Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Eine Hinzurechnung nicht abziehbarer Schuldzinsen aufgrund von Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn im Veranlagungszeitraum keine Überentnahme vorliegt, sich aber ein Saldo aufgrund von Überentnahmen aus den Vorjahren ergibt.
Normenkette
§ 4 Abs. 4a EStG i.d.F. des StBereinG 1999
Sachverhalt
Der Kläger, ein Steuerberater, ermittelte seine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. In den Vorjahren hatte er Überentnahmen vorgenommen. Im Streitjahr lagen zwar Unterentnahmen vor, sie wurden jedoch von der Summe der Überentnahmen aus den Vorjahren überschritten, sodass sich per Saldo auch für das Streitjahr eine aus den Vorjahren hergeleitete Überentnahme ergab.
Das FA ermittelte danach den typisierenden Hinzurechnungsbetrag gem. § 4 Abs. 4a EStG und erhöhte die Einkünfte des Klägers entsprechend. Das FG wies die Klage ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2006, 11 K 5373/04 E, Haufe-Index 1781239, EFG 2007, 572).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des Klägers aus den vorstehenden Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG ist die Reaktion des Steuergesetzgebers auf die Rechtsprechung des Großen Senats des BFH, nach der durch Zwei- oder Mehrkontenmodelle die Finanzierung privat veranlasster Aufwendungen ins Betriebsvermögen verlagert und insoweit der Betriebsausgabenabzug eröffnet werden konnte. Dieser Gesetzeszweck ist bei der Auslegung der Vorschrift als Richtschnur zugrunde zu legen.
2. Die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG setzt voraus, dass die strittigen Aufwendungen zu den Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) gehören, also durch den Betrieb veranlasst sind. Dies muss auf der ersten Prüfungsstufe durch entsprechende Feststellungen untermauert werden. Ergibt sich danach, dass die strittigen Aufwendungen schon deshalb nicht abziehbar sind, weil ihnen eine private Veranlassung zugrunde liegt, so bedarf es der Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG nicht mehr.
3. Der Wortlaut des § 4 Abs. 4a EStG ist – wie häufig bei nachträglich eingefügten Regelungen, deren Nummerierung um einen Kleinbuchstaben angereichert ist – unzulänglich und birgt für sich allein betrachtet erhebliche Auslegungsschwierigkeiten. Im Einzelnen:
a) |
S. 2, der den Begriff der Überentnahme definiert, spricht ausdrücklich von den Entnahmen, dem Gewinn und den Einlagen "des Wirtschaftsjahrs". Daraus zu schließen, die Vorschrift sei nur anwendbar, wenn es im konkreten Streitjahr zu Überentnahmen gekommen ist, wäre hingegen ein Fehlschluss. |
b) |
Denn der Kern der Regelung steckt in ihrem S. 1, der die Rechtsfolge des Abzugsverbots bestimmt. Dieser S. 1 ist in seiner Formulierung periodenoffen. Er ordnet an, dass die Rechtsfolge eintritt, "wenn Überentnahmen getätigt worden sind", sagt aber nicht, in welchem Veranlagungszeitraum die Überentnahmen vorgelegen haben müssen. |
c) |
Die folgenden Sätze ergänzen und konkretisieren diese Regelung lediglich. S. 4 der Vorschrift (heute S. 3) lässt erkennen, dass die Regelung periodenübergreifend angelegt ist und Schuldzinsen für Überentnahmen so lange nicht abziehbar bleiben sollen, bis der Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen ist. Diese periodenübergreifende Regelung greift auch dann ein, wenn im Streitjahr selbst keine Überentnahmen gegeben sind; allerdings sind dann – insoweit abweichend vom missglückten Gesetzeswortlaut – auch Unterentnahmen des Streitjahrs zu berücksichtigen. |
d) |
Nur diese Auslegung trägt dem oben beschriebenen Gesetzeszweck Rechnung. Andernfalls könnten sich für das typisierende Abzugsverbot Sprünge von Jahr zu Jahr ergeben, die zu wirtschaftlich unsinnigen Ergebnissen führen würden und nicht zu rechtfertigen wären. |
4. Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG ist verfassungsgemäß.
a) |
Zwar ist die Vorschrift seinerzeit durch den Vermittlungsausschuss in das EStG eingefügt worden, durch spätere Gesetzesänderungen hat der Steuergesetzgeber jedoch die gesamte Vorschrift erneut in seinen Willen aufgenommen. |
b) |
Die Vorschrift ist auch materiell verfassungsgemäß. Sie verstößt nicht gegen das Nettoprinzip, da sie an Überentnahmen und somit an private Ursachen anknüpft. |
c) |
Auch der dem Gesetzgeber einzuräumende Typisierungsspielraum ist nicht überschritten. Die Anknüpfung an das Eigenkapital ist sachgerecht, weil das Eigenkapital die im Betrieb erwirtschafteten Mittel abbildet, die für eine Entnahme zur Verfügung stehen. Sollte die Typisierung im Einzelfall zu grob sachwidrigen Ergebnissen führen, wären unbillige Ergebnisse gem. § 163 AO durch Billigkeitsmaßnahmen zu korrigieren. |
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.08.2010 – VIII R 42/07