Rz. 361
Neben den allgemeinen Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 1 AO ist es erforderlich, dass die betroffenen Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 2 AO aktiv zur Aufklärung des Sachverhalts bei Auslandsbezug beitragen und entsprechende Beweismittel "beschaffen" (erhöhte Mitwirkungspflichten).
Rz. 362
Wenn also die Klärung und steuerrechtliche Bewertung eines Sachverhalts erforderlich ist, der sich auf Ereignisse außerhalb des Anwendungsbereichs der AO erstreckt, ist der Steuerpflichtige gemäß § 90 Abs. 2 S. 1 AO verpflichtet, diesen Sachverhalt insbesondere aktiv zu untersuchen und die notwendigen "Beweismittel zu beschaffen". Dies gilt auch im Verrechnungspreiskontext.
Um diesen erhöhten gesetzlichen Mitwirkungspflichten nachzukommen, müssen Beteiligte im Kontext grenzüberschreitender (Verrechnungspreis-)Sachverhalte insbesondere folgende Maßnahmen ergreifen:
- Eigeninitiativ, also aktiv, Sachverhalte mit Auslandsbezug aufklären
- Informationen im Ausland beschaffen
- Zeugen, die im Ausland ansässig sind, im Inland verfügbar machen
- Erforderliche Beweismittel, die sich im Ausland befinden, einholen
- Vorkehrungen für die Beweissicherung treffen (sog. Beweisvorsorge, s. Rz. 363)
Zu den (aktiven) Aufklärungs- und Beschaffungspflichten von Beweismitteln gemäß § 90 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO gehört insbesondere, dass der Steuerpflichtige wahrheitsgemäß darlegen muss, wie die zwischen ihm und nahestehenden Personen vereinbarten Preise zustande gekommen sind, welche vertraglichen Vereinbarungen existieren, welche Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgüter bei der Preisfestlegung berücksichtigt wurden, welche Verrechnungspreismethode angewendet wurde, die Berechnungsweise, ob und welche Maßnahmen zur Durchführung von Fremdvergleichen ergriffen wurden und inwiefern nahestehende Personen die Preisgestaltung beeinflusst haben.
Rz. 363
Nach § 90 Abs. 2 Satz 3 AO kann sich ein Beteiligter also nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falles bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte verschaffen können (sog. Beweisvorsorge). Der Steuerpflichtige kann die erforderliche Beweisvorsorge auch dadurch treffen, dass er sich schon zu Beginn der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen – vertraglich – einen Zugang zu den Informationen und Unterlagen sichert, die für die Ermittlung, Aufteilung und Abgrenzung der Einkünfte für Zwecke der deutschen Besteuerung erkennbar erforderlich sein können und über die nur diese Personen verfügen. Von der Möglichkeit des Steuerpflichtigen zur Beweisvorsorge ist auszugehen, wenn die angeforderten Unterlagen der nahestehenden Person Voraussetzung für eine zutreffende Ermittlung der (Verrechnungs-)Preise sind, so dass sich ein ordentlicher Geschäftsleiter (§ 43 GmbHG) die Vorlage der Unterlagen vertraglich vorbehalten müsste.
Rz. 364
Handelt es sich um Transaktionen im Verhältnis zu einer ausländischen Tochtergesellschaft, kann der Steuerpflichtige aufgrund seines gesellschaftsrechtlichen Informations- und gegebenenfalls Weisungsrechts grundsätzlich Unterlagen einer ausländischen Tochtergesellschaft beschaffen.
Rz. 365
Im Rahmen steuerlicher Außenprüfungen können Finanzbehörden gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 in Verbindung mit § 147 Abs. 6 AO auch auf Handelsbriefe zugreifen (ggfs. auch auf den E-Mail Verkehr). Diese Regelung ermöglicht es, innerhalb einer Unternehmensgruppe durch eine Netzwerkanalyse festzustellen, welche Personen in welchem Unternehmen maßgebliche Funktionen ausüben oder Entscheidungen treffen und somit Risiken tragen und kontrollieren. Für die Analyse ist es ausreichend, wenn die Handelsbriefe in elektronischer Form vorliegen, den Datenzugriff entsprechend anzuordnen und zunächst die E-Mail-Journale auszuwerten. Sollten keine E-Mail-Journale vorhanden sein, kann deren Erstellung durch einen Z 2-Zugriff angeordnet werden. Bereits aus diesen Journalen lassen sich die tatsächlichen Netzwerkstrukturen, also die Informationsflüsse und die beteiligten Akteure in den verschiedenen verbundenen Unternehmen, zeitlich zuordnen und identifizieren. Auf diese Weise kann auch relevante Geschäftspost konkret erfasst werden. Ein solcher Ansatz ermöglicht einen effektiven Abgleich des tatsächlichen Lebenssachverhalts mit der dokumentierten Sachverhaltsdarstellung im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 2 AO.
Rz. 366
Handels- und Geschäftsbriefe sind schon seit langem ein fundamentaler Bestandteil des geschäftlichen Verkehrs. Jedoch hat sich insbesondere die Form und Übermittlungsweise dieser Dokumente in neuerer Zeit gewandelt. Heutzutage werden sie häufig digital erstellt und elektronisch an die jeweiligen Empfänger versandt. Ein Handelsbrief im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO umfasst die gesamte kaufmännische Korrespondenz, die in Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung, dem Abschluss oder der Rückabwicklung eines Handelsgeschäfts steht. Dazu zählen beispielsweise Dokumente wie Aufträge, Auft...