehr in ein „Nicht-EG-Land” die Beiträge hätten erstatten lassen.
Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG sei darin zu sehen, daß Kindererziehungszeiten nur mit 75 vom Hundert des Durchschnittseinkommens aller Versicherten bewertet würden. Mit dem Anrechnungsmodell werde im übrigen das Ziel verfolgt, Mütter vom Arbeitsmarkt zu verdrängen. Dies verletze Art. 6 Abs. 4 GG und das Sozialstaatsprinzip, zumal Kinder heute mehr als jeder andere Sachverhalt ein sozial gesichertes Alter ihrer Mütter gefährdeten und der Generationenvertrag zu „einer Art Enteignung” der Mütter führe. Auch habe die aktive Generation zugunsten der Rentnergeneration steigende Anteile ihres Einkommens im Umlageverfahren abzuführen; es sinke die Bereitschaft zu zusätzlichen Unterhaltsleistungen, und es wachse die Hemmung der Mütter, von ihren Kindern Unterhaltsleistungen einzufordern.
III.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung sowie der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und der Deutsche Juristinnenbund e. V. Stellung genommen.
1. Der Bundesminister hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet.
Die angegriffene Regelung folge dem sogenannten Lückenschließungsprinzip und sei für die Rentenversicherung typisch. Dieses Prinzip sei im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ein zulässiges Differenzierungskriterium. Auch Anrechnungszeiten (früher: Ausfallzeiten) wegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit würden nur gewährt, wenn durch diese Tatbestände eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit unterbrochen worden sei. Trotz ihrer Ausgestaltung als Pflichtversicherungszeiten seien Kindererziehungszeiten einer eigenen Beitragszahlung nicht äquivalent, Kindererziehung und Beitragszahlung nicht gleichartig. Bei jenen, die während der Kindererziehungszeit eine eigenständige soziale Sicherung oberhalb von 75 vom Hundert des Durchschnittseinkommens aufgebaut hätten, bestehe keine rentenbiographische Lücke, die im Rahmen von Maßnahmen des sozialen Ausgleichs geschlossen werden müsse. Eine Aufstockung von Rentenanwartschaften scheide beim Zusammentreffen von Pflichtbeitragszeiten mit Kindererziehungszeiten aus. Dies gelte erst recht für ein Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten mit Zeiten freiwilliger Beitragszahlung.
Eine verfassungswidrige Benachteiligung der Beschwerdeführerinnen gegenüber den vor 1921 geborenen Müttern liege nicht vor. Bei den Leistungen nach dem HEZG und dem KLG handle es sich um unterschiedliche Regelungsbereiche, auch wenn beide Gesetze das gleiche Ziel, nämlich die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung, verfolgten. Eine Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerinnen mit Müttern oder Vätern, bei denen Erziehungszeiten nach dem 1. Januar 1986 lägen, finde ebenfalls nicht statt, da es seit dem 1. Januar 1986 nicht mehr zu einem Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten mit freiwilligen Beiträgen kommen könne. Voraussetzung der Entrichtung freiwilliger Beiträge sei seither, daß die betreffende Person nicht versicherungspflichtig ist; Kindererziehungszeiten seien aber seit 1. Januar 1986 Pflichtbeitragszeiten.
Die Bewertung der Kindererziehungszeiten mit 75 vom Hundert des Durchschnittsverdienstes sei sachlich gerechtfertigt, weil damit Erwerbstätigkeit und Kindererziehung auf dem Niveau des Durchschnittsverdienstes von Frauen typisierend gleichgestellt würden. Unter Berücksichtigung der Bewertung von vergleichbaren anderen gesellschaftlich relevanten Sachverhalten, zum Beispiel Wehr- und Zivildienst, sei die Bewertung der Kindererziehungszeiten nicht unangemessen. Der behauptete Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 GG liege nicht vor, da zum Zeitpunkt der Rentengewährung die Erziehung eines Kindes normalerweise abgeschlossen sei. Schließlich sei auch das Rechtsstaatsprinzip nicht verletzt, weil das Vertrauen der Beschwerdeführerinnen, mit der Entrichtung freiwilliger Beiträge für ihr Alter vorzusorgen, nicht enttäuscht worden sei. Durch die Einführung von Kindererziehungszeiten seien ihre freiwilligen Beitragsleistungen nicht berührt worden. Lediglich der Zuwachs bei der Rentenhöhe sei durch die Einführung der Kindererziehungszeiten als Maßnahme des sozialen Ausgleichs auf der Grundlage des Lückenschließungsprinzips eingeschränkt.
2. Auch der VDR hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Er teilt im wesentlichen die Auffassung der Bundesregierung und trägt ergänzend vor:
Mit den angegriffenen Anrechnungsmodalitäten des HEZG werde nicht in Rechtspositionen eingegriffen, die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind, weil vor Erlaß des HEZG keine individuellen Rechtspositionen hinsichtlich der Anrechnung von Kindererziehungszeiten vorhanden gewesen seien. Das HEZG habe diese Rechtspositionen erst geschaffen. Eine Entwertung bereits gutgeschriebener Beitragszahlungen habe bei den Beschwerdeführerinnen nicht stattgefunden. Eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips liege ebenfalls nicht vor, da dieses Prinzip beim Einsatz öffentlicher Mittel, wozu auch die aufgrund von Kindererziehungszeiten erbrachten Rentenleistungen gehörten, eine Differenzierung nach dem Grad der sozialen Schutzbedürftigkeit zulasse. Diejenigen Mütter und Väter, deren rentenrechtliche Absicherung während der Zeit ihrer Kindererziehung auch ohne dafür vorgesehene zusätzliche staatliche Leistungen gewährleistet werde, seien in diesem Sinne sozial weniger schutzbedürftig.
Falls sich der Gesetzgeber für eine additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten auch bei den bereits gezahlten Renten entscheiden sollte, würde dies für die Rentenversicherungsträger einen erheblichen, in ihrer derzeitigen und in ihrer mittelfristig absehbaren Arbeitssituation nicht zu bewältigenden zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeuten; denn jedenfalls für Bestandsrenten sei dann eine Neufestsetzung der Rente nach § 300 SGB VI und eine erneute Kontenklärung mit vorhergehender Ermittlung eventuell vorhandener Berücksichtigungszeiten erforderlich. Zudem entstünden bei der Einbeziehung der seit 1. Januar 1986 erfolgten Rentenzugänge in eine additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten erhebliche Mehraufwendungen, nämlich 1995 in Höhe von (geschätzt) 646 Millionen DM, im Jahre 2000 von 1.155 Millionen DM und im Jahre 2015 von 3.347 Millionen DM. Dabei sei noch nicht berücksichtigt, daß bei einer Aufgabe des Lückenschließungsprinzips auch den Familienangehörigen von EG-Arbeitnehmern vermehrt Kindererziehungszeiten angerechnet werden müßten.
3. Der Deutsche Juristinnenbund hält die Verfassungsbeschwerden für begründet.
Im HEZG fänden sich für die Erziehenden der Geburtsjahrgänge ab 1921 Differenzierungen, die sachlich nicht gerechtfertigt seien. Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten sei keine gewährende Staatstätigkeit, die in das Belieben des Gesetzgebers gestellt sei. Vielmehr sei dessen Gestaltungsrahmen durch Art. 6 Abs. 1 GG eingeengt. Lücken in der Rentenbiographie bildeten keinen zulässigen Anknüpfungspunkt für die Bewertung von Kindererziehungszeiten. Denn dem Gesetzgeber sei es nicht um eine Lückenschließung für Zeiten der Kindererziehung gegangen; andernfalls hätte es nämlich der Definition dieser Lücken bedurft. Bei richtiger Betrachtungsweise seien Leistungen für Erziehungszeiten eine Honorierung der Erziehungsleistung. Diese werde auch von Müttern und Vätern erbracht, die niemals oder nur in sehr geringem Umfang der Rentenversicherung angehört hätten. Werde aber die Erziehungsleistung honoriert, gebe es keinen Grund, die Honorierung auf jene Personen zu beschränken, die in dem vom Gesetzgeber herausgegriffenen ersten Lebensjahr des Kindes keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sind oder die ein Entgelt von weniger als 75 vom Hundert des Durchschnittsentgelts erzielt haben. Vielmehr sei in solchen Fällen eine Kumulierung der Kindererziehungszeiten mit bereits anderweitig erworbenen Anwartschaften geboten.
Es könne auch keineswegs als zulässige Typisierung angesehen werden, wenn sich der Lückentatbestand auf das erste Lebensjahr des Kindes beschränke, denn gerade in der Vergangenheit (vor Einführung des auf sechs Monate erweiterten Mutterschaftsurlaubs und des Erziehungsgeldes) sei eine Erwerbstätigkeit vielfach erst bei Eintritt des Kindes in die Schule unterbrochen worden. Erst seitdem Erziehungsgeld und Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung parallel ausgebaut worden seien, gebe es eine Kongruenz zwischen Rentenrecht und familiärem Verhalten.
Durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge auch während der Zeit der Kindererziehung hätten gerade Versicherte wie die Beschwerdeführerinnen ihre Verbundenheit mit der Rentenversicherung dokumentiert. Freiwillige Beiträge seien von Frauen vornehmlich zur Anwartschaftserhaltung bezahlt worden oder weil sie auf eine eigenständige soziale Alterssicherung angewiesen seien. Die Aufwendungen hierfür hätten, ohne daß ein Arbeitgeber Beitragsanteile getragen habe, aus dem Familieneinkommen aufgebracht werden müssen.
Das Gesetz begünstige gerade jene, die keine oder nur eine schwache Beziehung zur gesetzlichen Rentenversicherung aufzuweisen hätten, indem bei ihnen Kindererziehungszeiten in größerem Umfang angerechnet würden als bei jenen, die sich von Anfang an bemüht hätten, Versicherungslücken durch die (zeitnahe) Entrichtung freiwilliger Beiträge zu vermeiden oder im Wege der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge bei sich bietender Gelegenheit nachträglich zu schließen. Diese Differenzierung sei sachwidrig und könne nicht damit begründet werden, daß die hierdurch Begünstigten die besonders Bedürftigen seien, weil aus niedrigen Versicherten- oder Hinterbliebenenrenten nicht auf das Gesamteinkommen des jeweiligen Rentners und auf seine wirtschaftliche Situation geschlossen werden könne. Zudem sei zu vermeiden, daß gerade diejenigen, die mit ihren Beiträgen zur finanziellen Leistungsfähigkeit des Rentenversicherungssystems beigetragen hätten, bei der Einführung neuer anwartschaftsbegründender Sachverhalte grundsätzlich schlechter gestellt würden als jene, die keine oder weniger Beiträge gezahlt hätten.
Mit einer Begrenzung der Kindererziehungszeiten auf 75 vom Hundert des Durchschnittsentgelts aller Versicherten habe der Gesetzgeber diese Zeiten schlechter behandelt als Zeiten der Berufsausbildung, die mit 0,075 und nicht nur mit 0,0625 Entgeltpunkten bewertet werden. Dafür gebe es keinen sachlichen Grund.
Entscheidungsgründe
B.
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Verfassungsbeschwerden unter Mitwirkung aller Mitglieder des Ersten Senats. Die Richterin Jaeger hat zwar zu einem Zeitpunkt, in dem sie diesem noch nicht angehörte, die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes (vgl. oben A III 3) mit unterzeichnet. Sie ist jedoch dadurch nicht an der Ausübung ihres Richteramtes in den vorliegenden Verfahren der Verfassungsbeschwerden gehindert.
1. Die Richterin Jaeger ist nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen. Keiner der Ausschließungsgründe des § 18 Abs. 1 BVerfGG liegt vor. Sie ist nicht an der vorliegenden Sache im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG beteiligt. Wer an einer Äußerung mitwirkt, die das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage des § 22 Abs. 5 GOBVerfG (früher § 22 Abs. 4) einholt, ist nicht Verfahrensbeteiligter im Sinne der gesetzlichen Regelung. Die Richterin Jaeger ist aber auch nicht durch § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG von der Ausübung ihres Richteramtes ausgeschlossen. Äußert sich jemand für eine Vereinigung des Privatrechts, die wegen ihrer besonderen Erfahrung oder Sachkunde vom Bundesverfassungsgericht um eine Stellungnahme ersucht wird, so wird er nicht gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG „von Amts oder Berufs wegen” in dieser Sache tätig. Dies gilt auch dann, wenn der Stellungnahme Sach- und Rechtskenntnisse zugrunde liegen, die – zumindest auch – in einem Beruf erworben worden sind. Der vorliegende Sachverhalt ist keiner der drei Fallgruppen zuzuordnen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG erfaßt werden (vgl. BVerfGE 78, 331 ≪337≫).
2. Ein rechtliches Hindernis für die Mitwirkung der Richterin Jaeger in den vorliegenden Verfahren der Verfassungsbeschwerden ergibt sich auch nicht aus § 19 BVerfGG (vgl. BVerfGE 30, 149 ≪154≫; 78, 331 ≪336≫). Der Vorsitzende des Senats hat die Beteiligten des jeweiligen Ausgangsverfahrens und den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auf die Mitwirkung der Richterin Jaeger an der Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes hingewiesen und Gelegenheit gegeben, sich zu äußern, ob aus ihrer Sicht und aus dem Gesichtspunkt des § 19 BVerfGG rechtliche Bedenken gegen die Ausübung des Richteramtes durch Richterin Jaeger in den vorliegenden Verfahren bestehen. Die Beschwerdeführerinnen haben keine Bedenken geäußert. Die Bundesregierung hat von einer Stellungnahme abgesehen. Gleiches gilt für die BfA als Beklagte der Ausgangsverfahren. Eine Besorgnis der Befangenheit der Richterin Jaeger nach § 19 BVerfGG wurde demnach im verfassungsgerichtlichen Verfahren von keiner Seite geltend gemacht. Auch hat sich die Richterin Jaeger nicht selbst für befangen erklärt (§ 19 Abs. 3 BVerfGG).
Die Entscheidung zu dieser Frage ist ohne Mitwirkung der Richterin Jaeger ergangen.
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die Vorschrift des § 32 a Abs. 5 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes in der Fassung des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes, auf der die angegriffenen Entscheidungen beruhen, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Der mit den Verfassungsbeschwerden ebenfalls angegriffenen Vorschrift des § 32 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AVG kommt daneben keine selbständige rechtliche Bedeutung zu.
I.
Mit der mittelbar angegriffenen Regelung hat der Gesetzgeber allerdings nicht in durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtspositionen eingegriffen, denn das HEZG hat diese Rechtsposition erst geschaffen (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪42≫). Ebensowenig liegt ein Eingriff in den Bestand derjenigen Rechtspositionen vor, die die Beschwerdeführerinnen durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge bei Inkrafttreten des HEZG bereits erworben hatten. Diese Beiträge werden bei der Berechnung ihrer Renten in vollem Umfang berücksichtigt; eine Minderung der hieraus resultierenden Werteinheiten ist mit dem HEZG nicht verbunden. Gleiches gilt für Versicherte, die während der Zeit der Kindererziehung Pflichtbeiträge entrichtet haben. Die bloße Erwartung oder Hoffnung, bei der Einführung neuartiger (Sozial-)Leistungen oder der Regelung rentenrechtlicher Tatbestände begünstigt zu werden, wird durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht geschützt.
II.
Der Gesetzgeber hat auch nicht dadurch gegen das Gebot des Vertrauensschutzes verstoßen, daß er mit der Ausgestaltung der Kindererziehungszeiten im HEZG nicht allen Versicherten eine rückwirkende versicherungsrechtliche Besserstellung zugute kommen ließ.
Zu den wesentlichen Elementen des Rechtsstaatsprinzips zählen Rechtssicherheit und Vertrauensschutz. Durch das Grundgesetz ist aber nur das Vertrauen der Bürger darauf geschützt, daß Rechtspositionen, die ihnen gesetzlich eingeräumt worden sind, nicht nachträglich verschlechtert werden: Der Einzelne soll sich grundsätzlich darauf verlassen können, daß der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände keine ungünstigeren Folgen knüpft als sie im Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände voraussehbar waren (sogenannte echte Rückwirkung; vgl. BVerfGE 13, 261 ≪271≫; stRspr). Auch kann unter bestimmten Umständen das Vertrauen des Bürgers Schutz dagegen begründen, daß seine Rechtsposition nicht nachträglich durch Vorschriften entwertet wird, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirken (sogenannte unechte Rückwirkung; vgl. BVerfGE 14, 288 ≪297 f.≫; 74, 129 ≪155≫; stRspr).
Die rechtliche Situation der Beschwerdeführerinnen wurde nicht nachträglich in dem Sinne verschlechtert, daß an die von ihnen erfüllten Tatbestände ungünstigere Folgen geknüpft wurden als nach der Rechtslage, von der sie bei ihren Dispositionen (Entrichtung freiwilliger Beiträge) ausgehen durften. Ebensowenig wurde eine von ihnen erlangte Rechtsposition nachträglich entwertet. Die Beitragszeiten der Beschwerdeführerinnen werden seit dem Inkrafttreten des HEZG nicht geringer bewertet, als dies ohne die Regelungen des HEZG der Fall gewesen wäre.
III.
Art. 6 Abs. 4 GG scheidet als Prüfungsmaßstab aus. Ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus Schutz gewährt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls können aus ihr für Sachverhalte, die nicht allein Mütter betreffen, keine besonderen Rechte hergeleitet werden (BVerfGE 87, 1 ≪41 f.≫). Ein solcher Fall liegt hier vor, da § 32 a Abs. 5 AVG für Väter und Mütter gleichermaßen gilt. Zwar wirkt sich eine unzureichende Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich vor allem zu Lasten der Mütter aus, weil diese auch heute noch überwiegend die Kindererziehung übernehmen und deshalb ihre Berufstätigkeit einschränken, unterbrechen oder ganz aufgeben. Diese Folgen berühren jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG. Die deutlich höhere Betroffenheit von Frauen löst vielmehr die aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Pflicht des Gesetzgebers aus, auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern hinzuwirken (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪42≫ unter Hinweis auf BVerfGE 85, 191 ≪207≫).
IV.
Die angegriffene Vorschrift verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will vielmehr ausschließen, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Unterscheidung muß also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Die Anwendung dieses Grundsatzes verlangt den Vergleich von Lebenssachverhalten, die einander nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen. Unter diesen Umständen ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es ihm nur, dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer acht zu lassen. Innerhalb dieser Grenzen ist er in seiner Entscheidung frei. Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben (BVerfGE 87, 1 ≪36 f.≫ m.w.N.).
2. Mit der angegriffenen Vorschrift des § 32 a Abs. 5 Satz 2 AVG hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die zu einer ungleichen Behandlung verschiedener Personengruppen insoweit führt, als sich Kindererziehungszeiten nicht bei allen Versicherten in gleicher Weise günstig auf die Rente auswirken. Sie benachteiligt insbesondere jene Versicherten, die auch während der ersten Lebensphase ihres Kindes die Solidargemeinschaft durch die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen unterstützt und für ihr Alter eigenständig Vorsorge getroffen haben.
a) Bei Personen, die für die Zeit der Kindererziehung keine Beiträge aufgrund einer Pflichtversicherung oder freiwilligen Versicherung entrichtet haben, werden Kindererziehungszeiten mit 6,25 Werteinheiten bewertet. Dies gilt selbst für Personen, die zu keinem Zeitpunkt der gesetzlichen Rentenversicherung angehört haben und nur mit Kindererziehungszeiten oder zusätzlich entrichteten freiwilligen Beiträgen die Wartezeit für ein Altersruhegeld erfüllen. Insoweit setzt die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten keine „Lücke” oder „Sicherungslücke” in der Versicherungsbiographie im eigentlichen Sinne voraus, wie dies etwa bei der rentenrechtlichen Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit der Fall ist.
b) Demgegenüber wirken sich Kindererziehungszeiten bei Personen, die während der Kindererziehungszeit versicherungspflichtig beschäftigt waren, nicht oder nur in geringerem Umfang aus. Die Kindererziehungszeiten bleiben ganz ohne rentensteigernde Wirkung, wenn aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung bereits 6,25 Werteinheiten oder mehr erreicht sind. Kindererziehungszeiten wirken sich gegenüber der oben unter 2. a) genannten Personengruppe nur in geringerem Umfang aus, wenn aufgrund der Beschäftigung Werteinheiten von weniger als 6,25 erworben wurden. In diesem Falle findet nur eine Aufstockung der vorhandenen Werteinheiten durch Kindererziehungszeiten auf den Wert 6,25 (und nicht um den Wert 6,25) statt. Es handelt sich hierbei vorwiegend um den Personenkreis der alleinerziehenden Elternteile oder um Familien aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten, bei denen das Erwerbseinkommen nur eines Ehepartners für den Familienunterhalt nicht ausgereicht hätte und der erziehende Elternteil deshalb gezwungen war, zumindest einer versicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nachzugehen (vgl. zur Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit: Fuchs, Gutachten zum 60. Deutschen Juristentag, 1994, F 29 ff.).
c) Kindererziehungszeiten wirken sich nicht oder nur in einem gegenüber der oben unter 2. a) genannten Personengruppe geringeren Umfang auch bei Personen aus, die zwar während der Erziehungsphase nicht versicherungspflichtig beschäftigt waren, die aber während der Kindererziehungszeit freiwillige Beiträge entrichtet haben (zeitnahe Entrichtung freiwilliger Beiträge). In der Zeit bis zur Rentenreform von 1957 waren dies insbesondere Frauen, die sich bei der Heirat die bis dahin entrichteten Beiträge nicht hatten erstatten lassen und erworbene Rentenanwartschaften nur durch Zahlung anwartschaftserhaltender freiwilliger Beiträge aufrechterhalten konnten. In der Folgezeit handelte es sich vorwiegend um Personen, die freiwillige Beiträge mit dem Ziel entrichteten, eine eigenständige, vom Ehepartner unabhängige Altersversorgung aufzubauen.
d) Dieser Personengruppe stehen hinsichtlich der Auswirkungen von Kindererziehungszeiten Versicherte gleich, die freiwillige Beiträge nicht zeitnah, also in und während der Zeit der Kindererziehung entrichtet haben, sondern die – wie die Beschwerdeführerinnen – erst von der durch das Rentenreformgesetz 1972 eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, für die Vergangenheit freiwillige Beiträge nachzuentrichten.
3. Für die aufgezeigte Ungleichbehandlung fehlt es an einem rechtfertigenden Grund.
a) Sie läßt sich nicht in einer den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden Weise mit dem sogenannten Lückenschließungsprinzip begründen. Dieses Prinzip lag der früheren Berücksichtigung von Ersatz- und Ausfallzeiten zugrunde, die dadurch gekennzeichnet waren, daß dem Versicherten für die Berechnung der Rente Zeiten angerechnet wurden, ohne daß er dafür Beiträge bezahlt hatte (vgl. BVerfGE 58, 81 ≪112≫). Einfachrechtlich setzte diese Anrechnung – wie auch heute noch nach § 58 Abs. 2 SGB VI – voraus, daß der Versicherte in das System der gesetzlichen Rentenversicherung integriert war und in der Regel vor und nach der „beitragsfreien” Lücke der Beitragspflicht zur Rentenversicherung unterlag. Dieses Prinzip wurde jedoch bei Einführung der Kindererziehungszeiten gerade nicht verfolgt. Das ergibt sich schon daraus, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Kindererziehungszeiten keinen Tatbestand der Versicherungslücke im Sinne einer Unterbrechung der Versicherungsbiographie definiert hat (vgl. Schulin/Karuth, NZS 1996, S. 273 ≪279≫). Er hat vielmehr Kindererziehungszeiten auch Versicherten zugute kommen lassen, die niemals der Solidargemeinschaft angehörten. Selbst bei großzügiger Interpretation kann deshalb nicht mehr von einer Lücke im Versicherungsverlauf die Rede sein. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gegenüber anderen, bereits vorhandenen Zeiten subsidiär ausgestaltet und in solchen Fällen ein entsprechendes (weitergehendes) Sicherungsbedürfnis verneint (vgl. BTDrucks 10/2677 S. 30).
b) Die Ungleichbehandlung läßt sich auch nicht mit dem Sozialstaatsprinzip rechtfertigen. Dieses verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. etwa BVerfGE 5, 85 ≪198≫; 22, 180 ≪204≫; 27, 253 ≪283≫). Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Grundsatzes läßt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren (vgl. BVerfGE 18, 257 ≪273≫; 29, 221 ≪235≫; 59, 231 ≪263≫; 69, 272 ≪314≫; 82, 60 ≪80≫). Dem Sozialstaatsprinzip mag es am besten entsprechen, soziale Ausgleichsleistungen nur dorthin zu lenken, wo im Einzelfall ein Bedarf festgestellt wird (vgl. BVerfGE 17, 1 ≪11≫; 26, 16 ≪37≫). Im Rahmen des gesetzlichen Rentenversicherungssystems, das nicht an konkrete Bedarfslagen anknüpft, reicht jedoch der Bedarfsgesichtspunkt für sich allein nicht als Differenzierungsgrund aus. Das Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG könnte die beschriebene Subsidiarität der Kindererziehungszeiten und die daraus resultierende Ungleichbehandlung allenfalls dann rechtfertigen, wenn es sich hierbei um Leistungen handelte, die der Behebung einer Notlage oder eines konkreten Sicherungsdefizits dienten. Dies ist bei Kindererziehungszeiten angesichts der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs und der Motive des Gesetzgebers des HEZG aber gerade nicht der Fall (vgl. BVerfGE 87, 1). Die Erziehung von Kindern dient der Sicherung des Rentensystems und hat unter der Geltung eines vom sogenannten Generationenvertrag getragenen Umlageverfahrens für die Rentenversicherung Garantiefunktion; dabei kann vernachlässigt werden, daß nicht alle Kinder in ihrer späteren Erwerbsphase in der Lage oder willens sein werden, selbst als Beitragszahler zur Finanzierung der Renten beizutragen. Als weiteres Element muß stets auch die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen hinzutreten: Kindererziehung ist – wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat – (nur) eine „der beiden Leistungen für das Rentensystem” (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪40≫). Dem steht nicht entgegen, daß der Fortbestand der gesetzlichen Rentenversicherung und das Funktionieren des Gemeinwesens darüber hinaus von weiteren, nicht weniger bedeutsamen Faktoren abhängen, wie etwa vom Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl produktiver Arbeitsplätze (vgl. hierzu Hase, SGb 1992, S. 612, 614).
Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, Kindererziehungszeiten und Beitragszahlung angesichts ihrer Verschiedenartigkeit gleich zu behandeln. Der Gesetzgeber hat mit dem HEZG jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, daß der in der Kindererziehung liegende Wert für die Allgemeinheit und für die Rentenversicherung nicht davon abhängt, ob der erziehende Elternteil auf eine entsprechende Bewertung seiner Kindererziehungszeit angewiesen ist oder in dieser Zeit auf seiten der Erziehungsperson ein Sicherungsdefizit bestimmten Umfangs wegen der Entrichtung eigener Beiträge nicht vorliegt. Der Wert der Kindererziehung für die Rentenversicherung wird nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben, daß die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder nachgeht. Es vermindert den Wert der Kindererziehung im rentenrechtlichen Zusammenhang aber auch nicht, wenn während oder für die Zeit der Kindererziehung freiwillige Beiträge zeitnah oder nachträglich entrichtet wurden, zum Beispiel aus dem Familieneinkommen des alleinverdienenden Ehemannes einer zeitweilig nicht berufstätigen und ihre Kinder erziehenden Frau.
4. Die Vorschrift des § 32 a Abs. 5 Satz 2 AVG verstößt nach alledem gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ob sie auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 2 GG Bedenken begegnet, bedarf keiner Prüfung mehr, weil sich daraus keine weitergehenden Rechtsfolgen ergeben könnten.
5. Dem Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung Nachteile auszugleichen, die sich daraus ergeben, daß Kindererziehung beim erziehenden Elternteil typischerweise Sicherungslücken in der Rentenbiographie hinterläßt (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪39≫). Solche Möglichkeiten werden seit langem in der Fachöffentlichkeit diskutiert (vgl. etwa Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ≪Hrsg.≫, Verbesserung der sozialen Sicherung der Frauen – Stellungnahme der Kommission des VDR zur Reform der Kindererziehungszeiten, 1993, S. 21 ff. sowie die Nachweise bei Schulin/Karuth, NZS 1996, S. 273 ≪276 ff.≫). Sie waren auch wiederholt Gegenstand von Gesetzentwürfen und von Beratungen im parlamentarischen Raum (vgl. zum Beispiel Gesetzentwurf der Bundesregierung zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, BTDrucks VI/2916 S. 5, 41 zu § 1260 c des Entwurfs; BTDrucks VI/3767 S. 6, 14 zu § 1258 Abs. 3 des geänderten Entwurfs; Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ≪Rentenreformgesetz 1985 – RRG 1985≫, BTDrucks 10/2608 S. 84 zu § 736 des Entwurfs; Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, BTDrucks 11/4964). Das Grundgesetz legt den Gesetzgeber nicht auf eine bestimmte Lösung fest. Er ist insbesondere von Verfassungs wegen nicht gehalten, Kindererziehungszeiten auf der Grundlage des additiven Modells zu berücksichtigen. Ob und auf welche Weise der Gesetzgeber das Ziel, die soziale und wirtschaftliche Lage kindererziehender Mütter und Väter bedarfsorientiert zu verbessern, außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Einklang mit dem Grundgesetz hätte erreichen können, hat das Bundesverfassungsgericht hier nicht zu entscheiden.
D.
I.
1. Bei Verstößen gegen den Gleichheitssatz beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht darauf, die Unvereinbarkeit der verfassungswidrigen gesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz festzustellen, und sieht von einer Nichtigerklärung ab (vgl. BVerfGE 87, 114 ≪135 f.≫). Die Vorschrift des § 32 a Abs. 5 Satz 2 AVG ist danach in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären. Nach § 78 Satz 2 BVerfGG, der im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entsprechend anwendbar ist, sind im Interesse der Rechtsklarheit auch die in der Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung maßgeblich gewesenen § 1255 a Abs. 5 Satz 2, § 1255 Abs. 6 a Satz 2 RVO und § 32 Abs. 6 a Satz 2 AVG, jeweils in der Fassung des HEZG, sowie die Nachfolgevorschrift des § 70 Abs. 2 SGB VI, die keine inhaltliche Änderung gegenüber § 32 a Abs. 5 Satz 2 AVG aufweist, in diesem Umfang für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären (vgl. BVerfGE 61, 319 ≪356≫; 92, 53 ≪73≫, jeweils m.w.N.). Gleiches gilt für die in der Reichsknappschaftsversicherung maßgeblich gewesenen § 54 a Abs. 5 Satz 2 und § 54 Abs. 6 a Satz 2 RKG, jeweils in der Fassung des HEZG, sowie die Nachfolgevorschrift des § 83 Abs. 1 SGB VI.
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Regelung durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Für die in diesem Zusammenhang erforderlichen Entscheidungen und deren Verwirklichung im Gesetzgebungsverfahren erscheint ein Zeitraum bis zum 30. Juni 1998 angemessen. Dabei hat der Gesetzgeber grundsätzlich auch Vorsorge dafür zu treffen, daß in Fällen, in denen die Verwaltung erstmals nach Bekanntgabe des vorliegenden Beschlusses auch über die Frage der Berücksichtigung von mit beitragsbelegten Zeiten zusammentreffenden Kindererziehungszeiten entscheidet, die von ihm vorgenommene Neuregelung (gegebenenfalls auch rückwirkend) wirksam wird. Nur unter besonderen Voraussetzungen kann der Gesetzgeber davon absehen, in diesen Fällen der Beschwer abzuhelfen, etwa wenn diese Abhilfe nur unter unverhältnismäßig großer Beeinträchtigung anderer schutzwürdiger Belange, etwa finanzwirtschaftlicher Art, möglich wäre (vgl. BVerfGE 87, 114 ≪137≫).
Bei seiner gesetzlichen Neuregelung hat der Gesetzgeber auch zu prüfen, ob er an einer Begrenzung der rentenrechtlichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auf den Wert von 75 vom Hundert des Durchschnittseinkommens festhält (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪40≫).
II.
Rentenbescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung bereits bestandskräftig sind, bleiben von ihr unberührt. Dies entspricht dem Grundgedanken des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, der auch zur Anwendung kommt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Vorschrift als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (vgl. BVerfGE 81, 363 ≪384≫). Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, im Zusammenhang mit dem Gegenstand der vorliegenden Entscheidung eine andere Regelung zu treffen. Er kann die gesetzliche Neuregelung des Zusammentreffens von Kindererziehungszeiten mit beitragsbelegten Zeiten auf rechts- oder bestandskräftig gewordene Entscheidungen und zurückliegende Sachverhalte erstrecken; von Verfassungs wegen verpflichtet ist er hierzu nicht.
III.
1. Die fachgerichtlichen Urteile und Beschlüsse, die auf der für verfassungswidrig erklärten Vorschrift beruhen und mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden angegriffen sind, werden aufgehoben. Die zugrundeliegenden Verfahren sind auszusetzen, damit den Beschwerdeführerinnen die Möglichkeit offengehalten wird, aus der vom Gesetzgeber zu erlassenden und für sie möglicherweise günstigeren Neuregelung Nutzen zu ziehen. Von einer Aufhebung des im Verfahren 1 BvR 609/90 ebenfalls angegriffenen Rentenbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sieht der Senat ab. Sie ist im vorliegenden Fall nicht sachdienlich.
2. Soweit Rentenbescheide, die auf der für verfassungswidrig erklärten Norm beruhen, im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch keine Bestandskraft erlangt haben, sind anhängige Gerichtsverfahren bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber auszusetzen. Rentenbescheiden, die nach Bekanntgabe des vorliegenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts erlassen werden, ist zunächst das bisher geltende Recht zugrunde zu legen, jedoch unter dem Vorbehalt der Anpassung an die künftige Neuregelung.
Unterschriften
Seidl, Grimm, Kühling, Die Richterin Seibert ist an der Unterschrift gehindert. Seidl, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner
Fundstellen