Rz. 132
Funktions- und Risikoanalyse:
Die sog. Funktions- und Risikoanalyse nach Satz 2 ist ein zentraler Teil der Sachverhaltsermittlung und Verrechnungspreisanalyse. Satz 2 steht in enger Verbindung mit Satz 1 ("Insbesondere ist zu berücksichtigen"), wonach die tatsächlichen Verhältnisse zu identifizieren und bei der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde zu legen sind.
Rz. 133
Ihr Ziel ist es, die wirtschaftlich bedeutenden Tätigkeiten und Aufgaben (Funktionen), die von den beteiligten Unternehmen eines Geschäftsvorfalls tatsächlich ausgeführt werden, sowie die dabei genutzten oder bereitgestellten Vermögenswerte und die übernommenen Risiken zu analysieren. Nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien soll diese Analyse dazu beitragen, den Beitrag jedes Unternehmens zum wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg präzise zu bewerten – um damit im Anschluss letzlich die (Gesamt-)Gewinne (das Steuersubstrat) der Unternehmensgruppe gerecht zwischen den beteiligten Unternehmen zu "verteilen". Die Funktions- und Risikoanalyse ist damit entscheidend, um sicherzustellen, dass die Gewinne entsprechend der wirtschaftlichen Aktivität und der Verantwortung der jeweiligen Unternehmen innerhalb des Konzerns angemessen zugeteilt werden. Der Grundgedanke dahinter ist einfach: Wer im Konzern die wertschöpfenden Funktionen ausübt, wesentliche Risiken eingeht und wertschöpfende Vermögenswerte (insbes. immaterielle Werte) innehat und einbringt, dem steht ökonomisch auch eine höhere Vergütung (Anteil am Residualgewinn) zu. Gleichwohl ist in der Praxis die Zuteilung und Bewertung der (tatsächlichen) Funktionen und Risiken nicht selten ein Streitpunkt, insbes. auch in der steuerlichen Betriebsprüfung. Denn letztlich ist dies die Grundlage für die Vergleichbarkeitsanalyse und die Wahl der Verrechnungspreismethode.
Rz. 134
Funktionen:
Absatz 3 liefert keine gesetzliche Definition darüber, was genau unter einer "Funktion" im Einzelnen zu verstehen ist. Es empfiehlt sich insbes., die Definition der Funktionen an den Richtlinien der OECD anzulehnen (Tz. 1.43). Nach diesen Richtlinien beinhaltet der Begriff der Funktion bspw. "Tätigkeiten" wie die Herstellung, Montage, Verkaufs- und Produktmanagement, Marketing, Großhandel, Lagerüberwachung und den Bereich der Garantieleistungen. Ein Rückgriff auf den Funktionsbegriff gemäß § 1 FverlV erweist sich (nur) als begrenzt nützlich, weil dieser Begriff primär dazu dient, einen spezifischen Unternehmensteil ("als organischer Teil eines Unternehmens") zu definieren, der potenziell verlagert werden kann. Gleichwohl kann es hierbei Überschneidungen geben.
Rz. 135
Risiken:
Das Gesetz liefert auch keine spezielle Risikodefinition. Im Verrechnungspreiskontext ist es jedoch angebracht, das Risiko als den Effekt der Unsicherheit auf die Ziele der Geschäftstätigkeit zu betrachten. Die Zuordnung von Risiken hat im Verrechnungspreiskontext eine signifikante Bedeutung, insbes. weil auf dem freien Markt das Übernehmen bzw. Tragen größerer Risiken grds. mit dem Potenzial für höhere Erträge einhergeht (siehe OECD-VPLL Rz. 1.56). Dieses ökonomische Bild wird auch i. R.d. Verrechnungspreisbildung nachgezeichnet. Die Möglichkeit, ob verbundene, abhängige Unternehmen die Risiken selber tragen oder an andere Konzernteile weitergeben können, spielt daher auch eine entscheidende Rolle für ihre "Position" im Konzern (Entrepreneuer vs. Routineunternehmen, s. dazu Rz. 141) und beeinflusst somit maßgeblich die Gewinnverteilung (siehe OECD-VPLL Rz. 1.58). Zu Beginn der Risikoanalyse müssen die spezifischen Risiken des zu untersuchenden Falles identifiziert werden (vgl. OECD-VPLL Rz. 1.72). Ausgangspunkt hierfür sind die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den verbundenen Unternehmen (OECD-VPLL Rz. 1.77 ff.). Anschließend wird überprüft, ob die in den Verträgen festgelegte Risikoverteilung auch tatsächlich gelebt wird, das heißt, ob die Vertragsbedingungen eingehalten werden und ob die Partei, die die Risiken (vertraglich) übernimmt, auch die Kontrolle darüber hat und finanziell in der Lage ist, diese im Eintrittsfall zu tragen (sog. "Risikokontrollansatz"). Eine wirksame Kontrolle über Risiken erfordert angemessene finanzielle und personelle Ressourcen sowie notwendige Erfahrungen und Kompetenzen (VWG VP Rz. 3.6; OECD-VPLL Rz. 1.61 ff.). Risiken können auch mehreren Unternehmen zugewiesen werden, wenn diese sie gemeinsam kontrollieren und finanziell tragen können (OECD-VPLL Rz. 1.95). In einem Netzwerk von verbundenen Unternehmen sollten diejenigen, die den größten Kontrollanteil haben und finanziell das Risiko decken können, auch mit dem Risiko belastet werden (OECD-VPLL Rz. 1.98).
Rz. 136
Wenn ein verbundenes Unternehmen (z. B. eine funktions- und risikoarme Finanzierungsgesellschaft, s. Abs. 3e Rz. 274) finanziell nicht in der Lage ist, Risiken zu tragen oder die erforderlichen (Risko-)Kontrollfunktionen nicht ausführt, steht diesem lediglich eine risikofreie Rendite zu (OECD-VPLL Rz. 1.106). Bei Investitionen in fi...