Insgesamt fügt sich das Urteil "Aquila" in eine Reihe von früheren Urteilen des EuGH ein, der in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die Notwendigkeit der Bekämpfung von Umsatzsteuerhinterziehungen und den weiten Anwendungsbereich des Verlustes des Vorsteuerabzugs bei einer möglichen Kenntnis des beteiligten Unternehmers bestätigt hat. Diese Rechtsprechung wurde vom deutschen Gesetzgeber mit § 25f UStG umgesetzt.
Unterschiedliches Verständnis von "wusste oder hätte wissen müssen": In der Praxis kommt es naturgemäß immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen, was unter "wusste oder hätte wissen müssen" zu verstehen ist. Da der EuGH und diesem folgend die Finanzgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten in den meisten entschiedenen Fällen eine zumindest mögliche Kenntnis des jeweiligen Unternehmers bejaht hat, hat in der Rechtssache Aquila die ungarische Finanzbehörde anscheinend angenommen, sie bräuchte nur die Feststellung zu treffen, der Unternehmer wäre an einem Karussellgeschäft beteiligt, ohne dies weiter begründen und mit objektiven Ermittlungserkenntnissen untermauern zu müssen.
Verpflichtung der Finanzbehörde zum tatsächlichen Nachweis der Beteiligung: Es ist sehr zu begrüßen, dass der EuGH diesen Versuch unterbunden hat, indem er (wie auch bereits in früheren Urteilen) die Finanzbehörde in die Pflicht nimmt, die Beteiligung des Unternehmers an dem Steuerbetrug tatsächlich nachzuweisen. Immerhin stellt das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip der Systems der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug dar, das nicht ohne stichhaltige Begründung versagt werden darf.
Deutliche Unterscheidung zwischen Möglichkeiten eines Unternehmers und der Finanzverwaltung: Es sei daran erinnert, dass der Unternehmer zwar gesetzlich der Schuldner der Umsatzsteuer ist, diese im Ergebnis aber vom Endverbraucher getragen werden soll. Der Unternehmer fungiert nur als "Steuereinsammler des Staates" und es wird in der Wirtschaft als zunehmend ungerechtfertigt empfunden, dass diese "Dienstleistung für den Staat" mit steigenden Risiken verbunden ist, die nur mit hohem administrativem Aufwand beherrscht werden können. Daher ist es zu begrüßen, dass der EuGH deutlich unterscheidet zwischen den Ermittlungsmaßnahmen, die ein Unternehmer im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit durchführen muss, und den Möglichkeiten, die der Finanzverwaltung zur Verfügung stehen. Es kann von keinem Unternehmer im Tagesgeschäft verlangt werden, dass er sich mit ähnlicher Akribie auf die Dokumentation aller Geschäftsvorfälle und die Ausforschung seiner Geschäftspartner konzentriert, wie dies der Finanzverwaltung möglich ist. Letzterer stehen nicht nur mehr technische Mittel und Informationsquellen zur Verfügung, die Privatunternehmen gar nicht zugänglich sind, sondern sie kann auch wesentlich mehr Zeit in die Analyse von möglichen Karussellgeschäften stecken, als dies einem Unternehmen möglich ist, dessen Hauptaufgabe seine eigentliche Geschäftstätigkeit ist. Der EuGH schiebt damit dem Versuch der Verwaltung einen Riegel vor, die Beweislast umzukehren, die für Betrugsfälle zuerst bei der Finanzbehörde liegt.
Prüfungspflichten des Unternehmers:
- Die Prüfung der Gültigkeit der USt-IdNr. ausländischer EU-Geschäftspartner und die Führung von Buch- und Belegnachweisen sind gesetzlich vorgeschrieben und von jedem Unternehmer im grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Handel zu beachten.
- Eingangsrechnungen sind nicht nur auf ihre formelle Ordnungsmäßigkeit zu prüfen, auch das Vorhandensein des Geschäftes und das Bestehen des Rechnungsausstellers sind in angemessener Form zu dokumentieren.
Als mittlerer Unternehmer in mehrstufigen Reihengeschäften ohne direkten Kontakt zur gelieferten Ware liegt es in der Natur des Geschäfts, dass sich der Unternehmer vorrangig auf die Prüfung von Unterlagen beschränken muss (z.B. Kopien der Frachtpapiere) und das Vorhandensein des Geschäftspartners braucht m.E. nur bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung geprüft zu werden, solange keine neuen Erkenntnisse vorliegen. Erst dann, wenn augenfällige Anzeichen für ungewöhnliche Geschäftspraktiken oder Gesamtumstände vorliegen oder bisherige Geschäftspraktiken grundlegend geändert werden sollen, können vom Unternehmer weitere Prüfungshandlungen erwartet werden.
Was ist handelsüblich? Der Streitpunkt liegt in der Frage, was als noch handelsüblich angesehen werden kann und ab wann weitergehende Prüfungen von Geschäftspartnern unternommen werden müssen. Der EuGH verweist diese Fragestellung in die Hoheit der Mitgliedstaaten und der nationalen Gerichte und betont, dass die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. So wenig konkret dies auf den ersten Blick erscheinen mag, ist es doch eine zutreffende Aussage, um den Anforderungen der Praxis auch aus Unternehmersicht weitestmöglich gerecht zu werden.
Beraterhinweis Das Ergebnis seiner Prüfungshandlungen sollte der Unternehmer im eigenen Interesse gut doku...