Zu den Vorläufern des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hatte die Rechtsprechung eine Definition der Arbeitsunfähigkeit entwickelt, die auch für das Entgeltfortzahlungsgesetz gilt. Danach liegt Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vor, wenn der Arbeitnehmer objektiv nicht mehr in der Lage ist, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr erbringen könnte, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern. Die Rechtsprechung lässt es dabei auch genügen, wenn nicht schon die Krankheit, sondern erst die notwendige Krankenpflege die Arbeitsleistung verhindert. Darauf, ob der Arbeitnehmer sich subjektiv arbeitsunfähig fühlt oder nicht, kommt es dagegen nicht an.
Die Arbeitsunfähigkeit ist von der verminderten Erwerbsfähigkeit i. S. d. § 33 Abs. 3 SGB VI zu unterscheiden. Ein Erwerbsgeminderter kann – in Abhängigkeit zu der zu verrichtenden Tätigkeit – durchaus arbeitsfähig sein, wenn auch in der Regel nur eingeschränkt. Erst die volle Erwerbsminderung führt jedenfalls zur Arbeitsunfähigkeit.
Hat der Arbeitnehmer eine ansteckende Krankheit, besteht Arbeitsunfähigkeit auch dann, wenn er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen könnte. Das gilt für alle (gravierenden!) ansteckenden Krankheiten, nicht nur für solche, die zu einem Beschäftigungsverbot führen. Weder dem Arbeitgeber noch den anderen Arbeitnehmern oder dem erkrankten Arbeitnehmer ist es zumutbar, wenn der erkrankte Arbeitnehmer zur Arbeit erscheint und bei der Gelegenheit andere in Gefahr bringt, ebenfalls zu erkranken.
Zu den Fragen im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion – auch bei einem symptomlosen Verlauf – und deren Ansehung als eine Krankheit i. S. v. § 3 Abs. 1 EFZG, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, wenn es dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zu erbringen und eine Arbeitsleistung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt, siehe BAG, Urteil v. 20.3.2024, 5 AZR 234/23.
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist demnach – neben der "normalen Erkrankung" – auch gegeben, wenn
- ein angeborenes Leiden operativ behoben wird,
- der Arzt häusliche Heilbehandlung verordnet hat,
- notwendige Prothesen oder andere Hilfsmittel reparaturbedürftig sind.
Ob der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist, hängt immer von der kraft Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung ab. Wenn der Arbeitnehmer auch mit seiner Krankheit und ohne Gefährdung seiner Genesung die Arbeitsleistung erbringen kann, ferner der Aufenthalt zu Hause oder im Krankenhaus auch medizinisch nicht erforderlich ist, dann liegt zwar eine Krankheit vor, aber keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG entsteht in solchen Fällen nicht, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeit fernbleibt.
Abstellen auf die ausgeübte Tätigkeit notwendig
Eine Sekretärin bricht sich bei Treppensturz das Bein und erhält einen Gehgips: Eine sitzende Tätigkeit bleibt im Regelfall ohne negativen Einfluss auf Heilungsprozess möglich, daher liegt keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor.
Ein Bürobote erhält nach Treppensturz und Beinbruch einen Gehgips: Eine dauernde laufende Tätigkeit wird häufig den Heilungsprozess beeinträchtigen, daher kann eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegen.
Von stationären Krankenhausbehandlungen oder häuslicher Heilbehandlung ist der ambulante Arztbesuch während einer Erkrankung zu unterscheiden. Führt die Erkrankung selbst nicht zur Arbeitsunfähigkeit, so ist dies auch beim ambulanten Arztbesuch nicht der Fall. In einem solchen Fall ist der Arbeitnehmer zunächst gehalten, die Behandlung außerhalb der Arbeitszeit stattfinden zu lassen. Ist dies nicht möglich, so richtet sich die Bezahlung der ausgefallenen Arbeitszeit nicht nach § 3 EFZG, sondern nach § 616 BGB.
Kann der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung den Arbeitsplatz nicht wie üblich z. B. mit dem eigenen Pkw erreichen, seine Arbeit an sich aber ausführen, liegt ebenfalls keine Arbeitsunfähigkeit vor. Der Arbeitnehmer ist in einem solchen Fall verpflichtet, für ein geeignetes und zumutbares Transportmittel zum Arbeitsplatz zu sorgen.