Rz. 36
Der Begriff der ausländischen Familienstiftung erfährt mit Satz 1 i. V. m. Abs. 2 seine Legaldefinition. Es muss sich um einen Rechtsträger handeln, der als Stiftung qualifiziert (§ 15 Abs. 2 AStG) und weder über Sitz noch Geschäftsleitung im Inland verfügt, d. h. es muss ein nach ausländischem Recht gegründeter Rechtsträger sein, der im Inland nicht über einen Ort der Geschäftsleitung verfügt. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang zwei Aspekte: Grundsätzlich besteht nur ein Ort der Geschäftsleitung. In Zeiten der zunehmenden Digitalisierung kann ein weiterer Ort jedoch nicht zwingend ausgeschlossen werden, nämlich dann nicht, wenn eine eindeutige Identifizierung im Rahmen einer wertenden Betrachtung nicht möglich ist. Weiterhin besteht das Risiko des Verlustes der Rechtsfähigkeit, wenn eine ausländische Stiftung zuzieht, d. h. den Ort der Geschäftsleitung ins Inland verlagert. Zwar besteht bei EU/EWR-Stiftung u. U. die Möglichkeit der Anerkennung aufgrund der Grundverkehrsfreiheiten, gesichert ist dies jedoch nicht. In Drittstaatenfällen ist dagegen grundsätzlich vom Verlust der Rechtsfähigkeit auszugehen.
Rz. 37
Der Rechtsträger muss unter Anwendung des Rechtstypenvergleiches einer Stiftung nach deutschem Verständnis (§§ 80 ff. BGB) entsprechen. Die Bezeichnung des ausländischen Rechtsträgers spielt dabei keine Rolle. Eine Stiftung wird durch ein Stiftungsgeschäft von Todes wegen (§ 83 BGB) oder unter Lebenden (§ 81 BGB) errichtet und verfügt über eine selbständige Vermögensmasse mit eigener Vermögenszuständigkeit. Erst wenn das ausländische Rechtsgebilde diese wesentlichen rechtlichen Strukturelemente einer deutschen Stiftung erfüllt, ist die Vergleichbarkeit mit der Stiftung anzunehmen und der Anwendungsbereich des § 15 AStG eröffnet. Die Rechtsfähigkeit der Stiftung ist nicht maßgeblich, vielmehr kommt es auf die wirtschaftliche Selbständigkeit an: Diese ist anzunehmen, wenn Vermögensteile von dritter Seite übertragen werden und die Auflage besteht, das Vermögen und die Erträge nur zweckgebunden zu verwalten und zu verwenden. In diesem Fall tritt die Abschirmwirkung ein, die durch die Zurechnungsbesteuerung – unter der Voraussetzung der Familienstiftung begründende Überschreitung der Berechtigungsgrenze – durchbrochen wird. Auf den Stiftungszweck kommt es für den Rechtstypenvergleich ebenso wenig an, wie auf die Art des Stiftungsvermögens. Folglich können auch sog. Trusts nach dem Recht der USA oder Jerseys die Eigenschaft einer Familienstiftung erlangen. Gleiches gilt für eine sog. Company limited by guarantee nach irischem oder britischem Recht.
Rz. 38
Den Charakter einer Familienstiftung erhält das ausländische Körperschaftsteuersubjekt durch das Überschreiten der kritischen Berechtigungsgrenze eines bestimmten Personenkreises, nämlich des Stifters, seiner Angehörigen und deren Abkömmlinge. Diese müssen allein oder zusammen zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sein. Zu dem Begriff des Stifters und der Bezugs- und Anfallsberechtigung s. Rz. 31 ff. Für die Angehörigeneigenschaft ist auf § 15 AO abzustellen. Abkömmlinge sind die Erben erster Ordnung i. S. d. § 1924 BGB.
Rz. 39
Eine Erweiterung des Personenkreises auf nahestehende Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG erfolgt nicht. Somit sind insbesondere auch nicht Kapitalgesellschaften, an denen der Stifter (oder andere Angehörige bzw. deren Abkömmlinge) beteiligt sind, zu berücksichtigen. Dies führt zur Umgehungsmöglichkeit, wenn der Stifter selbst nur zu 49 % bei einer ausländischen Familienstiftung bezugs- und anteilsberechtigt ist, die übrigen 51 % der Bezugs- und Anfallsberechtigung bei einer seinem Privatvermögen gehörenden Kapitalgesellschaft zu berücksichtigen sind.
Rz. 40
Auf den Umfang der persönlichen Steuerpflicht kommt es für die Frage der Eigenschaft der Familienstiftung nicht an, d. h. auch Personen, die im Inland lediglich beschränkt oder gar nicht steuerpflichtig sind, können der Stiftung das Gepräge einer Familienstiftung verleihen. Dies ändert jedoch nichts an der Nichtzurechnung von Einkünften i. S. d. § 15 Abs. 1 AStG (vgl. Rz. 30), da insoweit die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht erforderlich ist.
Rz. 41
Da die Vorschrift die Familienstiftungseigenschaft sowohl im Fall der Bezugs- als auch Anteilsberechtigung annimmt, ist das Überschreiten der Grenze bei einer der beiden Alternativen ausreichend. Insoweit unterscheidet sich § 15 Abs. 2 AStG von § 12 Abs. 2 S. 1 StAnpG, der nur auf die Bezugsberechtigung abstellte.
Rz. 42
Auslegungsbedürftig sind bei der Berechtigungsgrenze sowohl die anzusetzenden Werte und der Beurteilungszeitpunkt. § 15 Abs. 2 AStG lässt die Bezugsgrößen unbestimmt. Dieses Problem führt aber nicht zum Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, die Vorschrift bedarf insoweit der Auslegung. Der von der Finanzverwaltung im Anwendungsschreiben wiederholte Wortlaut des § 15 Abs. 2 AStG spricht nur von der mehr als hälftigen Bezugs- oder Anfallsbere...