Das vorliegende Urteil betrifft grenzüberschreitende Reihengeschäfte, in die das ungarische Unternehmen Aquila Part Prod Com S.A. ("Aquila") involviert war. Die Sachverhaltsdarstellung ist insofern ein wenig unglücklich, als dass die Aquila dort als "Vermittlerin für den Großhandel mit Lebensmitteln" bezeichnet wird, die "mit einer anderen Gesellschaft einen Auftragsvertrag (schloss), mit dem sie dieser die Tätigkeit des Kaufs und Verkaufs von Gegenständen im Namen des Auftraggebers übertrug". Da eine Vermittlerin im fremden Namen und für fremde Rechnung handelt, während der mit dem Dritten abgeschlossene Vertrag den An- und Verkauf von Waren im Namen der Aquila selbst betraf, wäre es wünschenswert gewesen, zu erfahren, warum der Dritte ein anderes Geschäftsmodell für Aquila abwickeln sollte (Handel im Namen von Aquila), als deren bisherige Haupttätigkeit als Vermittlerin.
Nach Ansicht der ungarischen Steuerverwaltung Verwicklung in Karussellbetrug gegeben: Die ungarische Steuerverwaltung versagte nach "zahlreiche(n) Ermittlungen", die sich über fast fünf Jahre erstreckten, den Vorsteuerabzug aus mehreren Transaktionen, da die Aquila in einen Karussellbetrug verwickelt gewesen sei. Zur Untermauerung ihrer Behauptung des Karussellbetrugs führte die Verwaltung u.a. an, dass Aquila gegen Vorschriften des Lebensmittelrechts verstoßen habe, die in der Lieferkette erzielten Handelsspannen gering gewesen seien und einige der beteiligten Unternehmen ein unangemessenes geschäftliches Verhalten gezeigt hätten. Außerdem hätten die Beförderungsverträge eine ungewöhnliche Klausel enthalten, der slowakische Kunde hätte Waren am selben Tag an ungarische Abnehmer weiterverkauft und es haben Verbindungen zwischen den an der Rechnungskette beteiligten Personen bestanden. Darüber hinaus sei der Geschäftsführer der von Aquila beauftragten Gesellschaft bereits früher an Umsatzsteuerhinterziehungen beteiligt gewesen.
Informationsvorsprung der Behörde nicht mit Steuerpflichtigem vergleichbar: Aquila hielt dem entgegen, dass sie viele der zuvor genannten Informationen gar nicht habe wissen können und dass sie "interne Beschaffungsregelungen aufgestellt habe", um Geschäftspartner zu überprüfen. Auch sei ihr die Kenntnis, dass der Geschäftsführer der beauftragten Gesellschaft früher an Steuerhinterziehungen beteiligt war, nicht zuzurechnen.
Fragestellungen an den EuGH: Das ungarische Gericht legt dem EuGH dann sechs Fragen vor, mit denen es u.a. wissen möchte,
- ob einem Unternehmer die Kenntnisse eines beauftragten Dritten zugerechnet werden dürfen (Grundsatz der Steuerneutralität);
- ob vom Unternehmer ein ähnlicher Prüfungsaufwand erwartet werden darf, wie ihn die Finanzbehörde betrieben hat (Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit);
- ob die Verwaltung das betrügerische Verhalten des Unternehmers beweisen muss;
- ob außersteuerrechtliche Vorschriften (hier: Verstoß gegen Gesetze zur Lebensmittelsicherheit) in einer steuerlichen Prüfung eine Rolle spielen dürfen, insbesondere wenn die zuständige Fachbehörde gar nicht beteiligt worden und dem Unternehmer keine Möglichkeit zur Rüge gegeben worden ist (Grundsatz der Rechtssicherheit und Recht auf ein faires Verfahren).
EuGH: grundsätzlich Verlust des Vorsteuerabzugsrechts bei Beteiligung an Steuerhinterziehung ... Der EuGH wiederholt in seinen Erörterungen zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Unternehmer das Recht auf Vorsteuerabzug und ggf. die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen verliert, wenn er an einer Umsatzsteuerhinterziehung beteiligt war. Dabei reicht es für die Beteiligung aus, wenn der Unternehmer "wusste oder hätte wissen müssen", dass er an einer Lieferkette beteiligt ist, in der auf einer vorangehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe eine Steuerhinterziehung begangen worden ist. Ein aktives eigenes Tun des Unternehmers oder auch nur ein eigener finanzieller Vorteil durch die Hinterziehung sind nicht erforderlich.
... aber Betonung der gesicherten Feststellung der Beteiligung aufgrund objektiver Umstände: Der EuGH betont dann allerdings seine ebenfalls gefestigte Rechtsprechung, dass der Vorsteuerabzug nur versagt werden darf, wenn die Beteiligung des Unternehmers an der Steuerhinterziehung "aufgrund objektiver Umstände feststeht" (Rz. 28). Vermutungen reichen hierzu nicht aus, da dies zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Unternehmers führen und damit das Grundprinzip des Vorsteuerabzugs beeinträchtigen würde (Rz. 34). Zwar genügt es, "dass der Steuerpflichtige in irgendeiner Weise wusste", dass er an einem Betrugskarussell beteiligt ist, andererseits muss "feststehen", dass diese Kenntnis vorlag (Rz. 41). In der Praxis wird diese Abgrenzung häufig von Finanzbehörde und Unternehmer unterschiedlich beurteilt werden.
Der EuGH fährt fort, dass es nicht als ausreichendes Indiz für das "Wissen müssen" genügt, wenn sich die Beteiligten an der Lieferkette untereinander kennen.
Keine Überwälzung der Prüfungshandlungen auf Unternehmer ... Der U...