Rz. 37
Anders als die Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung (s. § 20 Abs. 1 AStG) ist § 6 AStG nicht explizit abkommensüberschreibend und stellt damit keinen sog. Treaty Override dar. Die Norm steht damit – im Einklang mit § 2 Abs. 1 AO – unter dem Vorbehalt der DBA.
Rz. 38
Die Schrankenwirkung der deutschen DBA wird der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG oftmals nicht entgegenstehen. Die Wegzugsbesteuerung greift grundsätzlich in der letzten juristischen Sekunde der unbeschränkten Steuerpflicht des Wegziehenden. Dies wird neuerdings explizit in § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG normiert, wonach die Veräußerung "im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht" erfolgt. In diesem Zeitpunkt ist der Stpfl. regelmäßig noch im Inland ansässig. Bestätigung findet diese Auffassung in der Existenz diverser DBA-Klauseln, die explizit an den Wegzug / Ansässigkeitswechsel eines Stpfl. knüpfen und für diesen Fall eine Verknüpfung des im Wegzugstaat angesetzten Werts mit dem im Zuzugstaat der Besteuerung zugrunde gelegten Werts vorsehen.
Rz. 39
Nach einer a. A. soll der Stpfl. sich aufgrund des vorstehend genannten Besteuerungszeitpunkts gar nicht auf die DBA berufen können, weil er diesem erst künftig – nach seinem Wegzug – unterfalle.
Dieser Auffassung geht schon deshalb fehl, weil der Stpfl. vor dem Wegzug in Deutschland ansässig ist und sich allein deshalb auf sämtliche deutsche DBA berufen kann (s. nur Art. 1 OECD-MA).
Rz. 40
Jede nach § 6 AStG i. V. m. § 17 EStG entstehende Steuer ist daher einer Prüfung der abkommensrechtlichen Schrankenwirkung zu unterwerfen. Sieht das nationale Recht zwar eine Besteuerung vor, die allerdings durch das DBA ausgeschlossen wird, läuft die Wegzugsbesteuerung ins Leere.
Eine natürliche Person unterliegt seit 10 Jahren ununterbrochen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG. Die unbeschränkte Steuerpflicht wird durch Aufgabe des Wohnsitzes im Inland beendet. Ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte die Person stets im DBA-Ausland und galt daher auch stets als ausschließlich dort ansässig i. S. v. Art. 4 Abs. 2 OECD-MA. Im Zeitpunkt der Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht werden Anteile i. S. v. § 17 EStG gehalten.
Der Tatbestand der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG ist erfüllt. Die Veräußerungsgewinnbesteuerung nach § 17 EStG wird ausgelöst. Da jedoch aufgrund der Ansässigkeit im Ausland regelmäßig wegen Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das deutsche Besteuerungsrecht an einem Gewinn aus der Anteilsveräußerung ausgeschlossen war, greift die Schrankenwirkung des DBA und steht der Wegzugsbesteuerung entgegen. Die steuerlichen Konsequenzen des § 6 AStG erschöpfen sich folglich im Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG.
Rz. 41
Abseits der – zu bejahenden – Frage, ob ein DBA die Rechtsfolgen der Wegzugsbesteuerung beschränken kann, stellt sich die Frage, welche weiteren Einflüsse sich aus DBA auf die Wegzugsbesteuerung ergeben können. Unter dem Stichwort der passiven Entstrickung werden Konstellationen beschrieben, in denen die erstmalige Anwendung eines DBA – aufgrund des Neuabschlusses oder aufgrund einer Revision – einen Ausschluss bzw. eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts herbeiführt und damit einen Wegzugstatbestand auslöst (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG). Nach hier vertretener Auffassung ist diese Möglichkeit zu bejahen (s. Rz. 150 ff.).
Rz. 42
einstweilen frei