Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollanmeldung, Teilbeschau von Waren, Übernahme der Ergebnisse einer Teilbeschau von Waren bei früherer Zollanmeldung
Leitsatz (amtlich)
Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist, da er nur für die Waren, die Gegenstand „der[selben] Anmeldung“ sind, gilt, dahin auszulegen, dass er es den Zollbehörden, wenn diese Waren von ihnen in der Zeit vor der Überlassung der Waren durch sie untersucht werden, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht gestattet, die Ergebnisse einer Teilbeschau der in einer Zollanmeldung bezeichneten Waren für in früheren Zollanmeldungen aufgeführte, von diesen Behörden bereits überlassene Waren zu übernehmen.
Dagegen ist Art. 78 dieser Verordnung dahin auszulegen, dass er es den Zollbehörden gestattet, die Ergebnisse einer Teilbeschau der in einer Zollanmeldung bezeichneten Waren, die anhand von Proben durchgeführt wurde, die diesen Waren entnommen wurden, für in früheren Anmeldungen desselben Anmelders aufgeführte Waren ‐ die nicht Gegenstand einer Beschau waren und deren Beschau aufgrund ihrer erfolgten Überlassung nicht mehr möglich ist ‐ zu übernehmen, sofern diese Waren identisch sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 70 Abs. 1, Art. 78
Beteiligte
Greencarrier Freight Services Latvia |
Greencarrier Freight Services Latvia SIA |
Verfahrensgang
Augstakas tiesas Senats (Lettland) (Urteil vom 21.11.2012; ABl. EU 2013, Nr. C 38/15) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Art. 70 Abs. 1 und Art. 78 ‐ Zollanmeldungen ‐ Teilbeschau von Waren ‐ Entnahme von Mustern oder Proben ‐ Falscher Code ‐ Erstreckung der Ergebnisse auf in früheren Zollanmeldungen bezeichnete identische Waren nach deren Überlassung ‐ Nachträgliche Kontrolle ‐ Keine Möglichkeit, eine zusätzliche Zollbeschau der Waren zu verlangen“
In der Rechtssache C-571/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Senāts (Lettland) mit Entscheidung vom 21. November 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 2012, in dem Verfahren
Greencarrier Freight Services Latvia SIA
gegen
Valsts ieņēmumu dienests
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Greencarrier Freight Services Latvia SIA, vertreten durch A. Brunavs im Beistand von B. Cera, advokāte,
‐ der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina, K. Freimanis und I. Kalninš als Bevollmächtigte,
‐ der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Keppenne, A. Sauka und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Dezember 2013
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Greencarrier Freight Services Latvia SIA (im Folgenden: GFSL), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung lettischen Rechts, und dem Valsts ieņēmumu dienests (lettische Steuerverwaltung, im Folgenden: VID) wegen der Erhebung von Einfuhrabgaben und der Verhängung einer Geldbuße anlässlich einer nachträglichen Prüfung mehrerer Zollanmeldungen.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 5 und 6 des Zollkodex lauten:
„Den Erfordernissen der Zollverwaltungen im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung des Zollrechts ist in gleichem Maße Rechnung zu tragen wie dem Anspruch der Wirtschaftsbeteiligten auf gerechte und angemessene Behandlung. Daher müssen unter anderem umfangreiche Kontrollmöglichkeiten für die Zollverwaltungen und Rechtsbehelfe für die Wirtschaftsbeteiligten vorgesehen werden. Im Hinblick auf ein Rechtsbehelfssystem im Zollbereich muss das Vereinigte Königreich neue Verwaltungsverfahren einführen, die nicht vor dem 1. Januar 1995 in Kraft treten können.
Angesichts der großen Bedeutung des Außenhandels der Gemeinschaft sollten Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen möglichst vermieden, zumindest aber in geringstmöglichem Umfang gehalten werden.“
Rz. 4
Art. 68 des Zollkodex sieht vor:
„Die Zollbehörden können zwecks Überprüfung der von ihnen angenommenen Anmeldungen
a) die Unterlagen prüfen; geprüft werden können die Anmeldung und die dieser beigefügten Unterlagen. ...