Rz. 63
Artikel 9 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) dient den Vertragsstaaten als "Erlaubnisnorm", um bei fremdunüblichen Verrechnungspreisen Gewinnkorrekturen vorzunehmen. Diese Vorschrift fungiert jedoch nach h. M. nicht als direkte Korrekturanweisung und hat somit keine unmittelbare Durchführungswirkung (keine sog. "Self-Executing Wirkung"); vielmehr ist stets eine nationale (Umsetzungs-)Regelung erforderlich, die solche Verrechnungspreiskorrekturen ermöglicht, wie bspw. die Bestimmungen über verdeckte Gewinnausschüttungen, verdeckte Einlagen oder eben § 1 AStG. Die Durchführung von Gewinnkorrekturen nach diesen nationalen Regelungen muss jedoch am Fremdvergleichsgrundsatz von Artikel 9 Abs. 1 OECD-MA ausgerichtet sein. Wenn nationale Korrekturmaßnahmen von diesem Grundsatz abweichen, entsteht durch Artikel 9 Abs. 1 OECD-MA eine sog. Sperrwirkung gegenüber dem nationalen Recht. Diese Sperrwirkung kommt bspw. zum Einsatz, wenn eine verdeckte Gewinnausschüttung bei einem beherrschenden Gesellschafter nur aufgrund "formaler Mängel" festgestellt wird. Obgleich im reinen Inlandsfall eine vGA zu einer Korrektur führt, hat der BFH unlängst klargestellt, dass Artikel 9 Abs. 1 OECD-MA keine besonderen "formalen" Anforderungen vorsieht, wie sie in Fällen von verdeckten Gewinnausschüttungen bei beherrschenden Gesellschaftern (z. B. beim Rückwirkungsverbot bei innerstaatlichen vGAs) angewendet werden könnten. D.h. im internationalen Kontext unterbleibt sonach eine Korrektur, die nur auf formalen Mängeln fußen würde, wenn ansonsten der (Verrechnungs-)Preis der Höhe nach fremdvergleichkonform ist (und somit letzlich das Steuersubstrat fremdüblich zwischen den Staaten "verteilt" wurde).
Mit anderen Worten: Bei der Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes gemäß Artikel 9 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens sind (rein) formale Vorgaben nicht entscheidend; stattdessen liegt der Fokus auf der Ermittlung eines fremdüblichen Verrechnungspreises der Höhe nach.
Rz. 64
Eine sog. Gegenberichtigung (Art. 9 ABs. 2 OECD-MA) im Verrechungspreiskontext tritt ein, wenn ein Staat den Gewinn eines Unternehmens korrigiert (Erstberichtigung) und der andere Staat daraufhin den Gewinn entsprechend anpasst, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dies schützt verbundene Unternehmen in beiden Staaten vor einseitigen Korrekturen. Gegenberichtigungen sind allerdings auf Fälle beschränkt, in denen die Doppelbesteuerung direkt aus der Erstberichtigung resultiert; bei Qualifikationskonflikten oder unterschiedlichen Einkunftsermittlungsvorschriften greift sie nicht. Laut Art. 9 Abs. 2 OECD-MA erfolgt eine Gegenberichtigung zudem nur, wenn der (gegen-)korrigierende Staat die Erstberichtigung des anderen Staates als gerechtfertigt und entsprechend fremdüblich ansieht. Die Einigung über die Korrektur setzt somit Konsens über die Einstufung und angemessene Bewertung der Leistungen voraus; die Methode der Berichtigung ist dabei nicht festgelegt.
Rz. 65
Von der Gegenberichtigung ist die sog. Zweit- oder sekundäre Berichtigung zu unterscheiden: Die sekundäre Berichtigung befasst sich mit den Auswirkungen, die nach einer Erst- und Gegenberichtigung verbleiben. Die Erstberichtigung ordnet den Gewinn dem Unternehmen zu, das ihn nach dem Arm's-Length-Prinzip erhalten soll, und die Gegenberichtigung entlastet das andere Unternehmen von der damit verbundenen Steuerlast. Die sekundäre Berichtigung adressiert hingegen die verbleibenden Steuerfolgen, die aus den vorangegangenen Berichtigungen resultieren, indem sie die tatsächliche finanzielle Bewegung zwischen den Unternehmen in den Blick nimmt, etwa durch Darlehen oder Dividendenausschüttungen. Diese Maßnahmen können weitere steuerliche Konsequenzen nach sich ziehen, wie bspw. Quellensteuern. Wenn die Korrektur bspw. mittels verdeckte Gewinnausschüttung erfolgt, kann der Staat, der die Erstberichtigung vorgenommen hat, neben den Ertragsteuern (aufgrund der Gewinnerhöhung) somit auch Quellensteuern auf diese Ausschüttungen erheben.
Rz. 66–67
einstweilen frei