Leitsatz
Hat ein vom Steuerpflichtigen beauftragter, unabhängiger Sachverständiger bei der Wertermittlung eines Grundstücks eine den Wert mindernde Grundstücksbelastung übersehen, muss sich der Steuerpflichtige ein grobes Verschulden des Sachverständigen am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht als eigenes grobes Verschulden zurechnen lassen.
Normenkette
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Wegen der bevorstehenden Beendigung einer Betriebsaufspaltung beauftragte der Kläger einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens über den Verkehrswert des Betriebsgrundstücks. Der Sachverständige übersah dabei eine Wert mindernde Belastung in Abteilung II des Grundbuchs (eine Rückübertragungsvormerkung). Ausgehend von dem Gutachten setzte das FA einen zu hohen Verkehrswert an und berücksichtigte einen entsprechend hohen Aufgabegewinn.
Nach Bestandskraft des Bescheids beantragten die Kläger (Eheleute) unter Hinweis auf die Grundbucheintragung, den Bescheid unter Ansatz eines niedrigeren Aufgabegewinns zu ändern, da die Grundstücksbelastung dem FA nachträglich bekannt geworden sei und ihnen der Fehler des Gutachters nicht zuzurechnen sei.
Entscheidung
Der BFH sieht in der Fehlbeurteilung des Sachverständigen kein dem Kläger zurechenbares Verschulden. Die ablehnende Entscheidung des FG wurde daher aufgehoben. Der BFH verwies die Sache an das FG zurück. Denn im Streitfall erscheint ein eigenes Verschulden des Klägers oder ein zurechenbares Verschulden des steuerlichen Beraters bei der Erstellung der ESt-Erklärung nicht ausgeschlossen. Möglicherweise war ihnen der Grundbucheintrag bekannt. Dazu hat das FG die Feststellungen nachzuholen.
Hinweis
Die Änderung eines Steuerbescheids wegen neuer Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen setzt voraus, dass den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. Über den Wortlaut des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige jedoch nicht nur für eigenes, sondern darüber hinaus in bestimmtem Umfang auch für das Verschulden Dritter einzustehen. Denn er soll sich seiner Erklärungs- und Mitwirkungspflichten nicht dadurch entledigen können, dass er sie einem Dritten überlässt.
Nach der Rechtsprechung hat der Steuerpflichtige daher das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters, Arbeitnehmers, steuerlichen Beraters oder auch seiner Sekretärin, die die Steuererklärung vorbereitet, zu vertreten. Die Verschuldenszurechnung wird z.T. auf eine Analogie zu § 110 Abs. 1 Satz 2, § 152 Abs. 1 Satz 3, § 169 Abs. 2 Satz 3 AO oder auch zu § 278 BGB gestützt. Diesen Zurechnungsnormen liegt das allgemeine Prinzip zugrunde, dass jemand seine Stellung im Rechtsverkehr nicht dadurch verbessern kann, dass er die Wahrnehmung seiner Interessen oder die Erfüllung seiner Verpflichtungen Dritten überträgt.
Gerechtfertigt ist die Zurechnung des Verschuldens aber nur, soweit der Steuerpflichtige die Erledigung seiner steuerlichen Pflichten gegenüber dem FA, insbesondere die Anfertigung und Abgabe der Steuererklärung, einem Dritten überträgt. Eine Verschuldenszurechnung scheidet daher aus, wenn der Steuerpflichtige eine Person beauftragt, die nicht zur Erfüllung steuerlicher Pflichten des Auftraggebers gegenüber dem FA tätig wird.
Schaltet der Steuerpflichtige einen unabhängigen Sachverständigen ein, um den Wert eines Grundstücks zu ermitteln, wird dieser nicht in Erfüllung steuerlicher Pflichten des Auftraggebers gegenüber dem FA tätig. Dies gilt auch dann, wenn der Wert für die Ermittlung eines Betriebsaufgabegewinns bedeutsam ist. Denn der Steuerpflichtige hat zwar den Betriebsaufgabegewinn zu erklären, ist aber nicht verpflichtet, auf seine Kosten ein Wertgutachten über ein entnommenes Grundstück erstellen zu lassen. Ein Fehlverhalten des Sachverständigen bei der Wertermittlung ist daher nicht zurechenbar, auch wenn sie als Grundlage für die Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns in die Steuererklärung eingegangen ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.11.2005, III R 44/04