Rz. 51
Erfolgt bei einer durch eine Person gegründeten Stiftung keine Zurechnung beim Stifter (sei es, weil er nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist oder verstorben ist), erfolgt eine Zurechnung bei den unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anteilsberechtigten. Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 AStG nimmt keine Einschränkung auf den Familienkreis vor. Die Wortlautauslegung bedarf aber einer teleologischen Einschränkung: Fremde Dritte können nicht von dem Missbrauchsvorwurf des § 15 AStG erfasst werden. Sie versteuern ihre Einkünfte vielmehr regulär als Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Nach Auffassung der Finanzverwaltung verhält es sich jedoch anders: Jeder Bezugs- und Anfallsberechtigte wird von § 15 AStG erfasst, unabhängig davon, ob diese Personen dem Familienkreis entstammt oder nicht.
Rz. 52
Die Aufteilung der Zurechnungsbetrages zwischen den Bezugs- und Anfallsberechtigten ist sowohl für Zwecke der Einkommen- als auch Vermögensteuer umstritten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung erfolgt die Zurechnung – soweit diese nicht beim Stifter erfolgt – bei den Bezugs- und Anfallsberechtigten. Besteht irgendeine unbeschränkt steurepflichtige Person aus dem Kreis der Stifter, Bezugs- oder Anfallsberechtigten sind die Einkünfte vollumfänglich zuzurechnen. Vorzugswürdig erscheint auch für Zwecke der Einkommensteuer ein differenziertes Herangehen, das den Lebenszyklus der Stiftung berücksichtigt: Während der Stifter die Familienstiftung gründet und hierfür auch steuerlich verantwortlich i. S. der grundsätzlichen Erfassung des Zurechnungsbetrags ist, erhält der Bezugsberechtigte nachrangig die laufenden Einkünfte und der Anfallsberechtigung die Vermögensauskehrung bei Auflösung. Unter Beachtung der teleologischen Auslegung führt aber das Bestehen eines nicht nicht mehr unbeschränkt Steuerpflichtigen Stifters nicht zu einer Sperrwirkung, d. h. die Zurechnung muss in einem solchen Fall dann bei dem Bezugsberechtigten erfolgen.
Rz. 53
Der Wortlaut der Vorschrift verweist mit "entsprechend ihrem Anteil" nicht nur auf die gebotene Aufteilung innerhalb der Gruppe, sondern der beiden Gruppen als solcher und der Einkünfte zwischen den unbeschränkt Stpfl. und den nicht unbeschränkt Stpfl. Im Einzelnen gilt nach vorzugswürdiger Auffassung folgendes: Bei Nichterfassung der Einkünfte beim Stifter kann nur die subsidiäre Erfassung der Einkünfte beim Bezugsberechtigten folgen. Dem Anfallsberechtigten sind dagegen nur die Einkünfte zuzurechnen, die anlässlich der Auflösung der Stiftung entstehen. Weitere sind nicht vorstellbar, da eine mögliche Thesaurierung von Einkünften auf Stiftungsebene nichts an der Zurechnung bei dem Bezugsberechtigten ändert. Soweit der BFH auf die Gleichstellung von Bezugs- und Anfallsberechtigung abstellte, steht dies der vorstehenden Sicht nicht entgegen, jedoch kann – anders als wohl der BFH meint – eine Berücksichtigung laufender Einkünfte (also außerhalb der Auflösung der Stiftung) bei einem Anfallsberechtigten nur erfolgen, soweit dieser auch Bezugsberechtigter ist. Innerhalb der jeweiligen Gruppe kann nur eine Zurechnung der Einkünfte erfolgen, die auf unbeschränkt Stpfl. entfällt. Der andere Anteil bleibt außen vor.
Rz. 54
Für die Zurechnung der Höhe nach gelten die o. g. Ausführungen entsprechend.
Beispiel: Die ausländische Familienstiftung gründete der zwischenzeitlich verstorbene A. Bezugsberechtigt sind A, B und C. Die mögliche Bezugsberechtigung – im Ermessen des Stiftungsvorstandes – beläuft sich bei A und B jeweils auf max. die Hälfte der Einkünfte, bei C kann ein Wert nicht festgestellt werden. In den Stiftungsstatuten steht lediglich, auch C könne begünstigt werden, ohne dass die Höhe – anders als bei A und B – beschränkt ist. X und Y sind anfallsberechtigt jeweils in gleicher Höhe. Alle Personen gehören zu dem Familienkreis, jedoch unterliegen B und X nicht der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht.
Lösung: Die Zurechnungsbetrag beläuft sich bei A auf (50 % / (50 % + 50 % + 100 %)) = 25 % der Einkünfte der Familienstiftung, C erhält einen Zurechnungsbetrag von 50 % der Einkünfte der Familienstiftung. Die übrigen 25 % sind in Ermangelung einer unbeschränkten Steuerpflicht außen vorzulassen. Die Anfallsberechtigten sind aufgrund der Auskehrung von laufenden Einkünften nicht zu berücksichtigen.