Leitsatz
Veräußert ein Steuerpflichtiger sein Grundstück an seinen Nachbarn, der mit dem Eigentumserwerb zugleich erreichen möchte, dass der Steuerpflichtige seine öffentlich-rechtlichen Abwehrrechte gegen dessen Bauvorhaben nicht (mehr) geltend macht, so ist das Entgelt dem nicht nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbaren Veräußerungsvorgang auch dann zuzuordnen, wenn sich der Steuerpflichtige im Kaufvertrag ausdrücklich zum Verzicht auf seine Nachbarrechte verpflichtet.
Normenkette
§ 22 Nr. 3 EStG
Sachverhalt
Der Kläger erwarb 1989 ein Einfamilienhaus-Grundstück für 115.000 DM sowie eine weitere Parzelle (Anschaffungskosten 24.299,50 DM). Gegen die einem Nachbarn 1993 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Frachtzentrums legte er Widerspruch ein und begehrte vor dem VG erfolgreich einstweiligen Rechtsschutz. Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens vor dem OVG veräußerte er sein Grundstück an den Nachbarn zu einem Kaufpreis von 2.550.000 DM, der innerhalb von vierzehn Tagen nach Mitteilung über die vertraglich vereinbarte und erklärte Rücknahme der Rechtsbehelfe fällig war.
Das FA unterwarf den Kaufpreis der Besteuerung nach § 22 EStG, soweit er den Wert des veräußerten Grundstücks (lt. FA 150.000 DM) überstieg. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidung
Nach Auffassung des BFH kann von dem nichtsteuerbaren Kaufpreis mangels Selbstständigkeit der Befugnis zu Nachbarrechtsmitteln kein (steuerbares) Entgelt für die im Rechtsmittelverzicht liegende sonstige Leistung des Klägers abgespalten werden.
Hinweis
1. Eine (sonstige) Leistung i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich. Dabei kommt es für die Abgrenzung zur Veräußerung nicht allein auf die Bezeichnung des Rechtsgeschäfts – als Kaufvertrag – (vgl. BFH, Urteil vom 6.5.2003, IX R 64/98, BFH/NV 2003, 1175, m.w.N zur Rechtsnatur von Substanzausbeuteverträgen als Pachtverträge), sondern auf den wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Vereinbarung(en) an.
2. Ob der Pflicht zur Rücknahme von Nachbarrechtsbehelfen bei Grundstücksveräußerungen an Nachbarn ein eigener wirtschaftlicher Gehalt (mit der Notwendigkeit einer Aufteilung des "Kaufpreises" in ein nichtsteuerbares Veräußerungsentgelt und eine nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Vergütung für die Rechtsbehelfsrücknahme) zukommt, ist davon abhängig, ob nachbarrechtliche Abwehransprüche als Gegenstand des vertraglichen Verzichts selbstständige Rechtspositionen sind oder untrennbar mit dem Eigentum verbunden sind. Letzteres ist der Fall, weil Nachbarschutz aus den Vorschriften des öffentlichen Baurechts grundsätzlich nur der jeweilige zivilrechtliche Eigentümer oder sonst in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich Berechtigte in Anspruch nehmen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.5.1989, 4 C 1/88, BVerwGE 82, 61) und folglich mit der Aufgabe des Eigentums in der Person des Aufgebenden untergeht. Da dieser Untergang unmittelbare Folge der Eigentumsübertragung ist, spielt die Tatsache, dass Motiv des Erwerbs allein die Rücknahme der Rechtsbehelfe ist, ersichtlich keine Rolle. Danach kann die vertragliche Nebenpflicht zur Rechtsbehelfsrücknahme im Wesentlichen nur Bedeutung für die Fälligkeit des Hauptanspruchs auf den Kaufpreis haben.
3. Entgelte für Einschränkungen anderer – nicht untrennbar mit dem Eigentum verbundener – subjektiver Rechte sind dagegen nach § 22 Nr. 3 steuerbar (vgl. BFH, Beschlüsse vom 22.8.2003, IX B 85/03, BFH/NV 2004, 41; vom 5.8.1976, VIII R 97/73, BStBl II 1977, 26, betr. Verzicht auf Einhaltung eines Grenzabstands; vom 8.3.1984, IX R 109/82, NV, Beeinträchtigungen durch beabsichtigte Bebauung; vom 14.12.1976, VIII R 162/74, NV, betr. Widerspruch gegen Immissionen).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.5.2004, IX R 63/02