Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerliche Zurechnung von Umsätzen einer im englischen Handelsregister gelöschten Private Limited Company. Liquidation des deutschen Restvermögens. Vertretungsbefugnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine englische Private Limited Company (Ltd.) kann grundsätzlich auch nach ihrer Löschung im englischen Handelsregister jedenfalls insoweit noch umsatzsteuerlicher Unternehmer sein, als sie Umsätze im Rahmen ihrer (Nachtrags-) Liquidation bewirkt. Zum Zwecke der Liquidation besteht die Ltd. im Hinblick auf ihr in Deutschland belegenes Vermögen fort.
2. Umsätze, die im Namen der Ltd. nach deren Löschung im englischen Handelsregister bewirkt werden, können der Ltd. nicht zugerechnet werden, wenn sie nicht im Rahmen und zum Zwecke einer (Nachtrags-) Liquidation und Abwicklung des Unternehmens der Ltd erfolgt sind.
3. Für die Liquidation des deutschen Restvermögens der Ltd. sind nicht die bisherigen Directors, sondern nur noch vom Gericht in entsprechender Anwendung von § 66 Abs. 5 GmbHG zu bestellende Liquidatoren vertretungsbefugt.
4. Wer Umsätze als Vertreter ohne Vertretungsmacht tätigt, muss sich diese für Zwecke der Umsatzsteuer als eigene zurechnen lassen.
Normenkette
UStG § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1; GmbHG § 66 Abs. 5
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Streitig ist die Zurechnung von Umsätzen einer im englischen Handelsregister gelöschten Private Limited Company – Ltd – bei der Umsatzsteuer im Streitjahr 2005.
Der Kläger erbrachte im Streitjahr – wie in den Vorjahren – als Einzelunternehmer umsatzsteuerpflichtige Grundstücksvermietungsleistungen. Er war zudem seit ihrer Gründung am 13.11.2003 Geschäftsführer (Director, vgl. Bd. I Bl. 53 der Strafakte – StrA –) der B. Ltd, welche im Companies House (englisches Handelsregister) zur Company No. (Registernummer) 04… mit einer Londoner Geschäftsadresse eingetragen war (vgl. Auszug vom 20.12.2007, hinten im Hefter Kontrollmitteilung). Angaben zum Unternehmensgegenstand waren im Companies House nicht eingetragen. Laut Gewerbeanmeldung des Klägers für die Ltd vom 26.05.2004 (Bd. I Bl. 51 StrA) war Gegenstand des Unternehmens der Großhandel, Import, Export mit und von lebenden Tieren, Computern, elektronischen Artikeln und Zubehör, Textilien, Geschenkartikeln und Haushaltswaren. Zur Sekretärin (Company Secretary) der Ltd war Frau C. bestellt, die (mittlerweile geschiedene, vgl. Bd. III Bl. 515 StrA) Ehefrau des Klägers (Bd. II Bl. 288 StrA), den einzigen Gesellschaftsanteil der Ltd übernahm bei Gründung D., der Sohn des Klägers (Bd. II Bl. 290 StrA).
Im Juli 2005 kaufte die Ltd für insgesamt 120.872,00 EUR mehrere Glücksspielgeräte und Geldwechsler von einer E. GmbH in F. (laut Handelsregisterabfrage des Berichterstatters vom 09.06.2015 eingetragen im Handelsregister beim Amtsgericht F. zur Registernummer HRB …, mittlerweile wegen Vermögenslosigkeit gelöscht). Die Rechnungen vom 04.07., 13.07., 18.07. und 21.07.2005 (Bl. 30ff. der Gerichtsakte – GA –) sind jeweils an die Ltd unter der Anschrift G.-Straße in F. adressiert und mit dem Vermerk „Betrag in bar erhalten” versehen; sie enthalten keine Steuernummer der E. GmbH und kein Lieferdatum.
Am 16.08.2005 wurde die Ltd im Companies House gelöscht.
Der Kläger gab für sich als Einzelunternehmer zunächst keine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2005 ab. Auch für die Ltd gab er keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen ab (vgl. Bd. II Bl. 275 StrA).
Mit Schreiben an den Beklagten vom 23.01.2006 (Bl. 5 der Einkommensteuerakte – ESt –) erklärte der Kläger, er habe ab dem Jahr 2003 keinerlei Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder Gewerbebetrieb gehabt.
In einer Kontrollmitteilung vom 20.09.2006 (vorn im Hefter Kontrollmitteilung) informierte das Finanzamt – FA – H. das FA I. darüber, dass die Ltd nach ihrer Löschung noch erhebliche Umsätze getätigt habe, dass diese dem Kläger als früherem Geschäftsführer der Ltd zuzurechnen seien, und übersandte hierzu zwei Rechnungen der Ltd mit der Bitte um Weiterleitung an das für die Ertragsbesteuerung des Klägers zuständige FA (den Beklagten). Es handelt sich um Rechnungen vom 27.10.2005 (Bl. 34 GA, netto 59.100,00 EUR, ausgewiesene Umsatzsteuer 9.456,00 EUR) und 09.11.2005 (Bl. 35 GA, netto 54.300,00 EUR, ausgewiesene Umsatzsteuer 8.688,00 EUR) über einen Verkauf der zuvor durch die Ltd von der E. GmbH angekauften Glücksspielgeräte und Geldwechsler an einen Herrn J.. Die Rechnungen weisen als Verkäuferin die Ltd aus. Auf ihnen sind neben der im englischen Handelsregister eingetragenen Londoner Adresse zwei Niederlassungen der Ltd angegeben, die eine in der G.-Straße in F. und die andere in Indonesien. Die Rechnungen enthalten einen Vermerk „per Barverkauf”.
Am 14.12.2007 erließ der Beklagte gegen den Kläger einen Schätzungsbescheid (Bl. 50 der Umsatzsteuerakte – USt –) und schätzte regelbesteuerte Umsätze i. H. v. netto 150.000,00 EUR und abzugsfähige...