Rz. 95
Die Vorschrift in § 2 AStG führt verglichen mit dem Inlandsfall nicht zu einer höheren Besteuerung nach dem Wegzug und stellt insoweit keine Beschränkung der Grundfreiheiten dar (Rz. 96). Einen Eingriff in die Grundfreiheiten wird man nur dann bejahen können (aber auch müssen), wenn man die Bildung eines horizontalen Vergleichspaars anerkannt (Rz. 97). Eine Rechtfertigung eines Eingriffs scheidet aus (Rz. 98). Das allg. Diskriminierungsverbot tritt hinter die Grundfreiheiten zurück und erlangt keine eigenständige Bedeutung (Rz. 99).
Rz. 96
Anders als in § 6 AStG (s. ausführlich § 6 AStG Rz. 95ff.) wird der Wegzug gem. § 2 AStG nicht schlechter behandelt als der Verbleib im Inland (vertikales Vergleichspaar). Im Gegenteil sieht § 2 Abs. 6 AStG eine Deckelung der deutschen Steuer vor, soweit die erweiterte beschränkte Steuerpflicht eine höhere Steuer verursacht, als sie bei unbeschränkter Steuerpflicht entstanden wäre (s. Rz. 355ff.). Es fehlt insoweit bereits an einer Beschränkung der Grundfreiheiten. Dies gilt selbst dann, wenn unter Berücksichtigung der Besteuerung im Ausland eine höhere Steuer als bei Verbleib im Inland entsteht, weil es an Mechanismen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung fehlt. Auf das im Schrifttum bemühte Verbot, negative steuerliche Folgen an eine niedrige Besteuerung im Ausland zu knüpfen, kommt es mangels Beschränkung einer Grundfreiheit gar nicht an.
Rz. 97
Ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten wird im Schrifttum gleichwohl bejaht. Dies basiert auf der Zugrundelegung eines horizontalen Vergleichspaars, d. h. dem Vergleich eines in einen (Mitglied-)Staat ohne niedrige Besteuerung Verzogenen mit dem Steuerpflichtigen i. S. v. § 2 AStG. Im Schrifttum wird vertreten, die Bildung eines horizontalen Vergleichspaars sei durch den EuGH nicht anerkannt. Das trifft in dieser Allgemeinheit zu. Im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der EuGH eine Diskriminierung auch zwischen Angehörigen verschiedener Mitgliedstaaten bejaht. Wenngleich entsprechende Hinweise auch der Rechtsprechung zur Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit entnommen werden können, ist die Rechtsprechung nicht eindeutig. Die EuGH-Rechtsprechung zur niederländischen erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht ist insoweit nicht ergiebig, weil diese Regelung nicht nach der Besteuerung im Zuzugsstaat differenzierte und der EuGH sich daher zu der Frage nicht äußern musste. Das FG München hat die Bildung dieses Vergleichspaars abgelehnt. Bejaht man das horizontale Vergleichspaar, so ist die Unionsrechtskonformität auch auf dieser Basis zu beurteilen. Eine Vergleichbarkeit von in unterschiedlichen Staaten ansässigen Gebietsfremden dürfte regelmäßig gegeben sein. Es liegt nahe, in diesen Fällen auch eine Beschränkung der Grundfreiheiten zu erkennen, weil § 2 AStG Steuerpflichtige mit Ansässigkeit in einem Niedrigsteuergebiet gegenüber in anderen Staaten Ansässigen benachteiligt. Da der EuGH eine Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf den Wegzug verneinte, dürfte sich dies auf die in EU/EWR-Sachverhalten (und aufgrund des Freizügigkeitsabkommens auch im Verhältnis zur Schweiz) geltenden Grundfreiheiten (Art. 45 und Art. 49 AEUV) beschränken.
Rz. 98
Einigkeit besteht in Schrifttum insofern, als die Möglichkeit einer Rechtfertigung eines etwaigen Eingriffs in die Grundfreiheiten verneint wird.
Rz. 99
Dem in Art. 18 AEUV normierten allg. Diskriminierungsverbot können keine weitergehenden Verbote entnommen werden können als den besonderen Diskriminierungsverboten in Form der Grundfreiheiten. Ein Verstoß von § 2 AStG gegen das allg. Diskriminierungsverbot liegt nach hier vertretener Auffassung daher nicht vor.
Rz. 100-109
einstweilen frei