Weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung des Familienheims nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG ist, dass die Selbstnutzung zu Wohnzwecken mindestens zehn Jahre andauern muss (anders bei der lebzeitigen Übertragung eines Familienheims zwischen Ehegatten nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, dort existiert keine Behaltensfrist). Kommt es zu einer Aufgabe der Selbstnutzung innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb, fällt nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG die Steuerbefreiung rückwirkend für die Vergangenheit weg, es sein denn, der Erwerber ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert (sog. Nachsteuertatbestand, BFH v. 11.7.2019 – II R 38/16, ECLI:DE:BFH:2019:U.110719.IIR38.16.0, BStBl. II 2020, 314 = ErbStB 2020, 33 [Heinrichshofen]). Liegt kein zwingender Grund vor, wird der Erbschaftsteuerbescheid im Rahmen des rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert.
Aufgrund der strengen Auslegung des Nachsteuertatbestands durch die Rspr. (vgl. BFH v. 18.7.2013 – II R 35/11, BStBl. II 2013, 1051 = ErbStB 2013, 368 [Kirschstein]; BFH v. 23.6.2015 – II R 39/13, BStBl. II 2016, 225 = ErbStB 2015, 287 [Halaczinsky]) und Finanzverwaltung (vgl. R E 13.4 Abs. 6 ErbStR 2019) sind bereits mehrfach Verfahren zu den Tatbeständen der "Aufgabe der Selbstnutzung" und den "zwingenden Gründen" anhängig gewesen, die sowohl durch die FG (vgl. FG Münster v. 10.12.2020 – 3 K 420/20 Erb, EFG 2021, 385 m. Anm. Mai = ErbStB 2021, 71 [Heinrichshofen]; FG Düsseldorf v. 8.1.2020 – 4 K 3120/18 Erb, EFG 2021, 288 m. Anm. Wiesch = ErbStB 2021, 41 [Heinrichshofen]; FG Hessen v. 10.5.2016 – 1 K 877/15, ZEV 2016, 535 = ErbStB 2016, 302 [Günther]; FG Münster v. 31.1.2013 – 3 K 1321/11, ZEV 2013, 635; FG Münster v. 28.9.2016 – 3 K 3757/15 Erb, EFG 2016, 2077 m. Anm. Beidenhauser = ErbStB 2017, 3 [Kirschstein]; FG München v. 22.10.2014 – 4 K 847/13, EFG 2015, 236 = ErbStB 2015, 60 [Grootens]) als auch durch den BFH (vgl. BFH v. 29.11.2017 – II R 14/16, BStBl. II 2018, 362 = ErbStB 2018, 133 [Marfels]; BFH v. 11.7.2019 – II R 38/16, ECLI:DE:BFH:2019:U.110719.IIR38.16.0, BStBl. II 2020, 314 = ErbStB 2020, 33 [Heinrichshofen]; BFH v. 1.12.2021 – II R 1/21, BStBl. II 2022, 557 = ErbStB 2022, 325 [Heinrichshofen]; BFH v. 1.12.2021 – II R 18/20, ECLI:DE:BFH:2021:U.011221.IIR18.20.0, BStBl. II 2022, 554 = ErbStB 2022, 255 [Heinrichshofen]) in jüngerer Vergangenheit entschieden worden sind. In den vorgenannten Urteilen wurde in etwa jeweils über den gleichen Sachverhalt entschieden:
Die Kläger erbten jeweils ein Familienheim, dass im Rahmen der Erbschaftsteuerveranlagung auch als solches anerkannt und entsprechend der Voraussetzungen steuerfrei gestellt worden ist. In allen Fällen hat das beklagte FA die Erbschaftsteuerbescheide der Kläger nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgrund der Beendigung der Selbstnutzung innerhalb von zehn Jahren nach Erwerb geändert, da die von den Klägern vorgetragenen "zwingenden Gründe" nicht als solche anerkannt wurden. Strittig war also, wann ein "zwingender Grund" für die Aufgabe der Selbstnutzung des Familienheims gegeben ist. In den vorliegenden Fällen wurde jeweils die Revision zugelassen, wodurch empfohlen wurde, gleichgelagerte Fälle durch Einspruch offen zu halten (vgl. Scheel/Glatz, DStRK 2021, 137).