rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit der Umsätze einer selbstständigen Musiklehrerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSyst-Richtlinie 2006/112/EG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die im Rahmen einer Franchising-Vereinbarung als Einzelunternehmerin eine Musikschule betreibende Erzieherin kann sich für die Umsatzsteuerfreiheit ihrer Umsätze auf die für Privatlehrer geltende Vorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG berufen.
2. Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 21; Richtlinie 2006/112/EG Art. 132 Abs. 1 Buchst. j; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
Die Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012 vom 23.11.2012 wird mit Wirkung vom Fälligkeitstag bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 29.11.2012 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Umsätze der Antragstellerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j Mehrwertsteuersystemrichtlinie – MwStSystemRL – von der Umsatzsteuer befreit sind.
Die Antragstellerin ist ausgebildete Erzieherin und hat eine Prüfung im Akkordeon-Lehrer-Verband bei der Musikschule B. abgelegt. An den durch diese Musikschule angebotenen Fortbildungsveranstaltungen nimmt sie regelmäßig teil.
Im Rahmen einer Franchising-Vereinbarung mit der Musikschule B. betreibt die Antragstellerin als Einzelunternehmerin eine Musikschule, indem sie in angemieteten Schulräumen erste melodische Ausbildungen für kleine Kinder und Musikunterricht, der auch auf Musikprüfungen vorbereitet, durchführt.
Für die Jahre 2009 und 2010 reichte die Antragstellerin Umsatzsteuererklärungen ein, in denen sie steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 35.329 EUR bzw. 33.992 EUR erklärte. Für die streitigen Voranmeldungszeiträume meldete sie ausgehend von steuerfreien Umsätzen Vorauszahlungen in Höhe von jeweils 0 EUR an. Auf Anfrage des Antragsgegners erläuterte sie, dass sie unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL ihre Umsätze als Musiklehrerin als die einer Privatlehrerin für steuerfrei halte.
Der Antragsgegner folgte dem nicht und erließ am 23.11.2012 Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012, mit denen er die Umsatzsteuer auf 963,93 EUR, 1.194,71 EUR und 1.262,82 EUR (zusammen: 3.421,46 EUR) festsetzte.
Dagegen legte die Antragstellerin am 29.11.2012 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Der Antragsgegner lehnte den Aussetzungsantrag am 17.12.2012 ab. Der Einspruch ist nach Aktenlage nach wie vor anhängig.
Am 21.12.2012 hat die Antragstellerin einen Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – gestellt. Sie macht geltend, sie kontrahiere unmittelbar mit ihren Schülern, denen sie die streitigen Unterrichtsleistungen erbringe. Der Begriff des Privatlehrers setze keine Hochschulausbildung voraus, so dass sie auch die erforderlichen Qualifikationen aufweise. Dem entsprechend sei sie nach der einschlägigen Rechtsprechung Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL, auf den sie sich berufe.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012 vom 23.11.2012 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unbegründet, da die Antragstellerin keine Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL sei. Denn nicht sie, sondern die Musikschule B. sei Trägerin der Einrichtung des Unterrichtsangebots. Es bestünden keine Rechtsbeziehungen zwischen der Antragstellerin und den einzelnen Schülern.
Dem Gericht haben je eine Einkommensteuer-, Umsatzsteuer-, Bilanz- und Rechtsbehelfsakte vorgelegen, die vom Antragsgegner für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. … geführt werden.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist begründet.
Es bestehen i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides n...