Rz. 450
Gem. § 8 Abs. 5 S. 3 AStG unterliegen Einkünfte i. S. v. Abs. 5 S. 1 auch dann einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 15 % – mithin einer Niedrigbesteuerung –, wenn Ertragsteuern von mindestens 15 % zwar rechtlich geschuldet, jedoch nicht tatsächlich erhoben werden. Die Vorschrift wurde als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH, wonach im Rahmen des § 8 Abs. 3 S. 1 AStG a. F. (= § 8 Abs. 5 S. 1 AStG) eine abstrakte Prüfung der Niedrigbesteuerung erfolgt (s. Rz. 431), durch das JStG 2008 eingeführt. Die Anpassung sollte dem Sinn und Zweck der Regelung, auf die tatsächlich geschuldete Steuer abzustellen, Rechnung tragen. Im Ergebnis ist für Zwecke der Bestimmung der Niedrigbesteuerung auf die Effektivbelastung abzustellen.
Rz. 451
Da die Vorschrift als Reaktion auf BFH-Rechtsprechung eingeführt wurde, handelt es sich bei ihr nicht lediglich um eine Klarstellung. Sie führt mithin zu einer Ergänzung des § 8 Abs. 5 S. 1 AStG. Dabei ergibt sich aus der Gesetzessystematik folgende Prüfreihenfolge:
Zunächst ist nach § 8 Abs. 5 S. 1 AStG die Belastungsrechnung unter Zugrundelegung der abstrakten, d. h. der rechtlich vorgesehenen Steuer, durchzuführen. Ergibt sich daraus eine Belastung von weniger als 15 %, ist eine Niedrigbesteuerung gegeben. Auf § 8 Abs. 5 S. 3 AStG kommt es dann nicht mehr an,
selbst wenn die tatsächlich erhobene Steuer oberhalb der Niedrigsteuergrenze liegt.
- Nur wenn nach § 8 Abs. 5 S. 1 AStG keine Niedrigbesteuerung gegeben ist, weil die rechtlich vorgesehenen Ertragsteuer mindestens 25 % der Zwischeneinkünfte betragen, ist § 8 Abs. 5 S. 3 AStG in die Prüfung einzubeziehen.
Aus dieser Prüffolge ergibt sich als Zweck der Norm, den Begriff der Niedrigbesteuerung zu erweitern. Dies geschieht, indem die in § 8 Abs. 5 S. 1 AStG angeordnete Division unter Berücksichtigung nicht der rechtlich vorgesehenen, sondern der tatsächlich erhobenen Ertragsteuern durchgeführt wird.
Rz. 452
Kernelement des § 8 Abs. 5 S. 3 AStG sind somit die Ertragsteuern, die "tatsächlich erhoben werden" bzw. "nicht tatsächlich erhoben werden". Eine Steuer ist erhoben, wenn sie gezahlt wurde (s. auch §§ 218ff. AO). An einer Erhebung fehlt es somit immer dann, wenn eine Steuer bereits nicht festgesetzt worden ist, weil dann auch keine Zahlung folgt. Im Übrigen fehlt es an der Erhebung, wenn eine Steuer zwar festgesetzt, aber nicht gezahlt wird. Fraglich ist, ob vor dem Hintergrund des zukunftsbezogenen Wortlauts ("erhoben werden") eine Zahlung bei Anwendung des § 8 Abs. 5 S. 3 AStG bereits erfolgt sein muss. Dies ist m. E. zu bejahen, denn das Gesetz stellt auf eine "tatsächliche" Erhebung ab, die erst nach Leistung der Zahlung festgestellt werden kann. Nach Auffassung der Verwaltung soll eine für weniger als ein Jahr gestundete Steuer oder eine in Raten entrichtete Steuer als tatsächlich erhoben gelten. In jedem Fall wird im Falle einer späteren Erhebung von Steuern im Ausland ein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Nr. 2 AO) zu sehen sein, das eine Niedrigbesteuerung i. S. v. § 8 Abs. 5 S. 3 AStG aufheben kann.
Rz. 453
Wir eine Steuer "tatsächlich nicht erhoben", ist sie nicht in den Belastungsvergleich des § 8 Abs. 5 S. 3 AStG einzubeziehen. Auf die Gründe der Nicht-Erhebung kommt es nach dem Gesetzeswortlaut nicht an. Die Nicht-Erhebung kann auf im Ausland begangener Steuerhinterziehung beruhen, auf Erhebungsdefizite im Ausland zurückzuführen sein, oder schließlich Resultat eines Erlasses von Steuern im Ausland sein. Letzteres ist aus unionsrechtlichen Gründen bedenklich, weil ein in einem Mitgliedstaat gewährter Vorteil (z. B. durch Billigkeitserlass) einem anderen Mitgliedstaat nicht das Recht gibt, den Stpfl. ungünstiger zu behandeln. Eine Nicht-Erhebung liegt dagegen nicht vor, wenn die Einkünfte infolge einer Gruppenbesteuerung bei einem anderen Steuersubjekt erfasst werden.
Rz. 454
Freiwillig erfolgende Steuerzahlungen stehen dem Entstehen einer Niedrigbesteuerung nicht entgegen. Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzessystematik, der zufolge § 8 Abs. 5 S. 3 AStG die Niedrigbesteuerung lediglich insoweit ergänzt, als Fälle einer rechtlich geschuldeten, aber nicht tatsächlich erhobenen Steuer von mindestens 15 % erfasst werden. In Fällen freiwilliger Zahlungen fehlt es indes bereits an einer rechtlich geschuldeten Steuer i. S. v. § 8 Abs. 5 S. 1 AStG, weshalb § 8 Abs. 5 S. 3 AStG nicht zur Anwendung kommt. Die Entscheidung des BFH im sog. "Dublin Docks"-Fall steht dem nicht entgegen, denn dort wurde eine Steuer, die unter Mitwirkung der Zwischengesellschaft durch den irischen Finanzminister höher festgesetzt wurde, deshalb als Ertragsteuer i. S. v. § 8 Abs. 3 S. 1 AStG angesehen, weil die Steuerfestsetzung dem irischen Körperschaftsteuerrecht entsprach. Eine freiwillige Zahlung kann z. B. auch in dem Verzicht auf die Anwendung steuerlich günstiger Vorschriften gesehen werden. Die bloße (Nicht-)Ausübung ein...