Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbedürfnis für Klage gegen Zulässigkeitserklärung nach dem Mutterschutzgesetz bei Annahme einer Abfindung aus Anlaß einer Betriebsstillegung. Verhältnis zur arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzklage
Leitsatz (amtlich)
1. Die Stillegung eines Betriebes kennzeichnet in aller Regel eine Lage, in der dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der in MuSchG § 9 Abs 1 S 1 bestimmten Schutzfrist vorrang vor dem Interesse der Arbeitnehmerin an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes gebührt („besonderer Fall”).
2. Ein „besonderer Fall” liegt nicht vor, wenn die nach dem Mutterschutzgesetz Kündigungsschutz genießende Arbeitnehmerin umgesetzt werden kann.
3. Der Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz dient am allgemeinen nicht der „Versorgung” der Arbeitnehmerin.
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 13.10.1976; Aktenzeichen IV A 232/75) |
VG Hannover (Entscheidung vom 24.06.1975; Aktenzeichen I A 83/75) |
Tatbestand
Die Klägerin war in einer von der Beigeladenen betriebenen Kleiderfabrik und Wäschefabrik als Näherin beschäftigt. Im Herbst 1974 entschloß sich die Beigeladene, den Betrieb zum Jahresende stillzulegen. Er wurde schließlich Ende Februar 1975 geschlossen; denn das Landesarbeitsamt hatte mit Rücksicht auf die Belastung des Arbeitsmarktes nach § 18 Abs 2 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in der Fassung vom 25. August 1969 (BGBl I S 1317) für die Entlassung der etwa 60 Arbeitnehmer eine am 11. Januar 1975 endende Sperre verfügt. Aus Anlaß der Entlassung gewährte die Beigeladene auf Grund eines mit dem Betriebsrat ausgearbeiteten Sozialplans an die Arbeitnehmer Ausgleichszahlungen von insgesamt 43.000,– DM. Die Klägerin erhielt 734,– DM.
Hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmerinnen, denen gegenüber nach § 9 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz – MuSchG) in der Fassung vom 18. April 1968 (BGBl I S 315) die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unzulässig war, hatte die Beigeladene zuvor bei dem Beklagten beantragt, nach § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG die Kündigungen für zulässig zu erklären. In bezug auf die Klägerin war dies erst geschehen, nachdem der Beklagte die bevorstehende Betriebsstillegung im Betrieb, insbesondere mit dem Betriebsrat und den von Anfang an gemeldeten Arbeitnehmerinnen, erörtert hatte, weil die Schwangerschaft der Klägerin zunächst nicht bekannt war. Die Klägerin wurde nicht besonders angehört. Am 8. Januar 1975 erklärte der Beklagte die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der Klägerin und von weiteren acht Arbeitnehmerinnen für zulässig, weil ein „besonderer Fall” vorliege. Der Beigeladenen wurde aufgegeben, die werdenden Mütter nicht vor den übrigen Arbeitnehmern zu entlassen. Nur die Klägerin erhob gegen die Zulässigerklärung Widerspruch. Sie machte ausschließlich formelle Mängel des Bescheides geltend: Sie sei nicht gehört worden; der sie belastende Bescheid enthalte keine Begründung. Der Widerspruch wurde am 24. Februar 1975 zurückgewiesen. Die Klägerin bezog vom 1. März 1975 an Arbeitslosengeld, vom 17. Mai 1975 an Mutterschaftsgeld und vom 28. August 1975 an (bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung: 2. Juli 1975) wiederum Arbeitslosengeld.
Die gegen die Zulässigerklärung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils Bescheid und Widerspruchsbescheid aufgehoben. Es führt aus: Am Rechtsschutzbedürfnis für die Klage fehle es nicht, obwohl die Klägerin vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung nicht angegangen sei; denn die Kündigung sei bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits um die Zulässigerklärung schwebend unwirksam. Fristvorschriften nach dem Kündigungsschutzgesetz fänden im Falle der Unwirksamkeit der Kündigung keine Anwendung. Der Umstand, daß die Klägerin die Abfindung nach dem Sozialplan angenommen habe, stehe ihrem Begehren nicht entgegen; eine Anerkennung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne hierin nicht gesehen werden. Die Zulässigerklärung sei rechtswidrig. Nicht abschließend beurteilt zu werden brauche, ob dies schon aus dem Unterbleiben der vorherigen Anhörung der Klägerin folge. Auf jeden Fall sei die Zulässigerklärung sachlich nicht gerechtfertigt gewesen. Eine Kündigung dürfe nur ausnahmsweise für zulässig erklärt werden. Für die Annahme eines Ausnahmefalles seien ganz besondere Anforderungen zu stellen. Eine Betriebsstillegung sei für sich kein Grund, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Schwangeren für zulässig zu erklären. Es müßten die näheren Umstände gewürdigt werden, unter denen es zur Betriebsstillegung gekommen sei. Fehlerhaft wäre eine Zulässigerklärung vor allem, wenn die Betriebsstillegung mißbräuchlich wäre. Die betrieblichen und wirtschaftlichen Dispositionen des Arbeitgebers und Unternehmers müßten daher geprüft werden. Diese Prüfung könne zu dem Ergebnis führen, daß dem Arbeitgeber zuzumuten sei, ein geschütztes Arbeitsverhältnis für begrenzte Zeit auch dann fortzusetzen, wenn die ursprünglichen beiderseitigen Verpflichtungen deshalb nicht mehr vollständig erfüllt werden könnten, weil ein Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung stehe. Die Prüfung im konkreten Fall gebiete eine Entscheidung zugunsten der Klägerin. Die Beigeladene habe ihren Betrieb zwar aus von keiner Seite angefochtenen wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Sie habe damit aber nicht als Firma zu existieren aufgehört, sondern arbeite als Handelsbetrieb weiter. Sie halte auch wirtschaftliche Beziehungen zu einem im Ausland produzierenden Betrieb mit dem gleichen Namensbestandteil aufrecht. Es liege daher eindeutig eine unternehmerische Umdisposition vor, der zwar eine Unwirtschaftlichkeit des stillgelegten Betriebes zugrunde gelegen habe, die aber die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Ablaufs des Mutterschutzes nicht als unzumutbar habe erscheinen lassen. Die Existenz der Beigeladenen sei durch die Ursachen für die Umdisposition nicht gefährdet gewesen, sondern habe auf andere Weise gesichert werden können.
Mit der Revision, die das Oberverwaltungsgericht zugelassen hat, erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache in die Vorinstanz. Er stellt das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für das Klagebegehren in Abrede, weil sie in Kenntnis aller Umstände die Abfindung vorbehaltlos angenommen habe. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Zulässigerklärung aus formellen Gründen hält der Beklagte für nicht gerechtfertigt, weil ein Zwang zu vorheriger Anhörung der Klägerin nicht bestanden habe; auf jeden Fall wäre ein etwa in dieser Richtung bestehender Mangel dadurch geheilt worden, daß das Widerspruchsverfahren stattgefunden habe. In der Sache rügt der Beklagte, daß das Oberverwaltungsgericht den Rechtsbegriff „besonderer Fall” in einem mit dem Zweck des § 9 Abs 3 MuSchG nicht zu vereinbarenden Sinne ausgelegt habe; Stillegung eines Betriebes begründe stets den „besonderen Fall”, ohne daß die betrieblichen und wirtschaftlichen Dispositionen, die zur Betriebsschließung geführt hätten, in die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zulässigerklärung einzubeziehen seien. Einen Mangel des Verfahrens vor dem Berufungsgericht sieht der Beklagte darin, daß das Oberverwaltungsgericht es unterlassen habe, im einzelnen aufzuklären, ob die Beigeladene einen Handelsbetrieb noch aufrechterhalten habe; sie habe nämlich ihre geschäftlichen Aktivitäten insgesamt eingestellt und weder am Rechtsverkehr weiter teilgenommen noch wirtschaftliche Beziehungen zu einem im Ausland produzierenden Betrieb unterhalten.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen; sie macht sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.
Die Beigeladene hat ihre Ausführungen darauf beschränkt, den Vortrag des Beklagten zur Frage der Fortführung des Betriebes zu bestätigen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich nicht am Verfahren.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 144 Abs 3 Nr 2 VwGO). Es bedarf weiterer tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts, um abschließend beurteilen zu können, ob die Klägerin für ihr Klagebegehren ein Rechtsschutzbedürfnis hat, und ob – wenn dies angenommen werden muß – ein „besonderer Fall” im Sinne des § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG als rechtliche Voraussetzung für die Zulässigerklärung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin vorgelegen hat.
1. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis für die verwaltungsgerichtliche Klage gegen die Zulässigerklärung nicht aus dem Grunde abgesprochen, weil sie wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht Klage vor dem Arbeitsgericht nach Maßgabe der Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes erhoben hat. Nach § 9 Abs 1 Satz 1 MuSchG ist unter den dort näher bezeichneten weiteren Voraussetzungen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig. Zulässig ist die Kündigung nur, wenn sie vor ihrem Ausspruch nach § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG für zulässig erklärt wird. Eine ohne diese Zulässigerklärung ausgesprochene Kündigung ist nichtig (§ 134 BGB). Eine mit Zulässigerklärung ausgesprochene Kündigung wird rückwirkend unwirksam, wenn die Zulässigerklärung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird. Darin liegt ein „anderer Grund” im Sinne des § 7 Halbsatz 1 KSchG, der die Unwirksamkeit der Kündigung herbeiführt. Die Unwirksamkeit kann fristungebunden geltend gemacht werden.
Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts kann jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß die Klägerin für ihr Klagebegehren deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis hat, weil sie durch ihr gesamtes Verhalten möglicherweise zu erkennen gegeben hat, gleich den anderen Arbeitnehmern mit der Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses einverstanden zu sein. Ein solches Einverständnis müßte zugleich als Verzicht auf den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz verstanden werden; denn so wie eine Arbeitnehmerin, die nach § 9 Abs 1 Satz 1 MuschG Kündigungsschutz genießt, nicht gehindert ist, ihr Arbeitsverhältnis von sich aus zu kündigen (und damit auf den Mutterschutz zu verzichten), so kann sie nach dem Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber (auf Grund einer Zulässigerklärung nach § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG) auf den Mutterschutz verzichten, indem sie sich mit der Kündigung einverstanden erklärt und im Einklang damit – als zwangsläufige Folge – Rechtsmittel gegen die Zulässigerklärung nicht einlegt. Einverständnis mit der Kündigung und Verzicht auf den Mutterschutz können angenommen werden, wenn die Arbeitnehmerin nach der Kündigung mit dem Arbeitgeber die Zahlung einer Abfindung vereinbart (vgl Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz, Kommentar, 4. Aufl 1976, § 9 RdNr 74).
Nun ist der Klägerin auf Grund des Sozialplans eine Abfindung gewährt und von ihr auch angenommen worden. Zu Unrecht mißt das Berufungsgericht diesem Vorgang keine Bedeutung zu mit der Begründung, die Klägerin habe keine andere Wahl gehabt als die, das Gebotene anzunehmen. Wenn die Klägerin der Meinung war, ihr Arbeitsverhältnis dürfe nicht aufgelöst werden, so daß die von dem Beklagten vor der Kündigung erteilte Zulässigerklärung rechtswidrig sei, dann hätte es nahegelegen, die Abfindung überhaupt nicht oder nur unter einem ausdrücklich erklärten Vorbehalt anzunehmen.
Abschließend rechtlich beurteilen lassen wird sich dieser Vorgang unter dem Aspekt des Rechtsschutzbedürfnisses jedoch erst, wenn die näheren Umstände aufgeklärt sein werden, insbesondere die Zahlung der Abfindung in ihrem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung und der Einlegung des Widerspruchs gegen die Zulässigerklärung. Diese Sachaufklärung kann dem Oberverwaltungsgericht überlassen werden, da die Sache aus einem für die Anwendung des materiellen Rechts bedeutsamen, noch darzulegenden Grund zur Feststellung von Tatsachen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.
2. a) Die Klage – ihre Zulässigkeit unterstellt – hat keinen Erfolg unter dem Aspekt, daß die Zulässigerklärung vom 8. Januar 1975 wegen eines Verstoßes gegen Verfahrensrecht als rechtswidrig aufgehoben werden müßte, sei es aus dem Grund „mangelnde Anhörung”, sei es aus dem Grund „fehlende Begründung”.
Im Mutterschutzgesetz ist nicht bestimmt, daß die Arbeitnehmerin anzuhören ist, also auch nicht, daß diese Anhörung vor dem Ausspruch der Zulässigerklärung geschehen muß und daß diese Anhörung unabdingbar ist (vgl dagegen § 14 Abs 2 Satz 2 des Schwerbehindertengesetzes, vormals § 16 Abs 2 Satz 2 des Schwerbeschädigtengesetzes). Die Verpflichtung der Behörde, die Arbeitnehmerin im Verfahren betreffend die Zulässigerklärung zu hören, und die Frage, wann dies gegebenenfalls zu geschehen hat, sind daher nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens zu beurteilen (vgl als Niederschlag dieser Grundsätze § 28 des am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – vom 25. Mai 1976 (BGBl I S 1253)). Offenbleiben kann, ob die Anhörung der Klägerin – deren Schwangerschaft zunächst nicht bekannt war – etwa deshalb hätte unterbleiben dürfen, weil der Sachverhalt vom Beklagten bereits dergestalt erforscht worden war, daß er sich an Ort und Stelle über die zu wahrenden Belange aller in gleicher Weise Mutterschutz genießenden Arbeitnehmerinnen gerade in Erörterung mit diesen sachkundig gemacht hatte; denn ein etwa in unterbliebener vorheriger Anhörung liegender Verfahrensmangel müßte auf jeden Fall als unbeachtlich angesehen werden, weil die Klägerin noch im Verwaltungsverfahren Gelegenheit gehabt hat, ihre Belange geltend zu machen, nämlich im Wege des Widerspruchs, und weil sie von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Damit wäre ihre Anhörung in zulässiger Weise nachgeholt worden (vgl § 45 Abs 1 Nr 3 in Verbindung mit Abs 2 VwVfG). Die hiergegen vom Oberverwaltungsgericht erhobenen Bedenken überzeugen nicht.
Entsprechendes hat in bezug auf den weiteren von der Klägerin geltend gemachten, in fehlender Begründung der Zulässigerklärung gesehenen Verfahrensmangel zu gelten. Wäre der Beklagte – ungeachtet der Offenkundigkeit der für die Zulässigerklärung maßgebenden Umstände auch für die Klägerin – verpflichtet gewesen, seinen Bescheid über die gegebene Begründung hinaus ausführlicher zu begründen, so wäre dennoch ein daraus ableitbarer Mangel der Zulässigerklärung unbeachtlich; denn mit dem ausführlichen Widerspruchsbescheid im Vorverfahren ist eine solche etwa erforderliche Begründung nachträglich gegeben worden (vgl § 45 Abs 2 Nr 2 in Verbindung mit Abs 2 VwVfG). Besonderer Darlegungen zur Ermessensausübung bedurfte es nicht: Für den Beklagten, der sich im klaren darüber war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, waren keine tatsächlichen Umstände ersichtlich, mit denen er sich noch speziell für den Fall der Klägerin abwägend hätte auseinandersetzen müssen (vgl unten); die Klägerin selbst hat dazu im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden zu keiner Zeit auf gerade ihre Person betreffende Umstände aufmerksam gemacht.
b) Die Zulässigerklärung nach § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG ist eine Ermessensentscheidung, die rechtlich voraussetzt, daß ein „besonderer Fall” vorliegt, eine Frage, die im vollen Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Ein „besonderer Fall” kann (ausnahmsweise) nur dann angenommen werden, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Gesetz als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers rechtfertigen (BVerwGE 7, 294 (296, 297); 36, 160 (161)).
Die Stillegung (Schließung) eines Betriebes kennzeichnet in aller Regel eine Lage, in der dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der in § 9 Abs 1 Satz 1 MuSchG bestimmten Schutzfrist Vorrang vor dem Interesse der Arbeitnehmerin an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes gebührt. Schließung eines Betriebes bewirkt, daß für die Zukunft eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr besteht; der Arbeitnehmer kann seiner Verpflichtung, Arbeit zu leisten, nicht mehr nachkommen. Da aber die wesentliche Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis die Zahlung von Lohn (Gehalt) als Gegenleistung für vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeit ist, bewirkt eine Betriebsstillegung, daß eine wesensgerechte und sinngerechte Fortsetzung der Rechtsbeziehungen aus tatsächlichen Gründen unmöglich wird. Rechtlich wird dem dadurch Rechnung getragen, daß das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufgelöst wird.
All das hat regelmäßig auch in bezug auf eine Frau zu gelten, die während der in § 9 Abs 1 Satz 1 MuSchG bezeichneten Zeit Kündigungsschutz genießt; denn auch das Mutterschutzgesetz sieht nur für abschließend normierte Ausnahmefälle vor, daß der Arbeitgeber Entgelt zu leisten hat, ohne daß die Arbeitnehmerin eine Arbeitsleistung erbringt. Dabei handelt es sich um die Zahlung eines Durchschnittsverdienstes in Fällen, in denen die Arbeitnehmerin wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs 1, §§ 4, 6 Abs 2 oder 3 oder wegen Mehrarbeitsverbots, Nachtarbeitsverbots oder Sonntagsarbeitsverbots nach § 8 Abs 1, 3 oder 5 MuSchG teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen muß (§ 11 Abs 1 Satz 1 MuSchG). Ferner ist dem Arbeitgeber – mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfGE 37, 121) – als finanzielle Belastung auferlegt, der Arbeitnehmerin einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zu zahlen, sofern dieses niedriger ist als das um die gesetzlichen Abzüge verminderte durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt (§ 14 Abs 1 Satz 1 MuSchG). Diese ausdrückliche Regelung einzelner Fälle dergestalt, daß der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Mutterschutz ohne Gegenleistung der Arbeitnehmerin für diese durch am Arbeitsentgelt orientierte finanzielle Zuwendungen zu sorgen hat, ist nicht Ausdruck einer allgemeinen Tendenz des Gesetzes. Der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz dient nicht der Versorgung der Arbeitnehmerin (vgl Bundesarbeitsgericht, Großer Senat, Beschluß vom 26. April 1956 (BAG 3, 66, 72)). Auf eine solche Versorgung liefe es aber faktisch hinaus, wenn der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet bliebe, trotz Stillegung des Betriebes während der Schutzfrist unter wirtschaftlich sinnwidriger Aufrechterhaltung eines seines Wesens endgültig entkleideten Arbeitsverhältnisses weiter Lohn (Gehalt) zu zahlen.
Wenngleich also eine Betriebsstellung in aller Regel die Annahme eines „besonderen Falles” rechtfertigt, weil aus den dargelegten Gründen die dadurch entstehende Lage den Arbeitgeber vor die Notwendigkeit stellen wird, auch das Arbeitsverhältnis aufzulösen, das mit einer Mutterschutz genießenden Arbeitnehmerin besteht – wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist –, so ist dennoch nicht von vornherein auszuschließen, daß im Einzelfall eine Betriebsstillegung ausnahmsweise kein „besonderer Fall” im Sinne des § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG sein kann. Der anhängige Rechtsstreit erfordert jedoch keine Ausführungen dazu, wo die Grenze liegt, jenseits deren eine Betriebsstillegung nicht mehr als „besonderer Fall” anerkannt werden kann. Die Schließung der Wäschefabrik und Kleiderfabrik der Beigeladenen liegt nicht außerhalb der Regel. Das ergibt sich aus den sie charakterisierenden Umständen. Zum einen: Nach den für das Revisionsgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beigeladene den Betrieb aus von keiner Seite angefochtenen wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Zum anderen: Das Landesarbeitsamt hat der dadurch bedingten Massenentlassung der Arbeitnehmer nach § 18 Abs 1 KSchG zugestimmt. Schließlich: Die Stillegung des Betriebes ist mit dem Betriebsrat beraten worden. Zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern durch die Stillegung des Betriebes entstanden, ist in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ein Sozialplan erarbeitet worden (vgl §§ 111 und 112 Abs 1 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes vom 15. Januar 1972 (BGBl I S 13)).
Unabhängig davon, ob eine Betriebsstillegung als solche in aller Regel einen „besonderen Fall” ausmacht, kann dessen Annahme aus einem anderen Grunde ausgeschlossen sein, nämlich: Handelt es sich nur um eine Teilstillegung oder ist der völlig stillzulegende Betrieb Teil eines im übrigen fortbestehenden Unternehmens, dann wird zu prüfen sein, ob die Arbeitnehmerin in dem Unternehmen anderweitig beschäftigt werden kann (Umsetzung); denn während der Schutzzeit im Sinne des § 9 Abs 1 Satz 1 MuSchG ist die Interessenlage der am Arbeitsverhältnis Beteiligten derjenigen vergleichbar, die in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, insbesondere der des Bundesverwaltungsgerichts, zur Zulässigkeit der Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbeschädigten/Schwerbehinderten nach §§ 14ff des Schwerbeschädigtengesetzes (§§ 12ff des Schwerbehindertengesetzes) der Grund war und ist, danach zu fragen, ob dem Arbeitnehmer im Rahmen der vorhandenen Arbeitsplätze ein anderer geeigneter Arbeitsplatz zugewiesen werden kann (BVerwGE 48, 264 (267) mit weiteren Nachweisen). Das Vorliegen eines „besonderen Falles” im Sinne des § 9 Abs 3 Satz 1 setzt also voraus, daß diese Möglichkeit nicht besteht oder daß die Arbeitnehmerin eine angebotene (zumutbare) Beschäftigung ablehnt (so auch Bulla/Buchner, aaO, RdNr 154, S 395).
Für eine Beurteilung unter diesem rechtlichen Aspekt fehlt es im angefochtenen Urteil an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, so daß der Beklagte zu Recht als Verfahrensmangel rügt, das Oberverwaltungsgericht habe seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, nicht genügt. Sofern die Klage nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin abzuweisen ist, muß daher in tatsächlicher Hinsicht insbesondere geklärt werden, ob und gegebenenfalls mit welchem Gegenstand die Beigeladene, eine Produktionsgesellschaft und Vertriebsgesellschaft, nach der Stillegung der Kleiderfabrik und Wäschefabrik weiterhin unternehmerisch tätig gewesen ist, ob die Klägerin in diesem Unternehmen während der Schutzfrist zumutbar weiterbeschäftigt werden konnte und ob sie zu einer solchen Beschäftigung bereit war.
Sollte die vorstehend für notwendig gehaltene Sachaufklärung zu den Möglichkeiten einer Umsetzung kein der Klägerin günstiges Ergebnis zeitigen, so käme es – entgegen der anscheinend vom Oberverwaltungsgericht vertretenen Ansicht – für den Erfolg der Klage nicht darauf an, ob die etwa weiterhin unternehmerisch tätig gewesene Beigeladene durch Fortzahlung des Lohnes an die Klägerin bis zum Zeitpunkt des Ablaufs des Mutterschutzes (als Ausfluß einer Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses für diesen begrenzten Zeitraum) in ihrer Existenz gefährdet worden wäre. Dies ist aus den bereits in anderem Zusammenhang dargelegten Gründen kein Beurteilungskriterium, dessen Fehlen hier geeignet wäre, die Annahme eines „besonderen Falles” auszuschließen. Der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz bezweckt nicht die Versorgung der Arbeitnehmerin. Für eine gegenteilige Auffassung kann nicht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in BVerwGE 36, 160 (164) angeführt werden. Dort ist zwar nach eingehender Erörterung des rechtlichen Aspekts der wirtschaftlichen Belastbarkeit des Arbeitgebers die Entscheidung letztlich darauf gestützt worden, daß die Arbeitgeberin durch ihre Verpflichtung zur Weiterzahlung des Lohnes an die Arbeitnehmerin in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht so stark beeinträchtigt werde, daß von einer drückenden Last (im in der Entscheidung zuvor erörterten Sinne) gesprochen werden könne. Jedoch betraf dieser Rechtsstreit einen im Gesetz in bezug auf die Beschäftigung und die Fortzahlung von Lohn besonders geregelten und damit von der Zulässigerklärung nach § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG grundsätzlich gerade ausgenommenen Fall, nämlich den einer Barfrau, deren Tätigkeit zwangsläufig während der Nachtstunden stattfand. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 MuSchG durfte sie aber während der Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr nicht beschäftigt werden. Gleichwohl mußte ihr nach § 10 MuSchG (in der damals geltenden Fassung des Gesetzes; siehe jetzt § 11) ein Durchschnittsverdienst weitergewährt werden. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sollte also deutlich gemacht werden, daß dem mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz selbst in den Fällen Grenzen gesetzt sind, in denen dem Arbeitgeber – in einem weiterbestehenden Betrieb= – von Gesetzes wegen die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Lohn auferlegt ist, obwohl er wegen eines besonderen Beschäftigungsverbots – zeitweilig= – eine Gegenleistung nicht erhält. Infolgedessen kommt es auf derartige Überlegungen in Fällen nicht an, in denen von vornherein die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses nicht besonders gesetzlich bestimmt ist.
Die Prüfung, ob die Zulässigerklärung rechtswidrig ist, weil der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, läßt Fehler, die revisionsgerichtlich beanstandet werden könnten, nicht erkennen. Der Beklagte ist sich bewußt gewesen, daß er unter der rechtlichen Voraussetzung des „besonderen Falles” eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Das kommt darin zum Ausdruck, daß er seine Zulässigerklärung hinsichtlich des „Wie” der Kündigung mit einer Auflage versehen hat, nämlich der, daß die Klägerin nicht vor den übrigen Arbeitnehmern entlassen werden dürfe. Arbeitsmarktpolitische Überlegungen hatte der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensausübung – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht anzustellen; denn dabei handelt es sich um Gründe, die das Landesarbeitsamt bei seiner Entscheidung nach § 18 KSchG zu berücksichtigen und zu würdigen hatte (vgl § 20 Abs 3 Satz 1 KSchG). Gerade in dieser Sache ist der Umstand, daß die Entlassungen eine erhebliche Belastung für den einseitig strukturierten, nur beschränkt aufnahmefähigen Arbeitsmarkt bedeuteten, für das Landesarbeitsamt der Grund gewesen, eine Sperrfrist bis zum 11. Januar 1975 zu verfügen. Der Beklagte brauchte mangels erkennbarer in der Person der Klägerin liegender und für die Entscheidung nach § 9 Abs 3 Satz 1 MuSchG erheblicher Gründe weitere Ermessensüberlegungen nicht anzustellen.
Fundstellen
Buchholz 436.4 § 9 MuSchS, Nr 5 |
BVerwGE 54, 276-285 (LT1-3) |
BVerwGE, 276 |
DRsp, VI(616) 86 (ST) |
ZfSH 1978, 120-121 (LT1-3) |
AP § 9 MuSchG 1968, Nr 5 |
DÖV 1978, 660-661 (S) |