Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer. Informationsaustausch. Steuerprüfung. Fristen. Aussetzung der Steuerprüfung bei Informationsaustausch. Überschreitung der für die Übermittlung der Informationen festgelegten Frist. Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Aussetzung der Steuerprüfung
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 904/2010 Art. 10-12
Beteiligte
Finančné riaditeľstvo Slovenskej republiky |
Tenor
Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist in Verbindung mit ihrem 25. Erwägungsgrund dahin auszulegen, dass darin keine Fristen vorgesehen werden, deren Überschreitung sich auf die Rechtmäßigkeit der Aussetzung einer Steuerprüfung auswirken kann, die im Recht des ersuchenden Mitgliedstaats bis zur Übermittlung von Informationen vorgesehen ist, die im Rahmen des mit dieser Verordnung eingeführten Mechanismus der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden vom ersuchten Mitgliedstaat angefordert werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) mit Entscheidung vom 5. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 29. April 2020, in dem Verfahren
HYDINA SK s.r.o.
gegen
Finančné riaditeľstvo Slovenskej republiky
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Präsidenten der Fünften Kammer E. Regan (Berichterstatter) und des Richters I. Jarukaitis,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der HYDINA SK s.r.o., vertreten durch M. Kvasňovský, advokát,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, O. Serdula und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und A. Tokár als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. 2010, L 268, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der HYDINA SK s.r.o. und dem Finančné riaditeľstvo Slovenskej republiky (Finanzdirektion der Slowakischen Republik) (im Folgenden: Finanzdirektion) über eine Steuerprüfung infolge eines Antrags auf Vorsteuerabzug für Warenlieferungen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 5, 7, 8 und 25 der Verordnung Nr. 904/2010 lauten:
„(5) Zu den Steuerharmonisierungsmaßnahmen, die im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes ergriffen werden, sollte die Einrichtung eines gemeinsamen Systems für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten – vor allem hinsichtlich des Informationsaustausches – gehören, bei der die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einander Amtshilfe gewähren und mit der [Europäischen] Kommission zusammenarbeiten, um eine ordnungsgemäße Anwendung der Mehrwertsteuer (MwSt.) auf Warenlieferungen und Dienstleistungen, den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und auf die Einfuhr von Waren zu gewährleisten.
…
(7) Für die Erhebung der geschuldeten Steuer sollten die Mitgliedstaaten kooperieren, um die richtige Festsetzung der Mehrwertsteuer sicherzustellen. Daher müssen sie nicht nur die richtige Erhebung der geschuldeten Steuer in ihrem eigenen Hoheitsgebiet kontrollieren, sondern sollten auch anderen Mitgliedstaaten Amtshilfe gewähren, um die richtige Erhebung der Steuer sicherzustellen, die im Zusammenhang mit einer in ihrem Hoheitsgebiet erfolgten Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geschuldet wird.
(8) Die Kontrolle der richtigen Anwendung der Mehrwertsteuer auf grenzüberschreitende Umsätze, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Lieferer oder Dienstleistungserbringer ansässig ist, steuerbar sind, hängt in vielen Fällen von Informationen ab, die dem Mitgliedstaat der Ansässigkeit vorliegen oder die von diesem Mitgliedstaat viel einfacher beschafft werden können. Für eine effektive Kontrolle dieser Umsätze ist es daher erforderlich, dass der Mitgliedstaat der Ansässigkeit diese Informationen erhebt oder erheben kann.
…
(25) Fristen gemäß dieser Verordnung für die Übermittlung von Informationen sind als nicht zu überschreitende Höchstfristen zu verstehen, wobei grundsätzlich gelten sollte, dass im ersuchten Mitgliedstaat bereits vorliegende Informationen im Interesse e...