Leitsatz
Bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines für den Veranlagungszeitraum 1999 ergangenen Steuerbescheids, mit dem das Finanzamt einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Besteuerung unterwirft.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG , § 69 Abs. 3 FGO , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 19 Abs. 4 GG
Sachverhalt
Das FA stellte fest, dass die Antragstellerin im Streitjahr 1999 durch An- und Verkauf von Aktien einen Gewinn erzielt hatte. Es unterwarf diesen als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gem. § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Besteuerung.
Dagegen hat die Antragstellerin Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. Ihr gleichzeitig gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte vor dem FG Erfolg. Hiergegen wendet sich das FA mit seiner zugelassenen Beschwerde.
Entscheidung
Die Beschwerde des FA ist nach Auffassung des BFH unbegründet. Die Prüfung, ob sich durch den am 1.4.2003 in Kraft getretenen § 24c KWG (vgl. BGBl I 2002, 2010) rückwirkend für das Streitjahr bessere Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden ergeben hätten, die geeignet seien, in verfassungsrechtlich relevanter Weise einem strukturellen Vollzugsdefizit entgegenzuwirken, könne wegen der nur summarischen Prüfung im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilt werden. Deshalb müsse der streitige Veräußerungsgewinn im Weg der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids zunächst unberücksichtigt bleiben. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) trete nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück.
Hinweis
1. Gem. § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 4.8.2003, IX B 45/03, BFH/NV 2004, 37, m.w.N.). Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der für die Besteuerung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften maßgeblichen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ergeben sich aus dem Beschluss vom 16.7.2002, IX R 62/99 (BFH-PR 2003, 9); damit hatte der BFH eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1997 maßgeblichen Fassung mit dem GG insoweit unvereinbar ist, als die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird.
2. Diese ernstlichen Zweifel sind durch die Entscheidung des BVerfG vom 9.3.2004, 2 BvL 17/02 (BGBl I 2004, 591) nicht beseitigt worden. Das BVerfG hat es im genannten Urteil – was die Jahre ab 1999 angeht – lediglich abgelehnt, die für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 ausgesprochene Nichtigkeitserklärung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. ohne weiteres auch auf die Regelungen der (nicht streitbefangenen) Folgejahre zu erstrecken. Daraus ergibt sich nicht, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist. Die insoweit erforderlichen weiteren Ermittlungen zu Umfang und Auswirkungen eines im Streitjahr gegebenen strukturellen Vollzugsdefizits (vgl. Urteil des BVerfG in BGBl I 2004, 591) konnten angesichts der im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung vom BFH noch nicht getroffen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 30.11.2004, IX B 120/04