Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Kapitalverkehr. Beschränkungen. Steuerrecht. Körperschaftsteuer. Besteuerung von Dividenden. Gleichbehandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Gesellschaften. Nationale Rechtsvorschrift, wonach nur gebietsansässige Gesellschaften berechtigt sind, von ihrem zu versteuernden Gewinn aus ausgeschütteten Dividenden die Aufwendungen abzuziehen, die ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden im Rahmen anteilsgebundener Versicherungsverträge entsprechen, und die Besteuerung der Dividenden vollständig auf die Körperschaftsteuer anzurechnen
Normenkette
AEUV Art. 63 Abs. 1
Beteiligte
Inspecteur van de Belastingdienst |
Verfahrensgang
Gerechtshof te 's-Hertogenbosch (Niederlande) (Beschluss vom 14.12.2022; ABl. EU 2023, Nr. C 155/26) |
Tenor
Art. 63 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach auf Dividenden, die eine gebietsansässige an eine gebietsfremde Gesellschaft ausschüttet, die zur Deckung künftiger Zahlungsverpflichtungen in Anteile der gebietsansässigen Gesellschaft investiert hat, eine Dividendensteuer in Höhe von 15 % des Bruttobetrags erhoben wird, während Dividendenausschüttungen an eine gebietsansässige Gesellschaft der an der Quelle erhobenen Dividendensteuer unterliegen, die vollständig auf die von dieser Gesellschaft geschuldete Körperschaftsteuer angerechnet werden und zu einer Erstattung führen kann, was zur Folge hat, dass für diese Dividenden keine steuerliche Belastung gegeben ist, weil bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage für die von dieser Gesellschaft zu entrichtenden Körperschaftsteuer durch die Erhöhung ihrer künftigen Zahlungsverpflichtungen verursachte Kosten berücksichtigt werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof 's-Hertogenbosch (Berufungsgericht 's-Hertogenbosch, Niederlande) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2022, in dem Verfahren
XX
gegen
Inspecteur van de Belastingdienst
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, des Richters A. Arabadjiev und der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von XX, vertreten durch R. A. van der Jagt, Belastingadviseur,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und A. Hanje als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Ferrand und W. Roels als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XX, einer Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, und dem Inspecteur van de Belastingdienst (Inspektor der Steuer- und Zollverwaltung, Niederlande) wegen der Erstattung der Dividendensteuer, die in den Niederlanden auf die an diese Gesellschaft in den Jahren 2003 bis 2010 (im Folgenden: im Ausgangsverfahren maßgeblicher Zeitraum) ausgeschütteten Dividenden erhoben wurde.
Niederländisches Recht
Rz. 3
In Art. 3.8 der Wet inkomstenbelasting 2001 (Einkommensteuergesetz 2001) in ihrer für den fraglichen Zeitraum geltenden Fassung heißt es:
„Der Gewinn eines Unternehmens (Gewinn) ist der Betrag der Gesamtvorteile ungeachtet ihrer Bezeichnung und Form, die ein Unternehmen erlangt.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 der Wet op de vennootschapsbelasting 1969 (Gesetz über die Körperschaftsteuer 1969) in ihrer für den fraglichen Zeitraum geltenden Fassung (im Folgenden: Körperschaftsteuergesetz 1969) in Verbindung mit Art. 17 dieses Gesetzes sieht vor, dass gebietsfremde Steuerpflichtige in den Niederlanden der Körperschaftsteuer nur unterliegen, soweit sie dort Einkünfte erzielen.
Rz. 5
Gemäß Art. 7 Abs. 1 und 2 desselben Gesetzes wird diese Steuer für gebietsansässige Steuerpflichtige entsprechend der Bemessungsgrundlage erhoben, wie sie sich aus dem im Laufe eines Jahres erzielten steuerpflichtigen Gewinn vermindert um die abzugsfähigen Verluste ergibt.
Rz. 6
Art. 8 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt, dass der Gewinn u. a. nach Art. 3.8 des Einkommensteuergesetzes 2001 in seiner während des im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums geltenden Fassung bestimmt wird.
Rz. 7
Art. 25 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1969 sieht vor, dass die Dividendensteuer als Vorauserhebung auf die Körperschaftsteuer anzusehen ist, es sei denn, dass die Dividendensteuer auf Erträge oder Gewinne erhoben wird, die nicht zum steuerpf...