Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen, Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen, Erwerb der Anteile von einem gebietsfremden Anteilseigner
Leitsatz (amtlich)
Art. 73b EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert.
Dies gilt in den Fällen, in denen eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und um rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob sich die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung auf das beschränkt, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Normenkette
EWGVtr Art. 73b; EGVtr Art. 56
Beteiligte
Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Niederlassungsfreiheit und freier Kapitalverkehr ‐ Körperschaftsteuer ‐ Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ‐ Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Wertminderung der Anteile durch Ausschüttung von Dividenden bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Erwerbers“
In der Rechtssache C-182/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Januar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 2008, in dem Verfahren
Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG
gegen
Finanzamt München II
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: R. Şere;&scedil,; Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Glaxo Wellcome GmbH & Co KG, vertreten durch Rechtsanwälte H.-M. Pott und T. Englert,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli 2009
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und 73b EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG, einer Kommanditgesellschaft deutschen Rechts, deren Komplementäre Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, und dem Finanzamt München II (im Folgenden: Finanzamt) wegen Feststellung der Gewinne der Glaxo Wellcome GmbH & Co. KG in den Jahren 1995 bis 1998.
Rechtlicher Rahmen
Nationales Recht
Rz. 3
Im Rahmen des in Deutschland im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Steuersystems der „Vollanrechnung“ wurde die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der von in Deutschland ansässigen Gesellschaften an in Deutschland ansässige Steuerpflichtige ausgeschütteten Gewinne nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 49 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) dadurch vermieden, dass den Steuerpflichtigen ein Anspruch auf volle Anrechnung der von den ausschüttenden Gesellschaften entrichteten Körperschaftsteuer auf ihre Einkommen- oder Körperschaftsteuer gewährt wurde.
Rz. 4
Nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG verwandelte sich der Anspruch des gebietsansässigen Anteilseigners auf Anrechnung der Körperschaftsteuer in einen Vergütungsanspruch, soweit seine eigene Steuerschuld niedriger war als die Vorbelastung der ausgeschütteten Summe mit Körperschaftsteuer. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG wurde dieser Anspruch wiederum als Teil der Einkünfte angesehen.
Rz. 5
Gehörte die Beteiligung an einer juristischen Person zum Betriebsvermögen des gebietsansässigen Steuerpflichtigen, konnte dieser nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG zeitgleich mit der Dividendenausschüttung den Wert der Anteile in seiner Steuerbilanz herabsetzen. Diese Wertminderung, die als „Teilwertabschreibung“ bezeichnet wird, beruhte auf dem Gedanken, dass die Ausschüttung nur eine Vermögensumschichtung darstelle. Der Wert eines Anteils verminderte sich dementsprechend um den Wert der auf diesen Anteil entfallenden Ausschü...