Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Haftung im Fall von Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers. Pflichtversicherung. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien. Pflicht, eine nationale Regelung, die gegen eine Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen. Nichtanwendung einer Vertragsklausel, die gegen eine Richtlinie verstößt
Normenkette
Dritte Richtlinie 90/232/EWG Art. 1
Beteiligte
Tenor
Das Unionsrecht, insbesondere Art. 288 AEUV, ist dahin auszulegen, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen Privaten befasstes nationales Gericht, das sich außerstande sieht, Vorschriften seines innerstaatlichen Rechts, die einer Richtlinienbestimmung, die alle Voraussetzungen erfüllt, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, zuwiderlaufen, in einer mit dieser Bestimmung im Einklang stehenden Weise auszulegen, nicht allein auf der Grundlage des Unionsrechts verpflichtet ist, die innerstaatlichen Vorschriften sowie eine mit ihnen im Einklang stehende Klausel in einem Versicherungsvertrag unangewendet zu lassen.
In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens kann sich die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei oder die Person, die in die Rechte dieser Partei eingetreten ist, jedoch auf die auf das Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428), zurückgehende Rechtsprechung berufen, um von dem Mitgliedstaat gegebenenfalls den entstandenen Schaden ersetzt zu verlangen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Entscheidung vom 2. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 9. März 2017, in dem Verfahren
David Smith
gegen
Patrick Meade,
Philip Meade,
FBD Insurance plc,
Irland,
Attorney General
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça, A. Rosas und J. Malenovský, der Richter E. Juhász, A. Borg Barthet und A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richterin A. Prechal, des Richters E. Jarašiūnas, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der FBD Insurance plc, vertreten durch M. Feeny, Solicitor, F. X. Burke, Advocate, F. Duggan, BL, J. O'Reilly, SC, J. Corcoran, Advocate, und M. Collins, SC,
- Irlands, vertreten durch S. Purcell als Bevollmächtigte im Beistand von C. Toland, SC, T. L. Power, BL, und H. Mohan, SC,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K.-P. Wojcik und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. April 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Frage, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht im Rahmen eines Zivilrechtsstreits innerstaatliche Vorschriften sowie eine auf ihnen beruhende Vertragsklausel unangewendet lassen muss, die gegen Art. 1 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1990, L 129, S. 33, im Folgenden: Dritte Richtlinie) verstoßen.
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn David Smith einerseits und Herrn Patrick Meade, Herrn Philip Meade, der FBD Insurance plc (im Folgenden: FBD), Irland sowie dem Attorney General andererseits über den Ersatz des Schadens, der Herrn Smith infolge eines Verkehrsunfalls mit einem Fahrzeug entstanden ist, das von Herrn Patrick Meade geführt wurde, dessen Halter Herr Philip Meade war und das bei FBD versichert war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Durch die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 2009, L 263, S. 11) wurden die Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 1972, L 103, S. 1, im Folgenden: Erste Richtlinie), die Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17, im Folgenden: Zweite Richtlinie) und die Dritte Richtlinie aufgehoben. A...