Rz. 48
Der BFH scheint sich nicht festlegen zu wollen: Einerseits sagt er, § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO sei unbeachtlich, es komme auf die rechtliche und nicht auf die wirtschaftliche Zuordnung eines Erwerbs an. Andererseits sagt er, die Vorschrift sei anwendbar, aber nur nach Lage des Einzelfalls.
Rz. 49
Moench geht zutreffend davon aus, dass die Diskussion um die Bedeutung des wirtschaftlichen Eigentums im Erbschaftsteuerrecht noch nicht abgeschlossen ist. Denn das Argument, der Erblasser könne nur vererben, was ihm bürgerlich-rechtlich gehöre, und das sei das dem BGB unbekannte wirtschaftliche Eigentum nicht, ist Ausdruck eines Missverständnisses. Was wirtschaftliches Eigentum genannt wird, ist nicht ein steuerrechtliches Etwas, das losgelöst vom Zivilrecht entwickelt wurde. Es beruht in erster Linie auf Rechtspositionen des Zivilrechts, auf Rechten und Pflichten, die gerichtlich durchsetzbar sind, und nicht auf faktischen Gegebenheiten ohne Rechtsqualität. Sie schöpfen weitgehend die Befugnisse aus, die Inhalt des Eigentums an Sachen (§ 903 BGB) oder einer ihm entsprechenden Inhaberschaft an Rechten sind, und bilden zusammen mit den damit einhergehenden Pflichten in ihrer Gesamtheit den Erwerb im wirtschaftlichen Sinne, der den Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit vermittelt. Deshalb müssen diese auf diese Weise zu einem wirtschaftlichen Ganzen verbundenen zivilrechtlichen Rechte und Pflichten erbschaftsteuerrechtlich als ein Ganzes behandelt werden. Denn nicht nur der Gesetzgeber ist verpflichtet, seine Belastungsentscheidung folgerichtig durchzuführen. Dazu verpflichtet sind auch die Gerichte, die gleichermaßen an die Verfassung und damit an den Gleichheitssatz gebunden sind. Sie haben dafür zu sorgen, dass die Gesetz gewordene Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, einen bestimmten Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu besteuern, innerhalb der Grenzen, die einer verfassungskonformen Gesetzesanwendung gezogen sind, steuerliche Realität wird.
Rz. 50
Angesichts dieser Entwicklung verkehrt sich das Argument des BFH, das wirtschaftliche Eigentum sei im Erbschaftsteuerrecht unbeachtlich, weil es nur für die Steuern gelte, die wirtschaftlichen Gesichtspunkten folgten, in sein Gegenteil: Gerade weil die Erbschaftsteuer den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfasst, ist sie eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Steuer, die wirtschaftliches Eigentum kennt.
Rz. 51
Da die rechtlichen Positionen, die in der Hand des Erblassers wirtschaftliches Eigentum begründet haben, auf den Erben übergehen, lässt sich sehr wohl sagen, wirtschaftliches Eigentum des Erblassers sei vererblich. Deshalb kann der Erwerb eines Grundstücks, der zu Lebzeiten des Erblassers nicht vollendet wurde, bereits zu einer Position geführt haben, die wirtschaftliches Eigentum des Erblassers an dem Grundstück ergeben hat und daher erbschaftsteuerrechtlich als Erwerb eines Grundstücks angesehen werden muss.
Rz. 52
Unproblematisch ist die Anwendung des § 39 Abs. 2 AO jedenfalls dann, wenn im ErbStG auf einen Bereich Bezug genommen wird, in dem die Vorschrift anwendbar ist: Nach § 13a ErbStG wird der Erwerb von Betriebsvermögen begünstigt, sein Umfang bestimmt sich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und damit auch nach § 39 Abs. 2 AO.
Rz. 53– 54
Einstweilen frei.