Ein systematischer Überblick über den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO anhand des Urteils des FG Düsseldorf v. 26.5.2021 – 5 K 143/20 U
[Ohne Titel]
RA Claas Winkler / RA Johannes Hoffmann
In der steuerstrafrechtlichen Praxis ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gerade im Bereich der Umsatzsteuer(-hinterziehung) von besonderer Bedeutung. Die Autoren nehmen das Urteil des FG Düsseldorf vom 26.5.2021 zum Anlass, um einen systematischen Überblick über den Tatbestand der Vorschrift zu geben und dabei die Besonderheiten – unter Einbeziehung der aktuellen Rspr. – herauszuarbeiten.
I. Einleitung
In der steuerstrafrechtlichen Praxis ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gerade im Bereich der Umsatzsteuer(-hinterziehung) von besonderer Bedeutung. Zurückzuführen ist dies insb. darauf, dass es sich bei der Umsatzsteuer um eine Anmeldesteuer handelt, bei der der Steuerpflichtige die Steuer gem. § 18 Abs. 1, 3 S. 1 UStG grundsätzlich selbst zu berechnen hat, ohne dass er zur Einreichung von Belegen verpflichtet ist und die möglichen Formen der Steuerhinterziehung damit vielfältig sein können (so auch Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 370). Typische Fälle der (Umsatz-)Steuerhinterziehung durch Unterlassen – die in der Praxis (wohl) nahezu täglich vorkommen – sind z.B.
- die Nichterklärung von unberechtigt ausgewiesener USt nach § 14c UStG,
- ein Verstoß gegen die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO in bestimmten Fällen oder
- die schlichte Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Umsatzsteuerhinterziehung auch in der Rspr. von großer Bedeutung ist. Dies zeigt nicht zuletzt das Urteil des FG Düsseldorf vom 26.5.2021 (FG Düsseldorf v. 26.5.2021 – 5 K 143/20 U, wistra 2021, 331). Das vorbenannte Urteil möchten die Autoren zum Anlass nehmen, um dem Leser einen systematischen Überblick über den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu verschaffen und dabei die Besonderheiten im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen – unter Einbeziehung der aktuellen Rspr. – herauszuarbeiten.
II. Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
1. Allgemeines
Echtes Unterlassungsdelikt und Sonderdelikt: § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO normiert ein echtes Unterlassungsdelikt (BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 63 [April 2019]; Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 60a; Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 271 [Okt. 2021]). Wegen der Anknüpfung an eine besondere Handlungspflicht ist der Tatbestand zugleich ein Sonderdelikt (BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112; v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, wistra 2003, 100; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 23 [April 2019]; a.A. Timpe, HRRS 2018, 243), da Täter nur derjenige sein kann, der auch die Pflicht zur Mitteilung bzw. Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen hat (sog. Garantenstellung). Gerade deshalb ist die Abgrenzung zur Begehungsvariante in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, die ein sog. Jedermannsdelikt ist, in der Praxis von herausragender Bedeutung (Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 63 [April 2019]). Zwar lässt derjenige, der Einnahmen erklärt, aber zugleich andere Einnahmen verschweigt, die Finanzbehörde in Unkenntnis. Allerdings ist dieser Fall unter § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu subsumieren, da der Steuerpflichtige die Vollständigkeit seiner Angaben versichert, obwohl dies in tatsächlicher Hinsicht nicht zutreffend ist (Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 60). Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfasst hingegen typischerweise nur solche Fälle, bei denen der Steuerpflichtige insgesamt untätig bleibt, obwohl ihn eine zumutbare Handlungspflicht trifft.
Den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt, wer
- die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis lässt. Die steuerliche Erheblichkeit ist dann gegeben, wenn die Tatsachen, die Ermittlung, Erhebung oder Beitreibung einer Steuer betreffen (vgl. Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 228 f. [Okt. 2021]).
- Weiterhin muss der Täter in der Lage sein, diese Unkenntnis zu beseitigen, und dies unterlassen.
- Schließlich muss er zur Beseitigung der Unkenntnis verpflichtet sein (Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 230).
2. Tatbestandsmerkmale im Einzelnen
a) Aufklärungspflicht
Die Pflicht zum Handeln ergibt sich für den Steuerpflichtigen regelmäßig aus den Steuergesetzen. In der Praxis besonders häufig vorkommende Aufklärungspflichten ergeben sich z.B. aus § 18 UStG, §§ 56 bis 60 EStDV, § 49 Abs. 1 KStG, § 25 GewStDV, § 19 VStG, § 31 ErbStG, Art. 79 Abs. 3 UZK bzw. aus der AO (z.B. §§ 134, 135, 138, 139, 150, 153, 200 AO; vgl. hierzu Meyer in Gosch, AO/FGO, § 370 AO Rz. 99 [Aug. 2012]). Darüber hinaus ist in der Praxis insb. die Anzeige-...