Obwohl die neue Rechtslage auch in der einschlägigen Kommentarliteratur (vgl. z.B. Loose in Viskorf, GrEStG, § 9 Rz. 106 und 506) als zutreffend beurteilt wird, sind durchaus Zweifel an der Auffassung des BFH angebracht. Die Auffassung sollte daher auch unter Berücksichtigung der parallel laufenden Einstufung von Erhaltungsrücklagen bei den Ertragsteuern kritisch hinterfragt werden.
Bei der Einkommensteuer stellt sich die rechtliche Beurteilung nämlich deutlich anders dar. Hier wird die Erhaltungsrücklage getrennt von den Anschaffungskosten der Eigentumswohnungen und des Grund und Bodens behandelt. Hierzu hat der BFH mit Urteil vom 5.10.2011 entschieden, dass ein bilanzierender Gewerbetreibender, dem eine Eigentumswohnung gehört und der Zahlungen in eine von der Wohnungseigentümergemeinschaft gebildete Erhaltungsrücklage geleistet hat, seine Beteiligung an der Erhaltungsrücklage mit dem Betrag der geleisteten und noch nicht verbrauchten Einzahlungen aktivieren muss (BFH v. 5.10.2011 – I R 94/10, BStBl. II 2012, 244 = EStB 2012, 46 [Siebenhüter]).
Nach dieser Entscheidung sind Wirtschaftsgüter alle Sachen, Rechte, tatsächlichen Zustände und konkreten Möglichkeiten, die entweder einzeln oder zusammen mit dem Betrieb übertragen werden können und aus der Sicht eines potentiellen Betriebserwerbers einen eigenständigen Wert haben (BFH v. 30.9.2010 – IV R 28/08, BStBl. II 2011, 406 = EStB 2011, 5 [Hilbertz]). Die Beteiligung an einer Erhaltungsrückstellung erfülle diese Voraussetzungen. Denn zum einen vermittelt sie einen geldwerten Anspruch des Wohnungseigentümers auf Bezahlung von Aufwendungen aus der Erhaltungsrückstellung (BFH v. 9.10.1991 – II R 20/89, BStBl. II 1992, 152). Zum anderen kann der genannte Anspruch jedenfalls zusammen mit dem Betrieb des Wohnungseigentümers übertragen werden.
Obwohl der Anspruch regelmäßig erst in der Folgezeit entsteht, ist seine Entstehung nach Auffassung des BFH zumindest hinreichend sicher und durch die vorausgegangenen Einzahlungen in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht. Damit sei die Grundlage für eine Aktivierung gelegt (BFH v. 18.12.2002 – I R 11/02, BStBl. II 2003, 400 = EStB 2003, 172 [Nagel]). Ein Erwerber des entsprechenden Betriebs würde der Beteiligung an der Rückstellung auch einen eigenständigen Wert zumessen, da er in derselben Weise wie zuvor der Veräußerer von ihr profitieren würde und diesen Vorteil bei marktgerechtem Verhalten i.R.d. Kaufpreises für den Betrieb abgelten. Daher ist die Beteiligung an der Erhaltungsrückstellung als Wirtschaftsgut anzusehen mit der Folge, dass die Beteiligung an der Rückstellung in der Steuerbilanz eines betrieblich beteiligten Wohnungseigentümers mit den Anschaffungskosten aktiviert werden muss.
Beraterhinweis Das FG Köln hat die vorstehend dargestellte Rechtslage in seinem Urteil vom 21.6.2023 umgesetzt (FG Köln v. 21.6.2023 – 2 K 158/20, EFG 2023, 1770). Allerdings hat der erkennende Senat aufgrund der neuen Rspr. des BFH zur Erhaltungsrücklage bei der Grunderwerbsteuer durchaus Zweifel an der Einstufung geäußert und entsprechend die Revision zum BFH (Az.: IV R 19/23) zugelassen. Er hält es für nachvollziehbar, dass die Entscheidung des BFH geeignet ist Zweifel daran zu begründen, dass Beiträge in eine Erhaltungsrücklage zu aktivieren sind, weil die entsprechenden Beiträge der Eigentümergemeinschaft zustehen und der Verfügungsmacht des Eigentümers des einzelnen Objektes entzogen sind.