Joachim Patt, Fabian Bernhagen
Tz. 50g
Stand: EL 112 – ET: 12/2023
Fraglich ist, ob auch ohne aktives Tun des Einbringenden oder der übernehmenden Gesellschaft der Tatbestand des § 22 Abs 1 S 6 Nr 6 UmwStG erfüllt werden kann. Der Wortlaut der Regelung fordert jedenfalls keine Handlung der maßgebenden Pers; nur den (voraussetzungslosen) Wegfall der Anwendungserfordernisse des § 1 Abs 4 UmwStG. Auch der Sinn und Zweck des Ersatzrealisationstatbestands (nämlich pauschalierte Sicherstellung der Missbrauchsverhinderung bei einer stbegünstigten Einbringung, s Tz 1, und Sicherstellung der Besteuerung durch Entstrickung bei St-Ausl ohne inl Besteuerungsrecht für die Substanz der erhaltenen Anteile) könnte nicht erreicht werden, wenn der Wegfall der pers Ansässigkeitsqualifikation durch Handlung des AE anders beurteilt würde, als wenn diese stliche Situation durch andere Umstände ausgelöst würde. Schließlich zählt der Gesetzgeber in den Ges-Materialien zum SEStEG die "Änderung eines DBA" ausdrücklich als Beispielssachverhalt eines schädlichen Ereignisses iSd § 22 Abs 1 S 6 Nr 6 UmwStG ohne Beteiligung der betroffenen Pers auf (s BT-Drs 16/2710, 47 unter Einzelbegründung "zu Abs 1" letzter S) und führt im Brexit-StBG aus, dass "der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU auch ohne weiteres Zutun des Stpfl dieselben Rechtsfolgen auslösen (würde), die bei einer "aktiven" Überführung von BV oder einem Wegzug des Einbringenden … in einen Drittstaat eintreten würden" (s BT-Drs 19/7377 v 28.01.2019, 22). Hieraus folgt, dass § 22 Abs 1 S 6 Nr 6 UmwStG auch die passive Entstrickung umfasst (Rückschluss aus § 22 Abs 8 UmwStG; glA die hA; s Stangl, in R/H/vL, 2. Aufl, § 22 UmwStG Rn 128; s Nitzschke, in Blümich, § 22 UmwStG 2006 Rn 68; s Bode/Bron/Fleckenstein-Weiland/Mick/Reich, BB 2016, 1367 unter IV.2.; s Jordan, DStR 2018, 1841; ebenso die Fin-Verw, s UmwSt-Erl 2011 Rn 22.27; und s Schr des BMF v 26.10.2018, BStBl I 2018, 1104; aA s Kubik/Münch, BB 2018, 2986).
Als Änderung der rechtlichen Bedingungen für die Ansässigkeitsvoraussetzungen und den Ausschluss oder die Beschr des inl Besteuerungsrechts iSd § 1 Abs 4 UmwStG kommt der erstmalige Abschluss oder die Änderung eines DBA infrage. Ist der Einbringende in einem ausl EU-/EWR-Staat ansässig und wird durch Änderung des DBA mit dem Wohnsitzstaat das bisher vorhandene Besteuerungsrecht für die stillen Reserven der erhaltenen Anteile beschr oder ausgeschlossen, hat dies keinen (vollständigen) Wegfall der Voraussetzungen des § 1 Abs 4 UmwStG zur Folge (s Tz 50a). Anders ist dies jedoch bei einer natürlichen Pers aus einem Drittstaat; hier kommt es mit Wirksamkeit des geänderten DBA (erstmalige Anwendbarkeit des neu abgeschlossenen oder revidierten DBA, s Schr des BMF v 26.10.2018, BStBl I 2018, 1104) zur Einbringungsgewinnbesteuerung. Ist der Einbringende (oder sein Rechtsnachfolger) in einem Nicht-DBA-Drittstaat ansässig, kommt es bei erstmaligem Abschluss eines DBA zur passiven Sperrfristverletzung, wenn das Besteuerungsrecht an den stillen Reserven der sperrfristverhafteten Anteile (zB) dem Wohnsitzstaat des AE zugewiesen wird. Ein Fall des § 22 Abs 1 S 6 Nr 6 UmwStG ist auch möglich, wenn mit Abschluss oder Änderung eines DBA die abkommensrechtl Ansässigkeit des Einbringenden/der Übernehmerin in einem Drittstaat bestimmt wird und damit beim Einbringenden oder der übernehmenden Gesellschaft der sog doppelte EU-/EWR-Bezug gem § 1 Abs 4 S 1 Nr 1 oder Nr 2 Buchst a aa iVm Abs 2 S 1 Nr 1 UmwStG verloren geht (s Nitzschke, in Brandis/Heuermann, § 22 UmwStG 2006 Rn 68).
Der Eintritt des Brexit (dh Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU mit Ablauf des Übergangszeitraums) bei einem in Großbritannien oder Nordirland ansässigen Einbringenden (oder übernehmenden Gesellschaft) führt alleine nicht zur Anwendung des § 22 Abs 1 S 6 Nr 6 UmwStG wegen passiver Entstrickung (s § 22 Abs 8 UmwStG; s Tz 114ff).