Die Sachverhaltsaufklärung ist eine wesentliche Aufgabe im Besteuerungsverfahren und trägt maßgeblich zu einer zutreffenden rechtlichen Entscheidung bei. Bei der Ermittlung des Sachverhalts haben sowohl die Finanzbehörde als auch der Steuerpflichtige mitzuwirken.
Untersuchungsgrundsatz: Der Untersuchungsgrundsatz, auch Amtsermittlungsgrundsatz genannt, beinhaltet im Einzelnen:
- den Grundsatz des Vorrangs der Amtsermittlungspflicht,
- die Grundsätze der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit sowie
- die Grundsätze des Beweismaßes, die den Grad der erforderlichen Gewissheit betreffen.
Der Grundsatz des Vorrangs der Amtsermittlungspflicht dient dem öffentlichen Interesse an der Feststellung des wahren Sachverhaltes. Dementsprechend trägt die Finanzbehörde grundsätzlich die Verantwortung für die Sachaufklärung und bestimmt die Art und den Umfang der Ermittlungen. Hierbei hat sie gem. § 88 Abs. 2 AO alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu beachten, selbstverständlich auch die für den Steuerpflichtigen günstigen Umstände.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Grundsätzlich bestimmt die Finanzbehörde unabhängig vom Vorbringen und von Beweisanträgen der Beteiligten, inwieweit sie von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten Gebrauch machen möchte. Dies gilt jedoch nur insoweit, als das Gesetz nicht selbst Mitwirkungspflichten vorschreibt. In der Praxis ist insb. die Steuererklärungspflicht – die primäre Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen – von wesentlicher Bedeutung (dazu gleich mehr).
Der Umfang der Ermittlungen, die die Finanzbehörde zur Aufklärung der für die Rechtsanwendung erheblichen Tatsachen durchführt, wird durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt. Der Arbeitsaufwand und der steuerliche Erfolg müssen in angemessenem Verhältnis zueinanderstehen. So kann auch die Arbeitsbelastung in der Finanzbehörde ein Argument für die mehr oder weniger ausgeprägte Intensität der Ermittlungsmaßnahmen sein.
Das Finanzgericht ist – ebenso wie die Finanzbehörde – von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, § 76 Abs. 1 S. 1 FGO. Hierdurch unterscheidet sich das finanzgerichtliche Verfahren vom Zivilprozess, der vom Verhandlungsgrundsatz beherrscht wird (Loschelder, AO-StB 2003, 25).
Das Finanzgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich zu ermitteln. Eine Entscheidung nach der Beweislast ist nur zulässig, wenn das Gericht zuvor alle Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung ausgeschöpft hat (ultima ratio, vgl. Steinhauff, AO-StB 2017, 257). Insb. muss es Beweisanträge der Beteiligten grundsätzlich berücksichtigen. Diese dürfen im Einzelfall abgelehnt werden, allerdings nur unter engen Voraussetzungen (Loschelder, AO-StB 2003, 25; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 81 Rz. 37 ff.).
Beraterhinweis Bei besonders schwieriger Sachverhaltsermittlung, wenn beispielsweise die Ermittlung einzelner Sachverhalte nur mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand möglich ist oder sich über einen unangemessen langen Zeitraum erstrecken würde, können sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhaltes einigen und eine tatsächliche Verständigung vornehmen. Eine solche kommt insb. auch im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in Betracht.