Rz. 23
Verfassungsrechtliche Berührungspunkte ergeben sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen weist der Konflikt mit dem Abkommensrecht die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auf, zum anderen ist – soweit nicht die Umsetzungsverpflichtung aus dem Europarecht nicht das Verfassungsrecht derogiert – die übliche Frage der Verfassungskonformität des § 20 Abs. 2 AStG zu beantworten.
Rz. 24
Keine Verfassungswidrigkeit aufgrund möglicher Abkommensüberschreibung
Ein Verstoß gegen Art. 25 GG scheidet aus. DBA erlangen für den deutschen Rechtsraum erst mit dem Erlass des Vertragsgesetzes Rechtswirkung, denn ohne dieses wird es völkerrechtlich nicht verbindlich (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a WÜRV sowie Art. 31 DBA-VHG). Nach Transformation in den innerstaatlichen Rechtsraum stehen die DBA im Range einfachen Bundesrechts. Sie gehören nicht zum allgemeinen Völkerrecht i. S. d. Art. 25 GG und stehen somit nicht hierarchisch über den übrigen Steuergesetzen.
Rz. 25
Ein Verstoß gegen Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Im Kollisionsfall greift die in § 2 AO zum Ausdruck gekommene Vorrangregel der Spezialität. Ungeachtet dieses Grundsatzes sind zwei Besonderheiten zu beachten: DBA stehen unter einem inhärenten Missbrauchsvorbehalt (s. o.) und selbst bei dessen Verneinung steht es den Vertragsstaaten frei, zusammen mit der Transformation oder einem besonderen Rechtsakt Vorbehalte oder Abänderungen zu erlassen. Völkerrechtlich stellt dieses Vorgehen – wenn man die Auffassung eines inhärenten Missbrauchsvorbehalts ablehnt – einen Vertragsverstoß dar und wird im Schrifttum als Abkommensüberschreibung (sog. treaty override) bezeichnet. Im Einzelfall ist aber gar kein Kollisionsfall gegeben.
Rz. 26
Anders verhält es sich aber bei § 20 Abs. 2 AStG: Die Vorschrift ordnet eine vom DBA abweichende Rechtsfolge an. Das Überschreiben des Abkommens ist – ungeachtet kritischer Stimmen im Schrifttum – verfassungsrechtlich nicht nur hinzunehmen, sondern in bestimmten Fallkonstellationen sogar geboten. Es steht dem Gesetzgeber frei, durch den Transformationsakt selbst Vorbehalte zu erklären oder durch ein innerstaatliches Gesetz eine Abänderung vorzunehmen. Diese Abänderung kann jedoch nicht nur im Nachhinein erfolgen, vielmehr kann diese Regelung auch präventiv erfolgen. In beiden Fällen ist aufgrund der Spezialität der innerstaatlichen Regelung ein Vorrang anzunehmen. Ein anderes Ergebnis führte zu sinnwidrigen Ergebnissen und ist abzulehnen.
Rz. 27
Eine Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Halbs. 1 und Halbs. 2 AStG ist auch im Lichte des Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzulehnen. Dieses Prinzip findet mit seinem Grundsatz im Demokratieprinzip seine Grenzen. Es muss dem Gesetzgeber möglich sein, völkerrechtliche Vereinbarungen zu modifizieren, ein etwaiges Versteinerungsgebot besteht nicht.
Rz. 28
Das Schrifttum nahm die Entscheidung des BVerfG überwiegend mit Enttäuschung auf und verweist auf die Relativierung des Geltungsanspruches des geschaffenen (Völker-)Rechts. Dieser Sichtweise ist entgegenzutreten, denn innerstaatliche Besonderheiten ergeben sich zum einen im Laufe der Zeit, denen nicht durch eine Vertragsanpassung Rechnung getragen werden kann, nämlich dann, wenn der andere Vertragsstaat seine Zustimmung verweigert. Es liegt vielmehr im Interesse des Stpfl., in diesem Fall das Abkommen als solches zu erhalten, denn eine Kündigung und Neuverhandlung wäre i. d. R. nachteilig. Im Übrigen obliegt es jedem Vertragspartner im Rahmen der Verhandlung, sich zu erkundigen, welche innerstaatlichen Besonderheiten bestehen und diese ggf. auch in den Verhandlungen zu berücksichtigen.
Rz. 29
Praxishinweis: Für die Steuerberatungspraxis ist aufgrund der eindeutigen Entscheidung des BVerfG kein Raum für eine auf Verfassungswidrigkeit der Abkommensüberschreibung abzielende gerichtete Nichtanwendbarkeit der §§ 7 ff., § 15, §§ 16 ff. und § 20 AStG. Dies gilt ungeachtet der bisher lediglich erfolgten verfassungsgerichtlichen Beurteilung des § 50 d Abs. 8 EStG.
Rz. 30
Keine Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 2 AStG durch Grundrechtseingriff
Der § 20 Abs. 2 AStG stellt auch keinen Verstoß gegen die Grundrechte auf Eigentum, hilfsweise allgemeine Handlungsfreiheit dar. Zum einen besteht kein absoluter Anspruch auf eine abkommensrechtliche Freistellung, zum anderen erfolgt eine Gleichstellung mit einem Inlandssachverhalt: Die ausländische Steuer wird angerechnet. Soweit dies im Einzelfall bedingt durch die Besonderheit der Gewerbesteuer nicht möglich ist, ist dies hinzunehmen.
Rz. 31
Der § 20 Abs. 2 AStG stellt durch den Ausschluss des Substanznachweises in Satz 1 auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Zwar ist der Substanznachweis im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung geboten, jedoch ist der Vergleich vorliegend zwischen der inländischen und der von § 20 Abs. 2 AStG erfassten ausländischen Betriebstätte vorzunehmen. In diesem Kontext ist ein Substanznachweis nicht geboten. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit einer...